Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmitttels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 2.12.1944 geborene Klägerin hat eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Nach der Lehrabschlußprüfung war sie in den Jahren 1962 - 1964 als Verkäuferin bzw in den Jahren 1965 - 1968 als Wochenmarktaushilfe tätig. Seit 1969 ist die Klägerin selbständige Marktfierantin. Sie betreibt zwei Marktstände an verschiedenen Standorten, und zwar einen Marktstand selbst, den zweiten durch den bei ihr angestellten Ehegatten. Die Klägerin kann aufgrund verschiedener gesundheitlicher Leiden nur noch leichte und mittelschwere Arbeiten verrichten. Ausgeschlossen ist andauerndes ruhiges Stehen oder Sitzen. Längerdauerndes Stehen ist ihr jedoch möglich, wenn sie Kompressionsstrümpfe trägt und Gelegenheit hat, Ausgleichsbewegungen mit den Füßen zu machen. Forciertem Arbeitstempo ist sie bis zur Hälfte des Tages gewachsen. Aufgrund ihres medizinischen Leistungskalküls wird die Klägerin nicht mehr allen Anforderungen gerecht, insbesondere den gelegentlich anfallenden schweren Arbeiten, die bei einem Marktfieranten anfallen. Mit einem Beschäftigten, an den sie schwere Arbeiten delegieren könnte, wäre die Klägerin aber noch in der Lage, als Kleinhandelskauffrau einen Kleinbetrieb (Handel mit Obst und Gemüse) zu führen.
Mit Bescheid vom 21.3.1995 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 29.9.1994 auf Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension ab. Erwerbsunfähigkeit sei bei der Klägerin weder nach § 133 Abs 1 GSVG (Stichtag 1.10.1994) noch nach § 133 Abs 2 GSVG ab 1.1.1995 gegeben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, der Klägerin ab Antragstellung eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Die Klägerin, die am 2.12.1994 das 50. Lebensjahr vollendet habe, sei weder nach § 133 Abs 1 GSVG noch nach § 133 Abs 2 GSVG erwerbsunfähig. Es komme nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit in der bisherigen Betriebsstruktur an. Der Klägerin sei es zumutbar, ein Geschäft mit einem Angestellten an einem fixen Standort zu betreiben.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Bis zum 31.12.1994 müsse sich die Klägerin gemäß § 133 Abs 1 GSVG auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen. Die geltend gemachte Erwerbsunfähigkeit sei aber auch ab dem auf die Vollendung des 50. Lebensjahres folgenden 1.1.1995 zu verneinen, weil die Klägerin noch einen Obst- und Gemüsehandelskleinbetrieb mit einem Arbeitnehmer betreiben könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin - erkennbar aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung - mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionswerberin macht geltend, daß sie nicht auf eine selbständige Erwerbstätigkeit verwiesen werden könne, die das Vorhandensein eines größeren und modern eingerichteten Betriebes voraussetzen würde, zumal sie jahrzehntelang Marktstände betrieben habe. Die von ihr geforderte Umstrukturierung auf eine ortsfeste Anlage mit einem Arbeitnehmer entspreche keiner wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Das wirtschaftliche Überleben des Marktfierantengewerbes der Klägerin sei bislang nur dadurch gewährleistet gewesen, daß zwei fahrende Marktstände an verschiedenen Orten betrieben worden seien, zumal die Nachfrage in einer Obst- und Gemüsehandlung bei einer ortsfesten Anlage nicht gegeben sei. Da die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, als selbständige Marktfierantin zu arbeiten, könne sie ihren Beruf nicht mehr wirtschaftlich vernünftig ausüben.
Diese Argumentation ist im Ergebnis nicht zielführend.
Bis zum 31.12.1994 ist die Frage der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nach § 133 Abs 1 GSVG zu beurteilen. Erwerbsunfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung liegt nur dann vor, wenn der Versicherte gänzlich unfähig ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen (SSV-NF 8/83). Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall.
Bei der Klägerin ist aber auch ab dem auf die Vollendung des 50. Lebensjahres folgenden Monatsersten Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG nicht gegeben. Nach dieser Gesetzesbestimmung (idF der 19. Novelle BGBl 1993/336) wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Versicherten zuletzt ausgeübten erfordern. Die Verweisungstätigkeit muß keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab (dies sind Umstände, die im Falle des § 131c GSVG von Bedeutung wären), sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Dem Versicherten soll bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, sich völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NV 9/22, 9/56).
