OGH 6Ob16/91

OGH6Ob16/9124.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 1. November 1989 verstorbene Maria G*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, infolge Revisionsrekurses des erblasserischen Sohnes Anton G***** junior, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Dr. Harald Heinrich, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 4. Juli 1991, GZ 22 R 306/91-29, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 23. Mai 1991, GZ 1 A 606/89-26, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes sowie die Punkte 2. und 3. des erstgerichtlichen Beschlusses werden aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

In seinem Beschluß vom 23.5.1991 hat das Erstgericht in Punkt 2. festgestellt, daß es sich bei der in den Nachlaß fallenden Liegenschaft "M*****gut" in E***** um einen Erbhof im Sinne des § 1 AnerbenG, BGBl 106/1958, handelt und im Punkt 3. das Teilinventar betreffend das landwirtschaftliche Vermögen mit einem Übernahmspreis von S 405.000 der Verlassenschaftsabhandlung zugrundegelegt.

Zur Begründung führte das Erstgericht aus, die Verstorbene und der erbserklärte Witwer seien gemeinsam auf Grund eines Gütergemeinschaftsvertrages Eigentümer des K*****-M*****-Gütl ***** in E***** im Ausmaß von 12,6341 ha gewesen, wovon 6 ha Waldflächen gewesen seien. Aus der Ehe stammten vier Kinder. Eine Tochter habe derzeit die Landwirtschaft in Pacht. Die Verstorbene und der erblasserische Witwer seien keinem Nebenerwerb nachgegangen; der Unterhalt der Familie sei allein aus der Liegenschaft bestritten worden. Laut Auskunft der Kammer für Land- und Forstwirtschaft ***** handle es sich beim M*****gut in E***** um einen Erbhof im Sinne des Anerbengesetzes. Auf Grund der eingeholten Gutachten von zwei landwirtschaftlichen Sachverständigen stehe unzweifelhaft fest, daß dieser Erbhof geeignet sei, eine fünfköpfige Familie zu ernähren. Wenn auch das Nettoerwerbseinkommen jährlich nur S 57.551 betrage und dieses Einkommen weit unter dem üblichen Existenzminimum zu liegen "scheine", müsse berücksichtigt werden, daß keiner der Eigentümer einem Nebenerwerb nachgegangen sei und auf diesem Hof tatsächlich vier Kinder großgezogen worden seien. Die Liegenschaft verfüge über rund 6 ha Wald. Dies bedeute, daß sie mit mehr als dem Doppelten der Waldfläche ausgestattet sei wie üblicherweise eine 12 ha große landwirtschaftliche Liegenschaft. Dies bedeute, daß zusätzliche Aufwendungen durch Schlägerungen abgegolten worden "sein dürften". Die Liegenschaftseigentümer hätten so sparsam gewirtschaftet, daß die Aufnahme eines bücherlich sichergestellten Kredites nicht notwendig gewesen sei. Denn die Liegenschaft sei unbelastet. Die Betriebseinheit sei im Sinne der Bevölkerung und des Bauernstandes erhaltenswert. Es dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, daß nach dem Sachverständigengutachten die Liegenschaft in einem höchst ertragreichen Bereich liege und noch intensiver genutzt werden könnte. Es seien daher die Bestimmungen des Anerbengesetzes anzuwenden. Der Übernahmspreis von S 405.000 könne zwar aus den Erträgnissen der Liegenschaft nicht erwirtschaftet, jedoch durch den Abverkauf von Bauparzellen aufgebracht werden. Überdies sei die Verstorbene gemeinsam mit dem Erben je zur Hälfte Eigentümerin der Liegenschaft EZ 123 KG W***** im Ausmaß von 786 m2 gewesen. Da es sich dabei um eine Baufläche handle, könne auch durch Veräußerung dieser Parzelle der Übernahmspreis abgedeckt werden. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß in nächster Zeit für die Bewirtschaftung des Betriebes der Ankauf eines Traktors, der mindestens 250.000 S koste, notwendig werde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Noterben Anton G***** junior keine Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, das Erstgericht habe sich bei der Annahme der Erbhofeigenschaft auf die Stellungnahme der Kammer für Land- und Forstwirtschaft gestützt, in der ausgeführt sei, daß der Betrieb aus rund 6 ha Wald und rund 6 ha landwirtschaftlichen Flächen bestehe, die Böden überdurchschnittliche Bonität aufwiesen, der Betrieb gut erschlossen und trotz der Streulage gut zu bewirtschaften sei, insbesondere aber die derzeitige Wirtschaftsform eher extensiv gehandhabt werde und bei intensiverer Bewirtschaftung eine entsprechende Ertragssteigerung zu erzielen sei, daher der durchschnittliche Ertrag zur angemessenen Erhaltung einer bäuerlichen Familie von fünf erwachsenen Personen ausreiche. Das Erstgericht und die Parteien hätten offenbar übersehen, daß mit BGBl 1989/659 das Erbhofgesetz novelliert und dabei der Begriff des Erbhofes geändert und erweitert worden sei. Nunmehr müsse der Durchschnittsertrag des landwirtschaftlichen Betriebes nur noch mindestens zur angemessenen Erhaltung von zwei erwachsenen Personen ausreichen. Durch die Neuregelung sollten auch Nebenerwerbsbetriebe, an deren Förderung und Erhaltung ein eminentes öffentliches Interesse bestehe, in den Geltungsbereich des Anerbengesetzes einbezogen werden. Wenn auch die Gutachter sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hätten, ob ein Nettoerwerbseinkommen von S 57.551 jährlich unter Beachtung der dort üblichen Verhältnisse ausreiche, um zwei erwachsene Personen zu erhalten, so könne doch unter Bedachtnahme auch auf die Stellungnahme der Kammer für Land- und Forstwirtschaft und die in einem landwirtschaftlichen Betrieb gegebenen Möglichkeiten der (teilweisen) Naturalversorgung davon ausgegangen werden, daß das im Gutachten ermittelte jährliche Erwerbseinkommen ausreiche, um zwei erwachsene Personen angemessen, d.h. dem bäuerlichen Lebenskreis entsprechend, zu erhalten. Der Übernahmspreis sei von den Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar ermittelt worden; konkrete Einwände seien im Rechtsmittel nicht enthalten.

