Spruch:
Erhöht ein Gründeigentümer durch die behördlich genehmigte Zuleitung von Ammoniak zu einer Kunsteisbahn die Gefährdung der Grundnachbarn, haftet er ihnen auch ohne Verschulden für den aus der Verwirklichung dieser Gefahr adäquat entstandenen Schaden
OGH 10. November 1982, 1 Ob 28/82 (OLG Linz 1 R 44/82; LG Salzburg 5 Cg 362/81)
Text
Die Kläger sind Fischereiberechtigte an einem Teil der Gasteiner Ache samt Nebengewässern. Die beklagte Partei ist Eigentümerin des Kurzentrumsgebäudes in Bad Hofgastein. Sie betreibt dort ua. eine Kunsteisbahn. Die Kälteanlage der Kunsteisbahn wird mit Ammoniak betrieben, das von einem Sammelbehälter in Rohren zur Betonfläche der Eislaufbahn geführt wird. Am 4. 9. 1980 trat infolge eines Rohrbruches Ammoniakgas aus, das die Feuerwehr mit Wasser bekämpfte. Mit Ammoniak angereichertes Wasser gelangte über die Abwässer- und Oberflächenwässerkanäle, über die Kläranlage Bad Hofgastein und durch den Kurzentrumsgraben in die Gasteiner Ache. Durch das Einfließen des Ammoniakgemisches in das Gewässer kam es zu einem Fischsterben, das den Klägern als Fischereiberechtigte einen Schaden von mindestens 1 S zufügte. Diese begehren den Ersatz eines Schadens von 1 015 740 S samt Anhang nach den Bestimmungen des Nachbarrechtes.
Die beklagte Partei bestritt ihre Nachbareigenschaft und die Höhe des behaupteten Schadens. Sie wendete ua. ein, daß sie kein Verschulden treffe. Die Kälteanlage sei in ihrem Auftrag von der R GesmbH errichtet worden. Hiebei sei eine Schweißnaht unsachgemäß mit einer Brandtiefe von nur 1 mm ausgeführt worden, wodurch es zum Rohrbruch gekommen sei. Die Zuleitung des Ammoniakgemisches in die Fischereigewässer der Kläger sei ohne Zutun und ohne Willen der beklagten Partei durch die zur Gefahrenbekämpfung eingesetzte Feuerwehr erfolgt.
Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil zu Recht, daß das Klagebegehren dem Gründe nach zu Recht bestehe. Die Bestimmungen des § 364 ABGB dienten zum Schutz vor übermäßigen Einwirkungen, die vom Nachbargrundstück ausgingen. Dem Betroffenen stehe nicht nur ein Untersagungs-, sondern auch ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch zu. Nachbar sei nicht nur der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar, sondern auch der mittelbare Nachbar in dem Umkreis, in dem sich die Einwirkungen äußerten. Die nachbarrechtlichen Ansprüche stunden nicht nur gegen den Eigentümer des Nachbargrundstückes zu, sondern auch gegen einen Dritten, der das Grundstück für eigene Zwecke benütze. Dazu gehöre aber nicht die Feuerwehr. Dieser sei keine Benützungsbefugnis eingeräumt worden. Sie habe lediglich die eminente Gefahr für das Leben und die Gesundheit zahlreicher Menschen bekämpft. Das Einfließen des Ammoniak-Wassergemisches in die Gasteiner Ache habe das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten; es sei hiedurch die ortsübliche Benützung des Fischereigewässers beeinträchtigt worden. Den klagenden Parteien stunde demnach ein Ausgleichsanspruch zu.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. In der neueren Rechtsprechung werde ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch dann bejaht, wenn eine analoge Anwendung des § 364a ABGB - wie im vorliegenden Fall - gerechtfertigt sei. Es könne daher auf sich beruhen, ob es sich bei dem Schadensereignis um eine typische Betriebsgefahr einer behördlich genehmigten Anlage gehandelt habe. Nach § 364 hafte der Betriebsinnhaber gerade dann, wenn der Schaden durch Umstände verursacht worden sei, auf die bei der behördlichen Verhandlung keine Rücksicht genommen worden sei. Sei die schädliche Auswirkung stärker gewesen, als nach der Betriebsart zunächst erwartet habe werden können, sei eine Entschädigung des Nachbarn geboten. Trete