OGH 3Ob35/98p

OGH3Ob35/98p28.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Florian S*, Schüler, vertreten durch seinen Vater Johann S*, Landwirt, beide * vertreten durch Dr.Longin Josef Kempf, Rechtsanwalt in Peuerbach, als Verfahrenshelfer, wider die beklagten Parteien 1. Johann F*, Landwirt, 2. Maria F*, Landwirtin, 3. Berta F*, Pensionistin, alle * alle vertreten durch Dr.Wolfgang Dartmann und Dr.Haymo Modelhart, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 729.000,‑- und Feststellung (S 30.000,‑‑; Gesamtstreitwert S 759.000,‑‑) samt Nebengebühren, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25.Oktober 1995, GZ 6 R 189/95‑13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 9.Juni 1995, GZ 5 Cg 248/94t‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1998:E49041

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der drittbeklagten Partei als Teilurteile bestätigt, wobei jedoch die Kostenentscheidungen dahin abgeändert werden, daß sie zu lauten haben:

"Die klagende Partei ist schuldig, der drittbeklagten Partei die mit S 22.551,96 (darin S 3.758,66 USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

"Die klagende Partei ist schuldig, der drittbeklagten Partei die mit S 7.049,56 (darin S 1.174,93 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der drittbeklagten Partei die mit S 8.461,82 (darin S 1.410,30 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. den

Beschluß

gefaßt:

Die Urteile der Vorinstanzen werden im übrigen hinsichtlich der erst‑ und zweitbeklagten Partei aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Erst‑ und die Zweitbeklagte betreiben als Hälfteeigentümer in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Eltern des am 27.5.1988 geborenen Klägers eine Landwirtschaft. Die beiden Anwesen sind durch eine einspurige Straße verbunden; die Wohnhäuser sind etwa 50 bis 60 m voneinander entfernt; einzelne Nebengebäude der Anwesen stehen noch näher zusammen und sind nur durch einen schmalen Wiesenstreifen getrennt.

Zum Anwesen des Erst‑ und der Zweitbeklagten zählt auch ein Nebengebäude, das dem Einstellen von Geräten und Betriebsmitteln dient. Im Oktober 1991 verfügte dieses Nebengebäude noch über kein Tor, sondern war vom Hof her frei zugänglich.

Der Erst‑ und die Zweitbeklagte haben zwei Töchter, und zwar die 1982 geborene Barbara und die 1984 geborene Petra. Wenn die Eltern nicht am Hof anwesend waren, kümmerte sich üblicherweise die Drittbeklagte (= Großmutter) um die beiden Mädchen. Die Drittbeklagte hielt sich normalerweise im Haus auf und beschränkte sich darauf, fallweise draußen nachzusehen, was die meistens recht braven Mädchen gerade machten.

Der Kläger, ein Nachbarjunge namens Dominik und die beiden Mädchen spielten fallweise am Hof der Eltern des Klägers, fallweise am Hof der Beklagten; dies war deren Eltern bekannt. Der eher lebhafte Kläger entfernte sich beim Spielen immer wieder ohne Mitteilung an seine Eltern vom unmittelbaren Hofbereich, hielt sich aber in solchen Fällen immer im Nahbereich der Anwesen auf. Der Mutter des Klägers war dies nicht recht; wenn sie sein Verschwinden bemerkte, holte sie ihn vom Anwesen der Beklagten zurück. In solchen Fällen äußerte die Drittbeklagte bisweilen sinngemäß, sie passe schon auf den Kläger auf, wenn er bei ihr sei. Zwischen den Eltern wurden nie ausdrückliche Vereinbarungen über eine wechselseitige Übernahme der Aufsicht über die Kinder getroffen. Es gab allerdings auch nie Äußerungen der Beklagten, daß der Kläger nicht auf ihr Anwesen kommen dürfe.

