OGH 2Ob2369/96p

OGH2Ob2369/96p14.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Markus R*****, infolge Revisionsrekurses des Landes Oberösterreich gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 18. September 1996, GZ 13 R 404/96i-27, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 10. Juli 1996, GZ 4 P 7/96f-20, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Amt für Jugend und Familie, beantragte am 1.2.1996 beim Erstgericht, ihm die Obsorge über den mj Markus R***** zur Gänze zu übertragen, weil die Kindesmutter Lydia R***** aus mehreren, im Antrag näher dargelegten Gründen, nicht in der Lage sei, dem Kind wenigstens eine notdürftige Pflege und Erziehung zu bieten, und dessen Unterbringung auf einem Dauerpflegeplatz nötig sei.

Nach Durchführung von Ermittlungen entzog das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluß der Mutter Lydia R***** die Obsorge über ihren mj Sohn Markus R***** zur Gänze und übertrug gleichzeitig die Obsorge dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger. Weiters ordnete es gemäß § 12 Abs 1 AußStrG den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung an. Es kam rechtlich zu dem Ergebnis, gemäß § 176a ABGB sei die Obsorge der Mutter zur Gänze zu entziehen, weil diese nicht in der Lage sei, mit ihren eigenen Angelegenheiten zu Rande zu kommen und ihr Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Sie könne somit dem Kind kein für eine ungehinderte Entwicklung geeignetes Umfeld bieten. Da aus der Verwandtschaft keine präsenten Bezugspersonen bekannt seien, denen die Obsorge über das Kind übertragen werden könnte, sei diese an den Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Dies sei bei verfassungskonformer Interpretation des § 4 OÖJWG 1991 das Land Oberösterreich.

Diesen Beschluß stellte das Erstgericht den Eltern und dem Magistrat Linz, Amt für Jugend und Familie, zu (Übernahmedatum 17.7.1996).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Landes Oberösterreich nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Es führte folgendes aus:

Wie bereits wiederholt über Rekurse des Landes Oberösterreich in gleichgelagerten Fällen entschieden worden sei (RZ 1996/32; 1 Ob 2148/96 ua), sei die Rechtsansicht des Landes Oberösterreich unzutreffend, Jugendwohlfahrtsträger im Sinne des § 4 OÖJWG 1991 sei die Bezirksverwaltungsbe- hörde bzw die Landesregierung, an die im Sinn des § 176a ABGB die Obsorge übertragen werden könne. § 4 Abs 1 bis 3 OÖJWG 1991 müsse verfassungskonform so ausgelegt werden, daß das Land Oberösterreich, nicht aber dessen Organe Jugendwohlfahrtsträger seien, weil gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG in Angelegenheiten der Jugendfürsorge nur dem Land die Kompetenz zur Erlassung von Ausführungsge- setzen, dem Bund hingegen Kompetenz zur Erlassung von Grundsatzbestimmungen zukomme. Das entsprechende Bundes- Grundsatzgesetz sei das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, in dessen § 4 Abs 1 normiert werde, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt das Land (Jugendwohlfahrtsträger) sei. Gemäß § 4 Abs 2 leg cit bestimme die Landesgesetzgebung, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen hätten. Da ein Ausführungsge- setz verfassungswidrig sei, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspräche, ergebe die verfassungskonforme Auslegung des § 4 Abs 1 bis 3 OÖJWG 1991, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Jugendwohlfahrtsträger" im OÖJWG nicht Jugendwohlfahrtsträger im Sinn des § 4 Abs 1 JWG 1989 seien und ihnen somit nicht gemäß § 176a ABGB die Obsorge übertragen werden könne. Soweit das Land Oberösterreich damit argumentiere, der ausdrückliche Gesetzwortlaut des § 4 Abs 1 bis 3 OÖJWG 1991, worin die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ausdrücklich als Jugendwohlfahrtsträger bezeichnet würden, lasse die Interpretation des Erstgerichts nicht zu, sei entgegenzuhalten, daß § 4 Abs 1 OÖJWG 1991 auch bestimme, daß die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt von der Landesregierung und von den Bezirksverwaltungsbehörden nach Maßgabe dieses Gesetzes zu besorgen seien. Auch damit sei klargestellt, daß dem Rechtsträger Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger Rechte und Pflichten zukämen, die von dessen Organen, nämlich der Landesregierung und den Bezirksverwaltungsbehörden lediglich wahrzunehmen (zu besorgen) seien. Damit sei die Übertragung der Obsorge an das Land Oberösterreich durch das Erstgericht zu Recht erfolgt. Daraus ergebe sich weiters, daß auch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Amt für Jugend und Familie, entgegen der Ansicht des Landes Oberösterreich zu Recht erfolgt sei, weil der Magistrat in Städten mit Statut Bezirksverwaltungsagenden wahrzunehmen habe und somit Organ des Jugendwohlfahrtsträgers sei. Damit erweise sich auch die Rechtsansicht des Landes Oberösterreich als verfehlt, der angefochtene Beschluß hätte an das Amt der oberösterreichen Landesregierung zugestellt werden müssen. Im übrigen komme diesen Ausführungen gegenständlich keine Bedeutung zu, weil die Rechtzeitigkeit des Rekurses nach Zustellung an den Magistrat der Landeshauptstadt Linz am 17.7.1996 außer Zweifel stehe.

