OGH 15Os21/96

OGH15Os21/9627.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Februar 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Archan als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 22 Vr 1755/95 anhängigen Strafsache gegen Nikolaus M***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innbruck vom 29.Dezember 1995, AZ 6 Bs 585/95, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Nikolaus M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Nikolaus M***** befindet sich seit 19.August 1994 (weiterhin) aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO in Untersuchungshaft.

Inhaltlich der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 24. Mai 1995 (ON 453/29) liegt ihm das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB deshalb zur Last, weil er von 1987 an bis 12.August 1994 in Seefeld/Tirol die ihm als Verantwortlichem der G*****bank AG (vormals ÖCI) durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, dadurch wissentlich mißbraucht und dem genannten Bankinstitut einen 500.000 S übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt haben soll, daß er in 86 (im Anklagetenor konkretisierten) Fällen auftragswidrig Wertpapierdepots von Bankkunden veräußerte oder von deren Sparbüchern und Konten Geldbeträge von über 600 Mio S abbuchte.

In den am 21.September 1995, 7., 29. und 30.November 1995 sowie am 29. Jänner 1996 in dieser Sache durchgeführten Hauptverhandlungen (die letzte wurde zur Beischaffung von Beweismitteln auf unbestimmte Zeit vertagt) bekannte sich der Angeklagte zwar im wesentlichen schuldig, bestritt aber die (nach seiner Meinung zu seinem Nachteil vorgenommene) Schadensberechnung des öffentlichen Anklägers, demnach die exakte Schadenssumme von 609,770.790,59 S, wobei er selbst den Schadensbetrag mit 420 Mill S bezifferte (352/32).

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Beschwerde des Angeklagten gegen den einen Enthaftungsantrag (ON 499/32) - nach Durchführung einer Haftverhandlung - ablehnenden Beschluß des Vorsitzenden des Schöffengerichtes vom 27.November 1995 (ON 506/32) nicht Folge und sprach aus, daß die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fortzusetzen sei (ON 520/33).

In der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde (ON 523/33) erachtet sich der Angeklagte (lediglich) "durch rechtsirrige Annahme von Flucht- und Tatbegehungsgefahr" in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 GRBG).

Der Beschwerde zuwider hat jedoch der Gerichtshof zweiter Instanz (zusätzlich unter Verweis auf die ausführliche Begründung einer früheren Beschwerdeentscheidung - ON 58/3) jene im § 180 Abs 2 StPO geforderten bestimmten Tatsachen angeführt, welche - in ihrer Gesamtheit betrachtet - auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes die Annahme der (zu Recht) herangezogenen Haftgründe zu tragen vermögen. Die vom Beschwerdeführer dagegen ins Treffen geführten Argumente enthalten nichts, was nicht schon in den vorangegangenen Entscheidungen der Untergerichte berücksichtigt worden wäre und seinen Standpunkt entscheidend stützen könnte.

Die Beschwerdekritik gegen die fortbestehende Fluchtgefahr ist schon insoweit verfehlt, als sie zunächst die vom Oberlandesgericht herangezogenen Begründungstatsachen (mutmaßlich bevorstehende hohe Strafe; Auslandskontakte zu potenten, durch die inkriminierten Malversationen begünstigten Anlegern; wirtschaftlicher Ruin und lebenslanges Existenzminimum) aus dem Gesamtgefüge herausreißt und - isoliert betrachtend - den Fortbestand dieses Haftgrundes verneint.

Die konkrete Befürchtung hinwieder, der Angeklagte werde im Falle seiner Enthaftung flüchten oder sich verborgen halten, wird mit dem weiteren Beschwerdeeinwand, wonach aus der Besucherkartei der Justizanstalt Innsbruck sowie aus dem aktenkundigen Briefverkehr hervorgehe, daß Nikolaus M***** derzeit keine freundschaftlichen Kontakte zu ausländischen Anlegern oder Staatsangehörigen unterhalte, ebensowenig gemindert wie mit dem fallbezogen unzutreffenden Hinweis auf die (zudem keineswegs allgemein gültige) Erfahrung, daß beispielsweise die bei fahrlässiger Krida mit mehrstelligen Millionenbeträgen persönlich zur Haftung herangezogenen "Konkursanten", wenn sie - wie der Beschwerdeführer - einen festen Wohnsitz haben und in geordneten familiären Verhältnissen leben, trotz des "Schuldenberges" weder flüchten noch ins Ausland übersiedeln.

Dies gilt auch für die seinerzeitige "freiwillige Selbstanzeige" des Beschwerdeführers beim geschädigten Bankinstitut in Wien, zu der das Beschwerdegericht bereits früher ausführlich und kritisch Stellung genommen hat (vgl 401/3), die jedoch unter ganz anderen Umständen und Voraussetzungen erstattet worden war, als sie die Beschwerde erneut darzustellen trachtet, zumal den Angeklagten die daran anschließende Verhaftung völlig unerwartet und unvorbereitet ereilt hat.

Die Berufung auf § 180 Abs 3 StPO schließlich versagt angesichts der hier aktuellen Strafobergrenze von zehn Jahren Freiheitsstrafe, ganz davon zu schweigen, daß im Hinblick auf den gänzlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Beschwerdeführers und die ihn treffenden enormen Schadensersatzforderungen von "geordneten Lebensverhältnissen" mit Fug nicht gesprochen werden kann.

Demnach wurde der Haftgrund der Fluchtgefahr mit Recht bejaht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Grundrechtsbeschwerdegerichtshofes rechtfertigt bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft (vgl für viele NRsp 1993/51 = AnwBl 1993, 340 [342]; 11 Os 174/95, 15 Os 49/95, 15 Os 94/95; Foregger/Kodek StPO6 GRBG § 2 Anm 3.).

Dessen ungeachtet sei dem Beschwerdeführer erwidert, daß das Oberlandesgericht auch den (zusätzlich herangezogenen) Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO schlüssig und unbedenklich begründet hat. Die dagegen erhobenen Beschwerdeeinwände (insbesondere: zufolge der Auflösung des Dienstverhältnisses, des allgemeinen Medieninteresses und der inzwischen verlustig gegangenen Dispositionsberechtigung über die in Konkurs befindlichen Firmen erscheine es äußerst unwahrscheinlich, daß der Angeklagte auf freiem Fuß bis zu seiner Aburteilung wiederum eine Stellung als Angestellter oder Konsulent einer Bank oder bei einem ähnlichen Unternehmen erhalte und weiterhin "gleichgelagerte" Taten der ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Art begehen werde) sind sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenhang nicht geeignet, die Argumente des angefochtenen Beschlusses zu entkräften. Die darin aktengetreu verwerteten Verfahrensergebnisse weisen auf eine derart verfestigte Tendenz und ausgeprägte Charakterneigung des Angeklagten zur (wiederholten) Begehung von Vermögensdelikten hin, daß mit Grund befürchtet werden muß, er werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens abermals strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen mit schweren (Z 3 lit a) oder zumindest mit nicht bloß leichten Folgen (Z 3 lit b) verüben, sodaß der Gerichtshof zweiter Instanz zutreffend davon ausging, daß beim Beschwerdeführer auch Tatbegehungsgefahr der bezeichneten Art gegeben ist.

Da Nikolaus M***** somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war die unbegründete Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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