Am 22.10.1991 begab sich der Kläger gegen Mittag mit Dominik zum Anwesen der Beklagten, wo Barbara und Petra gerade im Nebengebäude mit ihrer Spielhütte, einem kleinen Bretterhäuschen mit einer Grundfläche von ca 1,5 x 1 m spielten. Die Spielhütte war zuvor im Freien gestanden, dann aber vom Erstbeklagten zum Schutz vor der Witterung ins Nebengebäude direkt auf Höhe der Vorderfront gestellt worden. Im Nebengebäude hatte der Erstbeklagte an einen Stützpfeiler an der rechten Seitenwand ein bis zwei Wochen vorher eine Frontladerverlängerung angelehnt. Diese war etwa 4 m lang und bestand aus zwei Formrohren mit sprossenartigen, etwa 1 m langen Querverbindungen, deren Abstand zueinander ebenfalls etwa 1 m betrug. Die Frontladerverlängerung hatte ein derartiges Gewicht, daß sie von einem Erwachsenen allein praktisch nicht frei hochgehoben werden konnte. Sie konnte aber von einem Erwachsenen mit erheblicher Kraftanstrengung angelehnt oder im angelehnten Zustand weggekippt werden. Der Erstbeklagte wollte die Frontladerverlängerung nicht auf den Boden legen, weil er sonst mit dem Traktor nicht in das Nebengebäude hätte einfahren können. Er hatte die Frontladerverlängerung steil an den Stützpfeiler angelehnt und auch überprüft, wie schwer ein Wegkippen möglich sei; dabei war er zum Ergebnis gekommen, daß ein Wegkippen selbst für einen Erwachsenen nur unter erheblicher Kraftanstrengung möglich sei. Die Frontladerverlängerung grenzte damals nicht an die ebenfalls im Nebengebäude gelagerten Strohballen an.

Als der Kläger mit Dominik auf den Hof der Beklagten kam, begab er sich zunächst ins Wohnhaus zur Drittbeklagten, die sich gerade in der Küche aufhielt. Nach rund 15 Minuten erklärte er, wieder nach Hause zu gehen. Die Drittbeklagte ging ihm noch bis zur Haustür nach, und sah, wie er nach links in Richtung des Anwesens seiner Eltern verschwand. Die Drittbeklagte begab sich daraufhin wieder in die Küche. Der Kläger ging entgegen seiner Ankündigung allerdings nicht nach Hause, sondern begab sich zur Spielhütte, wo bereits die anderen Kinder spielten. Beim weiteren Spiel hängte sich der Kläger neben den Stützpfeiler mit beiden Händen an das obere Formrohr der Frontladerverlängerung an. Barbara versuchte, ihn von dort herunterzuziehen, und nahm ihn unter den Achseln, wogegen sich der Kläger wehrte und mit den Füßen strampelte, sodaß schließlich die Frontladerverlängerung umkippte, dem Kläger auf den rechten Fuß fiel und ihn dabei schwer verletzte.

Zum Unfallszeitpunkt hielten sich der Erst‑ und die Zweitbeklagte etwa 100 m vom Wohnhaus entfernt bei der Arbeit auf. Ein direkter Sichtkontakt zur Unfallsstelle bestand von dort aus nicht. Den Kläger hatten sie an diesem Vormittag nicht auf ihrem Anwesen gesehen. Der Erstbeklagte hatte den Kläger jedoch einige Tage vor dem Unfall mit Dominik im Nebengebäude beim Klettern auf den Strohballen gesehen und ihn angewiesen, von dort herunterzukommen. Beim Spielen mit der Spielhütte hatte ihn der Erstbeklagte vor dem Unfall nicht gesehen; der Zweitbeklagten war das Spielen des Klägers mit der Spielhütte jedoch bekannt.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von den Beklagten aufgrund des am 22.10.1991 erlittenen Unfalls den Betrag von S 729.000 samt Anhang, den er wie folgt aufschlüsselte:

Schmerzengeld S 600.000,‑-

Verunstaltungsentschädigung S 100.000,‑-

Selbstbehaltskosten bei Heilbehelfen S 2.000,‑-

Selbstbehaltskosten bei Sozialversi-

cherungsleistungen S 20.000,‑-

Kosten für Krankenbesuche, Fahrtkosten S 7.000,‑‑.

