OGH 7Ob30/98g

OGH7Ob30/98g23.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter P*****, vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer und Mag.Axel Bauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien

1. Dr.Peter F*****, 2. Dr.Klaus K*****, beide vertreten durch Dr.Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 2,865.160,12 sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 8.September 1997, GZ 17 R 157/97a-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24.April 1997, GZ 21 Cg 101/96v-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 143.483,94 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 9.329,82 Umsatzsteuer und S 87.505,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab dem Jahr 1984 im Auftrag der Paula W***** als Generalunternehmer mit der Errichtung einer Eigentumswohnungsanlage auf Grundstücken der Paula W***** tätig. Zur Sicherung seiner Werklohnforderung vereinbarte er mit seiner Auftraggeberin, die Option im Fall des Verzugs der Auftraggeberin mit Baukostenraten die noch nicht verkauften Miteigentumsanteile an der Liegenschaft der Auftraggeberin zu einem festgelegten (günstigen) Kaufpreis erwerben zu können. Daß die Auftraggeberin zumindest Teile der Liegenschaften zur Besicherung dieses Optionsrecht nicht belasten dürfe, war in dieser Vereinbarung nicht vorgesehen. Der Optionsvertrag war im Auftrag des Klägers im Notariat des öffentlichen Notars Dr.Gerold K***** abgefaßt worden. Im Rechtsstreit, den der Notar zur Geltendmachung aller Kosten und Gebühren für die Abfassung dieses Optionsvertrags beim Bezirksgericht Donaustadt zu 8 C 2451/87h führte, brachte der - durch die Beklagten vertretene - Kläger am 15.10.1987 vor, daß dem Notar ein Kunstfehler unterlaufen sei. Es sei eine Option vereinbart worden, derzufolge die Übernahme von Grundstücksteilen durch den Kläger vorgesehen gewesen sei. Der Notar habe jedoch übersehen, daß die lastenfreie Übernahme der Grundstücksanteile vereinbart hätte werden sollen. Nunmehr seien die Grundstücksanteile schwer belastet, sodaß der Kläger die Option nicht mehr ausnützen könne. Der daraus entstandene Schaden wurde aufrechnungsweise gegen die Honorarforderung des Notars eingewendet. In diesem Verfahren wurde die Kostenforderung des Notars mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, daß diesem als Verfasser des Optionsvertrags ein Kunstfehler unterlaufen sei.

