OGH 6Ob146/97g

OGH6Ob146/97g11.9.1997

1Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabine L*****, vertreten durch die Rechtsanwaltspartnerschaft Eisenberger, Herzog, Nierhaus, Forcher & Partner OEG in Graz, wider die beklagte Partei Ing.Sirus G*****, vertreten durch Dr.Paul Herzog, Rechtsanwalt in Mittersill, wegen 55.000 S, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 4.Februar 1997, GZ 6 R 45/96s-51, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gleisdorf vom 2.Oktober 1996, GZ 6 C 1663/95x-44, in der Hauptsache abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 4.871,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 811,84 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der beklagte Teppichhändler führte im Zuge der Auflösung seines Handelsgewerbes einen genehmigten Teppichausverkauf durch, wobei er durch Postwurfsendungen ankündigte, Orientteppiche mit einem Preisnachlaß bis zu 70 % zu verkaufen. Dadurch wurde die Klägerin auf den Beklagten aufmerksam, suchte bei ihm in der Zollfreizone mehrere Teppiche unterschiedlichen Formats aus, die zur Vorlage in ihre Wohnung kommen sollten und erklärte, daß ihr maximal 60.000 S zum Ankauf von Teppichen zur Verfügung stünden. Zum Hausbesuch in der damals noch leeren neuen Wohnung der Klägerin am 30.August 1993 brachte der Beklagten etwa sieben Teppiche mit. Die Klägerin suchte sich zwei Teppiche aus, darunter einen 422 x 309 cm großen, tatsächlich neuen (weniger als 20 Jahre alten) Keshan mit einem "Ladenpreis" von etwa 50.000 S incl USt. Bei den Verkaufsverhandlungen ging der Beklagte von einem Verkaufspreis von 75.000 S aus. Nachdem die Klägerin noch vor Kaufabschluß auf der Rückseite des Keshan einen Zettel mit einem Preis von 154.000 S entdeckt hatte, wollte sie vom Beklagten einen Schätzpreis von etwa 150.000 S in das Echtheitszertifikat eingetragen haben, welchem Wunsch der Beklagte nachkam, weil Keshan-Teppiche in der gegenständlichen Größe (unter anderem) auch zwischen 150.000 S und 200.000 S gehandelt werden. Noch in der Wohnung der Klägerin einigten sich die Streitteile auf einen Kaufpreis von 55.000 S inclusive USt für den Keshan; dieser Preis entsprach grundsätzlich der Preissituation des Jahres 1993. Der Beklagte übersandte der Kläger am folgenden Tag das Echtheitszertifikat mit einem Schätzpreis von "etwa 150.000 S".

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung des von ihr geleisteten Kaufpreises von 55.000 S, weil ihr der Beklagte einen Schätzwert von 150.000 S vorgespiegelt und tatsachenwidrig zugesagt habe, daß es sich um einen "alten", somit mehr als 70 Jahre alten Keshan-Teppich handle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte noch fest, daß der auf der Rückseite des Keshan-Teppichs angebrachte Zettel von einem anderen Teppichhändler gestammt habe und beim Verkaufsgespräch vom Alter des Teppichs keine Rede gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht vertrat der Erstrichter die Auffassung, abgesehen von der üblichen Anpreisung einer Ware als besonders gut und preisgünstig sei die Klägerin den Beweis dafür schuldig geblieben, daß ihr der Beklagte wertbestimmende Kriterien zugesagt habe, die sie zum Ankauf des Teppichs veranlaßt hätten. Der ausgehandelte Preis habe grundsätzlich der Preissituation des Jahres 1993 entsprochen. Die Klägerin sei somit vom Beklagten in keinen wesentlichen Irrtum geführt worden.

