Spruch:
Ein Irrtum über den Wert eines veräußerten Gegenstandes ist nur dann beachtlich, wenn die Parteien ihre Vorstellungen über den Verkehrswert wenigstens stillschweigend zur Bedingung gemacht haben
Bei dem Verkauf eines Kunstwerkes durch seinen Schöpfer ist die Anfechtung des Kaufvertrages wegen Verletzung über die Hälfte ausgeschlossen
Entscheidung vom 30. November 1966, 6 Ob 342/66
I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien
Text
Der Kläger beantragte Verurteilung des Beklagten zur Herausgabe des Brillantringes, 3.1 Karat, in Weißgold gefaßt, mit der Behauptung, er habe diesen Ring dem Beklagten, nachdem er ihn erst zwei Tage gekannt hatte, nur unter Alkoholeinwirkung, sodaß er seinen Überlegungen nicht mehr mächtig gewesen sei, gegeben. Im Zuge des Verfahrens stellte er das Eventualbegehren auf Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe dieses Ringes Zug um Zug gegen Übergabe des ihm vom Beklagten geschenkten Bildes "Argo 1945", falls nicht seine Handlungsunfähigkeit, sondern ein Tauschgeschäft vorliegen sollte. Da der Beklagte den Wert des Bildes mit 50.000 S angegeben habe, während er nur ein Bruchteil davon betrage, und die durch den Alkoholgenuß verursachte Verstandesschwäche des Klägers ausgenutzt habe, um ihn zur Herausgabe seines Ringes im Werte von 40.000 S zu veranlassen, werde dieser Tauschvertrag wegen Irrtums, Wuchers und Verletzung über die Hälfte angefochten.
Das Erstgericht erkannte, wie es ausführte, im Sinne des modifizierten Begehrens. Es stellte im wesentlichen fest, der Kläger sei während eines vierzehn- bis sechzehntägigen Aufenthaltes in Wr. im Juni 1965 mit dem Beklagten bekannt geworden. Er habe für dessen Tätigkeit als Kunstmaler Interesse gezeigt und sich über seine Bilder und deren Preise informieren lassen. Der Beklagte habe für vier Bilder einer Serie je 100.000 S und für ein weiteres Bild mit der Bezeichnung "Argo 1945" 40.000 S bis 50.000 S verlangt. Der Kläger habe ersucht, mit dem Verkauf an einen Dritten noch etwa ein Jahr zuzuwarten, das Bild "Argo 1945" habe er sofort kaufen wollen, ohne daß es aber zunächst zu einem Abschluß gekommen sei.
Anläßlich eines gemeinsamen Besuches der Streitteile mit Baumeister Ing. P. und Juwelier B. im Cafe Erika sei das Gespräch auf die Bilder des Beklagten gekommen, insbesondere auch auf das, dessen Preis dieser mit 40.000 bis 50.000 S angegeben habe. Als dabei der Kläger seinen Brillantring deutlich zur Schau stellte, habe der Beklagte den Juwelier B. ersucht, seinen Wert zu schätzen. Dieser habe vorbehaltlich einer genauen Schätzung einen Wert bis zu 70.000 S angegeben. Auch damals sei eine Vereinbarung über den Ankauf des Bildes durch den Kläger nicht erfolgt. Darüber sei mindestens eine Woche zwischen den Streitteilen verhandelt worden, und der Beklagte habe für das vom Kläger insbesondere gewünschte Bild "Argo 1945", weil dieser den Kaufpreis von 40.000 bis 50.000 S nicht bar zur Verfügung gehabt habe, den Brillantring verlangt. Schließlich habe sich der Kläger in Kenntnis dieser Umstände entschlossen, das Eigentumsrecht an dem Ring an den Beklagten zu übertragen, wenn dieser ihm das Eigentumsrecht an dem Bilde "Argo 1945" übertrage. Auf dieser Basis sei es zu einer Willenseinigung gekommen, es stehe fest, daß nach Vorstellung beider Streitteile die Leistung und Gegenleistung einen namhaften Vermögenswert darstellten. Die Behauptungen des Klägers über die Herausgabe seines Ringes unter Alkoholeinwirkung seien widerlegt.
