OGH 6Ob653/93

OGH6Ob653/9322.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Redl, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wilhelm W*****, vertreten durch Dr.Ulrich Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Margarete W*****, vertreten durch DDr.Manfred Nordmeyer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Herabsetzung des Unterhaltes (Streitwert: 54.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 20.September 1993, AZ R 525/93 (ON 20), womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 24.März 1993, GZ 2 C 109/92-13, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Die im Jahre 1961 geschlossene Ehe der Streitteile wurde nach § 55 Abs 3 EheG geschieden und ausgeprochen, daß der (auf Ehescheidung klagende) Mann die Zerrüttung verschuldet hat (Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 10.3.1986). In einem bereits vor der Ehescheidung im Zuge eines von der Frau angestrengten Unterhaltsstreites geschlossenen Vergleich hatte sich der Kläger verpflichtet, der Beklagten ab 1.10.1980 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 6.000,-- S zuzüglich Betriebskosten der Ehewohnung zu bezahlen und für die beiden der Ehe entstammenden, damals noch nicht selbsterhaltungsfähigen Kinder einer monatlichen Unterhaltsbetrag von zusammen 4.000,-- S zu leisten, sowie die Internatskosten der älteren Tochter zu übernehmen. Im Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse schlossen die Parteien am 18.6.1986 einen Vergleich, demzufolge das Grundstück mit dem bisher als Ehewohnung dienenden Haus in E*****, in das Alleineigentum der Beklagten, das andere Grundstück in E***** aber in das Alleineigentum des Klägers überging und sich die Beklagte zur Leistung einer Ausgleichszahlung von 100.000,-- S an den Kläger verpflichtete.

Mit Berufungsurteil des Kreisgerichtes Wels vom 18.4.1988, GZ R 190/88-14, wurde der Kläger schuldig erkannt, der Beklagten ab 16.2.1987 zuzüglich des verglichenen monatlichen Unterhaltsbetrages von 6.000,-- S weitere 1.300,-- S monatlich, insgesamt sohin einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 7.300,-- S, zu leisten. Grundlage dieser Unterhaltsentscheidung waren damals bei einem Jahresnettoeinkommen von 285.000,-- S ein monatliches Nettoeinkommen des Klägers als Baupolier von rund 23.700,-- S und dessen Sorgepflicht für den am 23.11.1985 geborenen Sohn Martin, welcher durch seine zweite Eheschließung legitimiert worden war.

Nunmehr ist im Jahr 1992 das Gesamtnettoeinkommen des Klägers, welcher in der Zeit vom 1.1.1992 bis Mitte März 1992 und sodann wiederum ab 3.6.1992 arbeitslos war und dessen Arbeitslosengeldbezug am 27.1.1993 ausgelaufen ist, weshalb er am 18.1.1993 den Antrag auf Notstandshilfe gestellt hat, auf rund 172.000,-- S abgesunken. Er verfügte aber über ein Sparbuch, welches Anfang 1992 ein Sparguthaben von rund 100.000,-- S und noch Anfang März 1993 ein solches von rund 40.000,-- S aufwies; dazu kommen noch 4.000,-- S an Zinserträgen für das Jahr 1992. Der Kläger läßt sein 700 m2 großes Grundstück in E***** bewirtschaften, ohne hiefür einen Pachtzins zu erhalten. Seine zweite Ehegattin ist im Gasthaus ihrer Mutter in G***** als Serviererin beschäftigt und bezieht hiefür Gehalt. Der Kläger hilft seiner Frau fallweise - ungefähr im Ausmaß von 10 Stunden monatlich - beim Servieren im Gasthaus der Schwiegermutter aus, bezieht hiefür jedoch keinen Lohn.

Der Kläger begehrt im Hinblick auf seine wesentlich herabgesunkenen Einkünfte und die altersbedingt gestiegenen Bedürfnisse seines Sohnes Martin die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten auf monatlich 5.800,-- S, rückwirkend ab 1.1.1992.

Die Beklagte beantragt die Klageabweisung, weil keine entscheidende Minderung des Einkommens des Klägers eingetreten sei. Dieser arbeite im Gasthaus seiner zweiten Ehegattin tatkräftig mit, auch verfüge er über Ersparnisse und beziehe Einkünfte aus der Verpachtung seines Grundstückes in E*****.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Seit der letzten Unterhaltsbemessung hätten sich die Umstände wesentlich verändert, sei doch dessen Nettoeinkommen im Jahr 1992 auf 172.000,-- S (monatlich 14.330,-- S) herabgesunken und habe sich der Regelbedarf seines Sohnes Martin von 1700,-- S auf 2.830,-- S monatlich erhöht. Die begehrte Unterhaltsherabsetzung auf immer noch 39,7% des Einkommens des Klägers sei daher berechtigt.

