OGH 1Ob340/52

OGH1Ob340/527.5.1952

SZ 25/124

Normen

ABGB §7
ABGB §364
ABGB §1098
ABGB §7
ABGB §364
ABGB §1098

 

Spruch:

Die Auffassung, daß deshalb, weil die Rechtsprechung dem Bestandnehmer die Entziehungsklage zuerkannt hat, sie ihm in analoger Ausweitung dieses Rechtsgedankens auch die Störungsklage gegen Dritte zuerkennen müsse, wird abgelehnt.

Entscheidung vom 7. Mai 1952, 1 Ob 340/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Der Kläger und der Drittbeklagte sind Mieter in einem der Erst- und Zweitbeklagten gehörigen Hause. Der Kläger behauptet, daß ihm allein das Recht zustehe, den östlichen Hauseingang zu benützen und er hat hieraus verschiedene Ansprüche gegen die Beklagten abgeleitet.

Während das Erstgericht das gesamte Begehren abgewiesen hat, gab das Berufungsgericht der Klage teilweise Folge und erkannte den Drittbeklagten für schuldig, es zu unterlassen, die östliche Haustüre zu benützen und den Hausgang zum Zwecke des Durchganges zu betreten, die Erst- und Zweitbeklagten aber für schuldig, binnen drei Monaten dafür zu sorgen, daß die Bestandrechte des Klägers nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß andere Mietparteien die östliche Haustüre benützen und durch den Hausgang durchgehen.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Drittbeklagten Johann B. Folge gegeben und das angefochtene Urteil, soweit es den Drittbeklagten Johann B. betrifft, dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, es werde 1. Johann B. gegenüber festgestellt, daß nur dem Kläger und seinen Mitbewohnern das Recht zustehe, die östliche Haustüre zu benützen und der Kläger berechtigt sei, die Türe mit seinem eigenen Schloß abzusperren, 2. Johann B. sei schuldig, zu unterlassen, den Hausgang des Hauses zum Zwecke des Durchganges zu betreten und die östliche Haustüre zu benützen, wird abgewiesen."

Ferner hat der Oberste Gerichtshof auch der Revision der Erst- und Zweitbeklagten mj. Sonja und Gudrun H. Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes, das rücksichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens als nicht angefochten unberührt bleibt, rücksichtlich der Verurteilung der Erst- und Zweitbeklagten, binnen drei Monaten dafür Sorge zu tragen, daß die Bestandrechte des Klägers durch Benützung der östlichen Haustüre und durch Betreten des Hausganges des Klägers zum Zwecke des Durchganges durch andere Mietparteien nicht beeinträchtigt werden, und rücksichtlich der Kostenentscheidung bezüglich des Erst- und Zweitbeklagten aufgehoben und in diesem Umfange die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Urteil des Berufungsgerichtes mußte rücksichtlich der Erst- und Zweitbeklagten aufgehoben werden, damit dieses neuerlich zur Frage Stellung nimmt, ob die Feststellungen des Erstgerichtes, so wie sie tatsächlich erfolgten, von ihm übernommen werden können und welcher Korrektur und allenfalls Ergänzung sie bedürfen.

Dagegen war der Revision des Drittbeklagten Folge zu geben, weil das Urteil auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruht, wenn es annimmt, daß dem Kläger ein Recht zusteht, den Beklagten wegen angeblicher Störung seiner Bestandrechte zu klagen.

Die ältere Praxis hat nie daran gezweifelt, daß dem Bestandnehmer kein Rechtsschutz gegen Dritte zusteht. An diesem Grundsatz hat die tschechoslovakische Judikatur (vgl. insbesondere den Plenarbeschluß des Brünner Obersten Gerichtshofes vom 17. Mai 1932, Slg. OG. 11674) festgehalten. Die österreichische Rechtsprechung hat dagegen mit Rücksicht auf die steigende Wohnungsnot seit dem Ende des ersten Weltkrieges und das dadurch hervorgerufene erhöhte Bedürfnis nach einem auch gegen Dritte wirkenden Schutz des Mietrechtes, eine auch gegen Dritte wirksame Klage wegen Entziehung der Mietrechte zugelassen.

