Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes wird aufgehoben. Zugleich wird auch der Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die am 10.7.1941 geborene Patientin wurde am 16.5.1997 ohne Verlangen im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien, Baumgartner Höhe, aufgenommen. Anläßlich der Anhörung am 21.5.1997 wurde die Unterbringung vorläufig und nach mündlicher Verhandlung mit Beschluß vom 3.6.1997 bis 11.7.1997 für zulässig erklärt.
Am 17.5.1997 duschte die Patientin morgens. Am 18.5.1997 war ihr Pflegezustand so schlecht, daß sich andere Patienten massiv über die dadurch entstehende Geruchsbelästigung beschwerten. Dennoch verweigerte sie Körperpflege und Medikation. Als schließlich bei ihr ein starker Intertrigo (sog "Wolf") unter beiden Brüsten und gerötete Oberschenkel festgestellt wurden, wurde mit Nachdruck versucht, sie zu einem Bad zu überreden. Es wurde ihr auch angeboten, sich nur in Gegenwart von weiblichem Pflegepersonal zu entkleiden und zu baden, weil die Patientin dies nicht in Anwesenheit eines Mannes tun wollte. Schließlich wurde am 19.5.1997 versucht, ihr die Kleider auszuziehen. Die Patientin war daraufhin wahnhaft abwehrend und tobte, schrie und schlug wild um sich. Aufgrund dieses aggressiven Erregungszustandes erfolgte eine Akuttherapie durch massive Steigerung der Medikamentation.
Die Patientenanwältin beantragte als Vertreterin der Patientin, die weitergehende Beschränkung der Patientin am 19.5.1997 durch Festhalten, Ausziehen und zwangsweise Verbringung und Anhaltung in einer Badewanne für unzulässig zu erklären. Sie brachte dazu vor, die Patientin sei gegen ihren Willen ausgezogen und gebadet worden. Sie sei vom Pflegepersonal körperlich festgehalten und somit in ihrer Bewegungsfreiheit im Sinne einer weitergehenden Beschränkung eingeengt worden. Die vom Gesetz für eine derartige Maßnahme geforderte Gefährdung sei nicht gegeben gewesen, es seien auch die formellen Vorschriften des § 33 Abs 3 UbG nicht eingehalten worden.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, das Baden der Patientin stelle keine Beschränkung der Bewegungsfreiheit dar, sondern eine Heilbehandlung im Sinne der §§ 36 ff UbG, weil sich die Patientin in einem schlechten Pflegezustand befunden habe. Tatsächlich sei in der Folge eine Pilzinfektion diagnostiziert und in weiterer Folge ua durch die gründliche Säuberung im Rahmen des Bades behandelt worden. Das Bad sei nach der Aktenlage medizinisch indiziert gewesen und sei im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung vorgenommen worden, deren Grund und Bedeutung die Patientin aufgrund ihres akut psychotischen Zustandsbildes und ihres wahnhaften Verhaltens nicht einsehen habe könne.
Das dagegen von der Patientin angerufene Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe, daß der Antrag, die weitergehende Beschränkung am 19.5.1997 durch Festhalten, Ausziehen und zwangsweise Verbringung und Anhaltung in einer Badewanne gerichtlich zu überprüfen und für unzulässig zu erklären, statt abzurückgewiesen wurde.
Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, daß unter einer ärztlichen Behandlung im Sinne der §§ 35 ff UbG bloß Heilbehandlungen zu verstehen seien. Wesentliches Begriffsmerkmal sei die Bindung an die medizinisches Indikation, also die Orientierung am medizinisch-therapeutischen Nutzen für den Patienten. Weiters sei erforderlich, daß die Maßnahme hinsichtlich ihrer Begründung und Durchführung fachspezifischen, medizinisch-wissenschaftlichen Regeln und Methoden unterliege. Es fielen daher Disziplinarmaßnahmen oder Anordnungen für die individuelle Lebensführung ebensowenig unter den Behandlungsbegriff des UbG wie etwa Beschränkungen der Bewegungsfreiheit oder der Kommunikation, mögen diese auch einem therapeutischen Ziel dienen und die Behandlung unterstützen (Kopetzki, Grundriß des Unterbringungsrechts, Rz 579 ff). Daraus könne man ableiten, daß das gegenständliche Bad mangels ärztlicher Anordnung zwecks Durchführung einer erforderlichen Heilbehandlung nicht unter den Tatbestand der §§ 35 ff UbG falle.