Im vorliegenden Fall geht es um die Verweisung einer gelernten Einzelhandelskauffrau, die als Marktfierantin tätig war und zwei Marktstände (Handel mit Obst und Gemüse) betrieb.
Einzelhandelskaufleute führen in Einzelhandelsbetrieben (Fachgeschäften, Kaufhäusern, Einkaufszentren usw) den Einkauf, die Lagerung und den Verkauf von Waren sowie die damit verbundenen kaufmännisch-adminstrativen Tätigkeiten (Bürotätigkeiten) durch. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist der Verkauf von Waren an die Endabnehmer (vgl Berufslexikon Band 1 "Lehrberufe", herausgegeben vom Arbeitsmarktservice Östereich 1997, 111). Nach der Ausbildung der Klägerin und ihren vorauszusetzenden Kenntnissen und Fähigkeiten ist ihre Verweisbarkeit im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG aber nicht auf den Beruf eines Obst- und Gemüsehändlers beschränkt. Wie der Oberste Gerichtshof in einem ähnlich gelagerten Fall erst kürzlich entschieden hat (30.9.1997, 10 ObS 256/97p), kann die Klägerin als gelernte Einzelhandelskauffrau auf alle vergleichbaren (selbständigen) Einzelhandelstätigkeiten (Handelsgewerbe im Sinne des § 124 Z 11 GewO) verwiesen werden, die mit ihrem medizinischen Leistungskalkül zu vereinbaren sind, also im wesentlichen auf Tätigkeiten, die ohne das Erfordernis schwerer Arbeiten ausgeübt werden können. Bereits die Entscheidung 10 ObS 28/97h bejahte etwa die Verweisbarkeit einer Marktfahrerin auf den stationären Textilhandel mit einem solchen Warensortiment, welches das Heben und Tragen schwerer Lasten nicht erfordert. Für die Beurteilung des Verweisungsfeldes nach § 133 Abs 2 GSVG kommt es, wie der Senat in der Entscheidung 10 Ob S 73/97a (betreffend die Verweisbarkeit einer Taxiunternehmerin) begründet hat, nicht auf das Vorliegen eines "Arbeitsmarktes" und insbesondere auch nicht auf die Zahl jener Unternehmen an, die das betreffende Gewerbe betreiben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die selbständig ausgeübte Verweisungstätigkeit unter Berücksichtigung des Marktes eine wirtschaftliche vertretbare Betriebsführung ermöglicht (10 ObS 382/97t). Daß es zahlreiche Handelsbetriebe gibt, die keine schweren Arbeiten erfordern und daher mit dem medizinischen Leistungskalkül der Klägerin auch ohne einen weiteren Bediensteten wirtschaftlich geführt werden können, ist offenkundig.
Das Problem "realitätsfremder Verweisungen" auf Museumsdiener, Portiere oder Kunststoffentgrater stellt sich entgegen der Behauptung der Revision nicht (vgl Rudda in ZAS 1994, 119).
Daß der Berufsschutz nach dem GSVG in anderer Weise geregelt ist als nach dem ASVG und die Voraussetzungen hiefür allenfalls strenger sind, erweckt - wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen hat - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG. Bei den Versicherungen nach dem ASVG, dem GSVG und den anderen Sozialversicherungsgesetzen handelt es sich jeweils um geschlossene Systeme, die Regelungen für die in die einzelnen Gesetze einbezogenen Riskengemeinschaften treffen; auch die Finanzierung des Aufwandes ist unterschiedlich. Ein Vergleich der Lage der nach dem GSVG Versicherten mit den nach dem ASVG Versicherten in bezug auf einzelne Rechtsfolgen ist nur unter besonderen Umständen zulässig. Solche Umstände treten bei der Statuierung der Voraussetzungen für den Berufsschutz im § 133 Abs 2 GSVG nicht zutage (SSV-NF 5/55, 6/51, 7/31; RIS-Justiz OGH RS 0108283).
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; besondere Billigkeitsgründe, die trotz vollständigen Unterliegens der Klägerin in allen drei Instanzen einen Kostenzuspruch gerechtfertigt hätten, sind nicht hervorgekommen.
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