Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 6.086 (darin enthalten S 1.014,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Gatte der Klägerin ist Mieter der im Haus H***** gelegenen Ehewohnung. Die Beklagte betreibt im Erdgeschoß dieses Hauses unterhalb der von der Klägerin und ihrem Ehegatten benützten Wohnung das Gasthaus "M*****". Die Klägerin wendet sich gegen den durch zum Lokal zufahrende, dort verweilende und abfahrende Motorräder erzeugten Lärm, soweit dieser in den Nachtstunden bestimmte Grenzwerte übersteigt und begehrt die Verpflichtung der Beklagten, dafür zu sorgen, daß diese Grenzwerte nicht überschritten werden; in eventu, Lärmimmissionen durch Motorräder bzw Kraftfahrzeuge insoweit zu unterlassen, als der Geräuschpegel im Schlafzimmer der Klägerin bei geschlossenem Fenster um mehr als 27 dB übertroffen wird. Der lokalbezogene Motorradlärm des Gastlokals der Beklagten übersteige den ortsüblichen Lärmpegel um ein Vielfaches und raube der Klägerin die Nachtruhe. Sie sei dadurch in der Nutzung der ehelichen Wohnung wesentlich beeinträchtigt.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Der von der Klägerin in Anspruch genommene nachbarrechtliche Schutz komme neben dem Grundeigentümer nur dinglich Berechtigten zu. Er könnte nach neuerer Rechtsprechung wohl vom Gatten der Klägerin als Bestandnehmer der Ehewohnung, nicht jedoch von der Klägerin selbst wahrgenommen werden. Die Klägerin sei aktiv nicht legitimiert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Rechtsprechung bejahe einen auf § 364 ABGB gegründeten Unterlassungsanspruch des Bestandnehmers unter Hinweis auf seine quasi-dingliche Rechtsstellung. Demgegenüber leite die Klägerin ihre Rechte im Zusammenhang mit der Ehewohnung ausschließlich aus ihren familienrechtlichen Beziehungen zum Mieter ab. Sie könne allfällige aus der familienrechtlichen Beziehung entspringende Ansprüche im Zusammenhang mit dieser Wohnung nur gegenüber ihrem Gatten geltend machen. Ihre Position sei damit nicht der eines Bestandnehmers gleichgestellt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht jedoch 260.000 S übersteige und die (ordentliche) Revision zulässig sei. Zur Frage, ob Familienangehörigen des Mieters eine selbständige Klageführung im Sinn des § 364 Abs 2 ABGB zustehe, fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Die von der Klägerin zur Begründung ihrer Aktivlegitimation angeführten Bestimmungen (§§ 90 und 97 ABGB, § 382 Z 8 lit b EO iVm § 81 Abs 2 EheG) stellten auf das Verhältnis der Ehegatten zueinander ab, ohne daß sich daraus Ansprüche gegen Dritte ableiten ließen. Die Entscheidung des verstärkten Senates SZ 62/204 erweitere den im Sinn des § 364 Abs 2 ABGB anspruchsberechtigten Personenkreis um den Mieter, weil diesem ein quasi-dingliches Recht zustehe. Eine darüber hinausgehende Erweiterung sei der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
§ 364 ABGB gilt seinem Wortlaut nach zwar nur für den Eigentümer, die Rechtsprechung dehnte seinen Anwendungsbereich auch auf sonst dinglich Berechtigte aus (SZ 55/172; SZ 50/84), verneinte jedoch zunächst einen gegen Dritte gerichteten Abwehranspruch des bloß obligatorisch berechtigten Bestandnehmers (SZ 25/124; SZ 47/140; SZ 52/5; MietSlg 31.033).