Am 4.4.1991 machte der Kläger - ebenfalls durch die Beklagten vertreten - im Verfahren 28 Cg 76/91 = 28 Cg 185/93v des Landesgerichtes für ZRS Wien ua gegen den Notar seine Werklohnforderung gegen seine Auftraggeberin aus dem Titel des Schadenersatzes geltend. Dem Notar seien bei der Errichtung des Optionsvertrags Fehler unterlaufen. Er habe den Kläger insbesondere nicht darüber aufgeklärt, daß die Auftraggeberin aufgrund dieser Vereinbarung nicht verpflichtet gewesen sei, zumindest Teile der Liegenschaft lastenfrei zu halten. Zur Erreichung des damit angestrebten Geschäftszwecks - seiner Absicherung bei Zahlungsverzug - wäre eine entsprechende Vertragsbestimmung unerläßlich gewesen. Die als Besicherung eingeräumte Option sei durch die mittlerweile erfolgte Belastung der Liegenschaft durch die Liegenschaftseigentümerin nicht mehr gegeben. Der Oberste Gerichtshof wies diese Schadenersatzklage mit der Entscheidung vom 16.2.1994, 1 Ob 601/93, wegen Verjährung mit der wesentlichen Begründung ab, daß der Schaden des Klägers bereits mit dem Verlust der Deckung infolge Belastung der Liegenschaft eingetreten sei; schon im Honorarprozeß (am 15.10.1987) habe der Kläger den Mangel der entsprechenden Aufklärung über die Rechtsfolgen bzw die seiner Auffassung nach fehlerhafte Vereinbarung geltend gemacht; schon damals hätte er vom Notar Naturalherstellung wegen dieses "realen" Schadens, nämlich die Bereitstellung einer Sicherheit (zB etwa einer Bankgarantie oder Barkaution), mit der die angestrebte Deckung zu erreichen gewesen wäre, fordern können.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von den Beklagten die Zahlung des Betrags von S 2,865.160,12 sA aus dem Titel des Schadenersatzes wegen eines bei seiner Vertretung unterlaufenen Kunstfehlers. Obwohl er die Beklagten mehrfach auf die mögliche Verjährung seiner Schadenersatzforderung gegen den Notar hingewiesen habe, seien diese bei der Prüfung des Verjährungsproblems leichtfertig vorgegangen. Der Kunstfehler des Notars sei im Verfahren 8 C 2451/87h des BG Donaustadt festgestellt worden. Eine rechtzeitige Klage gegen den Vertragsverfasser hätte den Kläger schadlos gestellt.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe sie erstmals mit Schreiben vom 7.8.1990 davon in Kenntnis gesetzt, daß er wegen seiner Schadenersatzforderung an den Notar herangetreten sei. Er habe ihnen zwar das Antwortschreiben des Notars übermittelt, sie in diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht beauftragt, einen allfälligen Schadenersatzanspruch gegen den Notar zu prüfen. Erstmals mit Schreiben vom 26.9.1990 habe ihnen der Kläger den Auftrag erteilt, einen Betrag von S 1,663.132,04 gegen die Liegenschaftseigentümerin und ihren Vertreter einzuklagen sowie an den Notar energisch heranzutreten, um eine Saldoabdeckung durch dessen Versicherung zu erreichen. In einem Schreiben vom 20.2.1991 habe sie der Kläger nochmals ersucht, energische Schritte gegen den Notar einzuleiten und die Klage einzubringen. Mit Schreiben vom 21.3.1991 hätten sie dem Kläger die vorbereitete Klage übermittelt und ihn gebeten, die Pauschalgebühr einzuzahlen. Nach dem Eingang derselben am 29.3.1991 sei die Klage an das Gericht abgefertigt worden. Die Beklagten seien dem Auftrag zur Erhebung der Klage daher unverzüglich nachgekommen. Im Schadenersatzprozeß gegen den Notar hätten die Gerichte erster und zweiter Instanz die Verjährung mit der Begründung verneint, daß der Schaden erst mit der Erkennbarkeit der Uneinbringlichkeit der Werklohnforderung gegen die Auftraggeberin eingetreten sei. Die in 1 Ob 601/93 ausgesprochene Rechtsansicht über den Zeitpunkt des Schadenseintritts sei für die Beklagten völlig überraschend gewesen. Die Uneinbringlichkeit der Werklohnforderung des Klägers sei noch nicht einmal im Jahr 1990 erkennbar gewesen. Noch im November und Dezember 1990 seien Teilbeträge von insgesamt S 250.000 auf die Werklohnforderung gezahlt worden. Der Kläger habe auch noch zum Zeitpunkt der Einbringung der Schadenersatzklage gegen den Notar damit rechnen dürfen, daß weitere Zahlungen aus Fondsdarlehen erfolgen würden. Erst im Februar 1992 habe der Kläger erfahren, daß diese Gelder - vereinbarungswidrig - direkt an die Liegenschaftseigentümerin gezahlt worden seien. Daß ein Schaden eingetreten sei, sei für die Beklagten erst dann klar gewesen, als diese vorgesehenen Zahlungen ausgeblieben seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es habe nicht festgestellt werden können, daß der restliche Werklohn des Klägers gegen seine Auftraggeberin bereits am 15.10.1987 uneinbringlich gewesen sei. Der Kläger habe noch zu späteren Zeitpunkten mit Zahlungseingängen rechnen können. Die Beklagten hätten erst seit dem Erhalt des Schreibens des Klägers vom 4.10.1990 die Verpflichtung gehabt, den Kläger vor der Verjährung seiner Schadenersatzforderung gegen den Notar zu schützen. Sie hätten mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 601/93 nicht rechnen müssen, weil damit ein Judikaturwandel in der Frage der Verjährung von Schadenersatzansprüchen vollzogen worden sei. Ihre Auffassung, daß ein Schaden durch den Kunstfehler des Notars erst mit Eintritt der Uneinbringlichkeit der Werklohnforderung entstehen könne, sei durchaus vertretbar gewesen. Mit diesem Judikaturwandel hätten die Beklagten nicht rechnen müssen. Ihre Ansicht sei im Schadenersatzprozeß gegen den Notar auch vom Gericht zweiter Instanz vertreten worden. Daß die Uneinbringlichkeit schon am 15.10.1987 gegeben gewesen sei, habe der Kläger nicht beweisen können.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Sache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof habe mit seiner Entscheidung 1 Ob 601/93 ausgeführt, daß der spätestens am 15.10.1987 eingetretene Schaden des Klägers im Verlust der Deckung begründet und jedenfalls bereits mit der Belastung der Liegenschaft durch die Auftraggeberin des Klägers eingetreten sei. Dem Kläger sei diese Belastung schon am 15.10.1987 im Kostenprozeß bekannt gewesen. Schaden und Schädiger seien ihm und somit auch den ihn vertretenden Beklagten am 15.10.1987 bekannt gewesen. Der Meinung der Beklagten, der Oberste Gerichtshof habe eine überraschende Rechtsansicht geäußert, mit der sie nicht hätten rechnen müssen, könne nicht beigetreten werden. Das Höchstgericht habe in seiner Entscheidung vielmehr den Schluß gezogen, daß jedenfalls die kurze Verjährung von Ersatzansprüchen nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginne. Allerdings sei eingeräumt worden, daß diese Frage in diesem Rechtsstreit nicht abschließend beurteilt werden müsse, weil der dem Notar anlastbare Schade auch schon in dem Zeitpunkt eingetreten gewesen sei, in dem der Kläger im Honorarprozeß sein Einwendungsvorbringen erstattet habe.

