OGH 8Ob124/97m

OGH8Ob124/97m18.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine J*****, Hausfrau, ***** vertreten durch Dr.Hans Günther Medwed ua, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 30.1.1994 verstorbenen Johanna Sch*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Friedrich Sch*****, Kraftfahrer, ***** dieser vertreten durch Dr.Alexander Haas, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21.Jänner 1997, GZ 3 R 415/96p-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 4.Juli 1996, GZ 42 C 91/95p-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil erster Instanz wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.031,36 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 339,56 USt) und die mit S 1.904,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 317,40 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 30.1.1994 verstorbene Johanna Sch***** lebte seit mehr als 20 Jahren vor ihrem Tod in der aufgekündigten Wohnung in G*****, *****. Seit August 1986 wohnte der ältere Sohn, Fritz Sch*****, mit ihr im gemeinsamen Haushalt. Damals hatte Fritz Sch***** - wie auch heute - keine andere Wohnmöglichkeit. Der jüngere Sohn der Verstorbenen, Erich Sch*****, hat seinen Hauptwohnsitz seit rund 30 Jahren in S*****, wo er Eigentümer eines Hauses ist.

Seit dem Jahr 1992 wurde Johanna Sch*****, die infolge von Herz- und Nervenleiden sowie Depressionen diese Arbeiten nicht mehr verrichten konnte, von ihren beiden Söhnen mit Hilfsleistungen wie Zubereitung von Mahlzeiten und Wäschewaschen unterstützt. Die anfallenden Tätigkeiten teilten sich die Söhne Fritz, der tagsüber als LKW-Fahrer tätig war, und Erich, der nicht berufstätig ist und so tagsüber von S***** zu seiner Mutter nach G***** pendeln konnte, auf. In dieser Zeit hatte Johanna Sch***** mehrere Spitalsaufenthalte. Sie erholte sich jeweils anschließend für zwei bis drei Wochen bei ihrem Sohn Erich, kehrte jedoch immer wieder in die aufgekündigte Wohnung zurück. Im Jahr 1993 wurde Johanna Sch***** ein Pflegefall. Etwas über drei Monate befand sie sich in Spitalspflege, die letzten sechs Monate ihres Lebens verbrachte sie bei ihrem Sohn Erich in S*****. Dieser pflegte seine Mutter während der Woche. An den Wochenenden übernahm der Sohn Fritz die Pflege. Wochentags wusch und bügelte Fritz Sch***** die Wäsche seiner Mutter in der aufgekündigten Wohnung in Graz. Sämtliche persönliche Gegenstände - insbesondere Wäsche und Kleidung - hatte Johanna Sch***** in G***** belassen. Der Sohn Fritz brachte die jeweils benötigten Gegenstände am Wochenende nach S*****. Bis zu ihrem Tod hegte Johanna Sch***** die Hoffnung und Absicht, wieder in die aufgekündigte Wohnung zurückzukehren. In ihren letzten Lebensmonaten waren ihre Verfallserscheinungen aus medizinischer Sicht nicht mehr reversibel. Ab Oktober 1993 war Johanna Sch***** jedenfalls auf fremde Hilfe angewiesen, da sie nur mehr einige Stunden pro Tag alleine bleiben konnte. Ein Transport nach Graz sowie eine Betreuung in der aufgekündigten Wohnung wären möglich gewesen. Der Sohn Erich entwickelte bei der Pflege in kurzer Zeit Fähigkeiten, die mit jenen einer Krankenschwester vergleichbar sind. Im Jahr 1994 übte der Sohn Fritz nur noch insoferne seine Berufstätigkeit als LKW-Fahrer aus, als er täglich auf Abruf für einige Stunden, insbesondere ab der Mittagszeit, arbeitete.

Das Erstgericht hob die von der klagenden Partei beantragte Aufkündigung auf, wies das Klagebegehren ab und führte hiezu rechtlich aus, daß der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG nicht vorliege (auf Ausführungen zum ursprünglich auch geltend gemachten Kündigungsgrund der Z 4 leg cit kann in weiterer Folge verzichtet werden, da darauf weder in der Berufung noch in der außerordentlichen Revision Bezug genommen wurde). Fritz Sch***** habe mit seiner Mutter bis zu deren Tod einen gemeinsamen Haushalt geführt. Dieser werde durch einen Krankenhausaufenthalt wie dem vorliegenden nicht beendet. Johanna Sch***** habe die Absicht gehegt, bei Änderung der Sachlage den erzwungenen Ortswechsel rückgängig zu machen. Auch objektiv sei eine Rückkehr möglich gewesen. Ihr Gesundheitszustand habe prinzipiell eine Betreuung in der aufgekündigten Wohnung erlaubt. Der gemeinsame Haushalt sei daher nie beendet worden. Da der eintrittsberechtigte Fritz Sch***** zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter keine andere Wohnmöglichkeit besessen habe, sei dessen dringendes Wohnbedürfnis gegeben.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil ab; es erkannte die Aufkündigung als wirksam und gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, daß das dringende Wohnbedürfnis für Fritz Sch***** unbestritten sei. Es mangle jedoch am gemeinsamen Haushalt mit der Hauptmieterin Johanna Sch***** zu deren Todeszeitpunkt. Zumindest ab Ende Oktober 1993 sei Johanna Sch***** rückkehrfähig gewesen. Diese objektive Rückkehrmöglichkeit müsse ehestmöglich wahrgenommen werden. Tatsächlich sei Johanna Sch***** jedoch ab Ende Oktober bis zu ihrem Tod noch rund drei Monate bei ihrem Sohn Erich gewesen. Der ursprünglich gemeinsame Haushalt sei dadurch aufgehoben worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Berufungsurteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht wichtige, zu dieser Frage entwickelte Rechtssätze des Obersten Gerichtshofes unberücksichtigt ließ.

