OGH 3Ob2063/96w

OGH3Ob2063/96w10.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst, Dr. Graf, Dr. Pimmer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei *****bank ***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Anton Waltl und Dr. Peter Krempl, Rechtsanwälte in Zell am See, und anderer betreibender Parteien wider die verpflichtete Partei Johann N*****, ***** ***** vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Grosch & Partner in Kitzbühel, wegen S 400.000 und S 16.254,09 je sA, infolge Rekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 15. Dezember 1995, GZ 4 R 664,667,676,677/95-44, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 30. Oktober 1995, GZ E 6182/94t-41, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Der Verpflichtete hat die Kosten der Rekursverfahren selbst zu tragen.

Text

Begründung

Gegenstand des Zwangsversteigerungsverfahrens, das vom Erstgericht auf Grund eines am 7.10.1994 eingelangten Exekutionsantrags bewilligt wurde, ist ein Grundstück, auf dem sich ein Haus befindet.

Das Erstgericht bewertete mit Beschluß vom 18.7.1995 nach Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen die zu versteigernde Liegenschaft mit S 3,300.000 und sprach aus, daß Anträge, Erinnerungen und Einwendungen gegen die Beschreibung und Schätzung oder gegen den angegebenen Schätzwert binnen vierzehn Tagen einzubringen sind.

Der Verpflichtete brachte in den von ihm erhobenen "Einwendungen" unter anderem vor, daß für den "gegebenen Bestand" keine Baubewilligung vorhanden sei und daß er das Haus höher errichtet habe, als in den Einreichplänen vorgesehen gewesen sei. Überdies stimme auch die in der Natur vorhandene Grundstücksgrenze mit der Mappengrenze nicht überein. Es habe in den letzten Jahren zwar eine Vermessung stattgefunden, doch sei das daraus sich ergebende Ergebnis nicht bücherlich durchgeführt worden.

In einer über die Einwendungen anberaumten Tagsatzung gab der dazu beigezogene Sachverständige zu den Einwendungen des Verpflichteten an, daß an der hinteren Seite des Hauses der (gemeint offensichtlich: nach der TirBauO) vorgeschriebene Abstand zur Grenze des Nachbargrundstückes nicht gegeben sei. Wenn dieser Fehler durch eine Vereinbarung mit dem Eigentümer des Nachbargrundstücks nicht behoben werden könne, müsse ein Teil des Hauses abgerissen werden, wodurch etwa S 1,200.000 an Baukosten anfallen würden.

Der vom Erstgericht vorgeladene Eigentümer des Grundstücks, das an das zu versteigernde Grundstück angrenzt, bot dem Ersteher "verbindlich" um den Preis von S 2.000 je Quadratmeter den Erwerb jenes Teiles seines Grundstückes an, der notwendig ist, um den gesetzlichen Abstand zur Grundstücksgrenze zu erreichen, wobei der Ersteher auch die Kosten der Vermessung, der Vertragserrichtung und der Durchführung des Vertrages tragen müsse. Er erklärte sich damit einverstanden, daß dieses verbindliche Anbot beim Versteigerungstermin verlesen wird.

Der Sachverständige ergänzte sein Gutachten dahin, daß zur Herstellung des ordnungsgemäßen Zustandes etwa 70 m2 vom Nachbargrundstück erworben werden müßten, was im Hinblick auf den vom Eigentümer des Nachbargrundstücks verlangten Preis einschließlich der Nebenkosten etwa S 160.000 erfordere. Der Verkehrswert der zu versteigernden Liegenschaft betrage daher unter Berücksichtigung dieser Kosten S 3,140.000.

Das Erstgericht bewertete mit Beschluß vom 30.10.1995 die zu versteigernde Liegenschaft "endgültig" mit S 3,300.000. Es bestehe die Möglichkeit, daß über den Erwerb des zur Herstellung des bauordnungsgemäßen Zustandes erforderlichen Grundstücksteils schon vor der Erteilung der Baubewilligung eine Vereinbarung getroffen worden sei, wofür spreche, daß diese Bewilligung erteilt wurde. Sollte eine solche Vereinbarung nicht getroffen worden oder nicht beweisbar sein, so käme die verbindliche Erklärung des Eigentümers des Nachbargrundstückes zum Tragen. Der Schätzwert müsse deshalb aber nicht geändert werden, weil nicht klar sei, ob ein Teil des Nachbargrundstücks gekauft werden müsse oder ob hierüber schon eine Vereinbarung vorliege. Es müsse also der Beurteilung der Interessenten überlassen bleiben, ob sie einen zusätzlichen Aufwand berücksichtigen oder vernachlässigen.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses des Verpflichteten diesen Beschluß des Erstgerichtes auf, soweit damit der Schätzwert mit einem S 2,150.950 übersteigenden Betrag bestimmt wurde, und verwies die Exekutionssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs (richtig gemäß § 78 EO iVm § 527 Abs 2 ZPO: der Rekurs) zulässig sei. Ein Verstoß gegen die Bauvorschriften, der zur Folge habe, daß das Gebäude abgetragen und daß zur Herstellung des konsensmäßigen Zustandes Umbauarbeiten durchgeführt werden müssen, verringere den Verkehrswert. Es liege zwar eine Baubewilligung für das Gebäude vor. Gemäß § 44 Abs 5 TirBauO könne der Abbruch eines Gebäudes jedoch dann aufgetragen werden, wenn ein Bauvorhaben von der Baubewilligung abweichend ausgeführt wurde und diese Abweichungen eine Änderung des Bauvorhabens darstellt, zu deren Vornahme auch dann, wenn das Bauvorhaben bereits ausgeführt wäre, eine Baubewilligung erforderlich wäre. Allenfalls könne die Behörde stattdessen die Herstellung des der Baubewilligung entsprechenden Zustands auftragen. Ob diese Voraussetzungen gegeben seien, müsse geklärt werden, wobei auch durch Einsicht in den Bauakt festgestellt werden müsse, worauf es zurückzuführen ist, daß die notwendigen Grenzabstände nicht eingehalten wurden, und ob dies dazu führen könne, daß das Gebäude ganz oder teilweise entfernt oder umgebaut werden müsse. Da sich Interessenten scheuen würden, einen Umbau in Kauf zu nehmen, würde durch die Notwendigkeit zum Umbau der Verkehrswert aber entscheidend beeinflußt. Es sei daher die vom Erstgericht ins Auge gefaßte Möglichkeit, den gesetzmäßigen Zustand durch Kauf eines Teils des Nachbargrundstücks herzustellen, vorzuziehen. Das in diesem Zusammenhang vom Nachbar abgegebene Anbot sei verbindlich, weil ein Anbot etwa auch durch öffentliche Bekanntmachung an nicht individuell bezeichnete Personen abgegeben werden könne und es genüge, daß die Person des Vertragspartners, der das Anbot annimmt, feststellbar und damit bestimmt ist, wer die Vertragsparteien sind. Es müsse aber noch geklärt werden, ob und in welcher Weise der anzukaufende Grund für den Ersteher benützbar ist, welche Kosten durch den Ankauf entstehen und ob es Schwierigkeiten geben könnte, weil das Nachbargrundstück nicht als Bauland gewidmet ist. Schließlich könne auch nicht ausgeschlossen werden, daß gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks ein Verfahren auf Zuhaltung des Anbots geführt werden müsse. Alle diese Umstände wären im zweiten Rechtsgang vom Sachverständigen im Sinn des § 9 Abs 1 Z 2 LBG im Rahmen eines Ergänzungsgutachtens zu bewerten.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Verpflichteten gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs ist berechtigt.

Auf das Verfahren zur Festsetzung des Schätzwertes ist § 144 EO idF des Liegenschaftsbewer- tungsgesetzes (LBG) anzuwenden. Das Erstgericht hat dies offenbar nicht beachtet, weil es noch das Verfahren eingehalten hat, das früher im § 31 RSchO vorgesehen war. Es hat nämlich die Liegenschaft zweimal, davon beim zweiten Mal "endgültig", bewertet. Im § 144 EO sind jedoch in der geltenden Fassung zwei Beschlüsse nicht mehr vorgesehen, sondern es ist der Schätzwert mit einem einzigen Beschluß festzusetzen. Vor Erlassung dieses Beschlusses sind allerdings die im Gesetz angeführten Personen, darunter auch der Verpflichtete, einzuvernehmen (§ 55 Abs 1 EO). Der erste Beschluß des Erstgerichtes, mit dem die Parteien ua aufgefordert wurden, Einwendungen gegen den Schätzwert binnen 14 Tagen bei Gericht anzubringen, kann aber als Abforderung einer schriftlichen Äußerung im Sinn des § 55 Abs 1 EO angesehen werden.