Darüber hinaus begehrt er die Feststellung, daß ihm die Beklagten für sämtliche Folgen aus dem Unfall haften. Der Kläger stützt sich darauf, daß die Beklagten die Aufsicht über ihre Kinder (bzw Enkel) und den Kläger vernachlässigt haben. Sie hätten in der Vergangenheit geduldet, daß der Kläger auf ihrem Anwesen spielte. Es sei damit zu rechnen gewesen, daß die Kinder auch mit der Spielhütte spielen. Die Eltern des Klägers und die Beklagten hätten in der Vergangenheit jeweils wechselweise die Aufsicht über die Kinder übernommen, je nachdem, auf welchem Anwesen sie gerade gespielt hätten. Die 200 kg schwere Frontladerverlängerung sei so aufgestellt gewesen, daß sie leicht umfallen konnte. Es sei damit eine Gefahrenquelle geschaffen worden. Der Kläger habe beim Unfall schwere Verletzungen am rechten Bein erlitten; es bestünden Dauerfolgen und es seien auch weitere Operationen notwendig.

Die Beklagten wendeten ein, daß die Drittbeklagte vor dem Unfall davon ausgehen hätte können, daß der Kläger wieder nach Hause gegangen sei. Nicht die Beklagten, sondern die Mutter des Klägers hätte die Aufsichtspflicht über den Kläger verletzt. Die Frontladerverlängerung sei nicht umgefallen, sondern durch das Festhalten des Klägers weggerutscht. Das begehrte Schmerzengeld sei überhöht.

Das Erstgericht wies das Zahlungs‑ und Feststellungsbegehren des Klägers unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes ab. In seiner rechtlichen Beurteilung ging es davon aus, daß die Drittbeklagte vor dem Unfall davon ausgehen konnte, daß der Kläger nach Hause gehen werde. Schon aus diesem Grund sei keine Aufsichtspflicht über den Kläger auf sie übergegangen. Generell sei die Aufsichtspflicht der Eltern insbesondere vom Alter der Kinder, ihrem üblichen Verhalten, der Vorhersehbarkeit von Gefahren und davon abhängig, was von Eltern in der gegebenen Situation vernünftigerweise verlangt werden könne. Die Aufsichtspflicht dürfe nicht überspannt werden. Im ländlichen Bereich sei es üblich, daß sich Kinder am Hof aufhalten und spielen, solange die Eltern zumindest in Rufweite arbeiten. Eine weitergehende Aufsichtspflicht würde die realen Verhältnisse auf einem Bauernhof verkennen. Eine Aufsichtspflichtverletzung des Erst‑ und der Zweitbeklagten für ihre Tochter liege nicht vor. Dem Erst‑ und der Zweitbeklagten sei damals nicht einmal bekannt gewesen, daß sich der Kläger zur Unfallszeit auf ihrem Anwesen aufgehalten habe.

Der Kläger könne sich auch nicht auf einen Verstoß der Beklagten gegen Verkehrssicherungspflichten stützen. Einem Landwirt müsse zugestanden werden, seine Geräte so unterzustellen, wie dies für deren Einsatz einigermaßen zweckmäßig sei. Die Frontladerverlängerung sei so schwer gewesen, daß sie von einem Erwachsenen nur mit ganz erheblicher Kraftanstrengung bewegt werden konnte. Der Erstbeklagte hätte daher nicht damit rechnen müssen, daß sie von Kindern zum Umkippen gebracht werden könne. Ein Absperren des Nebengebäudes könne nicht verlangt werden. Es sei Landwirten nicht zumutbar, alle Räumlichkeiten des Hofes, in denen sich landwirtschaftliche Arbeitsgeräte befinden, ständig versperrt zu halten.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich das Berufungsgericht an der oberstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert habe und die zu lösenden Rechtsfragen über den Einzelfall hinaus nicht von Bedeutung seien. Das Berufungsgericht verneinte in rechtlicher Hinsicht ebenfalls eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagten. Die Überwachung von Kindern auf Schritt und Tritt könne in der Regel nicht verlangt werden. Die Möglichkeit des Spielens im Freien müsse, wenn es mit den örtlichen Verhältnissen irgendwie vereinbar sei, auch Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren erhalten bleiben. Eine vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht durch die Beklagten hinsichtlich des Klägers sei nie erfolgt. Die Eltern des Klägers hätten die Aufsicht gar nicht auf die Beklagten übertragen wollen. Der Kläger sei vielmehr in der Vergangenheit von seiner Mutter zurückgeholt worden, wenn er sich vom unmittelbaren Hofbereich entfernt habe. Daß von den Beklagten die Anwesenheit des Klägers am Hof geduldet worden sei, sei keine rechtsgeschäftliche Erklärung zur Übernahme der Aufsicht über den Kläger gewesen.

