OGH 8ObA61/98y

OGH8ObA61/98y12.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Eva Maria Sand und Mag.Andrea Svarc als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag.pharm.Mohamed H*****, angestellter Apotheker, *****, vertreten durch Dr.Manfred Lirk und DDr.Karl Robert Hiebl, Rechtsanwälte in Braunau, wider die beklagte Partei Mag.pharm.Elfriede S*****, Inhaberin und Leiterin der *****‑Apotheke, *****, vertreten durch Dr.Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz und Dr.Walter Ratt, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen Kündigungsanfechtung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. November 1997, GZ 12 Ra 231/97w‑66, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 9.Juli 1997, GZ 4 Cga 139/94w‑61, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1998:008OBA00061.98Y.0312.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 13.725,‑ ‑ S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.287,50 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Die Begründung der Berufungsentscheidung, die Kündigung des 1936 geborenen Klägers, der vom 1.5.1988 bis 31.12.1994 bei der Beklagten (und ihrer Vorgängerin) als Apotheker angestellt war, sei wegen in der Person des Klägers gelegener Gründe gerechtfertigt, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).

Den Revisionsausführungen ist zu entgegnen:

Die Besonderheiten der Arbeitsleistungen des angestellten Apothekers geben den "Fehlleistungen" des Klägers (Abgabe unrichtiger Packungsgrößen, vereinzelte Abgabe unrichtiger Medikamente, Schwierigkeiten beim Rezept‑Lesen und der Laboration) sowie seinem Verhalten gegenüber Kunden ein erhöhtes Gewicht als Kündigungsrechtfertigungsgrund. Soweit der Kläger diese persönlichen Gründe in Abrede stellt bzw bagatellisiert, wird das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die Verpflichtung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Apotheke von ihrer Vorgängerin vom 1.7.1994 bedeutet lediglich eine Klarstellung, sie werde als Erwerberin die auf sie übergegangenen Arbeitsverträge im Sinne des seit 1.1.1994 (§ 14 Abs 1 AVRAG iVm dem Abkommen über den EWR, laut Kundmachung BGBl 1993/917) geltenden § 3 AVRAG übernehmen. Ein Kündigungsverzicht bezüglich sich danach ergebender (persönlicher) Kündigungsgründe, die zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der Beklagten als Erwerberin der Apotheke führten, bzw eine Beschäftigungsgarantie bis zum Erreichen des Pensionsantrittsalters durch den Kläger ist darin nicht zu erblicken.

Eine Ermahnung oder Verwarnung ist für die Geltendmachung personsbezogener Kündigungsgründe nicht erforderlich, das Tatbestandselement der Beharrlichkeit (vgl § 27 Z 4 AngG) hat insoweit kein Gegenstück.

Gerade in einem Kleinbetrieb kommt es in erhöhtem Ausmaß auf die Verträglichkeit der dort beschäftigten Personen an; das persönliche Verhalten eines Arbeitnehmers, der heftigen Streit mit der Arbeitgeberin hat (wegen der Nacht- und Bereitschaftsdienste), berührt daher nachteilig betriebliche Interessen (vgl zu den Auswirkungen auf das Betriebsklima wegen zahlreicher Abwesenheiten: 9 ObA 180/95 = RdW 1996, 332; "unkollegiales Verhalten": 8 ObA 208,209/95; ähnlich zur mangelnden Teamfähigkeit eines Primararztes: DRdA 1994/29, 332; zu den nachteiligen Auswirkungen auf das Betriebsklima vgl auch 9 ObA 242/97x = ARD 4898/2/97).

Die Sozialwidrigkeit der Kündigung des Klägers ist nicht nur im Hinblick auf die zahlreichen ihm angebotenen Arbeitsplätze auszuschließen, sondern auch - wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat - bei Bedachtnahme auf durch das besondere Entlohnungssystem der angestellten Pharmazeuten nach dem Gehaltskassengesetz. Die Arbeitgeber haben eine altersunabhängige Gehaltskassenumlage (§ 7 GKG) zu leisten, während die altersabhängigen Bezüge (§ 12 Abs 6 GKG) von der Gehaltskasse (nach einem Umlagensystem) auszuzahlen sind (§ 11 GKG). Dadurch wird der wirtschaftliche Anreiz für eine "Austauschkündigung" (vgl DRdA 1991/3 [Schwarz] = SZ 61/213) weitgehend gemildert oder sogar ausgeschaltet.

Diverse Anrufe der Beklagten bei potentiellen bzw tatsächlichen Arbeitgebern haben die Vermittelbarkeit des Klägers nicht schlechthin ausgeschlossen. Es mußte ihm aber bekannt sein, daß in einer relativ kleinen Arbeitgeber‑Gruppe der nicht zu verheimlichende Umstand einer Kündigungsanfechtung abschreckend wirken muß (vgl zu den Auswirkungen einer Anfechtung auf die Vermittelbarkeit: SZ 63/68). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß eine dauerhafte Anstellung des Klägers bei anderen Dienstgebern nicht nur an seinem mangelnden Fachwissen, sondern vor allem an seinem mangelnden Bemühen, insbesondere im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden, und damit an den gleichen Verhaltensweisen scheiterte, die die Beklagte zur Auflösung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger bewogen.

Die beabsichtigte Einschränkung der Nacht- und Bereitschaftsdienste des Klägers ist kein Grund zur Anfechtung der Kündigung aus einem verpönten Motiv (vgl SZ 66/83 = Arb 11.092) und durch das Bemühen der neuen Inhaberin der Apotheke, diese Dienste vermehrt selbst durchzuführen und dadurch die Kosten zu senken, sachlich gerechtfertigt. Eine Zusage, die Nacht- und Bereitschaftsdienste in unverändertem Umfang wie bei der früheren (schon erheblich älteren) Inhaberin verrichten zu können, wurde nicht festgestellt und kann nach redlicher Vertragsauslegung und unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Lebensalters der weichenden Apothekerin gegenüber der neuen Inhaberin nicht angenommen werden.

Die "Umformulierung" des Klagebegehrens (AS 465) erfolgte nicht verspätet, sondern es hätte diese im Hinblick auf das Begehren des Klägers schon in Wahrnehmung der materiellen Prozeßleitung durch den Richter früher erfolgen sollen (zunächst wurde ein fehlerhaftes Feststellungsbegehren statt des richtigen Rechtsgestaltungsbegehrens erhoben).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat es unterlassen, den Streitwert für den RATG anzuführen.

§ 4 RATG verweist zwar hinsichtlich der Bemessungsgrundlage nach dem Wert des Streitgegenstandes auf die Vorschriften der §§ 54 bis 59 JN, jedoch (nur) "soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird". Bei der Ergänzung von § 56 Abs 2 letzter Satz JN durch die Wertgrenzennovelle 1989 sind möglicherweise die Auswirkungen auf das RATG nicht ausreichend bedacht worden, zumal § 56 JN primär die Regelung der Wertzuständigkeit beabsichtigt, die aber gemäß § 3 ASGG zufolge der Eigenzuständigkeit des Gerichtshofes bedeutungslos ist. Überdies kommt gemäß § 58 Abs 1 ASGG in Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 einer Kostenbemessung nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof Bedeutung zu. Eine Auslegung, die dazu führt, daß eine andere Gesetzesregelung (§ 14 RATG) keinen Anwendungsbereich mehr hätte, erweckt Zweifel an ihrer Richtigkeit, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der systematischen Auslegung. Diese Zweifel werden noch verstärkt, da § 14 RATG verschiedene Gerichtstypen und Gerichtsbesetzungen unterscheidet, während der Zweifelstreitwert nur zur Zuständigkeit des Bezirksgerichtes führt (§ 49 Abs 1 JN). Daher kommt der Einschränkung in § 4 RATG, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, erhöhte Bedeutung zu. Auch dieser Gesetzesteil hätte keine normative Wirkung, wenn für die Anwendung einer Zweifelsregelung wie § 14 RATG durch eine jeden Zweifel ausschließende Bestimmung wie § 56 Abs 2 letzter Satz JN kein Raum mehr bliebe.

Der Hinweis auf die Möglichkeit der Streitwertbemängelung gemäß § 7 RATG, wenn der Beklagte die Bewertung durch den Kläger zu hoch oder zu niedrig findet, hilft gerade in dem Fall nicht, in dem der Kläger eine Bewertung schlechthin unterlassen hat und daher für die Wertzuständigkeit gemäß § 56 Abs 2 JN vorzugehen wäre. Wegen der zeitlichen Beschränkung, die Bemängelung der Bewertung habe spätestens bei der ersten mündlichen Streitverhandlung zu erfolgen, kann in Verfahren, die erstmalig in dritter Instanz zu einer Kostenbemessung führen können, eine Abhilfe durch § 7 RATG nicht erfolgen. Aus diesen Erwägungen kann daher die Ansicht der Entscheidung 8 ObA 317/94, es sei bei der Kostenbemessung im Fall einer Kündigungsanfechtung der "Zweifelsstreitwert" gemäß § 56 Abs 2 letzter Satz JN statt dessen nach § 14 lit a RATG anzuwenden, nicht mehr aufrechterhalten werden.

Das auffällige Mißverhältnis von Gerichtszuständigkeit und Bewertung, daß nämlich eine kraft Eigenzuständigkeit vor den Gerichtshof gehörende Rechtssache mit einem Wert von weniger als einem Drittel des für die Wertzuständigkeit maßgeblichen Betrages bewertet wird, wird dadurch vermieden. Es ist nämlich bei den Eigenzuständigkeiten des Gerichtshofes im allgemeinen eine erhöhte Bewertung nach der Schwierigkeit und Bedeutung festzustellen (vgl AHG, PatG ua); ein harmonisches Auslegungsergebnis, das den Gleichklang der für die Zuständigkeit maßgebliche Wertigkeit und der Bemessungsgrundlage für eine Kostenentscheidung berücksichtigt, verdient, "im Zweifel" den Vorzug.

 

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