Das Nichtvorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 5 MRG setzt einerseits ein dringendes Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Person im Sinne des § 14 Abs 3 MRG, andererseits einen gemeinsamen Haushalt im Zeitpunkt des Todes des Hauptmieters mit diesem voraus.

Das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittswerbers ist unbestritten.

Zum gemeinsamen Haushalt im Krankheitsfall hat der Oberste Gerichtshof in mehrfachen Entscheidungen folgende wesentliche Rechtssätze geprägt:

"Ein gemeinsamer Haushalt wird durch gewisse, durch Lebensumstände bedingte, nicht allzulange Unterbrechungen des Zusammenlebens nicht beendet, wohl aber bei dauernder Trennung. Als Fälle nicht dauernder Trennung werden unter anderem Krankheitsaufenthalte angesehen."

Hinsichtlich des zeitlichen Elements gilt insbesondere, daß "auch bei längerer Abwesenheit nicht auf die Beendigung des gemeinsamen Haushalts geschlossen werden muß. Ob die Abwesenheit nämlich vorübergehend oder auf Dauer ist, bestimmt sich nicht bloß nach ihrer Dauer; ausschlaggebend ist vielmehr die Willensrichtung der Betroffenen. Ist die Abwesenheit bloß krankheitsbedingt, dann steht auch ihre längere Dauer der Annahme des Fortbestehens des gemeinsamen Haushaltes nicht entgegen, sofern die Absicht, in die Wohnung zurückzukehren, fortbesteht und ihre Verwirklichung nicht schlechthin ausgeschlossen ist" (1 Ob 578/91 in WoBl 1993/6 mwN; 1 Ob 545/95 in JBl 1996, 463; zuletzt 1 Ob 79/97t).

Im vorliegenden Fall kann zunächst vom Vorliegen einer bloß krankheitsbedingten, also mehr oder weniger erzwungenen Abwesenheit ausgegangen werden; dies deshalb, da die häusliche Intensivbetreuung der Hauptmieterin Johanna Sch***** insbesondere ab Oktober 1993 den Lebensumständen der sie pflegenden Söhne angepaßt worden war. So war eine optimale Versorgung möglich, und zwar nicht zuletzt durch die entwickelten Pflegefähigkeiten des Erich Sch*****. Die zuvor ganztägige, dann jedoch auf Abruf variable Arbeitszeit des Eintrittswerbers wäre einer optimalen Betreuung seiner Mutter in der aufgekündigten Wohnung entgegengestanden; dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß Johanna Sch***** selbst zuletzt noch einige Stunden hätte alleingelassen werden können. Auch die Verrichtung an fixe Zeiten gebundener Pflegeleistungen - wie etwa Verabreichung der Mahlzeiten - wäre in der aufgekündigten Wohnung angesichts der erwähnten Arbeitsumstände des Eintrittswerbers nicht möglich gewesen. Erich Sch***** hingegen, der wochentags nicht arbeiten muß, war in der Lage, seine Mutter die überwiegende Zeit zu betreuen. Dies legte nahe, Johanna Sch***** zu Pflegezwecken nach S***** zu bringen. Es wäre Erich Sch***** weniger zuzumuten gewesen, ein tägliches Pendeln bzw Übersiedeln nach Graz während der Woche in Kauf zu nehmen, als es für den Eintrittswerber zumutbar war, lediglich für die Wochenenden zwecks Entlastung seines Bruders nach S***** zu kommen.

Zweifelsfrei war zu Lebzeiten der Hauptmieterin auch deren Absicht gegeben, in ihre Wohnung in G***** zurückzukehren. Davon mußte auch der Eintrittswerber ausgegangen sein. Bestätigt wird dies durch den Umstand, daß die persönlichen Gegenstände der Johanna Sch***** in der aufgekündigten Wohnung verblieben.

Weiters war die Rückkehr der Hauptmieterin objektiv nicht schlichtweg ausgeschlossen. Johanna Sch***** war ja - auch noch ab Ende Oktober 1993 - transportfähig und prinzipiell in der aufgekündigten Wohnung pflegbar. Bei Änderung der Lebensumstände ihrer Söhne, insbesondere die Erwerbsmodalitäten betreffend, wäre eine Betreuung ihrer Mutter in der aufgekündigten Wohnung somit nicht ausgeschlossen gewesen. Eine solche Rückkehrmöglichkeit wäre daher auch erst nach Eintritt geänderter Umstände umgehend wahrzunehmen gewesen. Nicht wesentlich bei Beurteilung des Vorliegens einer objektiven Rückkehrmöglichkeit ist im vorliegenden Fall die Besserungsfähigkeit des Krankheitsbildes der Johanna Sch*****.

Die Hauptmieterin hatte also die Absicht, im Falle der Möglichkeit einer Betreuung zu Hause in ihre Mietwohnung in G***** zurückzukehren. Eine solche Rückkehr war aufgrund objektiver Tatsachen auch nicht schlechthin ausgeschlossen. Die vorläufige Unterbrechung des Zusammenlebens durch Krankheit kann in einem solchen Fall den gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 14 Abs 3 MRG nicht aufheben (1 Ob 79/97t mwN).

Es war daher im Sinne obiger Ausführungen der außerordentlichen Revision stattzugeben und die Aufkündigung aufzuheben.

Auf das weitere Vorbringen der Rechtsrüge, die Klägerin habe sich des Kündigungsgrundes verschwiegen, muß somit nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO.

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