OGH 15Os130/98

OGH15Os130/9827.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 1998 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Rouschal, Dr. Schmucker und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kolarz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ewald H***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 14. Mai 1998, GZ 10 Vr 3044/96-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Poschinger zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

In der Anklageschrift vom 9. Mai 1997 hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, am 18. November 1996 in Frauental

I. jeweils durch einen gezielten Schuß aus einem Kleinkalibergewehr mit aufgesetztem Zielfernrohr

1. Erich E***** getötet und

2. Anita G***** zu töten versucht zu haben sowie

II. Nachgenannte durch gefährliche Drohung mit dem Tod und teils mit Gewalt zu den geforderten Handlungen und Unterlassungen genötigt zu haben, und zwar

1. Werner P***** durch die Ankündigung, er werde ihn sonst aufschlitzen, zum Loslasen des Kleinkalibergewehres und, indem er ihn zur Seite stieß und ankündigte, er werde ihn sonst erschießen, zur Abstandnahme einer Hinderung an der Schußabgabe auf Erich E*****,

2. Anita G***** durch die wiederholte Ankündigung, er werde die Person erschießen, die die Gendarmerie verständige, und, indem er den zu Punkt I.2. beschriebenen gezielten Schuß auf Anita G***** abgab, zur geforderten Abstandnahme von der weiteren telefonischen Veständigung der Gendarmeriebeamten.

Im ersten Verfahrensgang erfolgte ein anklagekonformer Schuldspruch (in welchem unter hier nicht maßgebenden sprachlichen Modifikationen die oben bezeichnten Fakten mit 1 bis 4 bezeichnet wurden).

Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 12. Februar 1998, GZ 15 Os 12/98-6, teilweise Folge gegeben und der Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen II und IV sowie das im übrigen unberührt bleibende Urteil in seinen Punkten 2 und 4 (betreffend Anita G*****) und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben, im übrigen jedoch die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Grund für die Kassation war die Erwägung, daß eine Abgabe des Schusses auf Anita G***** mit Tötungsvorsatz, also dem Vorsatz auf Willensausschaltung, mit der gleichzeitigen Annahme eines Nötigungsvorsatzes, also eines auf Willensbeugung gerichteten Vorsatzes, in logischem Widerspruch stehe und erhebliche Bedenken im Sinn des § 345 Abs 1 Z 10 a StPO gegen die Annahme bestünden, daß außer der vor der Schußabgabe ausgestoßenen Drohung, die Anita G***** nicht zur Abstandnahme von einer Verständigung der Gendarmerie zu bewegen vermochte, noch weitere Drohungen gegen die Genannte gebraucht worden seien.

Im zweiten Verfahrensgang erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft eingangs der Hauptverhandlung vom 14. Mai 1998, er ziehe "den Antrag auf Bestrafung des Angeklagten im Sinne des Punktes II 2 der Anklageschrift zurück" (S 183/II).

Den Geschworenen wurden danach ua folgende Fragen vorgelegt:

Hauptfrage I: Ist Ewald Valentin H***** schuldig, am 18. November 1996 in Frauental versucht zu haben, Anita G***** durch einen gezielten Schuß aus dem Kleinkalibergewehr ... mit aufgesetztem Zielfernrohr zu töten, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Geschoß sie verfehlte?

Eventualfrage II (für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I): Ist Ewald Valentin H***** schuldig, am 18. November 1996 in Frauental versucht zu haben, Anita G***** durch die Abgabe eines gezielten Schusses aus dem Kleinkalibergewehr ... mit aufgesetztem Zielfernrohr, somit durch Gewalt, und durch die Äußerung: "Wenn du die Gendarmerie rufst, dann erschieße ich euch", somit durch gefährliche Drohung mit dem Tode, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Verständigung der Gendarmerie zu nötigen, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil es Ewald Valentin H***** dadurch nicht gelang, Anita G***** von der Verständigung der Gendarmerie abzuhalten?

Die Geschworenen verneinten die Hauptfrage I und bejahten die Eventualfrage II.

Die Beantwortung der weiteren Eventualfrage III nach absichtlicher schwerer Körperverletzung im Sinn des § 87 Abs 1 StGB, deren Beantwortung den Geschworenen nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I und der Eventualfrage II aufgetragen worden war, sowie der Eventualfrage IV nach versuchter schwerer Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 2 Z 1 StGB, die den Geschworenen nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I und der Eventualfragen II und III aufgetragen worden war, unterblieb.

Rechtliche Beurteilung

Auf die Problematik der bei Gestaltung dieses Fragenschemas offenbar nicht erkannten echten Konkurrenz zwischen Nötigung und Körperverletzung (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 105 RN 39) und zwischen den Fällen des § 84 Abs 2 StGB und des § 86 StGB (Leukauf/Steininger aaO § 84 RN 49) muß hier mangels einer Anfechtung durch den Staatsanwalt nicht eingegangen werden.