Das Beurufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Dem Kläger sei es zumutbar gewesen, auch die Substanz seines Vermögens (die Spareinlage und das Grundstück in E*****) anzugreifen, könne doch schon die bisherige Unterhaltsverpflichtung nur den notwendigen Lebensbedarf der einkommenslosen Beklagten abdecken. Bei Einbeziehung des Sparguthabens des Klägers und der Zinserträge in die Bemessungsgrundlage ergebe sich aber ein Monateinkommen von rund 21.800,-- S bis einschließlich Februar 1993. Darüber hinaus sei dem Kläger zur Abdeckung des notwendigen Unterhalts der Beklagten die Veräußerung oder Belastung seines Grundstückes in E***** zumutbar.

Dagegen wendet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen; andernfalls möge der Revision nicht Folge gegeben werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Meinung der Beklagten zulässig und auch im Sinne ihres Aufhebungsantrages berechtigt.

Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung hält auch in Unterhaltssachen die materielle Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidung nachträglichen Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhalts nicht stand (Fasching, Zivilprozeßrecht2 RZ 1531; SZ 40/120; SZ 41/179; EFSlg 43.112, 46.668 uva, zuletzt etwa 4 Ob 507/92; 6 Ob 552/93); solche Änderungen ermöglichen vielmehr einen neuen Antrag (eine neue Klage). Das ist gerade bei Unterhaltsentscheidungen von großer Bedeutung, gilt doch für jede Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich - soweit nicht eine davon abweichende Vereinbarung vorliegt - die Umstandsklausel (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 10 a zu § 94 und Rz 15 b zu § 140; EFSlg 43.108, 59.479 uva; zuletzt etwa 4 Ob 507/92; 6 Ob 552/93).

Im vorliegenden Fall beruht die zu ändernde Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der geschiedenen einkommenslosen Beklagten auf § 69 EheG (§ 94 ABGB). Nach den Feststellungen haben sich ab Jahresbeginn 1992 die maßgeblichen Umstände auf Seiten des unterhaltspflichtigen Klägers gegenüber jenen, wie sie der letzten gerichtlichen Unterhaltsfestsetzung von 18.4.1988 zugrundelagen, insoferne geändert, als infolge seiner Arbeitslosigkeit vom 1.1.1992 bis Mitte März, des geringeren Verdienstes für den Zeitraum vom 15.3. bis 3.6.1992 und der anschließenden abermaligen Arbeitslosigkeit bis zum Ende der Bezugsdauer am 17.1.1993 die Jahresnettoeinkünfte auf rund 172.000,-- S, also auf rund 60% des Jahresnettoeinkommens 1987 von 285.000,-- S, abgesunken sind und der Kläger seit Jänner 1993 überhaupt auf die von ihm erst beantragte Notstandshilfe angewiesen ist. Daß sich daher seine Leistungsfähigkeit so wesentlich geändert hat, daß dies zu einer Neufestsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung auch für die Vergangenheit (3 Ob 1570/91, teilweise veröffentlicht in ÖA 1992, 55/F 3) führen muß, liegt auf der Hand. Dazu kommt auch noch, daß sich vier Jahre später auch die Sorgepflicht des Klägers gegenüber dem Sohn Martin wesentlich geändert hat, ist dieser doch nunmehr bereits im Volksschulalter, was allein schon eine entsprechende Bedürfnissteigerung nach sich zieht (EFSlg 59.485; ÖA 1992, 113/U 50).

Demgegenüber hat das Berufungsgericht - im Ergebnis - den Eintritt einer maßgeblichen Änderung des rechtserzeugenden Sachverhaltes seit der letzten Unterhaltsbemessung deshalb verneint, weil dem Kläger unter Berücksichtigung seines Sparguthabens und dessen Zinsertrages nur geringfügig weniger Mittel zur Verfügung standen als es seinem Einkommen bei Schaffung des Unterhaltstitels entsprochen hätte und ihm überdies die Veräußerung oder Belastung seines Grundstückes in E***** zumutbar gewesen wäre. Wenngleich der Kläger von dieser Rechtsansicht nach dem erstinstanzlichen Prozeßvorbringen der Beklagten nicht überrascht worden sein kann und auch die von ihm sonst gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt (§ 510 Abs 3, Satz 2 ZPO), weist der Rechtsmittelwerber doch zutreffend darauf hin, daß die vorliegenden Feststellungen des Erstgerichtes noch keineswegs für eine derartige rechtliche Schlußfolgerung ausreichend sind:

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes muß der Unterhaltspflichtige zwar im Rahmen des ihm Zumutbaren zwecks Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung auch sein Vermögen angreifen, soweit er die notwendigen Unterhaltsleistungen aus dem laufenden Einkommen nicht bestreiten kann (SZ 54/52; SZ 63/60; RZ 1991/44 und 70; EFSlg 65.008 ff), was auch für den gemäß § 69 Abs 2 EheG (§ 94 ABGB) unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegattin gilt (6 Ob 552/93), doch darf er dabei nicht über seine konkrete Leistungsfähigkeit hinaus zu Unterhaltsleistungen verhalten werden. Es ist daher jedenfalls nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Heranziehung auch eines vorhandenen Vermögensstammes - daß die Erträgnisse eines Vermögens als zusätzliches Einkommen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, steht außer Frage - zumutbar ist (ÖA 1992, 113/U 47). Die Zumutbarkeit kann aber nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung an Hand der jeweiligen konkreten Verhältnisse des Einzelfalles beurteilt werden. Das bedeutet für einen Arbeitslosen, der seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft hat und der außer für die geschiedene Ehegattin auch noch für ein siebenjähriges Kind aus zweiter Ehe sorgepflichtig ist, daß ihm ein Angriff auf ein vorhandenes Sparkapital überhaupt nur soweit zumutbar ist, als ihm dabei ein gewisser "Notgroschen" für noch schwerere unvorhergesehene Schicksalschläge erhalten bleibt. Ebensowenig ist ihm in einer derartigen Lage die Belastung des Liegenschaftsbesitzes durch einen Hypothekarkredit zumutbar, stünden doch in absehbarer Zeit gar keine Einnahmen zu dessen Rückzahlung zu Verfügung (vgl EFSlg 65.012). Daß dem Kläger zu Jahresbeginn 1992 ein Sparkapital von 100.000,-- S und ein 700 m2 großes Grundstück in E***** zur Verfügung standen, reicht demnach für sich allein noch nicht zur Bejahung seiner Leistungsfähigkeit in Ansehung der unveränderten Fortzahlung des unter anderen Verhältnissen festgesetzten Unterhalts an die geschiedene Ehegattin trotz eingetretener wesentlicher Einkommensminderung und Steigerung der Bedürfnisse des Sohnes aus der zweiten Ehe aus. Was das Sparbuch des Klägers anlangt, fällt auf, daß dessen Guthaben zu Jahresbeginn 1992 exakt mit jenem Betrag übereinstimmt, den die Beklagte aufgrund des Vergleiches im nachehelichen Aufteilungsverfahren als Ausgleichszahlung an ihn zu leisten hatte. Es muß daher im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung auch die Quelle dieses Sparguthabens in die Interessenabwägung einbezogen werden, fiele doch eine Ausgleichszahlung nach § 94 Abs 1 EheG für die Überlassung der Ehewohnung an den anderen Ehegatten grundsätzlich nicht in die Bemessungsgrundlage (EFSlg 65.306). Sollte aber das Sparkapital - etwa infolge besonders sparsamer Lebensführung - aus den Einkünften des Klägers gespeist worden sein, könnte es gleichfalls nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, würde dies doch insoweit zu einer doppelten Berücksichtigung des Einkommens führen, als es schon einmal die Grundlage der vorangegangenen Unterhaltsbemessung war. Ob dem Kläger ein Verkauf des Grundstückes in E*****, welches sich übrigens aufgrund des im nachehelichen Aufteilungsverfahren geschlossenen Vergleiches der Parteien bereits zum Zeitpunkt der Schaffung des abzuänderten Unterhaltstitels in seinem Alleineigentum befunden hat, zumutbar ist, hängt nicht nur von den objektiven Verkaufsmöglichkeiten ab, die entscheidend von der nicht näher festgestellten Art und Beschaffenheit des Grundstückes abhängen, sondern auch vom objektiven Marktwert einerseits und dem unter dem Aspekt eines Notverkaufes erzielbaren geringeren Preis.

Das Erfordernis einer solchen Interessenabwägung kann auch nicht mit dem Hinweis auf eine drohende Existenzgefährdung der Beklagten abgetan werden. Abgesehen davon, daß deren notwendiger Unterhalt durch die begehrte Herabsetzung schon deshalb nicht in Frage gestellt wird, weil sie im eigenen Haus wohnversorgt ist, konkurriert hier auch ihr Unterhaltsanspruch mit demjenigen des Sohnes des Klägers aus der zweiten Ehe.

Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Sache in die erste Instanz wegen Vorliegens rechtlicher Feststellungsmängel, bedarf es doch zur Vornahme der notwendigen Interessenabwägung noch ergänzender Feststellungen, welche erst nach entsprechender Erörterung der aufgezeigten Problemkreise mit den Parteien getroffen werden können.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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