OGH 2Ob15/96

OGH2Ob15/9612.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard W*****, vertreten durch Dr. Peter Posch und Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Hermann G*****, Handelsangestellter, ***** und 2.) I***** AG, ***** beide vertreten durch Dr. Walter Breitwieser und Mag. Paul Max Breitwieser, Rechtsanwälte in Wels, wegen Zahlung von S 1,158.734,10 sA und Feststellung infolge Revision und Rekurses der beklagten Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. November 1995, GZ 3 R 228/95-101, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3. August 1995, GZ 5 Cg 363/93v-90, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit S 91.276,40 (darin S 13.004,40 USt und S 13.250,- Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 2. 7. 1989 ereignete sich in Wels ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Lenker eines PKW schwer verletzt wurde. Das Alleinverschulden am Unfall trifft den Erstbeklagten als Lenker und Halter eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW. Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Prellung der rechten Scheitelpartie sowie eine Verstauchung der Lendenwirbelsäule mit Parästhesie und späterer Teilparese der rechten unteren Gliedmaße. Er wurde vorerst im Krankenhaus Wels bis 18. 7. 1989 stationär und danach bis 27. 12. 1989 ambulant behandelt. Von 2. 1. bis 30. 1. 1990 stand er wegen Wirbelsäulenbeschwerden in einem Rehabilitationszentrum stationär in Behandlung. Im März 1990 wurde beim Kläger eine Bandscheibenvorfall diagnostiziert, der infolge andauernder Beschwerden im Juni 1990 operativ behoben worden ist. Infolge anhaltender Bandscheibenbeschwerden war der Kläger im September und Oktober 1990 sowie im März 1991 in stationärer Krankenhausbehandlung. Schließlich wurde er am 18. 12. 1992 neuerlich an der Lendenwirbelsäule operiert, wobei ein freier Sequester entfernt wurde. Danach verschwand die radikuläre Schmerzausstrahlung völlig. Auch der im März 1990 erhobene Bandscheibenvorfall und die daran anschließenden Behandlungen und Operationen wurden ursächlich durch den Unfall vom 2. 7. 1989 ausgelöst, wenn diese Entwicklung auch durch die beim Kläger vorgelegene Anomalie (er besitzt angeboren sechs statt fünf Lendenwirbel) bzw. durch Vorschädigung der Wirbelsäule (es bestand schon vor dem Unfall ein morbus Scheuermann, eine Lumbalgie und eine Skoliose der Brust- und Lendenwirbelsäule) begünstigt wurde.

Auf Grund des Unfalles erlitt der Kläger starke Schmerzen durch zwei bis drei Wochen, mittelstarke Schmerzen durch fünf Wochen und leichte Schmerzen durch zwei bis drei Monate, von denen nicht erwiesen ist, daß sie der Kläger auch ohne den Unfall alleine auf Grund seiner Vorschädigungen erlitten hätte. Die Erstbeklagte hat dem Kläger bereits in Teilzahlungen Schmerzengeld in Höhe von insgesamt S 130.000.- geleistet. Der Kläger war vor dem Unfall selbständiger Taxiunternehmer und kann diesen Beruf seither nicht mehr ausüben. Er bezieht seit 1. 7. 1991 eine Pension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit.

Mit Klage vom 2. 11. 1989 begehrte der Kläger a) S 150.000.- s.A. Verdienstentgang vom 2. 7. bis 24. 10. 1989 und b) S 6.600.- s. A. Spesen (Taxi, Telefon) mit dem Vorbringen, auf Grund der Schwere der erlittenen Verletzungen sei eine Heilung nicht abzusehen; er "avisiere schon jetzt" eine Schmerzengeldforderung von mindestens S 250.000.- sowie ein Feststellungsbegehren, da "eine endgültige Wiederherstellung nicht zu erwarten sei". In der Tagsatzung am 31. 1. 1990 (ON 4) dehnt der Kläger das Klagebegehren um c) S 250.000.- s.A. Schmerzengeld aus. Mit Schriftsatz vom 10. 11. 1994 (ON 81), vorgetragen in der Tagsatzung vom 10. 11. 1994, dehnte er das Klagebegehren um d) S 452.134,11 s.A. als weiteren Verdienstentgang für die Jahre 1990 bis 1993, e) S 300.000.- s.A. als weiteres Schmerzengeld und f) Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden und Folgen aus dem Unfall vom 2. 7. 1989, die Zweitbeklagte begrenzt mit der Versicherungssumme, aus.

