OGH 15Os184/96

OGH15Os184/9628.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.November 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richeramtsanwärters Mag.Berger als Schriftführer, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 28 b Vr 737/96 anhängigen Strafsache gegen Hamdija H***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Hamdija H***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 14. Oktober 1996, AZ 22 Bs 395/96 (= ON 85 des Vr-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Hamdija H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Im oben bezeichneten Strafverfahren wurde nach Einlangen umfangreicher, im Zuge der seit 19.Jänner 1996 anhängigen Vorerhebungen gesammelter sicherheitsbehördlicher Erhebungsergebnisse am 12.September 1996 über Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den bosnischen Staatsangehörigen Hamdija H***** die Voruntersuchung wegen "§§ 146, 147 Abs 2, 148; 164 (1) und (4) bzw 165; 278 a; 223, 224 StGB; 80, 81 FrG" eingeleitet und Haftbefehl erlassen (S 3 p/I iVm ON 48), auf Grund dessen der Beschuldigte am 18.September 1996 in Leopoldsdorf (NÖ) verhaftet wurde (ON 57). Am 20.September 1996 verkündete ihm die Untersuchungsrichterin im Anschluß an die Beschuldigtenvernehmung den Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft (im Sinne des Antrages des Staatsanwaltes - abermals S 3 p/I -) aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1, 2, 3 lit b StPO (25 unten/V). In der schriftlichen (Formular-)Ausfertigung dieses Beschlusses wurde hingegen (ersichtlich bloß irrtümlich) der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO angekreuzt (ON 61). Dieser Irrtum blieb bisher unberichtigt. Daher beschloß die Untersuchungsrichterin am 1.Oktober 1996 (nach Durchführung einer Haftverhandlung - ON 75 -) die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den zuletzt genannten Haftgründen bis 4. November 1996 (ON 76).

Einer gegen diesen Verlängerungsbeschluß erhobenen Beschwerde (ON 80), mit welcher der Beschuldigte - an sich vom Bestehen des dringenden Tatverdachtes ausgehend - ausdrücklich nur das Vorliegen der drei (damals noch) aktuellen Haftgründe bekämpfte, gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluß vom 14. Oktober 1996, AZ 22 Bs 395/96 (= ON 85 des Vr-Aktes), nicht Folge und verlängerte die Haftfrist bis längstens 14.Dezember 1996.

Danach ist Hamdija H***** dringend verdächtig, mit namentlich bekannten bosnischen sowie noch nicht ausgeforschten Mittätern in Österreich eine kriminelle Organisation zum Zweck gegründet zu haben, um in den Jahren 1993 bis 1995 in Deutschland durch Vortäuschung eines Flüchtlingsstatus erhaltene Sozialleistungen von über 200.000 DM durch Geldkuriere über die Grenze nach Österreich zu bringen und hier in einem Firmenunternehmen sowie in Sparbüchern anzulegen und dadurch die Herkunft der betrügerisch erlangten Gelder zu verschleiern, ferner Karenzgeld von über 100.000 S "veruntreut", falsche inländische öffentliche und ihnen gleichgestellte ausländische Urkunden hergestellt bzw in Verkehr gebracht sowie um seines Vorteiles Willen die rechtswidrige Einreise von Ausländern nach Österreich gefördert und hier als Schwarzarbeiter beschäftigt zu haben.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß des Gerichtshofes zweiter Instanz erhob Hamdija H***** rechtzeitig Grundrechtsbeschwerde (ON 92), in der er sich wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft beschwert erachtet, weil (nach seiner Meinung) sowohl die Dringlichkeit des Tatverdachtes als auch die Haftgründe unrichtig beurteilt wurden.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Im Hinblick darauf, daß der Beschuldigte - wie erwähnt - in seiner Beschwerde an das Oberlandesgericht den Tatverdacht nicht bekämpft und demnach insoweit den Instanzenzug nicht ausgeschöpft hat, weshalb es an einer essentiellen Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde in dieser Richtung mangelt, muß das Beschwerdevorbringen zum dringenden Tatverdacht auf sich beruhen (vgl § 1 Abs 1 GBRB; 14 Os 150/93, 15 Os 86/94; Mayerhofer/Steininger GRBG 1992 Vorbem GRBG Rz 13 iVm Rz 9 zu § 3). Dies unbeschadet der Tatsache, daß der Gerichtshof zweiter Instanz in seiner Beschwerdeentscheidung den qualifizierten Tatverdacht bezüglich der führenden Position des Beschuldigten im Rahmen einer kriminellen Organisation und der damit im Zusammenhang stehenden Malversationen im wesentlichen auf die umfangreichen sicherheitsbehördlichen und gerichtlichen Erhebungen, insbesondere auf die Ergebnisse der Telefonüberwachung und die sichergestellten Unterlagen gestützt und damit eine argumentative Grundlage geschaffen hat, die es dem Obersten Gerichtshof an sich ermöglichen würde, die angefochtene Beschwerdeentscheidung auch in dieser Hinsicht auf ihre tatsächliche Richtigkeit zu überprüfen.

Dessen ungeachtet sei dem verfehlten Beschwerdeeinwand, bei den Straftaten nach "§ 146 ff StGB" (dringender Tatverdacht wird insoweit auch in der Grundrechtsbeschwerde zugestanden) handle es sich um eine Auslandstat eines Ausländers, die in Österreich nur zu verfolgen wäre, wenn der Täter nicht ausgeliefert werden könne, erwidert, daß der Beschuldigte auch diesbezüglich im wesentlichen im Inland agiert hat und demnach die österreichischen Strafgesetze gelten (§§ 62, 67 Abs 2 StGB). Aus eben diesen Erwägungen hat - wie vom Obersten Gerichtshof erhoben wurde - das Oberlandesgericht Wien im getrennt geführten Auslieferungsverfahren (AZ 28 Vr 10.156/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) bereits mit Beschluß vom 8. November 1996, AZ 22 Ns 21/96, die von der Senatsverwaltung für Justiz Berlin mit Note vom 26.September 1996 von Österreich begehrte Auslieferung des Hamdija H***** zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehlt des Amtsgerichtes Tiergarten in Berlin vom 17.Juli 1996, Gesch-Nr. 350 Gs 2480/96, beschriebenen Straftat (vgl 277 ff/IV) abschließend und unanfechtbar für unzulässig erklärt.

Nach dem Inhalt des vorzitierten Haftbefehls ist H***** verdächtig, als Kopf einer europaweit agierenden Organisation von Staatsbürgern aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sich zum Ziel gesetzt hat, in verschiedenen europäischen Staaten - insbesondere in Deutschland - unter dem Vorwand des angeblichen Status als bosnischer Kriegsflüchtling unberechtigt Sozialhilfe zu beziehen und diese dann in Österreich zentral zu verwerten, zwischen 15.September 1993 und 20. Dezember 1994 nach Deutschland eingereist zu sein und dort Sozialhilfe im Betrag von 80.081,90 DM betrügerisch herausgelockt zu haben.

Sonach ist vom Vorliegen des dringenden Tatverdachtes bezüglich der haftbegründeten Verbrechen des schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB sowie der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs 1 StGB auszugehen.

Der Beschwerde zuwider vermögen die von ihr gegen die sachgerechte Begründung des Gerichtshofes zweiter Instanz für die Annahme des fallbezogen durch gelindere Mittel des § 180 Abs 5 StPO nicht substituierbaren Haftgrundes der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) ins Treffen geführten Argumente nicht zu entkräften. Die Aktenlage weist nämlich nicht nur auf eine europaweit von Österreich aus betrügerisch agierende, vom Beschuldigten H***** ins Leben gerufene und kontrollierte kriminelle Organisation hin, somit auf vielfältige Unterschlupfmöglichkeiten des Beschwerdeführers im Ausland, sondern auch auf einen seinerzeit von Mejria H***** konkret ins Auge gefaßten Plan zur Flucht auch des Hamdija H***** in seinen Heimatstaat (vgl 447 iVm 609/I).

Soweit der Beschwerdeführer dagegenhält, er sei Mitte September 1996 von einer Reise nach Bosnien wiederum zurückgekehrt und habe sich ein weiteres Mal freiwillig zur Festnahme zum Gendarmerieposten begeben, obwohl er bereits vor seiner Verhaftung gewußt habe, daß Haftbefehle aus Berlin und ein Antrag auf Erlassung eines inländischen Haftbefehls vorlagen - was allerdings in dieser Form durch die Verfahrensergebnisse nicht objektiviert ist -, konnte er sich schon deshalb in Sicherheit wiegen, weil er nach seiner ersten Festnahme am 6. Mai 1996 über Antrag des Staatsanwaltes wieder freigelassen werden mußte und nur auf freiem Fuß angezeigt wurde (vgl 617/I).

Unter diesen Umständen kommt daher den Beteuerungen des Beschuldigten, er werde sich seiner Verantwortung durch Flucht keinesfalls entziehen, zumal er bereits zwanzig Jahre lang in Österreich aufhältig sei, hier seine Existenz und seine Familie habe, keine entlastende Bedeutung zu, die gegen die konkrete Gefahr sprechen, er werde auf freiem Fuße flüchten oder sich verborgen halten.

Da nach der Spruchpraxis des Grundrechtsbeschwerdegerichtshofes für die Verneinung einer Grundrechtsverletzung bereits das Vorliegen eines einzigen Haftgrundes genügt und der Oberste Gerichtshof somit von der Überprüfung weiterer Haftgründe entbunden ist (vgl 15 Os 132/96 uam; Mayerhofer/Steininger aaO Rz 57 zu § 2), erübrigt es sich, auch noch auf das weitere Beschwerdevorbringen zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr einzugehen, wobei nur am Rande angemerkt sei, daß der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 2 StPO) durch den Ablauf der im § 194 Abs 1 StPO normierten zweimonatigen Frist seit 20.November 1996 ohnehin nicht mehr gegeben ist.

Da sohin Hamdija H***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde (§ 2 Abs 1 iVm § 7 GRBG), war dessen Beschwerde in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalprokuratur als unbegründet abzuweisen.

Demzufolge hatte ein Ausspruch über die Beschwerdekosten zu entfallen (§ 8 GRBG).

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