Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab dem 1.9.1993 zu zahlen, wird abgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 11.7.1939 geborene Klägerin war von 1964 bis 1990 als Marktfahrerin tätig. Dabei mußte sie Markttische mit einem Gewicht von ca 17 bis 18 kg aufstellen und Stoffballen mit einem Gewicht von bis zu 40 kg oder Schachteln mit ungefähr 20 kg Gewicht heben. Sie kaufte die Verkaufsware (Textilien) ein und führte die Buchhaltung durch. Für den Warentransport stand ihr ein Auto zur Verfügung. Ihre tägliche Arbeitszeit betrug 8 bis 9 Stunden bei einer 6 Tageswoche. Unter Berücksichtigung ihres medizinischen Befundes ist die Klägerin noch imstande, alle leichten und mittelschweren Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu verrichten. Sie ist unterweisbar und kann eingeordnet werden. Die Fingerfertigkeit ist erhalten. Bei der von der Klägerin ausgeübten Berufstätigkeit einer Marktfahrerin handelte es sich um Arbeiten mit leichter, mittelschwerer und vorübergehend auch schwerer Körperbelastung. Insbesondere beim Hantieren mit den diverseren Stoffballen, vollen Kartons und Schachteln sowie im Rahmen des Auf- und Abbaues des Marktstandes waren schwere mitunter auch über 30 kg Hebe- und Trageleistungen vorzunehmen und als berufstypisch zu bewerten. Die Arbeiten waren im Freien bei jeder Tageszeit und bei jeder Witterung fast ausschließlich im Stehen zu verrichten. Diese Art des Textileinzelhandels ohne festen Standort wird vorwiegend durch den Einkauf billiger Lagerposten erster und zweiter Wahl einerseits und den preisaggressiven Verkauf auf dem Markt andererseits geprägt. Der Unterschied eines Einzelhändlers zu einem Marktfahrer besteht lediglich darin, daß jener seiner Tätigkeit in einem geschlossenen Raum nachgeht.
Mit Bescheid vom 7.6.1994 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Antrag der Klägerin vom 24.8.1993 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab.
Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin ab 1.9.1993 eine Erwerbsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Es ging davon aus, daß die Klägerin wegen des Vorkommens von Schwerarbeiten die bisher ausgeübte Tätigkeit als Marktfahrerin nicht mehr entsprechend ausüben könne. Auch beim Einzelhandel sei mit Hebe- und Trageleistungen über 25 kg zu rechnen, da zB ein Stoffballen zwischen 40 bis 80 m Stoff habe und je nach Winter- oder Sommerware das Gewicht sehr wohl 25 kg überschreite. Es sei durch Umorganisation nicht möglich, diese Hebe- und Trageleistungen zu vermindern, weil die Art der Lieferung vom Lieferanten bestimmt werde und der belieferte Einzelhändler darauf keinen Einfluß habe. Gehe man von einer selbständigen Tätigkeit als Alleinkraft aus, so komme für die Klägerin nur ein Einzelhandelsgeschäft in Frage. Die Entscheidung, mit welcher Ware man handle, könne nur aus kaufmännischer Sicht getroffen werden.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Gericht die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG. Sie könne aufgrund ihrer Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten zwar einen Textilhandel ausüben, doch habe auch ein Textilhändler immer wieder regelmäßig schwere Arbeiten durchzuführen, die er auch durch Umorganisation nicht vermeiden könne. Die Klägerin könne daher nicht auf die Tätigkeit einer Textileinzelhändlerin verwiesen werden, weil ihr nach ihrem Leistungskalkül lediglich mittelschwere Arbeiten zugemutet werden könnten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Da die Klägerin nicht mehr imstande sei, "den zuletzt geführten Betrieb aufrechtzuerhalten", sei sie erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist berechtigt.
Da die Klägerin das 50. Lebensjahr am Stichtag 1.9.1993 bereits vollendet hatte, ist die Berechtigung ihres Anspruches auf der Grundlage des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Novelle (BGBl 1993/336) zu prüfen. Als erwerbsunfähig gilt demnach auch der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Novellierung dieser Bestimmung die Absicht, daß ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz soll allerdings zwischen dem 50. und dem 55. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen. Ein Versicherter, der krankheitsbedingt dauernd außerstande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60. Kalendermonate ausgeübt hat, hat nach Vollendung des 55. Lebensjahres Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nach § 131 c Abs 1 Z 3 GSVG (im Falle der Klägerin wurde dieser Anspruch von der Beklagten ab 1.1.1995 bereits anerkannt).
