OGH 10ObS2395/96w

OGH10ObS2395/96w26.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Ilona Gälzer und Dr.Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kurt H*****, vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1053 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Paul Bachmann, Dr.Eva-Maria Bachmann und Dr.Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.Juli 1996, GZ 7 Rs 24/96w-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.September 1995, GZ 31 Cgs 270/94a-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Der am 24.1.1941 geborene Kläger hat nach Beendigung der Pflichtschule 1954 bis 1957 den Beruf eines Lackierers erlernt und am 8.6.1964 die Meisterprüfung hiefür erfolgreich abgeschlossen. Seit 25.1.1972 ist er in diesem Beruf als Selbständiger tätig, wobei er zum Zeitpunkt des maßgeblichen Stichtages am 1.6.1994 14 Mitarbeiter beschäftigte, welcher Stand zwischenzeitlich um 2 Personen reduziert wurde. Hievon sind drei Facharbeiter, von denen einer Vorarbeiterfunktion inne hat und gemeinsam mit dem Kläger sämtliche Spritzlackiererarbeiten ausführt. Der Betrieb umfaßt eine Werkstätte mit zirka 1.100 m2 inklusive Büroraum, einen Spritzraum und zwei Trockenplätze samt Zubehör. Seit 25.4.1978 besitzt der Kläger auch einen Gewerbeschein für das Handelsgewerbe eingeschränkt auf den Handel mit Farben, Lacken und Zubehör; allerdings hat er einen Handel mit Farben und Lacken seither nie betrieben. Als Notdienst nur an den Wochenenden betreibt der Kläger schließlich auch noch einen Handel mit Windschutzscheiben, wobei er im letzten Jahr (bezogen auf das Datum des Ersturteils sohin 1994) zirka 10 Windschutzscheiben verkauft und eingebaut hat.

Der Kläger hat alle Arbeiten, die in seinem Gewerbe anfallen, stets persönlich ausgeübt. Es ist ihm nicht möglich, lediglich eine Kontrolltätigkeit auszuüben, weil es ihm nicht gelungen ist, trotz mehrmaliger Anfragen beim Arbeitsamt und auch im Annoncenwege, eine qualifizierte Fachkraft aus dem Lackierergewerbe anzustellen, weil es "derartige Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt kaum gibt". Insoweit wäre ihm eine Umorganisation des Betriebes auch nur dann möglich, wenn er eine solche "Spitzenfachkraft" mit Meisterprüfung zusätzlich einstellen könnte.

Auf Grund des vom Erstgericht im einzelnen festgestellten medizinischen Zustandsbildes sind dem Kläger nur mehr leichte körperliche Arbeiten zumutbar, welche überwiegend in sitzender Haltung erfolgen sollen. Dabei ist ein gelegentlicher Haltungswechsel vorteilhaft. Arbeiten im Gehen und Stehen sind insgesamt nur bis zu einem Drittel eines Arbeitstages zumutbar, die Pausen sind über den Tag zu verteilen. Im selben Ausmaß können Bück- und Hebearbeiten leichter Lasten geleistet werden. Arbeiten an exponierten Stellen scheiden ebenso wie Arbeiten in knieender oder hockender Haltung aus. Ein Fußanmarschweg zur Arbeitsstätte ist mit einem Kilometer zu begrenzen. Die Tätigkeiten können im Freien sowie in geschlossenen Räumen geleistet werden, die Fingerfertigkeit ist nicht eingeschränkt. Akkord- und Fließbandarbeiten können dem Kläger nicht mehr zugemutet werden, einem forcierten und normalen Arbeitstempo ist er hingegen ganztägig gewachsen. Insgesamt ist mit einer "Gesamtkrankenstandsdauer" (richtig: einem krankheitsbedingten Arbeitsausfall - 10 ObS 47/96) von sechs Wochen (bezogen auf ein Jahr) zu rechnen.

Es ist dem Kläger nicht möglich, als selbständiger Meister knieende und hockende Tätigkeiten zu vermeiden, weil beispielsweise Hebebühnen in Betrieben vorhanden sein müssen. Allerdings würde es den gesamten Betriebsablauf erheblich stören und somit auch zu großen finanziellen Einbußen führen, wenn beispielsweise bei Nachkommen eines Kundenwunsches nach einem Reparaturkostenvoranschlag die vorhandenen Hebebühnen von den Fahrzeugen befreit werden müssen, um dem Lackierer die Hebebühne zur Verfügung zu stellen. Es bleibt somit dem Kläger nichts anderes übrig, als für einige Minuten unter Kniehöhe seine Blicke zu richten, um solche Schäden abschätzen und eine richtige finanzielle Kalkulation erstatten zu können. Diese Tätigkeiten sind nicht immer in seinem Betrieb auszuführen, sondern wird er vielfach - wie beim Klein- und Mittelgewerbe üblich - zu seinen Vertragspartnern gerufen, wo er die Schäden, die mittlerweile angefallen sind, beim Zustellen von bereits lackierten Fahrzeugen en passant miteinschätzt.

