OGH 6Ob2276/96s

OGH6Ob2276/96s24.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sabine A*****, geboren am 23.Oktober 1979, und mj. Bettina A*****, geboren am 19.September 1981, infolge Revisionsrekurses des Landes Oberösterreich gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 11.Juli 1996, GZ 13 R 278/96k-78, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 20.Mai 1996, GZ 4 P 1209/95v-75, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Obsorge für die beiden Minderjährigen hat das Erstgericht mit Beschluß vom 17.April 1996 ON 71 dem ehelichen Vater - die Mutter ist bereits 1987 verstorben - entzogen (Punkt 1.) und dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger übertragen (Punkt 2.). Dieser Beschluß wurde der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung am 24. April 1996 zugestellt.

Den am 11.Mai 1996 zur Post gegebenen Rekurs des Landes Oberösterreich gegen Punkt 2. wies das Erstgericht als verspätet zurück, weil die Rechtsmittelfrist mit der Zustellung an die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung als gesetzlich zuständige Organisationseinheit in Gang gesetzt worden sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Zurückweisungsbeschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf eine Differenz in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen - trotz der Bezeichnung im Kopf des Rechtsmittels "Amt der oö Landesregierung" (vgl zur rechtlichen Stellung desselben 6 Ob 524/95 mwN und Walter/Mayer, Grundriß des österr.

Bundesverfassungsrechts8 Rz 826 ff) erkennbar - vom Land Oberösterreich erhobene Revisionsrekurs ist ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig.

Gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG ("... Jugendfürsorge") ist in Angelegenheiten der Jugendfürsorge Bundessache die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung. Dementsprechend hat der Bund mit § 4 des Grundsätze über die Jugendfürsorge enthaltenden JWG 1989 BGBl 161 bestimmt, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt (Jugendwohlfahrtsträger) das Land ist (Abs 1) und die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben (Abs 2). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen bzw Organisationseinheiten unterschieden.

Das oö JWG LGBl 1991/111 bezeichnet in § 4 "Aufgabenverteilung und Zuständigkeit" nicht nur das Land sowie die Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger".

Ein Ausführungsgesetz ist verfassungswidrig, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspricht (Walter/Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrechts8 Rz 266 und 1157). Bei der Auslegung von Gesetzen sind interpretative Widersprüche zum Verfassungsrecht zu vermeiden; verfassungskonforme Auslegung ist daher, soweit sie nach den sonstigen Auslegungskriterien möglich ist, geboten, auch teleologische Reduktion ist zur Erreichung eines verfassungskonformen Ergebnisses möglich (Bydlinski in Rummel2 § 6 ABGB Rz 21). Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen (9 Ob 514/95 = RZ 1996/32; 7 Ob 2280/96m, 1 Ob 2148/96f), daß § 4 oö JWG zwar in der Terminologie von § 4 JWG 1989 dadurch erheblich abweicht, daß dort nicht nur das Land sowie Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet werden und damit nicht zwischen Rechtsträgern und Organen unterschieden wird. Da aber nicht anzunehmen sei, daß der Landesgesetzgeber mit der Bezeichnung auch der zur Ausführung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen berufenen Organe als "Jugendwohlfahrtsträger" bewußt gegen die Grundsätze des JWG 1989 habe verstoßen wollen, sei iS einer verfassungskonformen Auslegung davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Jugendwohlfahrtsträger" im oö JWG nicht als "Jugendwohlfahrtsträger" iSd § 4 Abs 1 JWG 1989 anzusehen seien. In diesen Entscheidungen wurde dabei auch - zutreffend - zum Ausdruck gebracht, es erscheine nicht sachgerecht, die Gerichte damit zu befassen, welches der nach den landesgesetzlichen Vorschriften in Frage kommenden Organe ein- und desselben Rechtsträgers jeweils zur Durchführung einer diesem Rechtsträger obliegenden Jugendwohlfahrtsmaßnahme berufen sei. An dieser Auffassung wird festgehalten.

