OGH 6Ob2045/96w

OGH6Ob2045/96w20.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 3.Februar 1995 verstorbenen Reinhold K*****, wegen Feststellung der Erbhofeigenschaft nach § 1 AnerbenG, infolge Revisionsrekurses der erblasserischen Witwe, Erika K*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 30.Jänner 1996, GZ 1 R 23/96s-27, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liezen vom 15. Dezember 1995, GZ 3 A 24/95a-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Der in Weißenbach bei Liezen in ca. 700 m Seehöhe gelegene Landwirtschaftsbetrieb steht je im Hälfteeigentum des am 3.2.1995 verstorbenen Erblassers und seiner Ehegattin. Die Eheleute hatten einen Ehepakt der allgemeinen Gütergemeinschaft unter Lebenden und auf den Todesfall geschlossen. Der Betrieb besteht aus 33,39 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, 3,35 ha Wald und 0,04 ha Baufläche. Das Gut verfügt über Holzbezugsrechte und Agrargemeinschaftsrechte. Der Maschinenbestand ist überdurchschnittlich. Seit 1981 beschränkte sich die Bewirtschaftung durch den Erblasser auf Pferdehaltung und Heunutzung. Bei einer Verpachtung der Grünlandflächen und einer Holznutzung in Eigenregie beträgt der Jahresertrag 30.000,-- S. Bei einer Eigenbewirtschaftung mit voller Viehhaltung beträgt der Jahresnettoertrag 51.000,-- S. In diesem Betrag sind allenfalls erzielbare Förderungen aus öffentlichen Mitteln ("EU-Prämien") nicht inkludiert. Der Erblasser hinterließ neben seiner Frau noch zwei volljährige Kinder. Alle drei nach dem Gesetz zu Erben Berufenen gaben bisher noch keine Erbserklärung ab. Am 10.4.1995 stellte die Witwe den Antrag, mit Beschluß festzustellen, daß der Landwirtschaftsbesitz einen Erbhof im Sinne des § 1 Abs 1 AnerbenG darstelle. Der Sohn des Erblassers vertritt die Ansicht, daß kein Erbhof vorliege (ON 8).

Das Erstgericht stellte fest, daß der Landwirtschaftsbetrieb kein Erbhof sei. Beim festgestellten Jahresnettoertrag seien die Voraussetzungen des § 1 AnerbenG nicht erfüllt. Die öffentlichen Direktzahlungen von 97.144,-- S jährlich (in der Stellungnahme der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft ON 21 werden diese wie folgt aufgeschlüsselt:

"Elementarförderung S 7.664,--

biologische Wirtschaftsweise S 32.850,--

Mähprämie S 8.079,--

Ausgleichszulage S 9.179,--

Sonderprämie "männliche

Rinder" S 13.900,--

Mutterkuhprämie S 5.792,--

degressiver Milchausgleich S 19.680,--")