Unter Bedachtnahme auf die in der herrschenden Lehre dagegen erhobenen erheblichen Bedenken sprach der 7. Senat des Obersten Gerichtshofes als verstärkter Senat in seiner Entscheidung 7 Ob 654/89 = SZ 62/204 = EvBl 1990/73 = JBl 1990, 447 [Spielbüchler] aus, daß dem Bestandnehmer gegen jede rechtswidrige Beeinträchtigung des Bestandrechts an einer unbeweglichen Sache durch Dritte eine Unterlassungsklage gegen den Störer zustehe. Die Gesetzgebung in Mietensachen habe seit Jahrzehnten Tendenzen erkennen lassen, die Position des Mieters wesentlich zu stärken, was vielfach auf dem Wege einer Angleichung seiner Rechte an die Rechte eines dinglich Berechtigten geschehen sei. Seine Position sei aus der eines bloß relativ Berechtigten herausgehoben und der Position eines dinglich Berechtigten angenähert worden. Nach dem Stand der Gesetze könne daher das Bestandrecht nicht mehr als bloß obligatorisches Recht im alten Sinn angesehen werden. Es sei allgemein anerkannt, daß der Mieter über den persönlichen Anspruch gegen den Vermieter auf Gewährung der Leistung hinausgehende Beziehungen zur Sache habe, die eine Stärkung seiner Rechte auch gegen Dritte erforderlich mache. In diesem Sinn habe die Rechtsprechung schon bisher § 372 ABGB analog auch auf den Bestandnehmer aus der Erwägung angewendet, die persönlichen Beziehungen des Bestandnehmers zur Bestandsache erforderten einen generellen Schutz gegen die Entziehung der Sache oder gegen gravierende Eingriffe in seine Bestandrechte. Diese Erwägung spreche aber auch für eine analoge Anwendung des § 364 Abs 2 ABGB auf den Bestandnehmer unbeweglicher Sachen, könnten doch Art und Umfang eines Eingriffes kein Kriterium für die Abgrenzung zwischen Gewährung oder Nichtgewährung des Rechtsschutzes sein. Die praktische Gleichartigkeit der Rechts- und Interessenlage in Fällen der §§ 372 und 364 Abs 2 ABGB erfordere eine Ausdehnung der zu § 372 ABGB bereits anerkannten Analogie auch auf § 364 Abs 2 ABGB.
Diese - den Lehrmeinungen Rechnung tragende - Entscheidung des verstärkten Senats ist weitgehend auf Zustimmung gestoßen (Apathy, WoBl 1990, 42; Oberhammer in Schwimann, ABGB2 Rz 7 zu § 364; Würth, WoBl 1990, 94; ablehnend Spielbüchler, JBl 1990, 449 ff). Eine Ausweitung des dem Bestandnehmer gewährten petitorischen Schutzes auf sonstige, bloß obligatorisch Berechtigte wird auch in der Lehre nicht gefordert. Spielbüchler (aaO) bezweifelt sogar die Absicht des Gesetzgebers, die Rechtsstellung des Mieters der eines dinglich Berechtigten anzugleichen und weist auf die mit einer allfälligen weitergehenden analogen Anwendung des § 364 Abs 2 ABGB auch auf sonstige obligatorisch Berechtigte verbundene Gefahr einer nahezu völligen Auflösung des Unterschiedes zwischen dinglichen und obligatorischen Rechten hin.
Der Oberste Gerichtshof hat die vom verstärkten Senat vertretene Auffassung in den bisher zu beurteilenden Fällen von
Bestandverhältnissen aufrechterhalten (SZ 65/38 = JBl 1992, 641;
Immolex 1997, 137; Immolex 1997, 109 = RdU 1997, 90 [Wagner]). Er hat
diese Grundsätze auch auf einen Leasingnehmer aus der Erwägung angewendet, daß der Leasingvertrag Elemente eines Mietvertrages enthalte (1 Ob 416/97a). Abwehransprüche anderer obligatorisch Berechtigter waren bisher nicht zu beurteilen.