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, daß die persönliche Arbeitsleistung der Klägerin zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes notwendig war; ferner ist nicht zweifelhaft, daß sie nicht mehr in der Lage ist, die Tätigkeit einer Textil-Marktfahrerin im bisherigen Umfang und Ausmaß auszuüben, weil sie der dabei regelmäßig erforderlichen schweren körperlichen Belastung nicht mehr gewachsen ist. Daß sie also nicht imstande ist, ihren zuletzt geführten Betrieb aufrecht zu erhalten, reicht aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes für die Bejahung der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG nicht aus. Nach dieser Gesetzesbestimmung wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Versicherten zuletzt ausgeübten erfordern. Die Verweisungstätigkeit muß keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen. Auch in diesem Bereich ist die Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfaßt, zulässig, wenn nur für diesen Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die der Versicherte bisher benötigte. Dabei kommt der Frage, welche wirtschaftliche Bedeutung ein bestimmter Tätigkeitszweig für den Versicherten im Rahmen des von ihm bisher geführten Betriebes hatte, keine entscheidende Bedeutung zu. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab (dies sind Umstände, die im Falle des § 131 c GSVG von Bedeutung wären), sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Dem Versicherten soll bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, sich völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 9/22, 9/56; 10 ObS 2024/96m ua).
Ausgehend von dieser Rechtslage führt die Revisionswerberin zutreffend aus, daß die Klägerin, sollte ihr die Ausübung des Textil-Marktfahrergewerbes im bisherigen Umfang nicht mehr möglich sein, noch auf andere in Betracht kommende selbständige Erwerbstätigkeiten zu verweisen ist, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordern. Hiefür käme die Tätigkeit einer selbständigen Textilhändlerin mit fixem Standort in Betracht, bei der es sich im wesentlichen um die gleiche Tätigkeit wie die bisherige handelt, bei der allerdings das Erfordernis des Aufstellens und Abbaus eines Marktstandes wegfällt. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß der an einem stationären Standort ausgeübte Textilhandel im allgemeinen keine schweren Arbeiten mit sich bringt. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, ist bei der Beurteilung, ob dauernde Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG vorliegt, von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung auszugehen. Hiebei ist unter Umständen auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer Umstrukturierung des Betriebes sowie die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung bei einer solchen Umorganisation zu prüfen, etwa auch im Sinne einer Delegierung einzelner Arbeitsgänge an Mitarbeiter, Aufnahme von Hilfs- und Ersatzkräften und überhaupt einer Umstrukturierung des Betriebes, soweit diese nicht zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage des Betriebes führt (vgl SSV-NF 7/110). Ob nun die Klägerin über eine entsprechende Hilfskraft verfügt, die die Manipulation mit schweren Lasten für sie übernimmt, kann dahingestellt bleiben; ob es tatsächlich zutrifft, daß die Klägerin nach ihren eigenen Angaben seit 1962 das Marktfahrergewerbe zusammen mit ihrem Gatten ausübte, braucht daher nicht weiter geprüft zu werden. Auch im Rahmen des Textileinzelhandels kann aber verlangt werden, das angebotene Warensortiment insoweit umzustellen, als bisher geführte besonders schwere Waren nicht mehr geführt werden und die Angebotspalette somit auf mittelschwere Waren umgestellt wird. Die Revisionswerberin verweist zutreffend auch auf die Möglichkeit einer Umstellung auf Fertigprodukte wie zB Unterwäsche, Polohemden, T-Shirt, Blusen, Pullover, Socken, Strümpfe udgl; solche Konfektionswaren werden von zahlreichen lebensfähigen Betrieben auch tatsächlich angeboten und verkauft. Bei Ausübung eines solchen Verweisungsberufes müßte sich die Klägerin keinesfalls völlig neue Kenntnisse aneignen, sondern es würde ausreichen, ihre Kenntnisse etwa im Bereich der Mode zu erweitern.
Zusammenfassend ergibt sich, daß bei der Klägerin entgegen den Annahmen der Vorinstanzen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG nicht vorliegt, weil sie trotz ihres eingeschränkten Leistungskalküls noch die Tätigkeit einer Textileinzelhändlerin ausüben kann, sodaß in Stattgebung der Revision das Klagebegehren abzuweisen war.
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