Auf Grund der Gutachten der vernommenen Sachverständigen stellte das Erstgericht weiter fest, daß es sich bei dem Ring des Klägers um einen Herrenring mit Solitär von 3.5 Karat in Platinfassung im Gesamtgewicht von 10 Gramm handle, dessen Schätzwert 36.000 S betrage, und daß das Bild des Beklagten "Argo 1945" auf Faserplatte, 61 X 74 cm, in Öl gemalt und gerahmt, im Juni 1965 einen Verkehrswert von 1500 S gehabt habe.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, es handle sich nicht um wechselseitige Schenkungen der Streitteile, sondern um einen Tauschvertrag. Nichtigkeit liege nicht vor, da sich der Kläger bei Vertragsabschluß weder in einer Zwangslage noch, infolge Alkoholeinwirkung, im Zustande einer Verstandesschwäche befunden habe. Auch die Wuchereinrede sei nicht berechtigt. Wenn sich der Kläger, der als selbständiger Kaufmann wissen müsse, daß der Verkehrswert eines Kunstwerkes von einem Laien nicht ohne weiteres erkannt werden könne, zu dem Geschäft entschlossen habe, könne er sich nicht auf mangelnde Erfahrung berufen. Jedoch sei der Kaufvertrag wegen Irrtums ungültig. Der Kläger sei bei Abschluß des Geschäftes in einem Irrtum über die Hauptsache des Vertrages, nämlich über den Wert des Bildes, der ihm mit 40.000 bis 50.000 S angegeben worden sei, gewesen. Diesen Irrtum habe der Beklagte veranlaßt. Im Hinblick auf das Mißverhältnis der Werte sei der Kläger aber auch zur Anfechtung des Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Die Mängelrüge sei nicht begrundet, die Beweiswürdigung des Erstgerichtes sei unbedenklich. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, es handle sich, wie das Erstgericht richtig erkannte, um einen Tauschvertrag. Die Anfechtung wegen Irrtums sei allerdings ausgeschlossen. Soweit das Erstgericht eine Irreführung deswegen annehme, weil der Beklagte durch seine Behauptung eines Wertes des Bildes von 40.000 bis 50.000 S die falsche Vorstellung eines höheren Verkehrswertes erweckt habe, sei dies ungenau. Der bezeichnete Betrag sei vielmehr als Kaufpreis genannt worden. Um seinen Handelswert habe sich der Kläger gar nicht erkundigt, er habe lediglich den vom Beklagten genannten Kaufpreis diesem Wert gleichgesetzt. Die Vorstellung des Klägers, für die Hingabe seines Ringes ein wertgleiches Objekt zu erhalten, sei nur das Motiv für den Leistungsaustausch gewesen. Ein Motivirrtum sei aber bei einem entgeltlichen Geschäft unbeachtlich, außer es sei der Beweggrund zur Bedingung erklärt oder der Vertrag durch List veranlaßt worden. Das sei aber nicht der Fall. Jedoch habe das Erstgericht mit Recht unter Bedachtnahme auf die festgestellten Werte des Bildes einerseits und des Ringes anderseits die Voraussetzungen für die Anfechtung des Vertrages gemäß § 934 ABGB. angenommen.
Der Beklagte bekämpft nun dieses Urteil mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren auf Herausgabe des Ringes Zug um Zug gegen Herausgabe des Bildes "Argo 1945" ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Was die Rechtsrüge betrifft, ist aus dem Hinweis der Revision auf die Aussagen von Zeugen, die im übrigen nach den Feststellungen der Untergerichte bei Abschluß der maßgeblichen Vereinbarung gar nicht anwesend waren, für den Beklagten nichts zu gewinnen. Die Rechtsrüge muß vielmehr, um gesetzmäßig ausgeführt zu sein, von den Feststellungen des angefochtenen Urteils ausgehen. Danach verlangte nun der Beklagte, nachdem der Kläger mit ihm mindestens eine Woche lang ernstlich