Im Rahmen eines Verfahrens nach dem UbG sei aber nur zu überprüfen, ob ein psychisch Kranker in einer Anstalt untergebracht und in seiner räumlichen Bewegungsfreiheit oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden dürfe und inwieweit eine medizinische Heilbehandlung zulässig sei. Nicht in die Kompetenz des außerstreitigen Unterbringungsverfahrens falle jedoch die Beurteilung, ob auch andere, nicht im Unterbringungsgesetz geregelte, allenfalls während der Unterbringung erfolgende Verletzungen von Rechten eines Patienten durch die Anstalt, wie etwa die Vornahme der gegenständlichen Pflegebehandlung, vorliegen (6 Ob 578/94). Es handle sich bei der gegenständlichen Maßnahme um eine solche des internen Betriebes der Krankenanstalt, dabei obliege die Abhilfe gegen allfällige Unzukömmlichkeiten der jeweils verantwortlichen Leitung, nicht jedoch dem Gericht im Rahmen des Unterbringungsverfahrens. Unter die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Sinne des § 33 UbG fielen die Isolierung des Patienten in einem Einzelraum, einem Netzbett uä, somit Beschränkungen durch äußere, insbesonders mechanisch-physische Mittel. Das zwangsweise Baden einer Patientin, selbst wenn damit kurzfristig körperlicher Zwang in Form eines Festhaltens zum Zwecke des Ausziehens der Kleidung verbunden sei, sei nicht unter den Tatbestand der genannten Gesetzesstelle zu subsumieren.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Patientin, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur Sachentscheidung zurückzuverweisen.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der hier zu beurteilende Sachverhalt mit jenem nicht vergleichbar ist, der der vom Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen Entscheidung 6 Ob 578/94 zugrundelag. Er ist auch berechtigt.
Die Patientin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es liege eine Beschränkung im Sinne des § 33 Abs 3 UbG vor, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit auf einen Raum, nämlich das Badezimmer, und in weiterer Folge innerhalb eines Raumes, nämlich auf eine Badewanne, beschränkt worden sei. Sie sei durch äußere, nämlich physische Mittel in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt worden. Es liege in ihrem Rechtsschutzinteresse, derartige bewegungsbeschränkende Maßnahmen von einem unabhängigen Gericht überprüfen zu lassen. Die in § 33 Abs 1 UbG geforderte Gefährdung sei nicht gegeben gewesen, die Beschränkung habe auch nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot des § 33 Abs 1 UbG entsprochen und seien die von § 33 Abs 3 UbG normierten besonderen verfahrensrechtlichen Erfordernisse nicht eingehalten worden.
Hiezu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung sind die nach dem Unterbringungsgesetz gewährten Rechtsschutzeinrichtungen im Lichte der in den Bestimmungen der EMRK festgelegten Individualrechte dahin auszulegen, daß derjenige, der behauptet, in seinen Rechten auf Achtung der Menschenwürde sowie in seinem Recht auf Freiheit und Sicherheit verletzt zu sein, auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahme, also nach bereits erfolgter Behandlung oder besonderer Heilbehandlung, ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte (SZ 65/92; 7 Ob 17/97v ua). Auch Zwangsmaßnahmen unterliegen noch nach der Beendigung der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle (4 Ob 513, 514/93 mwN).