Da dem Rekursgericht eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu den novellierten Bestimmungen des Anerbengesetzes nicht bekannt sei, sei der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Zutreffend führt der Rechtsmittelwerber aus, daß das Anerbengesetz in der nunmehr geltenden Fassung auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar ist, weil der Tod der Erblasserin vor Wirksamwerden des Gesetzes eingetreten ist (§ 22 iVm Art. III Z 1 und 2 Abs. 1 des BG vom 13.12.1989, BGBl. Nr. 659) und daß die Verfahrensergebnisse zu einer abschließenden Beurteilung der Erbhofeigenschaft noch nicht ausreichen.

Nach dem hier noch anzuwendenden § 1 Abs 1 Z 2 AnerbG idF des BGBl 1958/106 sind Erbhöfe behauste landwirtschaftliche Betriebe, die mindestens einen zur angemessenen Erhaltung einer bäuerlichen Familie von fünf erwachsenen Personen ausreichenden, jedoch das Siebenfache dieses Ausmaßes nicht übersteigenden Durchschnittsertrag haben. Ob die Erhaltung einer bäuerlichen Familie im Sinne dieser Bestimmung angemessen ist, ist nach Abs 3 leg cit nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen.

Die Stellungnahme der Kammer für Land- und Forstwirtschaft Salzburg beschränkt sich auf die Angabe des Flächenausmaßes des Betriebes, der Bodenbeschaffenheit und der geographischen Lage, läßt aber weitere nachvollziehbare Beurteilungskriterien im Sinne des Gesetzes vermissen. Die beiden Sachverständigen sind auf Grund dieser Stellungnahme von vornherein davon ausgegangen, daß ein Erbhof vorliege und haben sich darauf beschränkt, einen Übernahmspreis, ausgehend vom ermittelten Nettoeinkommen, zu ermitteln, ohne auf das Durchschnittseinkommen und die örtlichen Verhältnisse im Sinne des § 1 AnerbG einzugehen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in SZ 42/145 (vgl. auch Kathrein Anerbenrecht Anm 1 zu § 1 S 19) dargelegt hat, kann der im Gesetz geforderte "Durchschnittsertrag" nicht mit dem "Reinertrag" als Differenz zwischen Rohertrag und Aufwand gleichgesetzt werden. Mit dem Durchschnittsertrag ist vielmehr nur eine Rechengröße eingeführt, die ermitteln soll, wie viel aus den in Frage stehenden landwirtschaftlichen Besitzungen zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers von einem durchschnittlichen Landwirt - also abgesehen von Abweichungen im guten und schlechten Sinn - bei ortsüblicher Bewirtschaftung im Durchschnitt erzielt werden kann. Es ist das "landwirtschaftliche Einkommen" zu ermitteln, das ist der Reinertrag vermehrt um den Lohnanspruch der Besitzerfamilie und vermindert um Schuldzinsen und allfällige Versorgungslasten.