Die Beklagten wendete hinsichtlich des am 10. 11. 1994 ausgedehnten Klagebegehrens Verjährung ein.

Das Erstgericht sprach a) S 70.421,44 Verdienstentgang für den Zeitraum 2. 7. bis 24. 10. 1989, b) S 4.500.- Spesen und c) S 120.000.- Schmerzengeld (S 250.000.- laut Ausdehnung vom 31. 1. 1990 abzüglich bereits geleisteter S 130.000.-), insgesamt somit S 194.921,44 s.A. zu und wies das Mehrbegehren ab. Die erst am 10. 11. 1994 gerichtsanhängig gemachten Forderungen seien verjährt, habe der Kläger doch bereits in der Klage selbst darauf hingewiesen, daß seine Heilung nicht abzusehen und eine gesundheitliche Wiederherstellung nicht zu erwarten sei; er hätte deshalb das Feststellungsbegehren ebenso wie das gesamte Schmerzengeldbegehren und den Ersatz des entgangenen Verdienstes innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall gerichtlich geltend machen müssen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Anspruches an (bereits bezahltem) Schmerzengeld, an Spesen und Verdienstentgang bis 24. 10. 1989 und hielt weiters den Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs ab November 1991 bis 1993 für berechtigt; als verjährt beurteilte es hingegen nur den Verdienstentgang für den Zeitraum Jänner 1990 bis Oktober 1991. Es sprach deshalb unter Berücksichtigung des rechtskräftig gewordenen klagestattgebenden Teil des Ersturteils mit Teilurteil S 409.184,30 s.A. zu und wies S 449.549,81 s.A. ab. Im übrigen, also hinsichtlich eines Schmerzengeldbetrages von S 300.000.- sA sowie des Feststellungsbegehrens, verwies es die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen den das erstgerichtliche Urteil abändernden Teil seiner Entscheidung und der Rekurs gegen den aufhebenden Teil zulässig seien. Dabei vertrat es im Anschluß an die Entscheidung 1 Ob 601/93 des Obersten Gerichtshofes die Auffassung, daß entgegen der bisher herrschenden Rechtsprechung die Verjährungsfrist nicht vor tatsächlichem Schadenseintritt zu laufen beginnen könne. Als solche konkreten, durchsetzbaren und erst nach Unfallseintritt entstandene Folgeschäden qualifizierte es die Ansprüche auf Verdienstentgang, die (sofern sie nur innerhalb von drei Jahren ab Entstehen geltend gemacht worden seien) auch unabhängig von einem Feststellungsbegehren noch nicht mit Ablauf von drei Jahren nach Eintritt des Primärschadens verjährt seien. Mangels Feststellungen zur Berechtigung des Feststellungsbegehrens müsse es in diesem Umfang zur Aufhebung des Ersturteiles kommen. Dasselbe gelte auch für den am 10. 11. 1994 ausgedehnten Schmerzengeldanspruch, habe doch der Kläger nie das Vorliegen für eine bloße Teilbemessung geltend gemacht; es sei auch aktenkundig, daß der Kläger neben mehreren Krankenhausaufenthalten auch zwei Operationen habe erdulden müssen. Ursache und Ausmaß der Schmerzen habe der Kläger ebensowenig von Anfang an verläßlich beurteilen können wie die Frage, ob Dauerschäden wahrscheinlich seien.