Dagegen hat der Oberste Gerichtshof eine Klage wegen Störung der Mietrechte gegen Dritte nicht zugelassen und erst jüngst in SZ. XXIII/188 das Recht des Mieters, auf Grund des § 364 Abs. 2 ABGB. Dritte auf Unterlassung einer Störung zu klagen, verneint. An diesem Grundsatz hält der Oberste Gerichtshof fest.

Wie in den Entscheidungen SZ. XXIII/188 und 191 eingehend dargelegt wurde, lehnte es der Oberste Gerichtshof ab, die von der Praxis zugelassene Klage des Mieters gegen Dritte wegen Entziehung der Bestandrechte auf ein publizianisches, quasi dingliches Recht zu stützen, wie dies von einzelnen Theoretikern versucht worden ist, denen vereinzelte ältere Entscheidungen gefolgt sind, weil diese Rechtskonstruktion zu lebensfremden Ergebnissen führt, wie in den zitierten Entscheidungen dargelegt worden ist. Es ist nicht Sache des Obersten Gerichtshofes, die Rechtserscheinungen und die Lösungen, zu denen die Rechtsprechung gelangt, zu konstruieren; die Aufgabe des Obersten Gerichtshofes beschränkt sich darauf, die an ihn herangetragenen Rechtsfälle sachgemäß zu entscheiden; der Oberste Gerichtshof kann sich daher wie in den Entscheidungen SZ. XXIII/188 und 191 auf die Bemerkung beschränken, daß dem Mieter, obwohl ihm nach dem Gesetz kein dingliches Recht zusteht, eine Klage auch gegen Dritte zugestanden wird, wenn ihm sein Bestandrecht entzogen wird. Daß Klagen gegen Dritte, auch wenn kein dingliches Recht vorhanden ist, auch sonst von der Rechtsprechung zugelassen werden, ist bereits in den vorbezogenen Entscheidungen ausgeführt worden.

Der Oberste Gerichtshof muß dagegen die Auffassung nach wie vor ablehnen, daß deshalb, weil die Rechtsprechung dem Bestandnehmer die Entziehungsklage zuerkannt hat, sie ihm in analoger Ausweitung dieses Rechtsgedankens auch die Störungsklage zuerkennen müsse. Dieser Gedankengang widerspricht dem bereits von den Römern anerkannten Grundsatz, non ex regula jus sumitur, sed ex jure, das heißt der Rechtsprechung, quod est regula fit. Die analytische Auslegung, die deutsche Rechtslehre nennt sie Begriffsjurisprudenz, kann nicht der Leitstern der oberstgerichtlichen Judikatur sein. Auslegungen aus dem Begriff sind gewiß zulässig, sie wurden auch schon von den Römern geübt, aber nur soweit als die analytische Methode nicht zu praktisch unbrauchbaren Ergebnissen führt. Sie sind schon im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit und Konstanz der Judikatur unvermeidlich. Ein auf analytischem Wege gewonnenes Ergebnis kann niemals unrichtig sein. Die analytische Methode ist nur deshalb auf dem Gebiet der Jurisprudenz mit Vorsicht zu handhaben, weil die Prämissen meist unpräzise sind, weshalb jedes Ergebnis noch einmal auch auf seine Rationabilität überprüft werden muß. Die Tatsache, daß eine Entscheidung auf analytischem Wege gewonnen wurde, spricht also nicht gegen die Richtigkeit der Entscheidung, sofern nur das Ergebnis den Lebensbedürfnissen entspricht. Die Zweckjurisprudenz kann daher nicht die Richtlinie der Rechtsprechung sein, sondern nur ein Mittel zur Korrektur an sich anscheinend logisch richtiger, auf analytischem Wege gewonnener Ergebnisse.