Die zweite Instanz gab dem Klagebegehren, ohne sich mit der Mängel-, Beweis- und Tatsachenrüge in der Berufung der Klägerin auseinanderzusetzen, in der Hauptsache statt und erachtete die ordentliche Revision als nicht zulässig. Die Klägerin habe davon ausgehen müssen, daß es sich um ein wirklich sehr preisgünstiges Angebot handle. Der Beklagte habe den zum Ankauf des Teppichs führenden Irrtum über die besonderes Preisgünstigkeit der Klägerin veranlaßt (Ankündigung von Preisnachlässen bis zu 70 %, Preisschild auf der Rückseite des Teppichs), zumindest hätte ihm dieser Irrtum der Klägerin auffallen müssen. Für die Klägerin sei demnach offensichtlich Geschäftsgrundlage, das heißt Veranlassung für den Kauf die Vorstellung gewesen, daß es sich um einen äußerst preisgünstigen "alten" Teppich handle, wobei jedoch der Teppich weder "alt" noch besonders preisgünstig gewesen sei. Die Klägerin habe sich demnach in Ansehung des Kaufgegenstands in einem wesentlichen Irrtum über den Wert desselben befunden, weil sie einen "alten", sehr wertvollen Teppich äußerst preisgünstig habe erwerben wollen. Deshalb sei die Klägerin berechtigt, vom Kaufvertrag durch den vom Beklagten veranlaßten Irrtum über die Geschäftsgrundlage zurückzutreten.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Da die Bewertung des Leistungsgegenstands jedem Vertragspartner freisteht, gehört der Irrtum über den gemeinen Wert (Verkehrswert) einer Sache - hier Preis eines Keshan-Teppichs - nicht zu den Eigenschaften einer Sache. Die neuere Rspr lehnt die Erheblichkeit des Wertirrtums unter Hinweis auf §§ 934 f ABGB ab, weil damit die engen Grenzen der laesio enormis umgangen werden könnten (SZ 23/272, 7 Ob 154/71 [im Fall eines Kaufs von Orientteppichen]; EvBl 1983/100; SZ 66/25 uva; RIS-Justiz RS0014920; Rummel in Rummel2, § 871 ABGB Rz 11; Apathy in Schwimann2 § 871 ABGB Rz 11, 15 mwN; referierend Koziol/Welser, Grundriß10 I 125 mwN in FN 31). Koziol/Welser (aaO mwN in FN 32) treten dieser Auffassung bei, weil die Bewertung des Leistungsgegenstands jedem Vertragspartner völlig freistehe und ein Irrtum darüber zum typischen Vertragsrisiko gehöre. Als Irrtum im Beweggrunde oder Motivirrtum hat aber der Wertirrtum gemäß § 901 ABGB auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß. Diese Auffassung wird bei vergleichbarer Rechtslage auch von der deutschen Rechtsprechung mit dem Hinweis, der Wert einer Sache sei keiner ihrer wertbildenden Eigenschaften, sondern nur das Ergebnis von Eigenschaften, vertreten (Dilcher in Staudinger, BGB12 § 119 Rz 59; Hart in AK-BGB, § 119 Rz 20; H. Brox in Erman, BGB9, § 119 Rz 47; mit eigenständiger Begründung Kramer in Münchener Kommentar zum BGB3 § 119 Rz 114; kritischer Hefermehl in Soergel, BGB12 § 119 Rz 51, alle mwN aus der deutschen Rspr).

Die Grenzen zwischen unbeachtlichem Motivirrtum und beachtlichem Irrtum über eine Eigenschaft der Sache sind manchmal nur schwer zu ziehen (3 Ob 542/87). Ein Irrtum über den Verkehrswert einer Sache ist jedenfalls nur dann ein rechtlich relevanter Anfechtungsgrund, wenn der Erklärungsempfänger den Motivirrtum arglistig iSd § 870 ABGB herbeigeführt oder iS einer bewußten Verschleierung des Sachverhalts ausgenützt hat, somit bewußte Täuschung vorliegt (JBl 1993, 785 = EvBl 1993/170; 3 Ob 542/87 ua; Rummel aaO § 870 ABGB Rz 3 mwN aus der Rspr; Koziol/Welser aaO 127), oder wenn die Parteien das Motiv zumindest stillschweigend zu einer echten Bedingung erhoben haben (vgl SZ 39/206; Rummel aaO § 871 ABGB Rz 11; Apathy aaO § 871 ABGB Rz 11), oder wenn "der andere" (Gegner des Anfechtenden) gesetzliche oder vorvertragliche (SZ 55/51 mwN) Aufklärungspflichten (§ 871 Abs 2 ABGB) verletzte oder der Irrtum ohne Mitwirken des anderen Teils nicht vermeidbar war; gerade in den letzten drei Fällen ist ein Geschäftsirrtum anzunehmen (SZ 33/114, SZ 58/69, SZ 66/41; Rummel aaO § 871 ABGB Rz 14; Apathy aaO § 871 ABGB Rz 11 mwN).

Ein Fall einer Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Beklagten als "anderer" liegt hier vor. Zwar besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entschließung Einfluß haben können, wohl aber dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten konnte (Apathy aaO § 871 ABGB Rz 21 mwN). Dazu steht hier fest, daß der Beklagte vorerst eine Verkaufsaktion von Teppichen mit Preisreduktionen bis zu 70 % ankündigte; als die Klägerin dann auf der Rückseite des von ihr als Kaufgegenstand in Aussicht genommenen Keshan-Teppichs einen Zettel mit einem Preis von 154.000 S entdeckte, unterließ der Beklagte jegliche, nun gebotene Aufklärung über den Wert des Teppichs, obwohl er nach den insoweit ungerügten Feststellungen selbst von einem Verkaufspreis von nur 75.000 S ausging - womit es in diesem Zusammenhang bedeutungslos ist, ob das Preisschild vom Beklagten oder einem dritten Teppichhändler stammte - und womit, wie ihm erkennbar sein mußte, die Klägerin einen Zusammenhang zwischen der von ihm angekündigten Preisreduktion, dem Preis auf dem Zettel und dem vereinbarten Preis, der nur ein Drittel des Preises auf dem Zettel war, herstellte. Sein Vorbringen, die Klägerin sofort darauf hingewiesen zu haben, daß es sich um eine zufolge Inflation im Iran und anderer Umstände längst nicht mehr gültige Preisangabe gehandelt habe, wurde nicht festgestellt. Das Erstgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausgeführt, es sei auch allgemein bekannt, daß die Teppichpreise in den Jahren vor 1993 stark gesunken seien, sodaß die Behauptung des Beklagten, das an der Rückseite des Keshan angebrachte Preisschild spiegle die Preissituation zum Zeitpunkt der Ausschilderung, nicht jedoch des Jahres 1993, wider, durchaus glaubwürdig sei. Damit ist aber nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Beklagte die Klägerin auch entsprechend aufgeklärt hat, wird doch in unmittelbarem Anschluß dazu ausgeführt, glaubwürdig sei die Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe ihr den Teppich als sehr preisgünstig usw angeboten. Der Beklagte hat der Klägerin auch noch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Verkauf des Teppichs ein Echtheitszertifikat mit einem Schätzpreis von "etwa 150.000 S" ausgestellt. Diese Verletzung der dem Beklagten auferlegten vorvertraglichen Aufklärungspflicht führt zur Anwendung des § 871 Abs 2 ABGB und damit zum Vorliegen eines Geschäftsirrtums. Daß die Klägerin auch in Kenntnis des wahren Sachverhalts den Kaufvertrag über den Keshan-Teppich abgeschlossen hätte, somit dem in einer Unterlassung liegenden Fehlverhalten des Beklagten die Relevanz fehlte, hat der insoweit beweispflichtige (SZ 66/41) Beklagte nicht vorgetragen.

Die zweite Instanz hat somit im Ergebnis zu Recht dem Klagebegehren in der Hauptsache stattgegeben, ohne daß noch geprüft werden müßte, ob der Beklagte der Klägerin tatsächlich auch zusagte, es handle sich beim Keshan um einen "alten" Teppich, und ob ein ausreichendes Klagevorbringen und Feststellungen dazu vorliegen, um List iSd § 870 ABGB annehmen zu können. Die zweite Instanz ist durch ihre rechtliche Beurteilung (S 8 der Urteilsausfertigung oben), es sei daher davon auszugehen, daß der Beklagte den Irrtum der Klägerin, der schließlich zum Ankauf des Teppichs führte, veranlaßt hat (Ankündigung von Preisnachlässen bis zu 70 %, Preisschild auf der Rückseite des Teppichs 154.000 S äußerst preisgünstig), zumindest hätte dem Beklagten dieser Irrtum der Klägerin auffallen müssen", von den erstgerichtlichen Feststellungen nicht abgewichen.

Demnach ist das Berufungsurteil zu bestätigen. Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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