seien nicht zu berücksichtigen. Das Anerbengesetz gehe von betriebswirtschaftlichen Überlegungen aus. Eine offensichtliche Fehlentwicklung der Landwirtschaft habe dazu geführt, daß landwirtschaftliche Betriebe ohne Subventionen nicht auskommen könnten. Unter dem Begriff "Erbhof" sei nur ein landwirtschaftlicher Betrieb zu verstehen, der in der Generationenfolge bestehen könne. Es sei nicht ernsthaft anzunehmen, daß die massiven Subventionsmaßnahmen auch nur eine Generation überleben könnten. Ein "Erbhof" müsse aus eigener Kraft zumindest zwei erwachsene Personen erhalten können. Der vorliegende Hof sei nicht als Vollerwerbsbetrieb geführt worden. Die derzeit erreichbaren Subventionen seien dem Ertrag nicht hinzuzurechnen. Eine permanente Gewährung sei nicht anzunehmen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Witwe nicht Folge. Zur entscheidungswesentlichen Frage, ob erzielbare Förderungen und Unterstützungsgelder dem Ertrag des Betriebes hinzuzurechnen seien, vertrat das Gericht zweiter Instanz die Auffassung, daß Förderungen und Unterstützungsgelder bei der Beurteilung des erzielbaren Ertrages zwar nicht gänzlich außer Betracht gelassen werden könnten, daß sich aber selbst dann, wenn man dem Landwirtschaftsbetrieb die Flächen- und Tierprämien als Ertrag zugestehen würde, an der Verneinung der Erbhofeigenschaft nichts ändern würde. Anhaltspunkte für die Erzielbarkeit einer Prämie für "biologische Wirtschaftsweise" gäbe es keine. Auch dem degressiven Milchausgleich komme keine entscheidende Bedeutung zu. Mit der Liegenschaft sei kein Milchkontingent verbunden. Auch bei Einbeziehung von öffentlichen Direktzahlungen im Ausmaß von 44.614,-- S könne beim festgestellten erzielbaren Ertrag von 51.000,-- S immer noch nicht der Schluß gezogen werden, daß der landwirtschaftliche Betrieb einen zur angemessenen Erhaltung zweier erwachsener Personen ausreichenden Durchschnittsertrag erziele.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es an einer Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Einflusses von Förderungen und Subventionen, insbesondere als Folge des Beitritts Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft, auf die Beurteilung der Erbhofeigenschaft nach § 1 Abs 1 AnerbenG mangle.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Witwe die Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen dahin, daß die Erbhofeigenschaft festgestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung auch berechtigt.

Wenn unter den Beteiligten die Frage der Erbhofeigenschaft umstritten ist, kann das Verlassenschaftsgericht darüber mit abgesondertem Beschluß entscheiden (SZ 34/174). Die überlebende Witwe ist bei gesetzlicher Erbfolge Anerbin nach dem Gesetz (§ 4 Abs 1 AnerbenG). Ihre Antrags- und Rekurslegitimation ist zu bejahen, obwohl sie bisher noch keine Erbserklärung abgegeben hat. Wohl wird ein berufener Erbe in aller Regel erst durch die Abgabe der Erbserklärung Partei des Abhandlungsverfahrens. Vorher soll er noch nicht Einfluß auf das Abhandlungsverfahren nehmen können. In besonders gelagerten Fällen gilt dies jedoch nicht, vor allem dann nicht, wenn der berufene Erbe bereits ein aktives Interesse am Erbantritt bekundet hat (EFSlg 55.420). Ein rechtliches Interesse der Witwe an der begehrten Feststellung ist schon vor ihrer Erbserklärung zu bejahen, weil ihr die Möglichkeit offenstehen muß, nur im Fall der Bejahung der Erbhofeigenschaft eine Erbserklärung (als Anerbin) abzugeben. Sie soll nicht gezwungen werden, auf jeden Fall eine Erbserklärung abgeben zu müssen, obwohl sie dies nur für den Fall der Anwendung des Sondererbrechtes wünscht.

Die Leistungsfähigkeit des zu beurteilenden Hofes ist nach objektiven Kriterien zu prüfen (SZ 58/206), es kommt also auf eine durchschnittliche Wirtschaftsführung und nicht auf die konkrete Bewirtschaftungsart des Erblassers oder des präsumtiven Hofübernehmers an (SZ 42/145). Diese von der Lehre geteilte Meinung (Zemen in NotZ 1985, 41 [44]) entspricht auch den Intentionen des Gesetzgebers. Dieser erläuterte die Ziele der Novellierung des Anerbengesetzes (mit dem BGBl 1989/659) wie folgt:

"Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der Landwirtschaft haben sich seit dem Inkrafttreten des Anerbengesetzes im Jahre 1958 tiefgreifend verändert. Das Bild eines sich weitgehend selbst versorgenden Betriebes mit zahlreichen Familienmitgliedern und unselbständigen Arbeitskräften trifft heute häufig nicht mehr zu. Vielfach bearbeitet nur mehr ein Ehepaar allein mit Hilfe von Maschinen den Hof. Kinder und Seitenverwandte, aber oft auch ein Ehegatte gehen hauptberuflich anderen Erwerbstätigkeiten nach, Landarbeiter sind im Zuge der Mechanisierung selten geworden. Auch die Ertragsverhältnisse haben sich gewandelt.

Um der dadurch in den letzten Jahren - schleichend und ohne Gesetzesänderung - eingetretenen Einengung des Anwendungsbereiches des Anerbengesetzes entgegenzuwirken, muß der Begriff des Erbhofs neu gefaßt werden: Die für die Festlegung der Untergrenze des Anwendungsbereichs maßgebliche Zahl der Personen, auf deren Erhaltung es ankommt, soll gesenkt werden" (RV 518 BlgNR 17.GP 5).

Aus dieser Absicht des Gesetzgebers ergibt sich geradezu zwangsläufig, daß bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Landwirtschaftsbetriebes alle erzielbaren Einkünfte, also auch die national und supranational gewährten Förderungsmittel dem Ertrag des Betriebes hinzuzurechnen sind. Unter dem in § 1 Abs 1 AnerbenG angeführten Begriff des Durchschnittsertrages ist nicht der Reinertrag als Differenz zwischen Rohertrag und Aufwand sondern das bäuerliche Nettoeinkommen aus der Betriebsführung zu verstehen (vgl 6 Ob 16/91, 6 Ob 1019/93). Der erkennende Senat hat keinen Zweifel daran, daß beispielsweise sogar Flächenstillegungsprämien einen Ertrag darstellen, weil sie ebenfalls ein Entgelt für bäuerliche Leistungen darstellen (für den Verzicht auf Anbau sowie für die Pflege der stillgelegten Flächen), auch wenn keine landwirtschaftlichen Produkte erzeugt und hiefür Erlöse (= Ertrag im engeren Sinn) erzielt werden. Staatliche Förderungen und Direktförderungen der Europäischen Gemeinschaft im Landwirtschaftsbereich sind bei der Berechnung des Durchschnittsertrages des Betriebes grundsätzlich einzubeziehen. Die vom Erstgericht angestellten agrarpolitischen Überlegungen über die Sinnhaftigkeit von Subventionen (die den erzielten oder erzielbaren Reinertrag weit übersteigen) sind jedenfalls dann nicht zutreffend, wenn kein Anhaltspunkt erkennbar ist, daß der Subventionsgeber (also die öffentliche Hand und/oder die subpranationale Gemeinschaft) die Zuschüsse in absehbarer Zukunft nicht mehr gewähren wird. Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der Subventionspraxis der vergangenen Jahrzehnte (und der immer wieder erfolgten Ausweitung der Subventionen) am Ziel festhält, daß die Erhaltung von Landwirtschaftsbetrieben auch durch ein Sondererbrecht gewährleistet werden soll, können öffentliche Zuschüsse bei der Ertragsermittlung nicht außer Betracht bleiben. Zutreffend verweist die Rekurswerberin auch darauf, daß mit den ebenfalls die Erhaltung der Betriebe bezweckenden öffentlichen Mitteln auch Leistungen der Betriebsführer abgegolten werden, die der Allgemeinheit zugutekommen. Es kann nicht generell unterstellt werden, daß die Leistungen des Bauernstandes zur Erhaltung der Kulturlandschaft in Zukunft weniger Beachtung finden und deshalb die derzeit gewährten öffentlichen Zuschüsse eingestellt werden. Gerade die Existenz von Förderungsmitteln der Europäischen Union beweist, daß auch in der Gemeinschaft ein Interesse an der Erhaltung der Landwirtschaftsbetriebe besteht, insbesondere für solche in den Problemregionen des Berglandes. Da nach Ansicht des erkennenden Senates zu dem im § 1 Abs 1 AnerbenG angeführten Durchschnittsertrag des Hofes grundsätzlich auch alle aufgrund der Wirtschaftsführung gewährten öffentlichen Prämien, Zuschüsse, Ausgleichszahlungen uä gehören, ist es entscheidungswesentlich, welche öffentlichen Mittel bei einer nach den örtlichen Verhältnissen möglichen Wirtschaftsführung lukriert werden können. Bei der Ermittlung der objektiven Ertragsfähigkeit sind nach oberstgerichtlicher Judikatur auch Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen einer im betroffenen Gebiet bisher noch nicht allgemein geübten, aber