OGH 10ObS256/97p

OGH10ObS256/97p30.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag.Gerhard Puschner und MR Dr.Richard Warnung (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarete S*****, ohne Beschäftigung,***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1053 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Paul Bachmann und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24.April 1997, GZ 7 Rs 48/97a-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.Oktober 1996, GZ 31 Cgs 40/96f-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 29.6.1941 geborene Klägerin ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Sie führte seit 1963 eine Gemischtwarenhandlung, die aus einem Verkaufsraum und einem Magazin von zusammen 70 m2 bestand und in der neben der Klägerin noch eine Teilzeitkraft beschäftigt war. Mit 31.12.1995 legte sie das Gewerbe zurück. Sie kann auf Grund verschiedener leidensbedingter Veränderungen nur noch leichte und halbtägig mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Dauerndes Gehen und Stehen sind um 2 Stunden eines Arbeitstages zu verkürzen und gleichmäßig auf diesen zu verteilen. Überkopfarbeiten, Bück- und Hebearbeiten sind um ein Drittel eines Arbeitstages zu verkürzen und gleichmäßig auf diesen zu verteilen. Arbeiten an exponierten Stellen scheiden aus, Steighilfen können jedoch benützt werden. Die Betriebsführung einer kleinen Gemischtwarenhandlung ist der Klägerin nicht mehr zumutbar, weil sie den dabei vorkommenden berufstypisch anfallenden schweren Hebe- und Transportarbeiten nicht mehr gewachsen ist. Eine Tätigkeit etwa als Trafikantin oder Zeitschriftenhändlerin (Kiosk) wäre ihr noch möglich.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab 1.1.1996 gerichtete Klagebegehren ab. Die Klägerin sei beispielsweise auf den Beruf einer Tabaktrafikantin zu verweisen und daher nicht erwerbsunfähig.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Klägerin habe am Stichtag das 50., nicht jedoch das 55. Lebensjahr vollendet, weshalb die Berechtigung ihres Anspruchs auf der Grundlage des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. Nov (BGBl 1993/336) zu prüfen sei. Als erwerbsunfähig gelte danach auch der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet habe und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen sei, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande sei, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordere, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt habe. Ein Tätigkeitsschutz solle dabei allerdings nicht bestehen. Die Verweisung der Klägerin als Gemischtwarenhändlerin auf die Tätigkeit einer Trafikantin sei auf Grund der ähnlichen Ausbildung sowie der gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten dieser Erwerbstätigkeiten grundsätzlich zulässig. Ein "freier Arbeitsmarkt" sei dabei nicht erforderlich, weil die Verweisung abstrakt zu erfolgen habe und sich die Klägerin grundsätzlich um eine freie Trafik bewerben könne.

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft die Klägerin lediglich ihre Verweisung auf den Beruf einer Tabaktrafikantin mit dem Argument, daß sie "nicht einmal theoretisch" die Chance habe, eine freie Trafik zu erlangen, weil die Tabakmonopolverwaltung bei der Vergabe behinderte Personen bevorzuge, weshalb kein freier Zugang zu diesem Beruf bestehe. Überdies sei fraglich, ob es überhaupt 100 Trafiken gebe, die an Nichtbehinderte vergeben würden.

Diese Argumentation ist im Ergebnis nicht zielführend. Anders als im Fall der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SSV-NF 10/56 geht es hier nicht um die Verweisung eines Tabaktrafikanten (der als selbständiger Friseurmeister eine sogenannte Verbundtrafik führte), sondern um die Verweisung einer gelernten Einzelhandelskauffrau, die eine Gemischtwarenhandlung betrieb. Einzelhandelskaufleute führen in Einzelhandelsbetrieben (Fachgeschäften, Kaufhäusern, Einkaufszentren usw) den Einkauf, die Lagerung und den Verkauf von Waren sowie die damit verbundenen kaufmännisch-administrativen Tätigkeiten (Bürotätigkeiten) durch. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist der Verkauf von Waren an die Endabnehmer (vgl Berufslexikon Band 1 "Lehrberufe", herausgegeben vom Arbeitsmarktservice Österreich 1997, 111). Nach der Ausbildung der Klägerin und ihren vorauszusetzenden Kenntnissen und Fähigkeiten ist ihre Verweisbarkeit im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG aber nicht auf den Beruf einer Tabaktrafikantin beschränkt. Schon das Erstgericht hat diesen Beruf nur beispielsweise genannt und im übrigen festgestellt, daß sie auch als Zeitschriftenhändlerin (in einem Kiosk) erwerbstätig sein könnte. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes kann die Klägerin als gelernte Einzelhandelskauffrau auf alle vergleichbaren (selbständigen) Einzelhandelstätigkeiten verwiesen werden, die mit ihrem medizinischen Leistungskalkül zu vereinbaren sind, also im wesentlichen auf Tätigkeiten, die ohne das Erfordernis des Hebens und Tragens schwerer Lasten ausgeübt werden können. Die Entscheidung 10 ObS 28/97h bejahte etwa die Verweisbarkeit einer Marktfahrerin auf den stationären Textilhandel mit einem solchen Warensortiment, welches das Heben und Tragen schwerer Lasten nicht erfordert. Daß es zahlreiche Handelsbetriebe gibt, die ein Hantierten mit schweren Lasten nicht erfordern, ist offenkundig. Für die Beurteilung des Verweisungsfeldes nach § 133 Abs 2 GSVG kommt es aber, wie der Senat in der Entscheidung 10 ObS 73/97a (betreffend die Verweisbarkeit einer Taxiunternehmerin) begründet hat, nicht auf das Vorliegen eines "Arbeitsmarktes" und insbesondere auch nicht auf die Zahl jener Unternehmen an, die das betreffende Gewerbe betreiben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die selbständig ausgeübte Verweisungstätigkeit unter Berücksichtigung des Marktes eine wirtschaftliche vertretbare Betriebsführung ermöglicht.

Da die Klägerin nach den dargelegten Grundsätzen noch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG ist (der Versicherungsfall des § 131c GSVG steht hier nicht zur Entscheidung), wurde ihr Klagebegehren mit Recht abgewiesen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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