Das bedeutet aber nicht, daß deshalb, weil die Auslegung aus dem Begriffe angängig ist, aus logischen Gründen auch aus der Zulässigkeit der Entziehungsklage die der Störungsklage erschlossen werden muß, wobei ganz davon abgesehen wird, daß die analoge Rechtsanwendung eines Rechtssatzes keine Anwendung der analytischen Methode beinhaltet, und daß es methodologisch falsch ist, eine analoge Anwendung eines Rechtssatzes mit dem Grundsatz der logischen Folgerichtigkeit begrunden zu wollen.

Die Analogie ist keine Anwendung der analytischen, sondern der induktiven Methode. Die Analogien sind, wie Kant gelehrt hat, heuristische Fiktionen. Für die Frage der analogen Anwendbarkeit einer Regel gilt aber nicht die logische Folgerichtigkeit, sondern der Grundsatz der Praktikabilität. Mit Recht sagt Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 4. Auflage (§ 927) I, S. 42 (s. u. "Analogie"): "Da trotz Übereinstimmung in einer Reihe von Merkmalen Dinge doch wesentlich verschieden sein können, so muß die Analogie kritisch benützt werden; äußerliche Ähnlichkeiten genügen nicht zu gültigen Analogieschlüssen, mit vagen einseitigen übertriebenen Analogierungen darf nicht operiert werden". Geradezu überspitzt sagt Vaihinger (Philosophie des "Als ob", 2. Auflage, S. 99), um den in populären Schriften immer wieder auftauchenden Gedanken von der Analogie als Forderung der logischen Folgerichtigkeit ad absurdum zu führen: "Eine Analogie kann zulässig sein, obwohl sie streng genommen falsch ist".

Die Behauptung, daß es angeblich logisch folgerichtig wäre, dem Bestandnehmer auch eine Klage gegen den Störer des Bestandrechtes zu geben, wenn man dem Bestandnehmer eine Entziehungsklage gewährt, kann daher den Obersten Gerichtshof nicht zum Abgehen von seinem Standpunkt, die Störungsklage zu verweigern, veranlassen. Zur analogen Anwendung könnte sich der Oberste Gerichtshof nur dann entschließen, wenn praktische Lebensbedürfnisse dafür sprächen. Aber das muß verneint werden.

Die Rechtsprechung hat die Entziehungsklage bei Mieten von unbeweglichen Sachen, wie oben bemerkt, nur aus der Not der Zeit heraus zugelassen. Sie hat diesen Rechtssatz bisher noch nie auf die Mieten beweglicher Sachen erstreckt. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat daher für Wohnungs- und Geschäftsmieten einen Ausnahmerechtssatz geschaffen, der nur insoweit auf andere Fälle erweitert werden darf, als die gleichen dringenden Lebensnotwendigkeiten gegeben sind.

Das ist aber bei der Störungsklage nicht der Fall. Es ist etwas ganz anderes, ob man jemandem das Dach über dem Kopfe wegnimmt und ihn obdachlos macht oder ihm ein Geschäftslokal entzieht, das die Grundlage seiner Existenz ist, oder ob, wie im vorliegenden Fall, der Bestandnehmer dulden muß, daß ein Dritter entgegen dem von ihm mit dem Hausherrn abgeschlossenen Mietvertrag eine Eingangstüre mitbenützt. Dieser Eingriff ist nicht so existenzbedrohend, daß man entgegen den Grundprinzipien unseres Rechtes deswegen dem Mieter eine direkte Klage gegen den Störer zuerkennen müßte. Hier genügt es, daß er seinen Vermieter zwingt, den vertragsmäßigen Zustand wieder herzustellen, und daß ihm, wenn das nicht möglich ist - weil der Vermieter vertragswidrig einem Dritten Rechte eingeräumt hat, die dem Mietvertrag widersprechen -, ein Schadenersatzanspruch gegen den Hausherrn gewährt wird.

Der Oberste Gerichtshof verneint daher das Recht des Klägers, den Drittbeklagten unmittelbar auf Unterlassung der Störung seiner Mietrechte zu klagen.

Es mußte daher der Revision gegen den Drittbeklagten Folge gegeben und das Klagebegehren abgewiesen werden.

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