Mit Revision bekämpfen die Beklagten das berufungsgerichtliche Teilurteil in seinem gegenüber dem Ersturteil um S 214.262,86 s.A. erhöhten Zuspruch, mit Rekurs bekämpfen sie den Aufhebungsbeschluß.

Die Beklagten beantragen, die Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu, ihnen keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rechtsmittel sind berechtigt.

Mit Entscheidung des verstärkten Senates SZ 68/238 wurde (anknüpfend an die bereits zuvor ergangene Entscheidung 1 Ob 601/93 ecolex 1994, 616 = EvBl 1994/105 = JBl 1994, 753 = RdW 1994, 311) von der früheren Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei der kurzen Verjährung des § 1489 ABGB endgültig abgegangen und der Rechtssatz formuliert, daß die Verjährung nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt. Bereits in dieser Entscheidung wurde aber (im Anschluß an F Bydlinski, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn im österreichischen Recht, FS Steffen, [1995] 72f und 80ff) klargestellt, daß die ihr zugrundeliegenden rechtlichen Überlegungen im Falle der zeitlich gedehnten Entstehung mehrerer Teilschäden nur für den relevanten "Erstschaden" uneingeschränkt Gültigkeit haben und bei Verfolgung eines aktuellen Schadenersatzanspruchs auch die Erhebung einer Feststellungsklage betreffend die bei Entstehung des Erstschadens vorhersehbaren Folgeschäden zumutbar bleibt. Die nachfolgende Rechtsprechung entwickelte diesen Gedanken dahin weiter, daß es der der Prozeßökonomie dienende Zweck des Verjährungsrechtes verbiete, die Verjährung jedes folgenden Teilschadens erst mit dessen Entstehen beginnen zu lassen; ist ein - wenn auch der Höhe nach noch nicht bezifferbarer - Schaden einmal eingetreten, so sind damit alle Voraussetzungen für den Ersatzanspruch gegeben und ist dieser dem Grunde nach entstanden. Der drohenden Verjährung seines Anspruchs auf Ersatz der künftigen, aber schon vorhersehbaren, Schäden hat der Geschädigte daher dann, wenn ihm schon ein Primärschaden entstanden ist, mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen (SZ 69/55; 1 Ob 1004/96; 2 Ob 153/97g). Jedenfalls dann, wenn der Geschädigte zu einer Leistungsklage genötigt ist, sind gleichzeitig auch alle voraussehbaren künftigen Schäden mit Feststellungsklage geltend zu machen (ecolex 1997, 430 (Wilhelm); JBl 1997, 43 = ZVR 1997/129 = ecolex 1996, 907 = RdW 1996, 576; 9 ObA 2300/96t). Für Feststellungsklagen gelten dabei hinsichtlich der Verjährung dieselben Grundsätze wie bei der Leistungsklage (ZVR 1987/83; SZ 60/137 mwN; 2 Ob 67/88; 4 Ob 527/93; 1 Ob 24/95).

Zwar sind bei der Stoffsammlung für eine Schadenersatzklage keine allzustrengen Anforderungen an Erkundigungspflichten des Geschädigten zu stellen (5 Ob 2101/96y); andererseits besteht für den Geschädigten nur dann kein Anlaß, zukünftig vorhersehbar entstehende (weitere) Ersatzansprüche sofort nach Eintritt des Primärschadens mit Feststellungsklage geltend zu machen, wenn er mit gutem Grund annehmen darf, daß der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben ist (1 Ob 590/94). Gerade letzteres war hier weder beim Verdienstentgang noch beim Schmerzengeld der Fall.