nach anerkannten allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erwägungen zweckmäßigen Bewirtschaftungsart zugrundezulegen. Es ist nicht die Bewirtschaftungsform des Erblassers oder des jeweiligen Eigentümers maßgeblich. Wenn ein entsprechender Ertrag nur bei Umstellung der Bewirtschaftungsart möglich ist (etwa die Umstellung auf Milchschafhaltung mit Schafkäseerzeugung oder ähnliches), sind allerdings auch die mit der Umstellung verbundenen Kosten bei der Beurteilung der Rentabilität der Bewirtschaftungsart zu berücksichtigen. Der hypothetische Ertrag müßte dabei unter Berücksichtigung der Umstellungskosten ermittelt werden (6 Ob 16/91). Das Rekursgericht ist zwar grundsätzlich von der Qualifikation einiger in der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer genannten Förderungsmittel als Ertragsbestandteile ausgegangen, hat aber dennoch die Erbhofeigenschaft wegen nicht ausreichenden Mindestertrages verneint und die allenfalls für eine biologische Wirtschaftsweise erzielbaren Förderungsmittel nicht berücksichtigt. Nach der zitierten Vorentscheidung des erkennenden Senates könnte aber eine allfällige Umstellung auf eine derartige Bewirtschaftungsform möglich und betriebswirtschaftlich nach einer Kosten-Nutzenrechnung auch gerechtfertigt sein. Zur Klärung dieser Frage bedarf es jedoch ergänzender Feststellungen, genauso wie zur Erzielbarkeit der zitierten weiteren Förderungsmittel. Der vom Erstgericht beigezogene Sachverständige hat zu diesen nur lapidar festgestellt, daß die Flächen- und Tierprämien keine Berücksichtigung fänden, weil "einerseits die Prämien noch nicht ausbezahlt und diese degressiven Charakter haben" (S 4 in ON 18). Entscheidend kann jedoch nur sein, ob ein Betriebsführer aufgrund der jeweiligen Bewirtschaftungsart in der entsprechenden Region einen Rechtsanspruch auf Förderungsmittel hat und ob dieser Rechtsanspruch - insofern ist den Vorinstanzen beizupflichten - auch in Zukunft bestehen bleibt. Für die Nichtberücksichtigung derzeit gewährter Zuschüsse müßte allerdings deren Wegfall in absehbarer, kürzerer Zeit feststehen. Das Erstgericht wird daher das Verfahren im aufgezeigten Sinn zum Thema der Umstellungsmöglichkeit des Betriebes und der Erzielbarkeit von Förderungsmitteln zu ergänzen haben. Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Hofes und des vom Gesetz geforderten Durchschnittsertrages wird ferner auch noch zu berücksichtigen sein, daß die vom Ertrag des Hofes nach den örtlichen Verhältnissen zu erhaltenden zwei erwachsenen Personen (§ 1 Abs 3 AnerbenG) einen Teil ihrer Bedürfnisse mit selbst erzeugten Produkten decken können und daß im Bereich der Landwirtschaft nur relativ geringe Kosten zur Deckung des Wohnbedürfnisses anfallen (Wohnen im eigenen Hof; Durchführung von Reparaturarbeiten in Eigenregie). Trotz eines allenfalls inklusive anrechenbarer Förderungsmittel festgestellten niedrigen Nettoertrages (Geldeinkommens) könnte daher unter Umständen wegen eines hohen Eigenversorgungsgrades bei der im einzelnen noch näher festzustellenden hypothetischen Betriebsform die Erbhofeigenschaft bejaht werden (vgl dazu 6 Ob 2027/96). Es werden daher auch ergänzende Feststellungen über den Grad der möglichen Eigenversorgung und des davon abhängigen reinen Geldbedarfs der bäuerlichen Familie zu treffen sein.

Dem Revisionsrekurs ist aus den dargelegten Gründen Folge zu geben. Erst nach Verfahrensergänzung wird die festgestellte Frage nach der Erbhofeigenschaft des Landwirtschaftsbetriebes verläßlich beurteilt werden können.

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