OGH 9ObA180/95

OGH9ObA180/951.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Theodor Zeh und Walter Darmstädter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eleonore A*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Charlotte Böhm und andere, Rechtsanwältinnen in Wien, wider die beklagte Partei O***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Knirsch und Dr.Johannes Gschaider, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 300.000,‑ ‑), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24.Mai 1995, GZ 31 Ra 166/94‑45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichtes Wien vom 24.Mai 1994, GZ 23 Cga 43/94z‑35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:009OBA00180.950.0101.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725 (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Die am 2.9.1947 geborene Klägerin war bei der beklagten Partei seit 1.5.1988 als Angestellte in der Buchhaltung beschäftigt. Sie hatte dort Registratur- und Buchhaltungsarbeiten zu verrichten. Ihr Einkommen betrug zuletzt ohne Sonderzahlungen S 21.620 brutto bzw S 16.455 netto pro Monat. Mit Schreiben vom 14.12.1990 wurde sie von der beklagten Partei zum 15.2.1991 gekündigt. Der von der Kündigungsabsicht verständigte Betriebsrat hatte keine Stellungnahme abgegeben.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie, daß die Kündigung für unwirksam erklärt werde. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie sei verheiratet und habe einen schulpflichtigen Sohn. Ihr Gatte verdiene lediglich rund S 13.000 netto pro Monat, so daß sie auf ihr Einkommen nicht verzichten könne. Für die Wohnung seien monatlich S 6.700, an Schulgeld für den Sohn S 2.500 pro Monat und an Kreditraten sowie Versicherungsprämien rund S 2.300 monatlich zu zahlen. Der Gatte habe einen Gehaltsvorschuß von S 20.000 aufgenommen; ihr Konto sei 1991 mit S 40.000 überzogen worden. Auf Grund ihres Alters könne sie nicht damit rechnen, daß sie in absehbarer Zeit einen gleichwertigen Arbeitsplatz erhalte.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die 43 Jahre alte Klägerin sei nicht der Gefahr der Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Ihre Kündigung sei betriebsbedingt erfolgt. Sie habe bereits 101 Krankentage und 43 Arztbesuche (im Ausmaß von 0,75 bis 6 Stunden) in Anspruch genommen und es bestehe die Wahrscheinlichkeit, daß sich diese Fehlzeiten fortsetzten. durch die Abwesenheit der Klägerin sei es im Betrieb zu Personalengpässen und Arbeitsrückständen gekommen. Ihre Arbeit in der Registratur habe nur mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten miterledigt werden können; für die Buchhaltung sei überhaupt kein Ersatz vorhanden gewesen. Das Betriebsklima habe sich derart verschlechtert, daß es erforderlich geworden sei, die Klägerin zu kündigen. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, darüber verärgerte altbewährte Kräfte zu verlieren. Ihre Weiterbeschäftigung sei aus personalpolitischen und betrieblichen Erwägungen unzumutbar geworden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im dritten Rechtsgang ab. Es vertrat aufgrund seiner, vom Berufungsgericht nicht übernommenen Feststellungen die Rechtsauffassung, daß die Kündigung keine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Klägerin bewirkt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es traf nach Beweiswiederholung im wesentlichen folgende Feststellungen:

Seit dem Beginn ihres Dienstverhältnisses bei der beklagten Partei war die Klägerin am 20.September 1988, vom 2. bis 13.November 1988, vom 23.Jänner bis 29. Jänner 1989, vom 6.Juli bis 12.Juli 1989, am 18.Oktober 1989, vom 29.November 1989 bis 19. Jänner 1990, am 24.September 1990 und vom 2.November bis 23.November 1990 im Krankenstand. Der Krankenstand vom 29.November 1989 bis 19.Jänner 1990 war durch eine Gallenblasenoperation begründet. In der Zeit vom 13.Juni 1988 bis 15.Jänner 1991 suchte die Klägerin während der Dienstzeit überdies 43 mal einen Arzt auf; diese Arztbesuche führten mit Ausnahme einer Abwesenheit, die 6 Stunden dauerte, zu Fehlzeiten von 0,5 bis 3,75 Stunden.