Dem Kläger wurde bereits mit 1. 7. 1991 eine Pension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zuerkannt, und er litt vom Unfallszeitpunkt weg praktisch ständig unter Beschwerden, wie seine zahlreichen stationären und ambulanten Krankenhausaufenthalte dokumentieren. Erst im Anschluß an die zweite Operation im Dezember 1992 verschwanden die Schmerzsymptome völlig. Es bestand daher für ihn innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall keinerlei Anlaß anzunehmen, er werde zukünftig keinen Verdienstentgang hinnehmen oder keine Schmerzen erdulden müssen. Dies hat er offenbar auch schon frühzeitig selbst erkannt, wenn er in der Klagserzählung davon ausgeht, daß eine Heilung nicht absehbar und eine endgültige Wiederherstellung nicht zu erwarten sei, weshalb er ein Feststellungsbegehren "avisiere". Selbst wenn man vom Kläger als medizinischem Laien unter den vorliegenden besonderen Umständen (angeborene Anomalie der Lendenwirbelsäule und Vorschädigungen) eine sichere Einschätzung der zukünftigen Entwicklung nicht erwarten durfte, darf doch nicht übersehen werden, daß bereits am 7. 11. 1989 in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens gegen den Erstbeklagten ein medizinischer Sachverständiger in seinem Gutachten zum Ergebnis kam, es sei sehr wahrscheinlich, daß beim Kläger Dauerfolgen aufgrund des Unfalles nicht zu vermeiden seien (AS 45 des Strafaktes 16 U 489/89 BG Wels). Der Kläger, der sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen hat, war in dieser Hauptverhandlung anwaltlich vertreten und mußte spätestens aufgrund dieser sachverständigen Beurteilung seine eigene negative Einschätzung der zukünftigen Entwicklung bestätigt sehen. Das Erstgericht hat deshalb zutreffend das erst am 10. 11. 1994 gerichtsanhängig gemachte Feststellungsbegehren als verjährt abgewiesen.

Beim Verdienstentgang nach § 1325 ABGB handelt es sich um positiven Schaden (Koziol, Haftpflichtrecht II**2 132), der regelmäßig in Form einer Geldrente zu leisten ist und hinsichtlich künftig entstehenden weiteren Verdienstentganges nur dann nicht der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB unterliegt, wenn er - gedeckt durch ein rechtzeitiges Feststellungsbegehren - zur Judikatobligation geworden ist (Mader in Schwimann**2 § 1480 Rz 6). Die zukünftigen Verdienstentgänge sind insofern als vorhersehbare Teilfolgeschäden iS der oben dargestellten jüngeren Judikatur zum Verjährungsbeginn anzusehen, für die - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - keine vom Primärschaden jeweils unabhängige Verjährungsfristen zu laufen beginnen.

Der Schmerzengeldanspruch ist grundsätzlich als Gesamtentschädigung im Rahmen einer Globalbemessung auszumitteln (Reischauer in Rummel ABGB**2 § 1325 Rz 49 mwN) und entsteht bereits im Unfallszeitpunkt. Es steht nicht im Belieben des Verletzten, Schmerzengeld nur für einen bestimmten Zeitraum zu begehren (ZVR 1979/308; ZVR 1983/345). Er kann dies nur tun, wenn er hiefür besondere Gründe behauptet und solche auch beweisen kann (ZVR 1983/345; ZVR 1990/158). Einen derartigen Beweis hat der Kläger nicht einmal angetreten. Die Möglichkeit einer Ausdehnung des ursprünglichen Schmerzengeldbegehrens hinsichtlich später aufgetretener, vorhersehbarer Schmerzen (die insofern einen Teilfolgeschaden darstellen) erst nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist wäre dem Kläger daher ebenfalls nur dann offengestanden, wenn er dem Einwand der Verjährung ein rechtzeitig erhobenes Feststellungsbegehren hätte entgegenhalten können. Dies ist hier nicht der Fall, weshalb auch in diesem Umfang das Klagebegehren durch das Erstgericht zu Recht abgewiesen wurde.

In Stattgebung der Rechtsmittel der Beklagten war deshalb das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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