Auch in den Entscheidungen 6 Ob 524/95 (zum WrJWG 1990, LGBl 36) und 6 Ob 547/93 (EvBl 1993/191 = ÖA 1993, 15 = EFSlg 71.957, 75.165 zum Kärntner JWG, LGBl 1991/139) wurde klar ausgesprochen, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG, § 4 Abs 1 JWG 1989 stets das Land und der Landesgesetzgeber lediglich ermächtigt sei, die Organisationseinheiten zu bestimmen, die die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Auch die Entscheidung 2 Ob 602/93 (EvBl 1994/141 = EFSlg 75.165) geht davon aus, daß § 4 Abs 1 JWG 1989 als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt das jeweilige Land bestimmt und nach Abs 2 dieser Bestimmung durch die Landesgesetzgebung (nur) festzulegen ist, welche konkreten Organisationseinheiten die Aufgabe der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Soweit darin weiters aus der Diktion in den §§ 4 und 40 oö JWG gefolgert wird, die oö Landesregierung sei unter den in dieser Bestimmung genannten Vorraussetzungen als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen, wurde dem nicht verfassungskonformen Ergebnis in den Entscheidungen RZ 1996/32, 1 Ob 2148/96f und 7 Ob 2280/96m ausdrücklich entgegengetreten. Auch der erkennende Senat ist der Ansicht, daß der Entscheidung insoweit wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Bestimmungen des oö JWG nicht gefolgt werden kann. Der Befassung eines verstärkten Senates bedarf es im Hinblick auf die einhellige Judikatur, wer in den Ländern als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen ist, nicht. Wegen des Vorhandenseins bloß einer abweichenden Entscheidung (EvBl 1994/141) liegt aber auch keine uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor.

In die Organisation der Verwaltung der Länder, die seit der B-VGNovelle 1974 nicht mehr in die Kompetenz des Bundes gemäß Art 12 B-VG fällt, greift § 4 JWG 1989 nicht ein, wenn er das (jeweilige) Land als Jugendwohlfahrtsträger bestimmt und die Bestimmung der für einzelne Aufgaben zuständigen Organisationseinheiten dem Landesgesetzgeber überläßt. Damit wird nämlich nicht - wie früher in § 3 Abs 2 JWG 1954 - für die von der Bezirksverwaltungsbehörde zu besorgenden Angelegenheiten als eigene Organisationseinheit eine eigene Abteilung (Jugendamt) gefordert. Nur derartige Eingriffe in die Organisation der Verwaltung in den Ländern sind dem Bundesgesetzgeber nunmehr verwehrt. § 4 JWG 1989 wahrt durch seine Festlegungen in Abs 2 die Organisationshoheit der Länder (vgl RV 171 BlgNR 17.GP 11 f). Die Kompetenz, Jugendwohlfahrtsträger - und nicht nur Organisationseinheiten - zu bestimmen, kommt dem Landesgesetzgeber aber nicht zu. Der Hinweis im Rechtsmittel auf die B-VGNovelle 1974 ist daher nicht geeignet, Zweifel an der herrschenden Auffassung zu § 4 JWG 1989 iVm §§ 4, 40 oö JWG zu erwecken. Verfassungsmäßige Bedenken gegen die genannten Bestimmungen des oö JWG bestehen bei verfassungskonformer Auslegung nicht.

Daß sich das Land als Jugendwohlfahrtsträger gerichtliche Zustellungen, die an die gesetzlich festgelegten Organisationseinheiten vorzunehmen sind, zurechnen lassen muß, hat der erkennende Senat bereits in den Entscheidungen EvBl 1993/191 und 6 Ob 524/95 ausgesprochen. Daran wird festgehalten. Durch das KindRÄG BGBl 1989/162 wurde im § 215a ABGB abweichend von den vorangegangenen, in Einzelgesetzen verstreuten Zuständigkeitsvorschriften die Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers normiert. Soweit nichts anderes angeordnet ist, fallen die Aufgaben dem Jugendwohlfahrtsträger zu, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung erweist sich damit angesichts des Aufenthaltsortes der beiden Minderjährigen als die gesetzlich zuständige Organisationseinheit des Rechtsträgers Land Oberösterreich; die alleinige und die Rechtsmittelfrist auslösende Zustellung an sie ist daher, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, nicht zu beanstanden.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG ist der ordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte