OGH 1Ob635/95

OGH1Ob635/955.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Janine Christin P*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Vaters August Leander S*****, vertreten durch Dr.Reinhard Griesshofer, Rechtsanwalt in Bad Aussee, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Steyr als Rekursgerichtes vom 16.Oktober 1995, GZ 6 R 136/95-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Windischgarsten vom 5.September 1995, GZ P 15/95-9, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die, soweit eine monatliche Unterhaltsleistung von S 2.500 ab 1.6.1995 auferlegt und das Mehrbegehren einer Unterhaltsleistung von S 500 ab 1.6.1995 abgewiesen wurden, als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der Vater leistete ursprünglich freiwillig S 1.600 zum Unterhalt des Kindes. Über dessen Antrag wurde er vom Erstgericht zu einer ab 1.6.1995 zu erbringenden monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.500 verpflichtet; das Mehrbegehren (monatlich S 500) wurde unangefochten abgewiesen. Das Erstgericht ging davon aus, daß die zur Zeit arbeitslose Mutter, die eine Notstandsunterstützung von täglich S 255 beziehe, das Kind betreue. Der Vater beziehe als Geschäftsführer ein monatliches Nettoeinkommen von etwa S 24.550. Er bewohne eine ihm gehörige Eigentumswohnung und sei Alleineigentümer eines Baugrundstücks im Ausmaß von 1.098 m2. Er sei noch für ein weiteres, 11jähriges Kind sorgepflichtig. Unter Bedachtnahme auf sein Einkommen sei ihm die auferlegte Unterhaltsleistung zumutbar.

Das Rekursgericht gab dem vom Vater wegen Auferlegung einer S 2.500 monatlich übersteigenden Unterhatlsleistung erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In den vom Vater vorgelegten Urkunden schienen Reisekosten als Gehaltsbestandteil auf; es sei aber nicht ersichtlich, worum es sich dabei im einzelnen handle. Der Vater habe es verabsäumt, diese Reisekosten „als abzuziehend geltend zu machen“. Das Erstgericht habe auch die dem Vater gewährte Sonderzahlung unrichtigerweise als gleichmäßigen Bezugsbestandteil berücksichtigt. Es sei aber auffällig, daß die Sonderzahlung verhältnismäßig niedrig sei, sodaß die „wahre Qualität dieses Bezugsbestandteils im dunkeln geblieben“ sei. All das sei aber nicht entscheidungswesentlich, weil es geradezu offensichtlich sei, daß die Behauptungen des Vaters im Rekurs über sein tatsächliches monatliches Nettoeinkommen unrichtig seien; sein wahres Einkommen müsse erheblich höher liegen. Die vom Erstgericht herangezogene Unterhaltsbemessungsgrundlage sei durchaus realistisch. Der Vater besitze eine Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 87 m2, ein 1.040 m2 großes Baugrundstück und einen PKW Mercedes 300, Baujahr 1992. Für den Erwerb der Eigentumswohnung sei der Vater Schulden im Betrag von S 870.000 eingegangen. Es sei davon auszugehen, daß der Vater regelmäßige Darlehensrückzahlungen leiste. Das könnte er bei dem von ihm behaupteten Einkommen nicht bewerkstelligen. Der Vater sei vielmehr aufgrund seiner Vermögensverhältnisse als überdurchschnittlich wohlhabend einzustufen, sodaß ihm jedenfalls die Verwertung seiner Vermögenssubstanz zugemutet werden müsse, um das Kind an den gehobenen Vermögensverhältnissen in angemessener Weise teilhaben zu lassen.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Vater hat dem Erstgericht Gehaltsabrechnungen vorgelegt, aus denen der Bezug einer Entschädigung für Reisekosten hervorgeht (AS 11 bis 13). Stellte der an „Reisekosten“ bezogene Betrag eine reine Aufwandsentschädigung dar, wäre er in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht einzubeziehen. Schon das Erstgericht hätte eine entsprechende Überprüfung in dieser Richtung vornehmen müssen, ohne daß der Vater ausdrücklich die Ausscheidung dieses Bezugsbestandteils aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage hätte begehren müssen. Das Rekursgericht hat auch richtig erkannt, daß das Erstgericht die Sonderzahlung zu Unrecht ohne weitere Erhebungen als gleichmäßigen Bezugsbestandteil behandelte, also keine aliquote Umlegung vornahm; auch dazu wären entsprechende Erhebungen geboten gewesen. Es ist unzulässig, lediglich aufgrund von nicht weiter belegbaren Vermutungen die Unrichtigkeit des vom Vater behaupteten monatlichen Nettoeinkommens, das durchaus im Einklang mit den von ihm vorgelegten Gehaltsabrechnungen stehen könnte, zu unterstellen.

Wohl ist auch das Vermögen des Vaters für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgeblich; der Unterhaltspflichtige muß aber grundsätzlich nur dann im Rahmen des ihm Zumutbaren zwecks Erfüllung seiner Unterhaltspflicht auch sein Vermögen angreifen, wenn er die notwendigen Unterhaltsleistungen nicht aus dem laufenden Einkommen bestreiten kann. Die Zumutbarkeit kann nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung anhand der jeweiligen konkreten Verhältnisse des Einzelfalls berurteilt werden (ÖA 1995,68; 4 Ob 531/95; 6 Ob 594/95; 6 Ob 653/93). Die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Eigentumswohnung dient der Befriedigung des Wohnbedürfnisses des Vaters, sodaß dieses Vermögen zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Vaters nicht herangezogen werden könnte (ÖA 1995, 68). Vielmehr könnte überlegt werden, ob nicht die vom Gericht zweiter Instanz angeführten Schulden, die der Vater für den Erwerb der Eigentumswohnung eingegangen sein soll, eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage bilden würden. Darauf hat sich der Vater allerdings nicht berufen. Sein übriges Vermögen (Baugrundstück und PKW) muß der Vater nicht antasten, weil er die notwendigen Unterhaltsleistungen aus dem laufenden Einkommen erbringen kann (vgl 1 Ob 532/95; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 226). Der Regelbedarf für ein dreijähriges Kind beträgt derzeit S 2.430 (ÖA 1995, 74). Zu einer monatlichen Unterhaltsleistung im Betrage von S 2.500 ist der Vater bereit; die Entscheidung des Rekursgerichtes ist in diesem Umfang unangefochten geblieben. Das bedeutet aber, daß der notwendige Unterhalt des Kindes bereits aus dem Einkommen des Vaters gedeckt werden kann.

Das Gericht zweiter Instanz hat seiner Entscheidung einerseits Tatsachen zugrundegelegt, die unüberprüfbar sind und zu denen sich der Vater auch nicht äußern konnte. Es ist zwar im Rahmen der Beweiswürdigung zulässig, Erfahrungssätze zur Tatsachenfeststellung heranzuziehen, doch darf nicht von Vermutungen ausgegangen werden, denen jegliches Substrat fehlt (vgl 1 Ob 532/95). Andererseits hat das Rekursgericht aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung die Ansicht vertreten, der Vater müsse zur Erfüllung seiner (über S 2.500 hinausgehenden) Unterhaltsverpflichtung auch sein Vermögen angreifen.

Das führt in Stattgebung des Revisionsrekurses des Vaters zur Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen; das Erstgericht wird nach Durchführung entsprechender Erhebungen über das Einkommen des Vaters neuerlich darüber zu entscheiden haben, ob diesem ein über S 2.500 hinausgehende Unterhaltsbeitrag auferlegt werden kann.

Stichworte