Im vorliegenden Fall stützt die Klägerin ihr Begehren auf die Beeinträchtigung der ihr nach dem Familienrecht zukommenden Nutzung der Ehewohnung durch ortsunübliche Lärmentwicklung. Sie leitet ihre Klagelegitimation damit nicht aus einem Bestandvertrag, sondern aus einem auf der Familienangehörigkeit beruhenden Wohnverhältnis ab. Die für die Bejahung direkter Abwehransprüche des Bestandnehmers gegen Eingriffe Dritter in seine Bestandrechte angestellten Überlegungen des verstärkten Senates treffen auf die Rechtsstellung der hier klagenden Partei in wesentlichen Punkten nicht zu:
§ 90 ABGB verpflichtet die Ehegatten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, insbesondere zum gemeinsamen Wohnen. § 97 ABGB begründet Rechte an der Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, über die jedoch der andere Ehegatte verfügungsberechtigt ist, wobei der daraus abzuleitende (für die Dauer der Ehe geltende) Benutzungsanspruch nach Auflösung der Ehe durch den Aufteilungsanspruch ersetzt wird (MietSlg 48.004). Der Schutz des auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten nach § 97 ABGB umfaßt den (gegen den anderen Ehegatten gerichteten) Anspruch darauf, daß der verfügungsberechtigte Ehegatte nicht derart über die Wohnung verfügt, daß sie dem bedürftigen Gatten ganz oder teilweise entzogen wird (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 97; MietSlg 48.005). Der Zweck dieser gesetzlichen Bestimmung liegt somit darin, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse diente und die er weiter benötigt. Er erwirbt durch die Eheschließung ein Wohnrecht im Umfang seines Wohnbedürfnisses, das ihn berechtigt, sich gegen Willkürmaßnahmen des anderen Ehegatten zu schützen (MietSlg 39.007). Aufgrund dieses familienrechtlichen Wohnverhältnisses stehen ihm - dringendes Wohnbedürfnis vorausgesetzt - Unterlassungs- allenfalls auch Wiederherstellungsansprüche gegen den anderen Ehegatten zu. Daraus wird aber auch deutlich, daß das durch Eheschließung entstehende familienrechtliche Wohnverhältnis dem Ehegatten, der nicht auch Mieter der Wohnung ist, keine dem Bestandnehmer gleichzuhaltende Stellung gegenüber Dritten vermittelt. Es hebt seine Position nicht aus jener bloß relativ Berechtigter heraus. Daß der Gesetzgeber eine Annäherung seiner Rechtsposition an die eines dinglich Berechtigten bezwecken könnte, ist nicht ersichtlich, verfügt doch der nach § 97 ABGB nutzungsberechtigte Ehegatte nur über ein aufgrund familienrechtlicher Beziehungen von seinem Ehegatten abzuleitendes Nutzungsrecht, das es ihm erlaubt, sich gegen einschränkende Maßnahmen des verfügungsberechtigten Ehegatten zur Wehr zu setzen. Dieses Nutzungsrecht schützt den - insoweit nicht titellosen - Ehegatten auch vor einer Räumung, solange nicht auch gegen den anderen Ehegatten infolge Auflösung seines Bestandverhältnisses ein Räumungsanspruch besteht (SZ 25/142; stRsp RIS-Justiz RS0000948), vermittelt ihm jedoch keine, dem Bestandnehmer vergleichbare "quasi-dingliche" Stellung, die eine Stärkung seiner auf Familienrecht beruhender Nutzungsrechte auch gegen Eingriffe Dritter erforderlich machte.
Die Vorinstanzen haben damit zu Recht eine Aktivlegitimation der bloß nutzungsberechtigten Klägerin verneint.
Die Klägerin stützt ihre Ansprüche erstmals im Revisionsverfahren auch auf das nach § 16 ABGB absolut geschützte Persönlichkeitsrecht auf Leben und Gesundheit. Sie hat sich im Verfahren erster Instanz nur auf die Beeinträchtigung ihrer Nutzungsmöglichkeit an der Wohnung durch ortsunübliche Lärmbelastung berufen. Daß auch ihre Gesundheit gefährdet werde, hat sie im Verfahren erster Instanz hingegen nicht vorgebracht. Der erstmals im Rechtsmittelverfahren herangezogene Rechtsgrund einer allfälligen Verletzung absoluter Rechte ist daher als unzulässige Neuerung einer Beurteilung entzogen.
Der unberechtigten Revision der Klägerin ist ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 2 ZPO.
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