Gemäß § 33 Abs 1 UbG sind Beschränkungen des Patienten nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 leg cit sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Im allgemeinen darf die Bewegungsfreiheit des Kranken nur auf mehrere Räume oder bestimmte räumliche Bereiche beschränkt werden (Abs 2). Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter der Kranken mitzuteilen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden (Abs 3).
Neben jener Beschränkung der Bewegungsfreiheit, welcher der Patient bereits durch seine Unterbringung unterworfen ist, finden in psychiatrischen Anstalten auch weitergehende Beschränkungen statt, die den verbleibenden Bewegungsraum zusätzlich einengen, weshalb das UbG zwischen allgemeinen Beschränkungen, die der Unterbringung begriffsimmanent sind, und Beschränkungen auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes gemäß § 33 Abs 3, die besonderen verfahrensrechtlichen Bedingungen unterliegen, unterscheidet (Kopetzki, Unterbringungsrecht II 773 f; derselbe Grundriß des Unterbringungsrechts, Rz 543).
Wann eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit vorliegt, ist anhand der konkreten Verhältnisse des betroffenen Patienten zu beurteilen. Grundsätzlich liegt eine solche eben dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern (7 Ob 635/92); es kommt darauf an, ob der Kranke nach den konkreten Verhältnissen den Bereich, in dem er sich aufhält, aufgrund seiner freien Entscheidung verlassen kann oder nicht (1 Ob 584/93). In diesem Sinne wurde ausgesprochen, daß das Festbinden ("Fixieren") einer Hand grundsätzlich unter den Begriff der Unterbringung fällt (SZ 67/87) und daß auch durch das Angurten einer Person an einen Sessel oder Rollstuhl diese in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird (10 ObS 183/97b mwN). Diese Fälle sind aber mit dem hier zu beurteilenden durchaus vergleichbar. Auch durch das Festhalten, Ausziehen und Baden einer Person wird diese erheblich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die Ziele und Motive einer Maßnahme spielen für ihre Qualifikation als Beschränkung im Sinne des § 33 UbG keine Rolle. Auch therapeutische und pflegerische Beweggründe können die Qualifikation einer Maßnahme als "Beschränkung" im Sinne des § 33 Abs 1 UbG nicht verhindern (5 Ob 571/93 = JBl 1995, 63 = NZ 1994, 253 = RdM 1994, 94 [Kopetzki]). Therapeutisch motivierte, wenngleich physische Beschränkungen der körperlichen Bewegungsfreiheit unterliegen auch nicht den Vorschriften über die Heilbehandlung (Kopetzki, Unterbringungsrecht II 775; derselbe Grundriß des Unterbringungsrechts Rz 547).
Anders als im Fall 6 Ob 578/94, dem die Wegnahme von Privatkleidung um ein Entweichen zu verhindern, zugrundelag, wurde hier - nach dem Vorbringen der Patientin - ihre Bewegungsfreiheit durch Anwendung physischer Gewalt auf einen Raum und letztlich innerhalb dieses Raumes beschränkt. Dafür hätte es nebst der materiellen Voraussetzungen nach § 33 Abs 1 UbG auch der Anordnung durch den behandelnden Arzt, der Beurkundung in der Krankengeschichte und der Mitteilung an den Vertreter der Kranken bedurft.
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen - ausgehend von einer anderen Rechtsansicht - die Frage, ob die Patientin durch Anwendung physischer Gewalt zum Baden gezwungen wurde, nicht geprüft. Sollte dies geschehen sein, so wird zu prüfen sein, ob die materiellen Voraussetzungen des § 33 Abs 1 UbG vorgelegen sind. Die Nichteinhaltung der formellen Vorschriften des § 33 Abs 3 Satz 1 UbG macht eine allfällige Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht unzulässig. Dabei handelt es sich um Ordnungsvorschriften, deren Einhaltung keiner Überprüfung durch das Gericht unterliegt.
Das Verfahren erweist sich sohin als ergänzungsbedürftig, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)