die Schädigung wie ein Elementarereignis ein, käme eine präventive Maßnahme zu spät. Dann müsse aber dem Geschädigten ein Ersatzanspruch eingeräumt werden. Das Eingreifen der Feuerwehr sei nur eine adäquate Folge der von der Anlage ausgehenden Gefahr gewesen. Zu Unrecht berufe sich die beklagte Partei auf Notstand. Ein solcher befreie dann nicht von der Ersatzpflicht, wenn die Notstandssituation von einem für die Nachbarschaft gefährlichen Betrieb ausgegangen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Auszugehen ist davon, daß nach § 364 Abs. 1 ABGB die Ausübung des Eigentumsrechtes grundsätzlich nur insofern stattfinden darf, als dadurch in die Rechte eines Dritten, wozu auch der Grundnachbar gehört, nicht eingegriffen wird. Vom Nachbargrundstück ausgehende mittelbare Einwirkungen müssen jedoch dann geduldet werden, wenn diese das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstückes nicht wesentlich beeinträchtigen. Immissionen, die über die normale Duldungspflicht, wie sie § 364 Abs. 2 ABGB umschreibt, hinausgehen, müssen vom Grundnachbar dann hingenommen werden, wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage iS des § 364a ABGB ausgehen. Die unmittelbare Zuleitung, wozu auch die Zuleitung von Flüssigkeiten gehört, ist jedoch ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen, auch bei behördlich genehmigten Anlagen, unzulässig (SZ 49/7; SZ 48/4; JBl. 1966, 133; Ehrenzweig, System[2] I/2, 132; Gschnitzer, Sachenrecht 61).
Eine behördlich genehmigte Anlage iS des § 364a ABGB liegt dann vor, wenn die Genehmigung in einem Verfahren erfolgte, in dem die Berücksichtigung der Interessen der Nachbarn in wirksamer Weise vorgesehen ist, wie dies auf das Verfahren nach der Gewerbeordnung zutrifft. Nach § 74 GewO genehmigte Betriebsanlagen unterliegen daher jedenfalls dem § 364a ABGB (SZ 48/15; MietSlg. 23 035; EvBl. 1964/44). Die Revisionswerberin räumt selbst ein, daß es sich bei der von ihr betriebenen Kälteanlage der Kunsteisbahn um eine von der Gewerbebehörde genehmigte Anlage handelt.
Wie der OGH in Übereinstimmung mit der Lehre wiederholt ausgesprochen hat, handelt es sich bei § 364a ABGB um einen der Enteignung verwandten Tatbestand. Dem Geschädigten ist im Interesse des Nachbarn oder im öffentlichen Interesse ein Abwehrrecht gegen Einwirkungen genommen, die von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen, auch wenn sie das normale Ausmaß, wie es § 364 Abs. 2 ABGB umschreibt, überschreiten (SZ 51/47; SZ 50/160; Rummel in JBl. 1967, 122; Ostheim in JBl. 1973, 577). Er kann aber damit rechnen, daß dadurch eintretende Schäden ersetzt werden. Daß dem Grundnachbar die mit dem ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage verbundenen und daher unvermeidbaren Schäden zu ersetzen sind, wird auch von der Revisionswerberin nicht in Abrede gestellt. Mit dem ordnungsgemäßen Betrieb einer behördlich genehmigten Anlage kann aber auch eine erhebliche Gefährdung des Eigentums und dinglicher Rechte eines Grundnachbarn verbunden sein. Dieser wird über die mit dem ordnungsgemäßen Betrieb verbundenen Einwirkungen hinaus erlaubterweise einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt, die er gleichfalls hinnehmen muß. Für denjenigen, der die Anlage betreibt, stellt der Eintritt eines Schadens aus einer bestehenden Gefährdungslage ein kalkulierbares Risiko dar. Die Verwirklichung der Gefahr infolge eines Fehlverhaltens eines Bediensteten, des Versagens einer betrieblichen Einrichtung oder eines Fehlers in der Anlage selbst stellt daher keine atypische Einwirkung der genehmigten Anlage dar. Es sind dann demjenigen, der eine behördlich genehmigte Anlage betreibt, auch jene Risken aufzuerlegen, die sich aus der Verwirklichung einer mit dem ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage verbundenen Gefährdung des Nachbarn ergeben. In analoger Anwendung des § 364a ABGB hat der OGH bereits wiederholt ausgesprochen, daß ein nachbarrechtlicher, vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch stets dann zu gewähren ist, wenn dem Geschädigten ein Abwehrrecht, das ihm wegen Bestehens einer an sich gefährlichen Situation nach dem Inhalt seines dinglichen Rechtes sonst zugestanden wäre, genommen war (SZ 51/47; SZ 50/160 ua.). Auch die Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die dem Nachbar durch einmalige Vorfälle wie durch Eindringen von Wasser (zB Wasserrohrbrüche) entstanden, wird vom OGH stets anerkannt (SZ 51/164; EvBl. 1976/190; SZ 44/140; 1 Ob 39/81). Die Zuleitung von Ammoniak aus einem Sammelbehälter durch eine Rohrleitung zur Betonfläche einer Kunsteisbahn stellt eine ständige Gefahrenquelle für die Nachbarn dar, gegen die ihnen wegen der gewerbebehördlichen Genehmigung der Anlage ein Abwehrrecht genommen ist. Es muß nicht nur mit mangelhaften Schweißstellen bei Errichtung der Rohrleitungen gerechnet werden. Auch durch Materialfehler, Einwirkungen von außen oder durch Materialermüdung kann es zu einem Rohrbruch und damit zum Austritt von Ammoniak kommen. Der potentiellen Gefahr beim Transport von gefährlichen Stoffen in Rohrleitungen hat auch der Gesetzgeber durch Einführung der besonderen Haftung nach dem Rohrleitungsgesetz 1975 Rechnung getragen; dieses kommt zwar im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung (§ 1 Abs. 2 Z 3 Rohrleitungsgesetz 1975), läßt jedoch erkennen, daß der Gesetzgeber durchaus gewillt ist, für Mängel von Rohrleitungen auch ohne Verschulden haften zu lassen. Unerörtert bleiben kann die Frage einer allfälligen Ersatzpflicht der beklagten Partei nach dem Reichshaftpflichtgesetz, weil nach § 9a RHG die Vorschriften des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches unberührt bleiben und nur eine Anspruchsnormenkonkurrenz vorläge.
Unbestritten ist, daß von einer Rohrleitung auf dem Grundstück der beklagten Partei Ammoniakgas austrat, das nach Intervention der Feuerwehr mit Wasser in die Fischereigewässer der Kläger gelangte, wodurch diese einen Schaden erlitten. Das Austreten des Ammoniakgases war somit ursächlich iS der natürlichen Kausalität, weil es nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Geschehensablauf ein anderer gewesen wäre (SZ 51/66). Ist der natürliche Kausalzusammenhang gegeben, ist für alle adäquaten Folgen des schädigenden Ereignisses auch dann einzustehen, wenn zu dem auslösenden Ereignis eine weitere Ursache, etwa eine Handlung eines Dritten, hinzukam, mit deren Eintritt nach der Lebenserfahrung zu rechnen war und dessen Eintritt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (ZVR 1977/58; JBl. 1976, 650; JBl. 1974, 372 ua.; Koziol, Haftpflichtrecht[2] I 147 f.). Daß die Feuerwehr einschreiten und allenfalls Wasser verwenden, daß das Wasser dann, mit Ammoniak vermengt, abrinnen und damit auch in Gewässer gelangen würde, an denen Fischereirechte bestehen, lag nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit.
Die dem Nachbar nach § 364a ABGB zustehenden Ausgleichsansprüche sind keine Schadenersatzansprüche iS der §§ 1295 ff. ABGB. Die beklagte Partei kann sich daher schon deswegen nicht auf die schadenersatzrechtliche Bestimmung des § 1306a ABGB berufen. Daß die nachbarrechtlichen Ansprüche nicht nur dem unmittelbaren Grundnachbar zustehen (SZ 43/139 uva.), wurde von den Vorinstanzen zutreffend dargelegt. Dies wird von der Revision auch nicht mehr bestritten. Nachbarrechtliche Ansprüche stehen auch dem Fischereiberechtigten zu (SZ 50/84; JBl. 1966, 319).
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