wegen des Ankaufes eines seiner Bilder verhandelt hatte, für das von ihm insbesondere gewünschte Bild "Argo 1945", weil der Kläger den dafür begehrten Kaufpreis von 40.000 bis 50.000 S nicht bar zur Verfügung hatte, seinen Brillantring, dessen Wert bei einer vorausgegangenen Besprechung im Cafe Erika der Juwelier B. vorbehaltlich einer genauen Schätzung mit bis zu 70.000 S angegeben hatte. Schließlich entschloß sich der Kläger auch, das Eigentumsrecht an diesem Ring an den Beklagten zu übertragen, wenn dieser ihm das Bild "Argo 1945" übertrage. Nach Vorstellung beider Streitteile stellten Leistung und Gegenleistung einen namhaften Vermögenswert dar. Unter diesen Umständen, daß nämlich der Beklagte, da der Kläger den geforderten Kaufpreis für das ihn interessierende Bild nicht bar zur Verfügung hatte, seinen Ring, dessen erheblicher Wert ihm durch die vorausgegangene Schätzung durch den Juwelier bekannt war, forderte, kann aber von einer unentgeltlichen Übergabe durch den Kläger in Schenkungsabsicht, wofür ihn dann der Beklagte aus Erkenntlichkeit seinerseits freiwillig mit diesem Bild beschenkt hätte, sodaß zwei rechtlich voneinander unabhängige Schenkungen zustandegekommen wären (Stanzl in Klang[2] IV 609), keine Rede sein. Nur wenn sich die Parteien einig sind, die Sache ohne Gegenleistung und nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit zu überlassen, handeln sie in Schenkungsabsicht (5 Ob 2/60, Stanzl in Klang[2] IV 587, 589). In dieser Willenseinigung auf Übereignung des Bildes durch den Beklagten gegen Übergabe des Ringes des Klägers, der den geforderten Kaufpreis bar nicht zur Verfügung hatte, liegt vielmehr der Abschluß eines Tauschvertrages durch die Streitteile. Welche Erklärungen sie darüber anderen Personen gegenüber abgaben, ist unerheblich.
Soweit das Erstgericht im Hinblick auf den vom Beklagten für das Bild geforderten Preis von 40.000 bis 50.000 S einen von ihm veranlaßten Irrtum des Klägers annahm, der diesen zur Anfechtung des Vertrages berechtige, wäre für den Kläger, selbst wenn man der von Pisko in Klang[1] II/2 125 vertretenen, von Gschnitzer in Klang[2] IV 123 jedoch abgelehnten Rechtsmeinung folgt, daß als wesentlicher Irrtum auch jeder Irrtum über den Preis anzusehen sei, nichts zu gewinnen, da ein Irrtum über den Preis gar nicht vorliegt. Ein solcher ist gegeben bei Abweichung des vereinbarten Preises von dem gewollten Preis (Pisko a. a. O.; in diesem Sinne auch die Entscheidung EvBl. 1958 Nr. 198; in diesem Falle wurde an Stelle des gewollten Kilopreises von 11 S ein Gesamtpreis von 11.000 S genannt), Im vorliegenden Fall aber hat der Kläger die Honorierung des vom Beklagten geforderten Preises von 40.000 bis 50.000 S gewollt und zu dessen Berichtigung im Tauschwege seinen Ring gegeben. Hat er dies getan, weil er über den Wert des Bildes in Irrtum war, so liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor (SZ. XXIII 272, vgl. auch SZ. XXV 279). Er wäre nach § 901 ABGB. nur dann beachtlich, wenn die Parteien ihre Vorstellungen über den Verkehrswert des Bildes ausdrücklich oder doch wenigstens stillschweigend zur Bedingung gemacht hätten. Davon kann aber hier nicht gesprochen werden, weil der Beklagte nicht etwa dem Kläger vorspiegelte, der Verkehrswert des Bildes betrage 40.000 S bis 50.000 S, und der Kläger nur mit Rücksicht auf diese Behauptungen das Bild im Tauschwege erwarb. Der Beklagte nannte vielmehr nur den Preis, zu dem er bereit war, das Bild zu veräußern.
Kann daher der Kläger mit der Anfechtung des Vertrages nach § 871 ABGB. keinen Erfolg haben, so bleibt nur zu prüfen, ob der Tauschvertrag aus dem Rechtsgrund des § 934 ABGB. mit Erfolg angefochten werden kann. Doch auch diese Frage ist im Gegensatz zur Beurteilung der Untergerichte zu verneinen. Der in der Entscheidung JBl. 1930 S. 322 aufgestellte Rechtssatz, daß in dem Preis, der für ein Kunstwerk bezahlt wird, immer der Wert der besonderen Vorliebe enthalten sei und daher Rechtsgeschäfte über Kunstwerke niemals mit dem Rechtsbehelf der Verletzung über die Hälfte angefochten werden könnten, wurde allerdings, soweit die Anfechtung von Veräußerungsgeschäften über alte Kunstwerke in Betracht kommt, in den Entscheidungen DREvBl. 1943 Nr. 87 und RiZ. 1962 S. 83 mit Recht abgelehnt; in dem der erstbezeichneten Entscheidung zugrunde liegenden Falle handelte es sich um ein Werk des Florentiners Lorenzo di Credi, 1459 - 1537, in dem der zweiten um eine spätgotische Heiligenstatue. Mit Recht wurde in der erstbezeichneten Entscheidung ausgeführt, für alte Gemälde und andere Kunstwerke, namentlich für Werke bestimmter Meister, von denen viele vorhanden sind und umgesetzt werden, sowie für Werke bestimmter Zeiten und Richtungen könne sich ein gemeiner Wert bilden. Im wesentlichen denselben Standpunkt vertrat die weitere der vorbezeichneten Entscheidungen, die noch besonders hervorhob, daß sich heute, wo der Handel mit alten Heiligenstatuen großen Umfang angenommen habe, für solche Kunstwerke ein Marktwert gebildet habe. In solchen Fällen sind die Ausführungen Gschnitzers in Klang[2] IV 558 anwendbar: "Da es einen Kunsthandel gibt, muß sich wohl ein Marktpreis bilden". Anders dagegen ist der Verkauf von Werken lebender Künstler durch ihre Schöpfer zu beurteilen. Wie der vernommene Sachverständige Dr. H. der Lebenserfahrung entsprechend ausführte, besteht zwischen dem von den Künstlern unmittelbar geforderten Erstverkaufspreis und dem Verkehrswert - also dem erzielbaren Preis bei einem Wiederverkauf - meistens ein sehr großer Preisunterschied. Der Künstler nimmt bei der Preisbildung auf den möglichen Verkehrswert eines Bildes nicht Bedacht. Er kann dies, wenn er ein noch nicht bekannter Künstler ist, auch gar nicht, weil die nach dem Gutachten des Sachverständigen für den Verkehrswert in erster Linie maßgeblichen Momente, nämlich das Renommee des Künstlers und die bei Auktionen oder im einschlägigen Handel erzielten Preise, noch nicht vorhanden sind. Er verkauft, sofern er nicht durch Notlage zur Verschleuderung des Bildes gezwungen ist, um den Preis, den er im Hinblick auf die von ihm selbst geschätzte künstlerische Qualität des Bildes als gerechten Preis ansieht. Ebenso kauft aber auch der Erwerber nicht, indem er sich bei der Preisbildung einen oft noch gar nicht nennenswerten und ihm jedenfalls nicht bekannten Verkehrswert zur Richtschnur nimmt, sondern er zahlt den vom Künstler geforderten Preis, weil er das Bild wegen seiner von ihm hochgeschätzten künstlerischen Qualitäten haben möchte. Daß dies auch im vorliegenden Fall nicht anders war, ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes, wonach der Kläger, ohne etwa bei einem Sachverständigen über einen Verkehrswert des Bildes Erkündigungen eingezogen zu haben, nur auf Grund der Besichtigung der Bilder des Beklagten für diese und insbesondere für das gegenständliche Bild "Argo 1945" reges und anhaltendes Interesse zeigte, das so groß war, daß er schließlich das Bild gegen seinen Ring eintauschte, der mit 70.000 S geschätzt war und damit den vom Beklagten für sein Bild geforderten Preis von 40.000 bis 50.000 S sogar noch beträchtlich überstieg. In einem solchen Falle ist der in der oben bezeichneten Entscheidung JBl. 1930 S. 322 geprägte Satz anwendbar, daß das Kunstwerk erst dadurch, daß sich ein Kunstliebhaber findet, der die Kunstschöpfungen als solche ansieht, einen Preis gewinnt und daß deshalb in dem Preis, der dem Künstler für das Bild geleistet wird, der Wert der besonderen Vorliebe enthalten ist.
Kann somit der Kläger mit seiner Klage auch, soweit sie auf § 934 ABGB. gegrundet ist, keinen Erfolg haben, so ist es entbehrlich, auf die sich in diesem Zusammenhang ergebende von den Untergerichten nicht erörterte Frage einzugehen, ob diese Gesetzesstelle im Hinblick auf die Kaufmannseigenschaft des Klägers nicht überhaupt unanwendbar ist (Art. 8 Nr. 6 der 4. Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften).
Da keiner der im Revisionsverfahren noch aufrechterhaltenen Rechtsgrunde dem Kläger den geltend gemachten Herausgabeanspruch gibt, war daher der Revision Folge zu geben und in Abänderung der Urteile der Untergerichte spruchgemäß zu erkennen.
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