Für den Kläger kommen im Falle des auf die Berufsgruppe der selbständigen Erwerbstätigen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten eingeschränkten Verweisungsfeldes eines selbständigen Kfz-Lackierermeisters auf diesem Arbeitsgebiet keine Tätigkeiten mehr in Betracht.

Mit dem bekämpften Bescheid hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 25.5.1994 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG abgelehnt.

Mit seiner Klage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei zur Leistung einer solchen ab dem Stichtag zu verurteilen.

Das Erstgericht sprach aus, daß der Anspruch des Klägers gegenüber der beklagten Partei auf Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG ab 1.6.1994 dem Grunde nach zu Recht besteht und trug der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe dieser Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von monatlich S 5.000,- unter Abzug aller gesetzlich anrechenbaren Vorleistungen auf.

Den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahingehend, daß beim Kläger alle Anspruchsvoraussetzungen nach § 132 Abs 1 und § 133 Abs 1 GSVG erfüllt seien.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung keine Folge. Ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes übernahm es auch dessen rechtliche Beurteilung und führte hiezu noch - ergänzend - aus, daß die vom Kläger zu verrichtenden Meistertätigkeiten (auch in beratender und kontrollierender Hinsicht) betriebswesentlich seien; eine Umorganisation sei objektiv nicht möglich, da es den Kläger entlastende Spitzenfachkräfte "am Arbeitsmarkt praktisch nicht gibt".

Rechtliche Beurteilung

Die gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte und vom Kläger auch beantwortete Revision der beklagten Partei ist im Sinne des hierin hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Im Rahmen ihrer Rechtsrüge wird zwar von der Revisionswerberin zugestanden, daß beim Kläger auch dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war (§ 133 Abs 2 lit b GSVG), jedoch weiterhin der Standpunkt vertreten, daß ihm eine Umorganisation seines Betriebes dahingehend möglich gewesen wäre, daß ihm durch Dienstnehmer oder Gerätschaften (Hebebühne) die kalkülüberschreitenden Tätigkeiten abgenommen werden könnten. Diese Frage läßt sich aus den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht ausreichend abschließend beantworten. Dies aus folgenden Erwägungen:

1.) Der erkennende Senat hat sich mit der Frage, nach welchen Kriterien zu prüfen ist, ob die persönliche Arbeitsleistung eines Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, bereits in mehreren Entscheidungen zu befassen gehabt (SSV-NF 7/110, 8/114, 9/22, 9/56, 10 ObS 99/95, 10 ObS 2206/96a, 10 ObS 2275/96y, 10 ObS 2359/96a). Die hiezu jeweils formulierten Rechtssätze lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß bei der Beurteilung, ob dauernde Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 Abs 1 und 2 GSVG vorliegt, von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung auszugehen ist. Hiebei ist zwar unter Umständen auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer Umstrukturierung des Betriebes sowie die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung bei einer solchen Umorganisation zu prüfen, etwa auch im Sinne einer Delegierung einzelner Arbeitsgänge an Mitarbeiter, Aufnahme von Hilfs- und Ersatzkräften, eventuelle Adaptierung der Geschäftszeiten uam, um verläßlich festzustellen, ob trotz des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls bei solchen Maßnahmen noch eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung möglich ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates hat ein Betriebsinhaber allerdings nur wirtschaftlich zumutbaren Organisationsmaßnahmen nachzukommen bzw nachzugehen.

2.) Der in der Revision geforderte Maßnahmen- katalog hinsichtlich einer dem Kläger solcherart zumutbaren betrieblichen Umorganisation sollte sich hiebei - so die zusammengefaßten Revisionsausführungen - auf drei Bereiche erstrecken:

3.) Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat sich der Kläger bereits in der Vergangenheit ernsthaft (durch Vorsprache beim Arbeitsamt und Einschaltung von Annoncen) um die Anstellung eines (weiteren) qualifizierten Facharbeiters aus dem Lackierergewerbe in seinen Betrieb bemüht. Die Feststellung der Vorinstanzen, wonach es derartige Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt "kaum" (S 4 des Ersturteils) bzw "praktisch nicht" (S 7 des Berufungsurteils) gibt, vermag hiebei die Rechtsauffassung beider Vorinstanzen, daß damit der Kläger seinen Anforderungen an das Kriterium einer zumutbaren Umorganisation Genüge getan habe, noch nicht zu rechtfertigen. Unabhängig davon, ob die hiezu von der beklagten Partei in der Revision aufgestellte Behauptung, der Kläger sei in diesem Bemühen deshalb erfolglos geblieben, weil er keine entsprechenden finanziellen und sonstigen Anreize geboten habe, dem auch im Revisionsverfahren in Sozialrechtssachen zu beachtenden Neuerungsverbot unterliegt (SSV-NF 1/45, 8/60), ist es doch eine gerichtsbekannte (§ 269 ZPO) Tatsache, daß es österreichweit eine nicht unerhebliche Zahl derartiger Fachkräfte gibt und das Kriterium des Erfolges oder Nichterfolges (und damit auch der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer diesbezüglichen Umorganisation) nicht von konjunkturellen, regionalen oder sonstigen arbeitsmarktmäßigen Kriterien abhängig sein darf. So wie etwa im Verweisungsfeld unselbständig erwerbstätig gewesener Versicherter grundsätzlich auf den gesamten (also österreichweiten) Arbeitsmarkt abzustellen ist, ohne Rücksicht ob der Versicherte auch tatsächlich einen ihm zumutbaren Dienstposten auch wirklich finden wird (SSV-NF 6/56, 8/92 uva), sodaß Argumente der Arbeitsmarktsituation grundsätzlich ohne Belang zu bleiben haben (10 ObS 2129/96b), kann dieser Gedanke auch bei einem selbständig Versicherten im wesentlichen Anwendung finden (vgl auch SSV-NF 9/22 zur Anlehnung des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Novelle an die Bestimmungen des § 255 ASVG). Aus diesen Feststellungsgrundlagen allein kann der Kläger daher die wirtschaftliche Unzumutbarkeit einer personalorientierten betrieblichen Strukturänderung nicht ableiten. Ob die Kosten der Beschäftigung eines solchen weiteren Arbeitnehmers für den Betrieb wirtschaftlich leistbar und zumutbar sind, kann allerdings derzeit (noch) nicht abschließend und verläßlich beantwortet werden. Hiezu bedarf es nämlich eindeutigr Feststellungen zum Betriebsergebnis (siehe hiezu auch den noch zu behandelnden P. 6 unten), also zum Betriebserfolg bei der jetzigen Mitarbeit des Klägers (ohne eine solche weitere Fachkraft) und andererseits zu den Kosten einer derartigen entsprechend qualifizierten Arbeitskraft. Hieraus ergibt sich dann der Betriebserfolg bei Anstellung eines weiteren Mitarbeiters, der die Arbeiten des Klägers zu übernehmen hätte. Auf dieser Grundlage wäre dann zu beurteilen, ob dem Kläger die Beschäftigung eines solchen Mitarbeiters wirtschaftlich zumutbar ist.

4.) Zur Möglichkeit eines (vermehrten) Einsatzes einer Hebebühne liegen ausreichende Feststellungen des Erstgerichtes dahingehend vor, daß der Kläger vielfach zu Vertragspartnern gerufen wird, um Schäden zu schätzen und dort naturgemäß keine Hebebühnen vorhanden sind, weiters die dauernde Verwendung einer solchen den gesamten Betriebsablauf erheblich stören und zu großen finanziellen Einbußen führen würde. Insoweit ist eine Umorganisation im technisch-organisatorischen Umfang dem Kläger in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen nicht zumutbar.

5.) Zur Frage einer Betriebsverkleinerung ist - anknüpfend an die einleitenden Ausführungen weiter oben - zunächst klarzustellen, daß die vom Kläger zu fordernde Möglichkeit einer Umstrukturierung seines Betriebes nicht zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage des Betriebes führen darf (vgl SSV-NF 7/110 [bei allerdings anders gelagertem Sachverhalt]). So wie aber einem Unselbständigen unter Umständen (§ 255 Abs 3 ASVG) ein Herabsinken seines Einkommens bis zur "Lohnhälfte" vom Gesetzgeber zugemutet wird, muß auch bei einem selbständig Erwerbstätigen jedenfalls eine gewisse Verschmälerung seiner Einkommenssituation (in der Revision wird durchaus treffend von der Inkaufnahme eines "nicht schwerwiegenden Gewinnrückgangs" gesprochen, "um die bisherige selbständige Erwerbstätigkeit in modifizierter Form fortzusetzen") vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf genommen werden. Ob nach diesen Grundsätzen eine Umstrukturierung allerdings möglich (gewesen) wäre, kann nach den bisherigen Feststellungen - ebenfalls - nicht beurteilt werden. Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen über die kaufmännische Struktur und die daraus betriebswirtschaftlich erzielten finanziellen Ein- und Ausgänge (Ertragsvolumen, Umsätze, Gewinne, Afa-Steuern, Versicherungen, Zinsen- lasten, sonstige Kosten) - nicht einmal größenordnungs- mäßig - getroffen. Bestünde aber die Möglichkeit, durch organisatorische Maßnahmen auch dieser Art den Betrieb so zu gestalten, daß er auch ohne persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers wirtschaftlich geführt werden kann, wäre dem Klagebegehren jedenfalls der Boden entzogen.

6.) Um die Sache spruchreif zu machen, bedarf es damit offenbar einer Verhandlung in erster Instanz. Deshalb waren in Stattgebung der Revision die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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