Während die Mitarbeiter die Abwesenheit der Klägerin anläßlich ihrer Gallenblasenoperation nicht "übel nahmen" erregten ihre übrigen Krankenstände und Absenzen wegen der Arztbesuche in der Abteilung großen Unmut. Die Mitarbeiter hatten den Eindruck, daß die Klägerin "wegen Schnupfens zu Hause geblieben sei", auch wenn sie am Vortag kein Anzeichen von Krankheit gezeigt habe. Man kreidete ihr die Krankenstände als "Wehleidigkeit" an. Immer dann, wenn die Klägerin fehlte, wurde darüber gesprochen, daß sie "schon wieder krank" sei. Verschiedene Kolleginnen der Klägerin beschwerten sich bei der Personalchefin 5 bis 10 mal darüber, daß die Klägerin "nicht da sei und sie die Arbeit nicht schaffen". Der Personalchefin kam es "mit ihrer Krankheit nicht so arg vor" und sie setzte die Klägerin von den Beschwerden der Kolleginnen nicht in Kenntnis. Als die Klägerin wieder einmal nicht anwesend war, beschwerte sich die ganze Abteilung beim Vorgesetzen Dr.V*****. Es wurde beanstandet, daß die Arbeit der Klägerin wegen ihrer Absenzen miterledigt werden müsse und alle Kolleginnen der Abteilung äußerten sich dahin, daß es so nicht weitergehe und die Klägerin gekündigt werden solle. Auch die Abteilungsleiterin, die überdies Mitglied des Betriebsrats war, war für die Kündigung der Klägerin, weil deren Arztbesuche und Krankenstände großen Unmut in der Abteilung hervorriefen, so daß ein immer schlechteres Arbeitsklima entstand.

Nach dem Ausscheiden der Klägerin wurde ihr Arbeitsplatz nachbesetzt; das Arbeitsklima wurde wieder besser.

Der Gatte der Klägerin verdiente 1991 rund S 13.000 netto 14 mal jährlich. Die Klägerin bezog ab 17.März 1991 ein Arbeitslosengeld von S 10.716 netto pro Monat und eine monatliche Familienbeihilfe von S 1.550, so daß sich das monatliche Familieneinkommen auf S 25.566 (richtig S 27.782,66) netto belief. Der Gatte der Klägerin stattete einen am 20.Jänner 1992 bewilligten Gehaltsvorschuß in Höhe von S 20.000 bis Februar 1994 in monatlichen Raten   S 891,66 ab. Für einen Kredit zahlte er monatlich S 439 und von seinem Konto wurden weiters S 1.000 pro Monat zur Saldorückführung überwiesen. Im Jänner 1991 wurde das für den Sohn zu zahlende monatliche Schulgeld von S 2.360 bis zur Wiederbeschäftigung der Klägerin auf S 505 ermäßigt. Die Miete für die Gemeindewohnung betrug 1991 S 4.858,07 pro Monat. Dazu kamen noch weitere monatliche Kosten für Heizung, Strom, Fernsehen und Telefon von rund S 2.700. Das Auto der Klägerin war Ende 1991 nicht mehr gebrauchsfähig; ein neues Fahrzeug konnte sie sich nicht anschaffen.

Die der Klägerin angebotenen Stellen entsprachen nicht ihren Gehaltvorstellungen, da sie monatlich nur zwischen S 15.000 und S 18.000 brutto verdient hätte. Seit 15.März 1992 ist die Klägerin wieder als Debitorenbuchhalterin mit einem Bruttomonatsgehalt von S 23.000 beschäftigt.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Kündigung zwar wesentliche Interessen der Klägerin beeinträchtigt habe, daß aber der beklagten Partei der Nachweis gelungen sei, daß ihre betrieblichen Interessen durch das Verhalten der Klägerin nachteilig berührt worden seien (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG). Gehe man davon aus, daß sich das Arbeitsklima in der Buchhaltung durch die Arztbesuche und Krankenstände der Klägerin ständig verschlechtert habe, sei die Kündigung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Abteilung das einzig mögliche Mittel gewesen, die durch das Verhalten der Klägerin im Betrieb aufgetretenen Probleme zu lösen. Einerseits hätten die Mitarbeiter die häufigen Krankenstände nur als "Wehleidigkeit" aufgefaßt und seien darüber verärgert gewesen, daß sie deswegen mehr belastet wurden. Andererseits habe diese Mehrbelastung durch die Absenzen der Klägerin doch sehr bedeutend sein müssen, da sich die Abteilungsleiterin, die auch Mitglied des Betriebsrats gewesen sei, ansonsten nicht entschlossen hätte, die Kündigung der Klägerin zu empfehlen.

Auch wenn im Zeitpunkt der Kündigung der Klägerin noch keine konkrete Gefahr bestanden habe, daß langjährige und erfahrene Mitarbeiter die beklagte Partei wegen des schlechten Arbeitsklimas in der Abteilung verlassen, habe Dr.V***** die Klägerin kündigen müssen, um einer solchen möglichen Gefahr vorzubeugen. Bezeichnend sei, daß es nach dem Ausscheiden der Klägerin keinerlei Probleme hinsichtlich des Funktionierens der Abteilung mehr gegeben habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, vorerst ohne Rücksicht auf die anderen Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen zu prüfen, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Dienstnehmers beeinträchtigt werden (Arb 10.755, 10.771 = DRdA 1989/24 [Floretta] ua; auch ZAS 1992/9 [Pircher]). Ist dies der Fall ist weiter zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG vorliegt, der die Sozialwidrigkeit der Kündigung aufhebt. Dazu ist es erforderlich, die beeinträchtigten wesentlichen Interessen des Dienstnehmers mit den Interessen des Betriebes in Beziehung zu setzen und eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl Arb 10.771 = DRdA 1989/24 [Floretta]; die im zweiten Rechtsgang ergangene Entscheidung 9 ObA 270/93 uva), welche eine Konkretisierung durch Abstufung der Gewichtigkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe bedingt.

Dem Berufungsgericht ist zwar beizupflichten, daß die Kündigung auch wesentliche finanzielle Interessen der Klägerin beeinträchtigte, doch erfolgte dies nicht in einem solchen Maß, daß die länger andauernde Arbeitslosigkeit allein zu Lasten der beklagten Partei zu berücksichtigen wäre. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Berufungsgerichtes nahm die Klägerin die angebotenen Stellen nicht an, weil sie dort nur zwischen S 15.000 und S 18.000 brutto verdient hätte. Hätte sie diese Stellen angenommen, wäre ihr finanzieller Verlust nicht so groß gewesen. Auch unter Berücksichtigung der Prognose im Konkretisierungszeitpunkt (Beendigung des Arbeitsverhältnisses; Arb 10.874) ergibt sich eine Arbeitslosigkeit von lediglich 4 Monaten bis zur Erlangung eines gleichwertigen Arbeitsplatzes mit gleicher Entlohnung (S 245 des Aktes), so daß der finanzielle Engpaß absehbar gewesen wäre.

Demgegenüber steht das Verhalten der nur gut zweieinhalb Jahre bei der beklagten Partei beschäftigten Klägerin, das eine nachhaltige Störung des Betriebsklimas in der Buchhaltung bewirkte (vgl Karl, Die krankheitsbedingte Kündigung, ZAS 1992/152 ff, 157). Dabei kommt es nicht primär auf die verschuldensunabhängigen Krankenstände oder die vielen Arztbesuche an (vgl infas 1987 A 73; ARD 4564/21/94), sondern darauf, daß sämtliche Mitarbeiterinnen der Klägerin die ihrer Ansicht nach nicht hinreichend begründeten regelmäßigen Leistungsstörungen nicht mehr hinnehmen wollten (vgl DRdA 1992/41 [Runggaldier] = ZAS 1992/19 ua). In Abwägung der beiderseitigen berechtigten Interessen an der Aufrechterhaltung bzw Beendigung des Dienstverhältnisses durften daher die in der Person der Klägerin gelegenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen und ihre Kündigung muß im konkreten Fall als eine dem Sachverhalt adäquate Maßnahme angesehen werden (JBl 1991, 259 mwH).

Der Revisionswerberin ist schließlich noch entgegenzuhalten, daß sie mit ihren Ausführungen, die Mitarbeiter hätten ihre Absenzen toleriert, nicht von den maßgeblichen Feststellungen des Berufungsgerichtes ausgeht. Soweit sie selbst einräumt, daß sich durch allfällige Ermahnungen und Verwarnungen an den Krankenständen nichts geändert hätte, wäre es auch nicht zielführend gewesen, sie mit dem Unmut ihrer Kolleginnen wegen der Abwesenheitszeiten zu konfrontieren. Die allfällige Möglichkeit der "Entlastung" der übrigen Dienstnehmer der Abteilung war nicht Gegenstand des erstgerichtlichen Verfahrens. Dazu wurden keinerlei Behauptungen aufgestellt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG begründet.

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