Weil aber der Gesetzgeber für die in § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG umschriebene Ertragsfähigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes und die gewählte Kennzeichnung der Betriebsgröße nur die zur Zeit der Gesetzwerdung festzustellenden betriebswirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in der Landwirtschaft berücksichtigen konnte und wegen der signifikanten Änderungen dieser Voraussetzungen in den vergangenen drei Jahrzehnten eine erhebliche Verfälschung der Kennzeichnungskraft des gesetzlich umschriebenen Mindestertrages für das Vorliegen eines "mittleren Bauerngutes" eingetreten ist, hat der erkennende Senat schon in seinen Entscheidungen 6 Ob 4/87, SZ 59/187 und 6 Ob 20-21/90 ausführlich dargelegt, daß zwar grundsätzlich die jeweiligen örtlichen und zeitlichen Verhältnisse maßgeblich sind, allerdings mit der Einschränkung, daß schwerwiegende Verzerrungen infolge nicht bedachter Veränderungen (denen durch die Novellierung des Anerbengesetzes insbesondere durch Reduzierung des erforderlichen Durchschnittsertrages vom Gesetzgeber inzwischen bereits Rechnung getragen wurde) auszuschalten sind, es daher in Grenzfällen auch zu einer Berücksichtigung der hypothetischen Ertragslage unter den Verhältnissen, die der Gesetzgeber als feststehend zugrundelegte, kommen muß. Unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung schutzwürdiger bäuerlicher Mittelbetriebe und der offensichtlich nicht gewollten Gesetzeslücke müssen in solchen Fällen zur Ermittlung der objektiven Ertragsfähigkeit auch Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen einer im betroffenen Gebiet bisher noch nicht allgemein geübten, aber nach anerkannten allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erwägungen zweckmäßige Bewirtschaftungsarten zugrundegelegt werden. Denn die Art der Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes ist immer mehr oder weniger in der Willkür des jeweiligen Eigentümers gelegen und kann nicht dafür maßgeblich sein, welches Erbrecht einzutreten hat. Ist ein dem Anerbengesetz (a.F.) entsprechender Ertrag nur bei Umstellung - und nicht schon bei Intensivierung der bisherigen, nach den Feststellungen nur extensiven Bewirtschaftung - auf eine bisher noch nicht geübte Bewirtschaftungsart möglich (etwa Erzeugung von Feldgemüse, Milchschafhaltung mit Schafkäseerzeugung oder ähnliche neuere landwirtschaftliche Betriebsformen), dann beeinflussen allerdings die damit verbundenen Kosten die Rentabilität dieser Bewirtschaftungsart. Der hypothetische Ertrag bei Zugrundelegung einer neuen Bewirtschaftungsart müßte daher unter Berücksichtigung der Umstellungskosten und deren Aufteilung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ermittelt werden.

Im fortgesetzten Verfahren werden daher zunächst der Durchschnittsertrag im Sinne der obigen Ausführungen und dessen Angemessenheit zur Erhaltung der im Gesetz umschriebenen bäuerlichen Familie nach den gegebenen örtlichen Verhältnissen mit Hilfe der Sachverständigen zu ermitteln sein. Sollte das Ergebnis nicht schon die Erbhofeigenschaft der hier in Frage stehenden Liegenschaft ergeben, wird die hypothetische Ertragslage bei Betriebsumstellung zu ermitteln sein. Erst nach Vorliegen dieser Ergebnisse kann abschließend beurteilt werden, ob ein Erbhof im Sinne des § 1 AnerbG idF des BGBl 1958/106 vorliegt.

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