Gemäß § 144 letzter Satz EO darf auf das Vorbringen im Rekurs gegen den Beschluß auf Festsetzung des Schätzwertes nur dann Rücksicht genommen werden, wenn es bei der Einvernehmung bereits erstattet wurde. Diese Regelung bedeutet nicht bloß, wie anscheinend Holzhammer (Zwangsvollstreckungsrecht4 199), Rechberger/Simotta (Exekutionsverfahren2 Rz 466) und Feil (EO4 Rz 2 zu § 144) meinen, daß für den Rekurs das Neuerungsverbot gilt, weil dies schon bisher einheitliche Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum war (RZ 1991/49; RZ 1990/26; SZ 55/33; Fucik in ÖJZ 1992, 429; Heller/Berger/Stix I 649 f; Holzhammer aaO 137f; Rechberger/Simotta aaO Rz 129, 319) und nicht anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber diese Rechtsprechung gerade für den Rekurs gegen den Beschluß über die Festsetzung des Schätzwertes festschreiben wollte. Wenngleich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des LBG hierüber keinen Aufschluß geben (vgl 333 BlgNR 18.GP 19), muß doch schon nach dem Wortlaut der Bestimmung davon ausgegangen werden, daß im Rekurs nur diejenigen Tatsachen geltend gemacht werden dürfen, die im Rahmen der Einvernehmung ausdrücklich vorgebracht wurden. Anders als beim Neuerungsverbot genügt es daher nicht, daß sie aus Beweisergebnissen hervorgehen oder daß sie der Entscheidung von Amts wegen zugrunde gelegt wurden (vgl hiezu beim Neuerungsverbot Fucik aaO 427; Fasching, Komm IV 162 und ZPR2 Rz 1728).

Der Verpflichtete hat in seinem Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß ausschließlich geltend gemacht, bei der Festsetzung des Schätzwertes sei nicht entsprechend berücksichtigt worden, daß das Gebäude zur Grundstücksgrenze nicht den nach der TirBauO erforderlichen Abstand aufweise. Dies hat er in seinen Einwendungen aber nicht vorgebracht. Sein Vorbringen erschöpft sich in der - unrichtigen - Behauptung, daß für das Gebäude keine Baubewilligung erteilt und daß es höher als in den Einreichplänen vorgesehen gebaut worden sei. Daß der Abstand zur Grundstücksgrenze nicht den Vorschriften der Tiroler Bauordnung entspricht, ist damit aber nicht notwendig gesagt und kann daher nicht als vorgebracht gelten. Eindeutig ergibt sich der ungenügende Abstand zur Grundstücksgrenze erst aus der Aussage des Sachverständigen, der dabei aber nicht auf das Vorbringen, wonach höher gebaut wurde, sondern auf das Vorbringen über das Abweichen der Natur- von der Mappengrenze Bezug nahm.

Das Rekursgericht hätte unter diesen Umständen auf das Rekursvorbringen nicht Bedacht nehmen dürfen. Abgesehen davon, daß im Zuge von Beweisaufnahmen gemachte Aussagen ein Parteienvorbringen nicht ersetzen (vgl EF 55.018, 32.037; SZ 39/8 ua), konnte nach dem Gesagten das in den Einwendungen erstattete Vorbringen nicht wirksam erweitert werden. Da in dem Rekurs, den der Verpflichtete gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhob, andere Umstände, die eine Aufhebung oder Abänderung dieses Beschlusses rechtfertigen könnten, nicht geltend gemacht wurden, war somit der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen. Dem steht nicht entgegen, daß nur der Verpflichtete den Beschluß des Rekursgerichtes bekämpfte, weil für seinen Rekurs das Verbot der reformatio in peius nicht gilt (JBl 1985, 418; SZ 52/141; ÖBl 1977, 33 ua).

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 78 EO iVm den §§ 40 und 50 ZPO. Der Verpflichtete hat schon mangels eines Zwischenstreits (vgl EvBl 1967/68) keinen Anspruch auf Ersatz der Rekurskosten.

Stichworte