Die Beklagten hätten auch keine Verkehrssicherungspflichten verletzt. Eine Haftung der Drittbeklagten scheide schon deshalb aus, weil sie weder Miteigentümer der Landwirtschaft gewesen sei noch die Frontladerverlängerung im Nebengebäude verwahrt habe. Der Erstbeklagte habe sich nach dem Anlehnen der Frontladerverlängerung an einen Stützpfeiler davon überzeugt, daß ein Wegkippen nur unter erheblicher Kraftanstrengung möglich sei. Er hätte damit für eine ausreichende Sicherheit im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes gesorgt. Eine andere Art der Verwahrung könne nicht verlangt werden. Eine besondere Warnpflicht hätte den Erst‑ und die Zweitbeklagte nicht getroffen, weil sie von der Anwesenheit des Klägers gar nichts gewußt hätten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung begehrt.

 

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil wesentliche Feststellungsmängel zur Frage der Haftung wegen Schaffung einer Gefahrenquelle vorliegen. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Soweit der Revisionswerber den Beklagten allerdings eine Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 1309 ABGB vorwirft, ist ihm allerdings nicht zu folgen; es kann insoweit auf die Ausführungen der Vorinstanzen verwiesen werden, die eine derartige Verletzung mit zutreffender Begründung verneinten (§ 510 Abs 3 ZPO). Richtig verwiesen die Vorinstanzen darauf, daß sich das Maß der von den Eltern zu leistenden Aufsichtspflicht nach dem bestimmt, was nach Alter und Entwicklung des Kindes von verständigen Eltern in Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Geschäftspflichten und Berufspflichten erwartet werden kann. Die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien muß, wenn es mit den Verkehrsverhältnissen nur irgendwie vereinbar ist, Kindern erhalten bleiben. Eine ständige Beobachtung spielender Kinder kann normalerweise ohne begründete Besorgnis im Einzelfall nicht verlangt werden; insbesondere im ländlichen Bereich entspricht es den Anschauungen des Verkehrs, daß Kinder ab einem gewissen Alter beim Spielen nicht ständig auf Schritt und Tritt überwacht werden (SZ 44/8; EvBl 1978/52; JBl 1982, 149; ZVR 1982/109; ZVR 1984/324; ZVR 1990/156 ua).

Zur Verletzung der Aufsichtspflicht bringt der Revisionswerber nichts vor, was im konkreten Fall ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung rechtfertigen könnte. Auf die spezielle Gefahrenlage, die von der Frontladerverlängerung ausging, wird jedoch noch näher einzugehen sein.

Soweit der Revisionswerber von einer rechtsgeschäftlichen Übernahme der Aufsicht über den Kläger insbesondere durch die Drittbeklagte ausgeht, entfernt er sich von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Richtig verwiesen die Vorinstanzen darauf, daß die Eltern des Klägers von den Beklagten nie die Übernahme der Aufsicht über ihren Sohn verlangten; der Kläger wurde vielmehr vom Anwesen der Beklagten zurückgeholt, wenn seine Mutter sein Verschwinden bemerkte. Wenn der Revisionswerber geltend macht, daß er von der Drittbeklagten persönlich zu seinen Eltern zurückgebracht hätte werden müssen, wird übersehen, daß er von seinen Eltern nie der Drittbeklagten persönlich übergeben worden war, sondern sich schon in der Vergangenheit offenbar je nach Lust und Laune in Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit seiner Eltern zwischen den beiden Anwesen hin‑ und herbewegte. Das gesprächsweise Anbot der Drittbeklagten in der Vergangenheit, auf den Kläger aufzupassen, war in der hier erfolgten Form viel zu unbestimmt und im übrigen von den Eltern des Klägers ‑ abgesehen von hier nicht relevanten Spaziergängen ‑ auch nie angenommen worden. Um im Einzelfall die grundsätzliche Bereitschaft zur Aufsicht in Anspruch zu nehmen, hätte der Kläger der Drittbeklagten eindeutig zur Aufsicht übergeben werden müssen; keinesfalls wurde eine Aufsichtspflicht schon mit dem bloßen Betreten des Grundstücks der Beklagten durch den Kläger aktiviert.