Der Kläger habe den konkreten Auftrag, die Klage gegen den Notar einzubringen, zwar erst mit Schreiben vom 20.2.1991 erteilt. Es sei jedoch zu berücksichtigen, daß die Beklagten den Kläger bereits im Jahr 1987 vor dem Bezirksgericht Donaustadt vertreten hätten und mit der Sachlage vertraut gewesen seien. Dazu komme, daß der Kläger mehrmals verlangt habe, gegen den Notar energisch vorzugehen. Den Beklagten als Rechtsanwälten wäre es daher zuzumuten gewesen, schon bei Einwendung der Gegenforderung im Verfahren vor dem Bezirksgericht Donaustadt am 15.10.1987, also zu einem Zeitpunkt, in dem Schaden und Schädiger bekannt gewesen seien, den Kläger vor dem fruchtlosen Verstreichen der Verjährungsfrist zu warnen. Die Haftung der Beklagten für die geltend gemachte Schadenersatzforderung sei daher zu bejahen, zumal auch nicht behauptet worden sei, daß der Kläger auch aus anderen Gründen als der Verjährung im Verfahren gegen den Notar unterlegen wäre.

Der dagegen von den Beklagten erhobene Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Recht verweisen die Beklagten im Rekurs darauf, daß ihre Auffassung, daß der durch den Verlust einer Sicherheit bewirkte Schaden des Klägers erst mit dem Uneinbringlichwerden dessen Forderung eintrete, bis zu der im Schadenersatzprozeß gegen den Notar ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vertretbar war, sodaß ihnen kein Kunstfehler anzulasten ist. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Rechtsanwalt nach § 1299 ABGB den Mangel des notwendigen Fleißes und der notwendigen Kenntnisse eines Berufs zu vertreten; er haftet demnach seiner Partei für die Unkenntnis der Gesetze sowie der einhelligen Lehre und Rechtsprechung. Er ist verpflichtet, seine Partei über eine aussichtslose Prozeßführung aufzuklären. Der Rechtsanwalt haftet jedoch nicht dafür, daß ein von ihm angenommener, an sich vertretbarer Standpunkt in der Folge von der Rechtsprechung nicht geteilt wurde (EvBl 1963/336; JBl 1972, 426; SZ 58/165; JBl 1995, 530). Eine Rechtsauffassung ist vertretbar, wenn sie wenigstens mit einem Teil der Rechtsprechung oder Lehre im Einklang steht (JBl 1959, 416; JBl 1972, 426; Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 12 zu § 1300; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 15 zu § 1299).

Die hier entscheidende Frage, ob der Gläubiger einer gesicherten

Forderung bereits mit dem Verlust einer Sicherheit oder erst mit dem

Eintritt der Uneinbringlichkeit seiner Forderung einen Schaden

erleidet, hatte der Oberste Gerichtshof vor der im

Schadenersatzprozeß des Klägers gegen den Notar ergangenen

Entscheidung 1 Ob 601/93 (ecolex 1994, 616 [Wilhelm] = EvBl 1994/109

= RdW 1994, 311 = JBl 1994, 753 [Riedler]) erstmals dahin

beantwortet, daß der mit dem Verlust einer bestellten Sicherheit verbundene Schaden bereits mit dem Verlust der Deckung und nicht erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem endgültig feststeht, daß der Gläubiger die Forderung nicht mehr hereinbringt. Diese Auffassung wurde auf die Meinung Koziols in einer Entscheidungsbesprechung (DRdA 1980, 32 f) gegründet und später in 1 Ob 626/94 und 1 Ob 55/95 (SZ 69/145) fortgeschrieben. Die Auffassung der Beklagten, daß es für den Zeitpunkt des Schadenseintritts auf die Erkennbarkeit des Uneinbringlichwerdens der gesicherten Forderung ankomme, war vor dem Ergehen der Entscheidung 1 Ob 601/93 durchaus vertretbar. Vor dem mit dieser Entscheidung eingeleiteten Judikaturwandel zu Beginn der Verjährung von Schadenersatzansprüchen war es herrschende Rechtsprechung, daß die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zu laufen beginne, solange noch kein tatsächlicher Schaden eingetreten ist, wenn der Eintritt des Schadens für den Geschädigten mit Sicherheit vorhersehbar ist (SZ 39/222; JBl 1973, 372; SZ 48/27; SZ 50/50 uva). Die Beklagten konnten daraus ableiten, daß es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf, daß die Uneinbringlichkeit der Forderung ihres Mandanten bereits eingetreten ist, sondern bloß darauf ankommt, daß diese Uneinbringlichkeit mit Sicherheit vorhergesehen werden kann. Das war aber selbst zum Zeitpunkt der Einbringung der Schadenersatzklage gegen den Notar noch nicht möglich. Die Beklagten mußten damals auch noch nicht eine Klage auf Feststellung der Schadenersatzpflicht des Notars einbringen, um nach der damaligen Rechtsprechung zum Beginn der Verjährung von Schadenersatzansprüchen (JBl 1958, 519; SZ 47/104; EvBl 1974/110 uva) die Verjährungsfrist zu wahren. Bei der Prüfung der Verjährung geltend zu machender Ansprüche hat der Rechtsanwalt zur Verhinderung eines Rechtsverlusts zwar besondere Genauigkeit anzuwenden. Aufgrund der vorliegenden Konstellation hätte aber eine Feststellungsklage zu keinem anderen Ergebnis geführt, weil diese nach der in 1 Ob 601/93 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht über den Eintritt des Schadens beim Verlust einer Sicherheit schon wegen der Möglichkeit der Einbringung der auf Naturalrestitution gerichteten Klage abzuweisen gewesen wäre.

Die Beklagten sind somit nicht im Sinne der dargestellten Grundsätze schadenersatzpflichtig geworden, weil ihre Auffassung zum Beginn der Verjährung des Schadenersatzanspruchs des Klägers gegen den Notar (damals) vertretbar war.

Daher war in Stattgebung des Rekurses das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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