OGH 9ObA270/93

OGH9ObA270/9322.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Alfred Schätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eleonore A*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Charlotte Böhm und Dr. Erika Furgler, Rechtsanwältinnen in Wien, wider die beklagte Partei O***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Peter Knirsch und Dr. Johannes Gschaider, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 300.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1993, GZ 31 Ra 34/93-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15. September 1992, GZ 23 Cga 53/92-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 2. September 1947 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit 1. Mai 1988 als Büroangestellte beschäftigt. Sie arbeitete in der Registratur und verrichtete Buchhaltungsarbeiten. Ihr Einkommen betrug zuletzt S 21.620 brutto 14mal jährlich. Mit Schreiben vom 14. Dezember 1990 wurde sie von der Beklagten zum 15. Februar 1991 gekündigt. Der von der Kündigungsabsicht verständigte Betriebsrat hatte keine Stellungnahme abgegeben.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie, daß die Kündigung für unwirksam erklärt werde. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie sei verheiratet und habe einen schulpflichtigen Sohn. Ihr Gatte verdiene lediglich rund S 13.000 netto pro Monat, so daß sie auf ihr Einkommen nicht verzichten könne. Für die Wohnung seien monatlich S 6.700, an Schulgeld für den Sohn S 2.500 pro Monat und an Kreditraten sowie Versicherungsprämien rund S 2.300 monatlich zu zahlen. Auf Grund ihres Alters könne sie nicht damit rechnen, daß sie in absehbarer Zeit einen gleichwertigen Arbeitsplatz erhalte. Da ihr Arbeitsplatz weiter bestehe, stehe ihrer Weiterbeschäftigung nichts im Wege.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die 43 Jahre alte Klägerin habe die Möglichkeit, sofort eine neue und gleich bezahlte Stelle anzutreten, so daß sie nicht der Gefahr der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sei. Sie sei betriebsbedingt gekündigt worden, da sie bereits 101 Krankentage und 43 Arztbesuche (im Ausmaß von 0,75 bis 6 Stunden) in Anspruch genommen habe und die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß sich diese Fehlzeiten fortsetzten. Bedingt durch diese Abwesenheiten sei es im Betrieb zu Personalengpässen und Arbeitsrückständen gekommen. Ihre Arbeit in der Registratur habe nur mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten miterledigt werden können; für die Buchhaltung sei überhaupt kein Ersatz vorhanden gewesen. Dadurch habe sich das Betriebsklima derart verschlechtert, daß es erforderlich geworden sei, die Klägerin zu kündigen; ansonsten hätte die Gefahr bestanden, darüber verärgerte altbewährte Kräfte zu verlieren. Ihre Weiterbeschäftigung sei somit aus personalpolitischen und betrieblichen Erwägungen unzumutbar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Auf Grund des Urteiles (richtig Beschlusses) des Oberlandesgerichtes Wien vom 25. Mai 1992, GZ 31 Ra 43/92-18, stehe bereits fest, daß durch die Kündigung eine zwar zeitlich beschränkte aber wesentliche finanzielle Interessenbeeinträchtigung der Klägerin vorliege. Das Beweisverfahren habe sich daher auf die von der Beklagten behauptete Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu beschränken. Dazu stellte das Erstgericht ergänzend fest:

Seit dem Beginn ihres Dienstverhältnisses war die Klägerin am 20. September 1988, vom 2. bis 13. November 1988, vom 23. Jänner bis 29. Jänner 1989, vom 6. Juli bis 12. Juli 1989, am 18. Oktober 1989, vom 29. November 1989 bis 19. Jänner 1990, am 24. September 1990 und vom 2. November bis 23. November 1990 im Krankenstand. Der Krankenstand vom 29. November 1989 bis 19. Jänner 1990 war durch eine Gallenblasenoperation begründet. In der Zeit vom 13. Juni 1988 bis 15. Jänner 1991 suchte die Klägerin während der Dienstzeit insgesamt 43 mal einen Arzt auf; diese Arztbesuche führten mit Ausnahme eines Besuches, der 6 Stunden dauerte, zu Fehlzeiten von 0,5 bis 3,75 Stunden.

Die Mitarbeiter der Klägerin in der Buchhaltung beschwerten sich wegen dieser Arztbesuche nicht. Sie sahen deren Notwendigkeit ein. Der dadurch ausgelöste Arbeitsanfall war problemlos zu verkraften. Die übrigen Dienstnehmer regten sich jedoch über die Krankenstände der Klägerin auf, da sie selbst auch dann zur Arbeit erschienen, wenn sie verkühlt oder kränklich waren und daher zu Hause hätten bleiben können. Es kam vor, daß Dienstnehmer vom Abteilungsleiter nach Hause geschickt wurden, wenn sie stark verkühlt zur Arbeit gekommen waren. Aus diesem Grund nahmen sie es der Klägerin übel, daß sie in den Krankenstand ging, wenn sie krank war. Es gab deshalb zwischen 5 und 10 Beschwerden bei der Personalreferentin, daß sich etwas ändern müsse, da man jemanden brauche, der nicht so oft krank sei. Lediglich der durch die Gallenblasenoperation verursachte Krankenstand wurde der Klägerin nicht übel genommen.

Die Klägerin legte stets Krankenstandsbestätigungen vor und meldete sich ab, wenn sie einen Arzt aufsuchte. Die in der Buchhaltung angefallene Arbeit wurde während ihrer Abwesenheit von anderen Mitarbeitern erledigt. Dafür mußten zum Teil Überstunden geleistet werden, deren Ausmaß aber nicht festgestellt werden kann, da diese Mitarbeiter manchmal ohnedies freiwillig länger im Betrieb geblieben sind. Die Arbeit in der Registratur war nicht dringend. Sie blieb bis zur Rückkehr der Klägerin liegen. Kein Mitarbeiter drohte damit, daß er die Beklagte verlassen werde, wenn die Klägerin bleibe.

Der freigewordene Arbeitsplatz der Klägerin wurde nachbesetzt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Klägerin zugebilligt werden müsse, einen Arzt aufzusuchen und in den Krankenstand zu gehen, wenn sie krank ist. Ihre Arztbesuche hätten zu keinen Problemen bei der Bewältigung des Arbeitsanfalls geführt. Der lange Krankenstand vom 29. November 1989 bis 19. Jänner 1990 sei durch eine Gallenblasenoperation notwendig geworden; die Berechtigung dieses Krankenstandes sei von den anderen Mitarbeitern eingesehen worden. Die übrigen Krankenstände wären nur sporadisch aufgetreten, so daß nicht gesagt werden könne, daß die Klägerin auffallend häufig und lange krank gewesen sei. Der Unmut der Mitarbeiter darüber sei offensichtlich darin begründet, daß "diese eine sehr leichtsinnige Einstellung zu ihrer eigenen Gesundheit haben". Niemand könne zugemutet werden, krank zur Arbeit zu kommen. Da auch die durch die Krankenstände der Klägerin verursachte Mehrarbeit nicht so erheblich gewesen sei, daß sie nicht problemlos hätte bewältigt werden können, sei der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin aus betrieblichen Gründen nicht unzumutbar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,-- übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte aus, daß die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung bereits im ersten Rechtsgang abschließend erledigt worden sei. Der "Anfechtungsgrund" (richtig Ausnahmetatbestand) nach § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG liege nicht vor. Der Dienstgeber sei nicht berechtigt, einen Dienstnehmer wegen medizinisch begründeter Krankenstände zu kündigen, wenn dessen Fehlzeiten keine ins Gewicht fallende Minderleistung verursacht hätten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung muß bei der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, zwar vorerst ohne Rücksicht auf die anderen Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Dienstnehmers beeinträchtigt werden (Arb 10.771 = DRdA 1989/24 [Floretta] ua; vgl ZAS 1992/9 [Pircher]). Ist dies der Fall, ist weiter zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG vorliegt, der die Sozialwidrigkeit der Kündigung aufhebt. Dazu ist es aber überdies erforderlich, die beeinträchtigten wesentlichen Interessen des Dienstnehmers mit den Interessen des Betriebes in Beziehung zu setzen und eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl Arb

10.771 = DRdA 1989/24 [Floretta] uva). Die Beurteilung einer Kündigungsanfechtung gemäß § 105 ArbVG bildet sohin in ihrem Tatbestand einen Gesamtkomplex, der, abgesehen von der Abweisung der Klage mangels Sozialwidrigkeit, schon aus diesem Grund nicht in jeweils für sich abschließend zu erledigende Streitpunkte (vgl JBl 1986, 669 - Fälligkeit) aufgesplittert werden kann. Da der Oberste Gerichtshof an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes nicht gebunden ist, erwuchs dessen Rechtsmeinung zum Grundtatbestand des Kündigungsschutzes für sich allein nicht in Rechtskraft und kann daher auch keine Präklusionswirkung äußern (vgl Fasching ZPR**2 Rz 1824).

Die Vorinstanzen hätten daher, da das klageabweisende Urteil des Erstgerichts im ersten Rechtsgang (ohne Rechtskraftvorbehalt) aufgehoben wurde, auch Feststellungen zum Grundtatbestand der Sozialwidrigkeit treffen müssen, so daß die Rüge der Revisionswerberin, ihr sei bisher keine Möglichkeit geboten worden, die unrichtige Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zum Grundtatbestand zu bekämpfen, berechtigt ist. Die Begründung des aufgehobenen Urteils erster Instanz ist für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ohne Bedeutung. Abgesehen davon fände die Bindung des Erstgerichts an die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, selbst wenn sie vorläge, ihre Grenze in der Identität des zu beurteilenden Sachverhalts (Fasching aaO Rz 1821 ff). Die Arbeitsrechtssache ist daher noch nicht spruchreif.

Die Kostenentscheidung ist im § 52 ZPO begründet.

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