Die Frage eines Auswahlverschuldens des Erst‑ und der Zweitbeklagten hinsichtlich der Drittbeklagten stellt sich nach den getroffenen Feststellungen nicht.

Die Verkehrssicherungspflicht verpflichtet grundsätzlich denjenigen, der eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen läßt, dafür zu sorgen, daß daraus anderen Personen kein Schaden entsteht; d.h., er hat die erforderlichen Vorkehrungen gegen eine Schädigung Dritter zu treffen (SZ 55/180; SZ 60/256; EvBl 1994/8 mwN). Jeder ist für abstrakt gefährliche Zustände in seiner Sphäre verantwortlich (Koziol, ÖHR2 II 59 f). Diese Verpfilchtung trifft jenen, der die Gefahr beherrscht (Larenz, Schuldrecht BT13 418). Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht verlangt Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter durch die Schaffung einer Gefahrenlage verletzt werden können. Die Verkehrssicherungspflicht fließt nicht aus dem Privateigentum am Grundstück, sondern aus der mit der Benützung des Grundstückes verbundenen objektiven Gefahrenlage (vgl SZ 41/146; SZ 47/124). Die Verkehrssicherungspflichten sind noch strenger, wenn spielende Kinder in den Gefahrenbereich kommen (EFSlg 38.557; JBl 1990, 113; 1 Ob 544/81, 8 Ob 567/84). Bei diesem Sonderstatus der Kinder ist auch immer dem typisch kindlichen Ungehorsam Rechnung zu tragen (Mertens in MünchKomm3 Rz 219 zu § 823 BGB). Voraussetzung der Annahme einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist allerdings immer, daß die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (SZ 58/13; SZ 60/256 mwN). Je größer die Gefährlichkeit, desto höhere Sorgfaltsanforderungen (Koziol aaO 62). Daß sich eine Gefahr nicht gleich verwirklicht, nimmt der Belastung des als gefährlich erkennbaren und mit zumutbaren Maßnahmen zu beherrschenden Zustandes die Eigenschaft der Fahrlässigkeit nicht.

Nach den Feststellungen sind der Erst‑ und die Zweitbeklagte Eigentümer des Anwesens, auf dem sich der Unfall des Klägers ereignete. Im Unfallszeitpunkt (Oktober 1991) war der Kläger 3 1/2 Jahre bzw die ältere Tochter des Erst‑ und der Zweitbeklagten Barbara 9 Jahre alt. Dem Erst‑ und der Zweitbeklagten war aus der Vergangenheit bekannt, daß sich der Kläger fallweise zum Spielen auf ihrem Anwesen aufhielt. Ein diesbezügliches Verbot wurde von ihnen nie ausgesprochen. Nachdem das Nebengebäude, in dem sich die Frontladerverlängerung befand, über kein Tor verfügte, sondern ständig offen und vom Hof aus frei zugänglich war, war es auch vorhersehbar, daß der Kläger eines Tages in den Gefahrenbereich der an einen Pfeiler angelehnten Frontladerverlängerung geraten könnte. Tatsächlich hatte sich der Kläger auch schon einige Tage vor dem Unfall in diesem Nebengebäude aufgehalten, als er vom Erstbeklagten beim Herumklettern auf den dort gelagerten Strohballen gesehen wurde.

In der gegenwärtigen Situation war damit zu rechnen, daß sich der Kläger eines Tages im allfälligen Zusammenwirken mit den Kindern des Erst‑ und der Zweitbeklagten an der Frontladerverlängerung zu schaffen macht. Den beiden Kindern gelang es, beim Herumzerren eine Frontladerverlängerung, die normalerweise auch von einem Erwachsenen nur unter "erheblicher" Kraftanstrengung bewegt werden kann, umzukippen. Wenn damit gerechnet werden muß, daß Kinder im Gefahrenbereich spielen (hier noch verstärkt durch die ebenfalls im Nebengebäude speziell für die Kinder zum Spielen aufgestellte Spielhütte), müssen besondere Maßnahmen zum Schutz der Kinder gefordert werden (vgl VersR 1957, 805; VersR 1959, 858; VersR 1963, 530; VersR 1973, 621; FamRZ 1970, 553 ua).

