OGH 1Ob2222/96p

OGH1Ob2222/96p26.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Abhandlung der Verlassenschaft nach der am 8.November 1993 verstorbenen Emilie K*****, wegen Nachlaßabsonderung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der erbserklärten Erbin Claudia K*****, vertreten durch Dr.Dagmar Arnetzl und Dr.Maximilian Geiger, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 16.April 1996, GZ 1 R 192/96v, 1 R 193/96s und 1 R 202/96i-72, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 28.Februar 1996, GZ A 305/93s-66, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentliche Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Erblasserin enterbte in ihrem Testament vom 5.Mai 1992 ihre Adoptivtochter (im folgenden Noterbin), weil sie sie seit Jahren im Notstand hilflos gelassen habe, und bestimmte ihren Sohn zum Erben, der die Erbschaft indes ausschlug (ON 36). Erbserklärte Erbin ist dessen Tochter, die Enkelin der Erblasserin. Die von der Noterbin - wegen der hohen Verschuldung des Sohns und der Möglichkeit einer Anfechtung der Erbsentschlagung durch Gläubiger des Sohns - beantragte und von den Vorinstanzen rechtskräftig bewilligte Nachlaßseparation (§ 812 ABGB) wurde über Antrag der erbserklärten Erbin mit Beschluß des Rekursgerichts vom 22.Jänner 1996 mit der Begründung aufgehoben, zumindest jetzt, nach Inventur und Schätzung, sei kein Grund zu sehen, daß allenfalls in Anfechtungsprozessen obsiegende Gläubiger die Ansprüche der Noterbin schmälern könnten. „Die Notwendigkeit der Vorbeugung von Gefahren, die sich aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt der erbserklärten Erbin ergeben“, sei „nicht einmal als subjektive Besorgnis der Noterbin behauptet“ worden.

Dem sodann von der Noterbin mit der Behauptung, es sei bereits eine Anfechtungsklage in Ansehung der Erbsentschlagung des Vaters der erbserklärten Erbin eingebracht worden und es würden außergerichtliche Vergleichsverhandlungen über eine Abschlagszahlung der erbserklärten Erbin geführt, die Erbengläubiger hätten auf diesem Weg unbeschränkten Zugriff auf einen nicht separierten Nachlaß, neuerlich gestellten Antrag auf Nachlaßseparation gab der Erstrichter ohne weiteres Verfahren statt. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 50.000 S übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs indes nicht zulässig sei.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

a) Im Verlassenschaftsverfahren haben die Noterben die Rechte der §§ 784, 804 und 812 ABGB und sind deshalb Beteiligte iSd § 9 AußStrG (zuletzt 4 Ob 539/95 = EvBl 1995/187 = RZ 1996/36 mwN). Ein Noterbe ist daher nicht nur berechtigt, gemäß § 804 ABGB die Errichtung des Inventars zu fordern, sondern auch - unter den Voraussetzungen des § 812 ABGB - die Nachlaßabsonderung zu begehren. Dem Erben wird jedoch im Falle der von einem enterbten Noterben - wie hier - verlangten Nachlaßseparation zu deren Abwendung die Möglichkeit eingeräumt, den Enterbungsgrund dem Verlassenschaftsgericht glaubhaft zu machen (RZ 1996/36; NZ 1985, 148; SZ 23/321 = EFSlg 1542; Eccher in Schwimann, § 771 ABGB Rz 5). Die Nachlaßseparation ist nämlich ein über das Verlassenschaftsverfahren hinaus wirkendes Sicherungsmittel, weil der separierte Nachlaß auch nach der Einantwortung dem Zugriff der Separationsgläubiger vorbehalten bleibt. Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, daß zwar die Separationsgläubiger im allgemeinen ihre Forderungen bescheinigen müssen (RZ 1996/36; Welser in Rummel 2, § 812 ABGB Rz 13 und die dort angeführte Rechtsprechung), dies aber auf den Noterben nicht zutrifft, weil sich dessen Pflichtteilsrecht schon aus seiner Zugehörigkeit zum Personenkreis der §§ 762, 763 ABGB - hier iVm § 182 Abs 1 ABGB - ergibt und eine wirksame Enterbung (das Vorliegen eines gesetzlichen Enterbungsgrunds) gemäß § 771 ABGB in jedem Falle, also auch bei ausdrücklicher Enterbung durch den Erblasser, vom Erben erwiesen werden muß. Da somit der Noterbe auch dann die Absonderung des Nachlasses beantragen kann, wenn er vom Erblasser enterbt wurde, soll dem Erben ausnahmsweise auch im Verlassenschaftsverfahren zur Hintanhaltung dieses Sicherungsmittels die Gegenbescheinigung des Enterbungsgrunds zustehen (RZ 1996/36).

Ein Pflichtteilsberechtigter kann gemäß § 768 Z 2 ABGB enterbt werden, wenn er den Erblasser im Notstande hilflos gelassen hat. Notstand ist vor allem finanzielle Hilfsbedürftigkeit, darüber hinaus aber jeder Zustand der Bedrängnis, der nach den Grundsätzen der Menschlichkeit gerechterweise zu der Erwartung berechtigt, daß der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser helfen würde (Eccher aaO § 768 ABGB Rz 11 mwN; Koziol/Welser, Grundriß10 II 392 mwN in FN 7). Das Verhalten muß dem Pflichtteilsberechtigten vorwerfbar sein (Welser in Rummel 2 § 768 ABGB Rz 2; Eccher aaO § 768 ABGB Rz 7).

Das Erstgericht hat die erbserklärte Erbin als materiell Beteiligte zum neuerlichen Absonderungsantrag der Noterbin nicht gehört: Eine solche Anhörung ist jedoch nicht nur „zweckmäßig“ (SZ 24/194; Welser aaO § 812 ABGB Rz 9; Eccher aaO § 812 ABGB Rz 12, 24, jeweils mwN), sondern schon unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs (Kropiunig, Ausgewählte Fragen der Nachlass-Separation [1993] 101 f) und eines fairen Verfahrens iSd Art 6 EMRK geboten (1 Ob 2086/96p). Das Vorbringen im Antrag der Noterbin (ON 65), nach der Entscheidung EFSlg 51.425 sei beiderseitiges Gehör nicht erforderlich, negiert den anderslautenden Rechtssatz, der Gläubiger müsse zwar seine Forderung bescheinigen, die Umstände aber, die seine Besorgnis begründen, nur behaupten. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Mangel des rechtlichen Gehörs im außerstreitigen Verfahren dadurch behoben werden, daß Gelegenheit besteht, den eigenen Standpunkt als Neuerung im Rekurs vorzutragen (Kropiunig aaO 102 mwN in FN 53). Weder der Rekurs noch der Revisionsrekurs der erbserklärten Erbin enthält irgendwelche Ausführungen dazu, daß der Enterbungsgrund tatsächlich vorliege. Damit bedarf es aber keiner Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse. Es ist von der durch die erbserklärte Erbin bestrittenen Legitimation der Noterbin zur Stellung des Absonderungsanspruchs auszugehen.

b) Das Wesen der Nachlaßabsonderung (Nachlaßseparation, separatio bonorum) liegt als Rest einer amtswegigen Fürsorge für die Erbschaftsgläubiger (NZ 1994, 116; SZ 65/113, SZ 56/28 ua; Eccher aaO § 812 ABGB Rz 1) darin, sicherzustellen, daß das getrennt verwaltete Sondervermögen trotz Einantwortung ausschließlich zur Befriedigung der Absonderungsgläubiger verwendet wird, somit den Antragsberechtigten vor allen Gefahren zu schützen, die aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Erben über den Nachlaß mit der darin liegenden Verquickung der vermögensrechtlichen Beziehungen entstehen können (SZ 65/113, SZ 61/131, SZ 56/28 ua; Kropiunig, aaO 65 f mwN in FN 28).

Die Nachlaßseparation ist nicht an strenge Bedingungen zu knüpfen (EFSlg 75.347; SZ 65/113; ZfRV 1988, 132 = IPrax 1988, 36 mit Anm von Schwind 45; SZ 59/210 ua). Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung genügt zur Bewilligung der Absonderung der Verlassenschaft von dem Vermögen des Erben jede hinreichend motivierte Besorgnis des Antragstellers, daß der Erbe den Nachlaß und damit den Befriedigungsfonds für die Nachlaßforderung schmälern könnte. Besorgnis der Gefahr ist jedes hinreichend motivierte, auch bloß subjektive Bedenken (SZ 65/113; IPrax 1988, 36; EFSlg 51.423 ua; Welser aaO § 812 ABGB Rz 14 zu; Eccher aaO § 812 Rz 5; Koziol/Welser aaO 407); der Nachlaßgläubiger (Noterbe) muß dabei jene Umstände anführen, die bei vernünftiger Auslegung eine subjektive Besorgnis rechtfertigen. Solche Umstände hat aber die Noterbin hier vorgetragen, weil bei deren Richtigkeit eine Erschwerung der Verfolgung und Vollstreckung ihrer Ansprüche keineswegs ausgeschlossen ist. Ein Nachweis oder eine Bescheinigung dieser Gefahr ist aber nicht erforderlich (SZ 65/113, SZ 59/210, SZ 56/28 ua; Welser aaO § 812 ABGB Rz 13 f; Kralik, Erbrecht2 359; Koziol/Welser aaO 407). Die Absonderung soll allen denkbaren Gefahren vorbeugen, die Gefahr der Vermengung des Nachlasses mit dem Vermögen des Erben ist dabei nur als Beispiel einer Gefahr genannt (JBl 1978, 152 ua; Eccher aaO § 812 Rz 5 mwN); Vermengung ist eben nicht wörtlich zu verstehen (Koziol/Welser aaO 407).

Auch zu diesem Punkt hat das Erstgericht die erbserklärte Erbin nicht gehört; diese hat jedoch weder im Rekurs noch jetzt im Revisionsrekurs stichhältige Gründe gegen die dargestellten Voraussetzungen der Nachlaßseparation ins Treffen geführt oder jetzt etwa eine Sicherheitsleistung konkret angeboten.

Demnach ist der rekursinstanzliche Beschluß zu bestätigen.

Stichworte