OGH 2Ob275/68

OGH2Ob275/686.11.1968

SZ 41/146

Normen

ABGB §§1295 ff
ABGB §1315
StVO §1
StVO §2 (1) Z1
StVO §98
ABGB §§1295 ff
ABGB §1315
StVO §1
StVO §2 (1) Z1
StVO §98

 

Spruch:

Umfang der Streupflicht des Friedhofseigentümers.

Entscheidung vom 6. November 1968, 2 Ob 275/68.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger stürzte am 7. Jänner 1968 gegen Mittag auf einem nicht bestreuten Weg des im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Friedhofes und verletzte sich dabei schwer.

Er begehrt von der Beklagten mit der Behauptung, diese habe ihre Streupflicht verletzt, die Zahlung eines Schmerzengeldes sowie Ersatz für Heilungskosten und Verdienstentgang.

Die beklagte Gemeinde bestritt nach Grund und Höhe.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Es stellte folgenden Sachverhalt fest;

Innerhalb des Friedhofes befinden sich keinerlei Verkehrszeichen. Neben dem Friedhofseingang ist an der Außenmauer in Augenhöhe eine weiße Blechtafel im Ausmaß von etwa 50 X 90 cm mit der Aufschrift "Kundmachung" und einem Text von 23 Zeilen in schwarzen Buchstaben angebracht. Die 21. Zeile lautet: "Bei Glatteis nur bestreute Wege betreten". Der Kläger ging vom Friedhofseingang über den Vorplatz, bog anschließend nach rechts in den breiten Weg nach Norden ein, setzte seinen Weg zwischen den Soldatengräbern im rechten Winkel nach Westen fort und besuchte das Grab seines Vaters westlich der Kriegergrabstätte. Dieser Hinweg des Klägers war bestreut. Weil auf dem gewählten Hinweg östlich der Kriegergrabstätte eine Eisplatte war, wählte der Kläger von der Kriegergrabstätte an einen anderen Rückweg. Er bog beim Denkmal in den nach Süden führenden breiteren Weg ein. Dieser war vom nördlichen Beginn der Gräberreihe an nicht bestreut, der Schneelage nach aber für Fußgänger begehbar. Die Unfallstelle liegt bei der Einmundung dieses Weges in den anschließend ostwärts zum Friedhofseingang führenden breiten Weg. In der Nacht zum Unfallstag hatte es nicht mehr geschneit, am Vormittag des 7. Jänner 1968 hatte es schwach zu schneien begonnen.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß keinerlei Streupflicht der beklagten Gemeinde gegenüber dem Kläger bestehe. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen der §§ 93 (1), 2 (1) Z. 10 und 11, 1 und 2 (1) Z. 1 StVO. 1960 liege bei einem Friedhof eine Widmung für den öffentlichen Verkehr nicht vor. Ein Friedhof sei auch kein gefährlicher Betrieb im Sinn des Reichshaftpflichtgesetzes. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1964 Nr. 402 sei lediglich eine Streupflicht gegenüber dem Teilnehmer an einem Begräbnis statuiert, die Frage der Streupflicht gegenüber sonstigen Friedhofsbesuchern - wie dem Kläger - dahingestellt gelassen worden. Der Gründeigentümer könne seine Streupflicht grundsätzlich nur durch seine Friedhofsverwalter und - arbeiter ausführen. Daß diese vorliegend untüchtig im Sinn des § 1315 ABGB. gewesen seien, habe der Kläger nicht behauptet. Selbst bei Annahme einer allgemeinen Streupflicht aus dem Naturrecht im Sinn der natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB. müsse diese auf ein zeitlich und örtlich vertretbares Maß eingeschränkt werden. Dies sei durch den auf das Glatteis bezüglichen Satz der Kundmachung geschehen. Der Kläger habe einen schon lang vor der Sturzstelle als unbestreut kenntlichen Weg gewählt, obwohl er den bedenklichen Zustand der Wege erkannt habe.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf Grund folgender Erwägungen auf:

Ein Friedhofsweg sei eine Straße im Sinn der Begriffsbestimmung des § 2 (1) Z. 1 StVO. 1960. § 93 (1) StVO. 1960, der die Liegenschaftseigentümer nur verpflichtet, dem öffentlichen Verkehr dienende Gehsteige usw. zu bestreuen, könne nicht einfach auf Wege ohne öffentlichen Verkehr im Sinn des § 1 (2) StVO. 1960 ausgedehnt werden. Auch aus den - vom Kläger in der Berufung herangezogenen - Bestimmungen des Reichssanitätsgesetzes und der niederösterreichischen Gemeindeordnung ergebe sich nichts für eine Haftung der Beklagten. Die Verpflichtung zum Schadenersatz setze andererseits nicht die Übertretung einer positiven Gesetzesbestimmung voraus, sie bestehe gemäß § 1295 ABGB. bei Verursachung eines Schadens durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten. Rechtswidrig sei aber nicht nur der Verstoß gegen eine ausdrückliche Norm, sondern auch gegen den Normenzweck bzw. gegen oberste Rechtsgrundsätze. Zu letzteren gehöre es, daß, wer eine Gefahrenquelle schaffe, nach Tunlichkeit die zur Schadensverhütung notwendigen Vorkehrungen treffe. Entsprechend diesem Grundsatz habe jeder Liegenschaftseigentümer für die Verkehrssicherheit zu sorgen, wenn er auf seinem Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffne. Die beklagte Gemeinde sei daher grundsätzlich verpflichtet, die Friedhofswege zu bestreuen. Nur bei Annahme einer solchen Verpflichtung habe sie auch Anlaß zur Aufnahme des Satzes betreffend das Glatteis in die Kundmachung gehabt. Mit dieser Kundmachung sei die Verpflichtung der Beklagten nicht schlechtweg ausgeschlossen worden. Der erwähnte Satz setze implicite das Vorhandensein ordnungsgemäß bestreuter Wege voraus. Die Beklagte lehne es lediglich ab, bei Glatteis sämtliche Wege zu streuen. Die Kundmachung begrunde keine Abweichung von der ohnedies bestehenden Gesetzeslage. Zur Beurteilung der Frage, ob bei der grundsätzlichen Streupflicht der Beklagten, die je nach der Frequenz des Besucherverkehrs auf die Hauptwege zu beschränken sein dürfte, das unbestreut gebliebene Wegstück, an dessen Südende der Kläger gestürzt sei, zu streuen gewesen wäre, fehle es an ausreichenden Feststellungen. Auch wenn das vom Kläger zur Unfallstelle benützte Wegstück zu streuen gewesen wäre, könnte er am Unfall allein schuld sein, sofern er trotz ordnungsgemäßer Bestreuung des Hinweges einen anderen, für ihn erkennbar gefährlicheren Rückweg gewählt haben sollte. Es müsse daher noch festgestellt werden, daß die subjektive Meinung des Klägers, der wegen der Eisplatte einen anderen Rückweg gewählt habe, objektiv unbegrundet gewesen sei, um davon ausgehen zu können, daß der Hinweg ordnungsgemäß bestreut gewesen sei. Zu erörtern sei schließlich die Frage der Haftung der Beklagten für ein allfälliges Verschulden des Friedhofsaufsehers nach Maßgabe des § 1315 ABGB., sofern sie sich desselben bei der Besorgung der ihr obliegenden Streuung bedient habe. Dies habe das Erstgericht zwar faktisch unterstellt, die dafür beweispflichtige beklagte Gemeinde aber gar nicht behauptet. Das Fehlen prozessualen Vorbringens in erster Instanz zu dieser Frage führe gleichfalls zur Aufhebung des Ersturteils.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Gemeinde nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vergeblich wendet sich der Rekurs gegen die Annahme des Bestehens einer grundsätzlichen Streupflicht der Beklagten. Es bedarf nicht der Annahme des Bestehens eines "obersten Rechtsgrundsatzes" betreffend die Streupflicht der Beklagten auf dem Friedhof. Gemäß § 1295 ABGB. ist jedermann berechtigt, vom Beschädiger den Ersatz des aus Verschulden zugefügten Schadens zu fordern, gleichgültig, ob der Schade durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht wurde. Aus dieser Bestimmung hat die Rechtsprechung den Begriff der Verkehrssicherungspflicht entwickelt. Hienach hat, wer auf einem Grundstück - und sei es auch ein Privatgrundstück - einen Verkehr eröffnet, für die Verkehrssicherheit zu sorgen. Als Verfügungsberechtigter und infolge der Zulassung eines Verkehrs zur privatwirtschaftlichen Obsorge Verpflichteter hat er alles vorzukehren, um die Sicherheit der Verkehrsfläche herzustellen und zu erhalten (vgl. Anm. 10 zu § 98 StVO, 1960 in der 3. Auflage der von Dittrich - Veit - Schuchlenz besorgten Gesetzesausgabe). Denn dadurch, daß das Grundstück für die Allgemeinheit, sei es als Weg, sei es in anderer Form, zur Benützung freigegeben wird, kann es, wenn es in schlechtem Verkehrszustand ist, eine Gefährdung der Allgemeinheit bedeuten. Dies trifft nicht nur für Straßen (§ 2 (1) Z. 1 StVO. 1960) mit öffentlichem Verkehr (§ 1 (1) StVO. 1960), sondern auch für solche ohne öffentlichen Verkehr (§ 1 (2) StVO. 1960) zu. Es kann auch nur ein beschränkter Verkehr eröffnet werden, also ein Verkehr nicht für die Allgemeinheit schlechthin, sondern nur für einen bestimmten Kreis von Interessenten. In diesem Fall besteht eben die Verkehrssicherungspflicht nur gegenüber jenen Personen, für die der Verkehr eröffnet wird. Als Ausfluß der sonach bestehenden Verkehrssicherungspflicht trifft den Straßenerhalter auch die Streupflicht. Ihre Verletzung ist unerlaubte Handlung (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß[13] 11, 90).

Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß die beklagte Gemeinde, die in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben einen Friedhof unterhält und auf diesem einen Verkehr für seine Besucher eröffnet hat, nach zivilrechtlichen Grundsätzen wegen schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, in concreto der Streupflicht, haftet, wenn dadurch ein Besucher im Rahmen des normalen Besucherverkehrs zuschanden gekommen ist. In diesem Rahmen fallen entgegen der im Rekurs vertretenen Ansicht selbstverständlich nicht nur Teilnehmer an einem Begräbnis, sondern auch sonstige Besucher, die aus erlaubtem Eigeninteresse den Friedhof betreten.

Dem Rekurs ist zuzugeben, daß das Tatsachenvorbringen des Klägers in bezug auf eine Haftung der beklagten Gemeinde im Sinne des § 1315 ABGB. dürftig war. Es ließ jedoch unmißverständlich erkennen, daß die Haftung der Beklagten wegen Vernachlässigung der Streupflicht in Anspruch genommen wird. Einer ausdrücklichen Behauptung, die Beklagte habe sich zur Besorgung ihrer Angelegenheiten einer untüchtigen oder wissentlich gefährlichen Person bedient, bedurfte es nicht. Denn gemäß § 226 (1) ZPO. hatte der Kläger lediglich Tatsachen zu behaupten (und Beweise anzubieten), er war jedoch nicht gehalten, den zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalt rechtlich zu qualifizieren.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die beklagte Partei habe ihre Haftung nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Bürgermeister in der neben dem Eingangstor zum Friedhof angebrachten Kundmachung die Friedhofsbesucher aufforderte, bei Glatteis nur bestreute Wege zu betreten, bekämpft der Rekurs lediglich mit dem Argument, diese Befugnis ergebe sich aus dem Eigentum der Beklagten. Darauf ist jedoch zu erwidern, daß die Verkehrssicherungspflicht nicht aus dem Privateigentum am Grundstück fließt, sondern sich aus der mit der Benützung des Grundstückes entstehenden objektiven Gefahrenlage ergibt (Geigel, a.a.O. 11, 12). Zur Frage eines Haftungsausschlusses oder einer Haftungsbegrenzung ist aber grundsätzlich zu sagen, daß ein entsprechendes Schild das Zustandekommen eines Ausschlusses oder einer Begrenzung der Haftung zur Folge haben kann (vgl. Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[9] S. 536 ff.). Allein den Umfang einer Haftungseinschränkung kann der zur Obsorge Verpflichtete nicht nach Willkür bestimmen. Eine Einschränkung der Haftung hat ihre Grenze an dem dem Sicherungspflichtigen Zumutbaren. Der mit der Verkehrssicherungspflicht Belastete ist verpflichtet, eine ihm zumutbare Organisation zur Erfüllung der die Verkehrssicherheit gewährleistenden Maßnahmen zu schaffen und zu unterhalten. Das Fehlen oder die Mangelhaftigkeit einer solchen Organisation würde ein Eigenverschulden der Beklagten - unabhängig von einer allfälligen Haftung nach § 1315 ABGB. - begrunden.

Richtig ist, daß die Streupflicht wie im allgemeinen so auch auf Friedhöfen ihre Grenze in dem dem Verpflichteten Zumutbaren hat. Diesfalls hat das Berufungsgericht eine Ergänzung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen für erforderlich befunden. Die Entscheidung in dieser Richtung steht allein dem Berufungsgericht als letzter Tatsacheninstanz zu.

Die Rekursausführungen sind somit nicht geeignet, einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes, das das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht für ergänzungsbedürftig fand, aufzuzeigen.

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