Aus dem Umstand allein, daß die Frontladerverlängerung von der Wand wegkippte, kann noch nicht auf ein Verschulden des Erstbeklagten geschlossen werden. Maßgeblich ist auch bei Schaffung einer Gefahrenlage die Erkennbarkeit der Gefahr (JBl 1978, 378; SZ 52/33; SZ 58/13; Schwimann/Harrer ABGB2 VII Rz 42 zu § 1295; Möllers in VersR 1996, 153 [159]). Selbst wenn man bei der Gefährdung von Kindern strenge Sorgfaltsanforderungen stellt, wird es nach dem bisher festgestellten Sachverhalt insbesondere darauf ankommen, in welchem Winkel die Frontladerverlängerung angelehnt war. Es ist davon auszugehen, daß sie umso leichter umkippen konnte, je steiler sie angelehnt war. Aus dem Umstand, daß der Erstbeklagte zum Ergebnis gekommen war, daß ein Kippen nur "unter erheblicher Kraftanstrengung" möglich war, läßt noch nicht den Schluß zu, daß ihm bei dieser Überprüfung kein vorwerfbarer Irrtum unterlaufen sei. Im fortgesetzten Verfahren wird daher die Art der Aufstellung präzise mit den Parteien zu erörtern und an Hand der Kindern möglichen Kräfte zu prüfen sein, inwieweit für den Erstbeklagten bei der von ihm gewählten Art der Aufstellung eine Gefahr für Kinder erkennbar war.

Bejaht man eine Haftung des Erstbeklagten, weil sich ergibt, daß er nicht nur eine Gefahrenquelle schuf und die Gefahrenlage beherrschte, sondern für ihn auch die Gefahr erkennbar war, so werden auch noch weitere Feststellungen über das "Naheverhältnis" der Zweitbeklagten zur Gefahrenquelle zu treffen sein. Bisher steht nur fest, daß sie Grundeigentümer war (ist) und daß ihr bekannt war, daß der Kläger in der Vergangenheit öfter zum Spielen kam und auch mit der Spielhütte spielte. Nach den Feststellungen stand die Frontladerverlängerung etwa ein bis zwei Wochen lang an jenem Platz, an dem es schließlich zum Unfall kam. Weitere Feststellungen, aufgrund denen abschließend beurteilt werden kann, ob die Zweitbeklagte die Gefahrenlage kannte und dennoch bestehen ließ, fehlen bisher, obwohl der Kläger in der Klage behauptete, daß die Frontladerverlängerung von den Beklagten so steil aufgestellt worden war, daß sie leicht umfallen konnte und damit auch zu rechnen war. Andere Haftungsgründe wurden bisher nicht behauptet.

Die Überlegungen der Vorinstanzen, Landwirten wäre es nicht zumutbar, ihre Nebengebäude ständig versperrt zu halten, greifen im vorliegenden Fall nicht. Das Zusperren des Nebengebäudes wäre ‑ andere Gefahren wurden hier nicht bekannt ‑ nicht die einzige Alternative zum Schutz der Kinder gewesen; es hätte genügt, die Frontladerverlängerung so zu verwahren, daß sie nicht erkennbar von zwei Kindern umgekippt werden konnte. Sie kindergerecht gegen ein Umkippen zu sichern, muß vom Grundeigentümer, dessen Anwesen auch den Nachbarkindern zum Spielen offensteht, und für den die Gefahr erkennbar war, verlangt werden und bedeutet keine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht (vgl NJW 1975, 108).

Zusammenfassend muß der Revision des Klägers hinsichtlich der Drittbeklagten, die weder eine Aufsichtspflicht noch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat, ein Erfolg versagt bleiben. Die geänderten Kostenentscheidungen der Vorinstanzen beruhen insoweit auf den §§ 41, 46 ZPO; jene hinsichtlich der Revisionskosten auf den §§ 41, 46, 50 ZPO. Der Kläger hat der obsiegenden Drittbeklagten, die gemeinsam mit dem Erst‑ und der Zweitbeklagten durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, ein Drittel der Verfahrenskosten zu ersetzen (Klinger in WR 1988 H 20, 19; AnwBl 1976, 414).

Hinsichtlich des Erst‑ und der Zweitbeklagten war mit einer Aufhebung und Zurückverweisung an die erste Instanz vorzugehen, weil zufolge anderer rechtlicher Beurteilung wesentliche Feststellungen zur abschließenden Klärung der Sache fehlen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

 

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