Da das Rekursgericht bei seiner Entscheidung von der zitierten oberstgerichtlichen Judikatur zur Frage, wer in Oberösterreich Jugendwohlfahrtsträger sei, nicht abgewichen sei, sei gemäß § 14 Abs 1 und 3 AußStrG auszusprechen gewesen, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Landes Oberösterreich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Obsorge dem Magistrat der Landeshauptstadt Linz als Jugendwohlfahrtsträger übertragen wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 4 OÖJWG 1991 LGBl 111 uneinheitlich ist; er ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht zusammengefaßt geltend, in 2 Ob 602/93 sei die öffentliche Jugendwohlfahrtsträgerschaft der Landesregierung anerkannt worden. Aufgrund der ausdrücklichen Normierung der Jugendwohlfahrtsträgerschaft der Bezirksverwaltungsbehörde und der Landesregierung im OÖJWG und des Willens des Landesgesetzgeber bleibe für eine verfassungskonforme Interpretation im Sinne von 9 Ob 514/95 und 1 Ob 2148/96 kein Raum. Angeregt werde die Entscheidung durch einen verstärkten Senat, allenfalls die Anfechtung des § 4 OÖJWG beim Verfassungsgerichtshof.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG ("... Jugendfürsorge") ist in Angelegenheiten der Jugendfürsorge Bundessache die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung. Dementsprechend hat der Bund mit § 4 des Grundsätze über die Jugendfürsorge enthaltenden JWG 1989 BGBl 161 bestimmt, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt (Jugendwohlfahrtsträger) das Land ist (Abs 1) und die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben (Abs 2). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen bzw Organisationseinheiten unterschieden.

Das OÖJWG LGBl 1991/111 bezeichnet in § 4 "Aufgabenverteilung und Zuständigkeit" nicht nur das Land sowie die Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger".

Ein Ausführungsgesetz ist verfassungswidrig, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspricht (Walter/Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrechts8 Rz 266 und 1157). Bei der Auslegung von Gesetzen sind interpretative Widersprüche zum Verfassungsrecht zu vermeiden; verfassungskonforme Auslegung ist daher, soweit sie nach den sonstigen Auslegungskriterien möglich ist, geboten, auch teleologische Reduktion ist zur Erreichung eines verfassungskonformen Ergebnisses möglich (Bydlinski in Rummel2 § 6 ABGB Rz 21). Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen (9 Ob 514/95 = RZ 1996/32; 1 Ob 2148/96f; 7 Ob 2280/96m; 6 Ob 2276/96s), daß § 4 OÖJWG zwar in der Terminologie von § 4 JWG 1989 dadurch erheblich abweicht, daß dort nicht nur das Land sowie Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet werden und damit nicht zwischen Rechtsträgern und Organen unterschieden wird. Da aber nicht anzunehmen sei, daß der Landesgesetzgeber mit der Bezeichnung auch der zur Ausführung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen berufenen Organe als "Jugendwohlfahrtsträger" bewußt gegen die Grundsätze des JWG 1989 habe verstoßen wollen, sei iS einer verfassungskonformen Auslegung davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung unge- achtet ihrer Bezeichnung als "Jugendwohlfahrtsträger" im OÖJWG nicht als "Jugendwohlfahrtsträger" iSd § 4 Abs 1 JWG 1989 anzusehen seien. In diesen Entscheidungen wurde dabei auch zum Ausdruck gebracht, es erscheine nicht sachgerecht, die Gerichte damit zu befassen, welches der nach den landesgesetzlichen Vorschriften in Frage kommenden Organe ein- und desselben Rechtsträgers jeweils zur Durchführung einer diesem Rechtsträger obliegenden Jugendwohlfahrtsmaßnahme berufen sei.

Auch in den Entscheidungen 6 Ob 524/95 (zum WrJWG 1990, LGBl 36) und 6 Ob 547/93 (EvBl 1993/191 = EFSlg 71.957, 75.165 zum Kärntner JWG, LGBl 1991/139) wurde klar ausgesprochen, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG, § 4 Abs 1 JWG 1989 stets das Land und der Landesgesetzgeber lediglich ermächtigt sei, die Organisationseinheiten zu bestimmen, die die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Auch die Entscheidung des erkennenden Senates 2 Ob 602/93 (EvBl 1994/141 = tw EFSlg 75.165) geht davon aus, daß § 4 Abs 1 JWG 1989 als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt das jeweilige Land bestimmt und nach Abs 2 dieser Bestimmung durch die Landesgesetzgebung (nur) festzulegen ist, welche konkreten Organisationseinheiten die Aufgabe der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Soweit darin weiters aus der Diktion in den §§ 4 und 40 OÖJWG gefolgert wird, die oö Landesregierung sei unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen, wird diese lediglich am Gesetzeswortlaut orientierte Ansicht vom erkennenden Senat im Hinblick auf die oben zitierte überwiegende Rechtsprechung nicht aufrecht erhalten.

Die Vorinstanzen haben somit zu Recht die Obsorge dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger übertragen.

Der Befassung eines verstärkten Senates bedurfte es nicht, weil zwar im Hinblick auf die bisher uneinheitliche Judikatur eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG, aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 8 Abs 1 Z 2 OGHG vorliegt. Da sich der oberösterreichische Landesgesetzgeber bloß in der Terminologie vergriffen hat, indem er Rechtsträger und Organe (Organisationseinheiten) nicht auseinanderhielt, und § 4 OÖJWG im Sinne der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verfassungskonform verstanden werden kann, besteht auch kein Anlaß, die Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

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