Aufgrund des zuletzt erwähnten Wahrspruches sowie "unter Zugrundelegung des unberührt gebliebenen Wahrspruches" aus dem ersten Verfahrensgang wurde der Angeklagte des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 15 StGB schuldig erkannt.

Solcherart faßte der auch durch überflüssige Wiederholung (Mayerhofer StPO4 § 289 E 4a) des im ersten Rechtsgang in Teilrechtskraft erwachsenen Ausspruchs bezüglich Mordes unglücklich formulierte Schuldspruch zwei real konkurrierende Nötigungsverbrechen verfehlterweise, aber ohne Benachteiligung des Angeklagten zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Subsumtionseinheit zusammen (SSt 49/7, 54/79; 15 Os 194/96, 13 Os 208/96). Der im zweiten Rechtsgang gefällte Schuldspruch betraf nur eine der beiden - und zwar die in der Entwicklungsstufe des Versuches gebliebene - schweren Nötigungen.

Von der weiteren Anklage, er habe am 18. November 1996 Anita G***** durch die wiederholte Ankündigung, er werde die Person erschießen, die die Gendarmerie verständigt, und, indem er einen gezielten Schuß auf Anita G***** abgab, zur geforderten Abstandnahme von der weiteren telefonischen Verständigung der Gendarmeriebeamten durch gefährliche Drohung mit dem Tod und teils mit Gewalt genötigt, wurde er gemäß § 259 Z 2 StPO (richtig: §§ 337, 331 Abs 1 StPO) freigesprochen.

In den Entscheidungsgründen führte das Erstgericht aus, daß die dargestellte Erklärung des Staatsanwaltes nicht die Möglichkeit nehme, die unter Anklage gestellte Schußabgabe in rechtlicher Hinsicht nicht als Tötungsversuch, sondern nur als Nötigungsversuch zu qualifizieren, zumal der Staatsanwalt nicht die rechtliche Qualifikation eines unter Anklage gestellten Sachverhaltes durch das Gericht vorwegnehmen könne.

Der gegen den nunmehrigen Schuldspruch wegen schwerer Nötigung der Anita G***** gerichteten, auf § 345 Abs 1 Z 7 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Angeklagte vermeint, die oben wiedergegebene Erklärung des Staatsanwaltes eingangs der erneuerten Hauptverhandlung sei ein Rücktritt (von der Anklage) "vom Faktum selbst", der Schwurgerichtshof hätte - womit der Sache nach auch der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 6 StPO geltend gemacht wird - schon bei der Fragestellung sämtliche Fragen betreffend den gegen Anita G***** abgegebenen Schuß unterlassen müssen.

Der Beschwerdeführer übersieht mit seiner Argumentation allerdings, daß in der Anklageschrift (unter II 2) zwei verschiedene Tatakte inkriminiert wurden, nämlich einerseits eine wörtliche Drohung durch wiederholte Ankündigung, er werde die Person erschießen, die die Gendarmerie verständige, und andererseits durch Abgabe des "zu Punkt I 2 (der Anklage) beschriebenen gezielten Schusses auf Anita G*****". Die ausdrückliche Beschränkung der Rücktrittserklärung auf Punkt II 2 der Anklageschrift bedeutet demnach - was allerdings zur Vermeidung von Mißverständnisses mit präziserer Deutlichkeit hätte erklärt werden sollen - einen Rücktritt vom Vorwurf der wiederholten Ankündigung einer Tötung einerseits und eine rechtliche Modifikation im Sinn der kassatorischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Ansehung der im ersten Verfahrensgang verfehlt angenommenen Realkonkurrenz zwischen versuchtem Mord und Nötigung andererseits. Eine Interpretation dahin, daß damit der Ankläger auch von der Anklage des versuchten Mordes in Beziehung auf Anita G***** zurückgetreten sei, versagt.

War aber diese Anklage nach wie vor aufrecht, dann hatte der Schwurgerichtshof eine dieser Anklage entsprechende Hauptfrage zu stellen und mußte - weil durch Verfahrensergebnisse indiziert - im Sinn des § 314 Abs 1 StPO auch Eventualfragen in der Richtung eines minder strafbedrohten Deliktes stellen. In diesem Sinne war es zulässig, die nach dem Gesagten nach wie vor unter Anklage stehende Schußabgabe gegen Anita G***** zur Grundlage einer Eventualfrage in der Richtung einer (qualifizierten) Nötigung zu machen und dabei auch Begleitumstände, wie etwa die der Schußabgabe vorangehende Äußerung, die zur näheren Umschreibung des Nötigungsvorsatzes dienlich sind, in die Eventualfrage aufzunehmen. All dies liegt im Rahmen der möglichen Reduktion des Anklagevorwurfes des versuchten Mordes auf den Vorwurf einer (hier in der Entwicklungsstufe des Versuchs verbliebenen) Nötigung.

Entgegen der Beschwerdemeinung steht auch der Freispruch hiezu nicht im Widerspruch, bezieht er sich doch ausdrücklich auf den Vorwurf, der Angeklagte habe Anita G***** zur Abstandnahme von weiteren telefonischen Verständigungen (nach der einen von ihr ohnedies vorgenommenen) genötigt.

Aus den angeführten Erwägungen kommt daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten keine Berechtigung zu.

Das Geschworenengericht verhängte über Ewald H***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, die Wiederholung der Nötigungshandlungen, die verstärkte Tatbestandsmäßigkeit der Nötigungshandlung, die Nötigung sowohl zu Handlungen als auch zu Unterlassungen, die auf Aggressionstendenz hinweisenden Vorstrafen, die kaltschnäuzige und wohlüberlegte Vorgangsweise; als mildernd das teilweise Geständnis und die Tatsache, daß es teilweise beim Versuch geblieben ist.

In seiner Berufung strebt der Angeklagte die Verhängung einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe an. Die zum Verbrechen der Nötigung angeführten Erschwerungsgründe lägen nicht vor, weil er nur eine Nötigungshandlung begangen habe, von einer weiteren aber freigesprochen worden sei. Dem Vorwurf einer kaltschnäuzigen und wohlüberlegten Vorgangsweise werde "vehement" entgegengetreten. Demgegenüber seien ein reumütiges Geständnis, die starke Berauschung und die Beeinträchtigung durch Medikamente sowie die Tatsache, daß er beim Verbrechen des Mordes nicht mit dolus directus, sondern nur mit dolus eventualis gehandelt habe, als mildernd zu berücksichtigen.

Der Berufungswerber übersieht zunächst, daß er bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (Urteilsfaktum 3) schuldig erkannt worden ist, woraus sich im Zusammenhang mit der gegenständlichen Verurteilung die angenommenen Erschwerungsgründe ergeben.

Gemäß § 33 Abs 3 StGB ist die Strafe unter anderem umso strenger zu bemessen, je reiflicher der Täter die Tat überlegt, je sorgfältiger er sie vorbereitet, je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können.

Ewald H***** kündigte die Tat gegenüber dem Zeugen P***** an (93/II), fuhr nach Hause, um die Waffe zu holen, nötigte den Genannten, ihm die Waffe zu belassen sowie ihm aus dem Weg zu gehen, und gab schließlich aus rund 5 m Entfernung einen gezielten Schuß gegen den Kopf des Erich Edler ab. Diese Umstände rechtfertigen durchaus die Annahme eines "kaltschnäuzigen und wohlüberlegten Vorgehens" als besonderen Grund für die Ausmessung einer strengeren Strafe.

Demgegenüber liegt tatsächlich nur ein teilweises und kein vollständiges sowie reumütiges Geständnis vor. Die Form des Vorsatzes, mit welcher die Straftat begangen wurde, ist weder als besonders erschwerend noch mildernd zu werten.

Ein die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließender Rauschzustand ist gemäß § 35 StGB nur insoweit mildernd, als die dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nicht durch den Vorwurf aufgewogen wird, den der Genuß oder Gebrauch des berauschenden Mittels den Umständen nach begründet.

Der Angeklagte hat die den Vorstrafen zugrundeliegenden Aggressionshandlungen jeweils im Zustand der Alkoholisierung begangen, hatte also bereits wiederholt die Erfahrung gemacht, daß er nach Alkoholgenuß besonders zu Delinquenz neigt. Daher überwiegt der Vorwurf des Versetzens in einen Rauschzustand die dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit (Leukauf/Steininger aaO § 35 RN 3).

Die vom Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie Dr.R***** konstatierte psychisch leicht abnorme Persönlichkeitsstruktur mit deutlichen Schwierigkeiten, aggressive Impulse zu kontrollieren (103 II), stellt zwar den Milderungsgrund des § 34 Z 1 StGB dar, doch kommt diesem kein besonderes Gewicht bei der Strafbemessung zu, weil sich die daraus resultierende besondere Gefährlichkeit bei Beurteilung der spezialpräventiven Belange der Strafe zu Lasten des Angeklagten auswirkt (EvBl 1973/95, 1969/271; 14 Os 15/90; 9 Os 48/83 ua).

Das Geschworenengericht hat somit die besonderen Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig erfaßt und auch ihrem Wert entsprechend gewichtet. Die auf Grund dieser Abwägung gefundene Sanktion der lebenslangen Freiheitsstrafe entspricht durchaus dem gravierenden Verschulden des Angeklagten bei dem einer Hinrichtung gleichkommenden Verbrechen des Mordes. Es besteht somit kein Grund für die Verhängung einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe.

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