OGH 10ObS99/95

OGH10ObS99/9520.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer. als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Gottfried Winkler und Dr.Theodor Zeh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertraude S*****, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Februar 1995, GZ 33 Rs 155/94-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30.August 1994, GZ 2 Cgs 42/94v-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Die Klägerin hat von Jänner 1982 bis Oktober 1990 als selbständig Erwerbstätige einen Zeitungskiosk betrieben und war anschließend vom September 1991 bis Juli 1992 als Kassierin beschäftigt. Infolge der vor allem auf chirurgischem Gebiet liegenden körperlichen Einschränkungen kann die Klägerin nur mehr leichte Arbeiten im Sitzen, ohne Heben und Tragen von mehr als fünf Kilogramm, nicht über Kopf, nicht im Bücken und nicht in dauernder Nässe und Kälte sowie in übermäßiger Staubbelastung während der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten. Es sind alle geistigen Arbeiten der Ausbildung gemäß möglich. Anlernfähigkeit, Einordenbarkeit und Vermittelbarkeit sind gegeben. Der Weg zur Arbeit ist unter städtischen Bedingungen möglich. Der Zustand besteht seit Antragstellung.

Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.8.1994 gerichteten Klagebegehren statt.

In rechtlicher Hinsicht sei eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht mehr in der Lage, als selbständige Zeitungskioskbetreiberin wie auch als selbständige Trafikantin zu arbeiten, wenn sie nicht mindestens einen Ganztagsmitarbeiter beschäftigen könne. Infolge der Ertragslage könne die Klägerin ihren Betrieb nicht so organisieren, um eine Ersatzkraft einzustellen. Die Klägerin, die zum Stichtag das 50.Lebensjahr vollendet habe, sei daher nicht mehr in der Lage, eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordere, die die Klägerin zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt habe. Sie sei daher ab 1.8.1994 erwerbsunfähig.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es vermeinte, sich mit der Bekämpfung der Aussage des Erstgerichtes, daß auf Grund der Ertragslage des Betriebes eine Ersatzkraft nicht beschäftigt werden könnte, nicht beschäftigen zu müssen, weil auch unter Zugrundelegung der von der Berufung zugestandenen finanziell möglichen Anstellung eine Halbtageskraft Erwerbsunfähigkeit deshalb vorliege, weil auch außeralb der Zeit, in der Mitarbeiter beschäftigt werden könnten, Hebe- und Tragearbeiten anfielen, die das Leistungskalkül der Klägerin überschritten. Da alle Zeitungspakete über fünf Kilo schwer seien, könnten sie von der Klägerin nicht gehoben aber auch nicht zerteilt werden, weil sie sich nicht bücken könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil von der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision ist im Sinne des neben dem Abänderungsantrag gestellten Aufhebungsantrag berechtigt.

Die Frage der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin ist nach § 133 Abs 2 GSVG idF der 19.Nov (BGBl 1993/336) zu prüfen. Als erwerbsunfähig gilt demnach der Versicherte, der das 50.Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Novellierung dieser Bestimmung die Absicht, daß ab dem 50.Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch beim Invaliditätsbegriff bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50.Lebensjahr der Fall ist ((Rudda, Gedanken zur Erwerbsunfähigkeit gewerblich Selbständiger ZAS 1994, 119 [121]). Ein Tätigkeitsschutz soll allerdings zwischen dem

50. und dem 55.Lebensjahr weiterhin nicht bestehen (10 ObS 241/94, 10 ObS 293/94, 10 ObS 82/95).

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates ist aber auch noch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Umstrukturierung bzw Umorganisierung oder Adaptierung des Betriebes in dem die persönliche ausführende Mitarbeit des Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, zu prüfen, um festzustellen, ob trotz des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls bei solchen Maßnahmen noch eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung möglich ist (SSV-NF 2/71, 5/114, 7/121).

Ob dies im vorliegenden Fall zutrifft, kann auf Grund der bisherigen Feststellungen noch nicht beurteilt werden.

Die Vorinstanzen haben über die wirtschaftliche Struktur des Betriebes und dessen Ertragslage keine Feststellungen getroffen, aus denen sich die vom Erstgericht lediglich aus der Parteienvernehmung der Klägerin ohne sachliches Substrat abgeleitete rechtliche Schlußfolgerung ergeben könnte, daß auf Grund der Ertragslage (- die nicht festgestellt worden ist -) der Betrieb nicht so organisiert werden könnte, um eine Ersatzkraft zu beschäftigen.

Neben der Frage, ob und welche Ersatzkraft wirtschaftlich zumutbar ist und wie die Arbeiten dann geteilt werden könnten, ist ungeprüft geblieben, ob die Geschäftszeiten des Betriebes auf Grund der allgemein üblichen Lieferungszeiten der Zeitungsverlage nicht so koordiniert werden könnten, sodaß eine allfällige wirtschaftlich zumutbare (Ganz- oder Halbtages)Ersatzkraft die von der Klägerin nicht bewältigbaren Verrichtungen tätigen könnte. Ferner liegen, worauf die Revision zulässigerweise, ohne Neuerungen geltend zu machen, hinweist, Feststellungsmängel darin, daß nicht festgestellt ist, ob es zumutbare Umorganisierungs- bzw Adaptierungsmaßnahmen gibt, die es ermöglichen, daß durch Lieferung der Zeitungspakete auf eine erhöhte allenfalls bewegliche Ablagefläche die Klägerin, ohne sich zu bücken und ohne erheblichen Mehraufwand an Zeit und Kosten, die Zeitungspakete selbst teilen kann, sodaß mit dem Leistungskalkül der Klägerin unvereinbare Hebe- und Trageleistungen außerhalb und innerhalb der Geschäftszeit vermeidbar wären.

In Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte