OGH 7Ob619/95

OGH7Ob619/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Horst Z*****, vertreten durch Dr.Gerhard Sarlay, Rechtsanwalt in Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 6/II, als Sachwalter, wider die beklagte Partei Dr.Ingrid M*****, vertreten durch Dr.Hansjörg Schiestl ua Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Nichtigerklärung des Verfahrens 11 C 1044/93 des Bezirksgerichtes *****, (dortiger Streitwert S 10.893,30,-- und Räumung) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 13.September 1995, GZ 4 R 362/95-21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 25.April 1995, 11 C 215/94y-14, aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens anzusehen.

Text

Begründung

Das Erstgericht stellte fest:

Die nunmehrige Beklagte hat gegen den nunmehrigen Kläger am 10.8.1993 beim Bezirksgericht I***** zu 11 C 1044/93h eine Klage auf Räumung und auf Zahlung von S 10.893,30 sA eingebracht. Die Klage sowie die Ladung zur ersten Tagsatzung wurden dem jetzigen Kläger am 24.8.1993, das am 7.9.1993 ergangene Versäumungsurteil am 14.9.1993 zugestellt. Der Kläger war zum Zeitpunkt dieser Zustellungen aufgrund einer alkoholischen Polyneuritis und den damit im Zusammenhang stehenden Veränderungen seines Gehirnes nicht in der Lage, diese Vorgänge wahrzunehmen bzw in ihrer Tragweite zu erkennen. Im Verfahren 11 C 1044/93h des Bezirksgerichtes I***** stellte der nunmehrige Klagevertreter unter Berufung auf eine ihm vom nunmehrigen Kläger erteilte Vollmacht am 15.2.1994 unter anderem den Antrag, die Nichtigkeit des Verfahrens gemäß § 7 ZPO auszusprechen und die Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles aufzuheben. Diesen Antrag wies das Erstgericht mit der Begründung ab, daß das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sei, sodaß es das Verfahren nicht mehr für nichtig erklären könne. Dieser Beschluß erwuchs in Rechtskraft. Mit Beschluß vom 7.3.1994 bestellte das Sachwaltergericht den nunmehrigen Klagevertreter zunächst zum einstweiligen Sachwalter (§ 238 Abs 2 AußStrG) und mit Beschluß vom 6.6.1994 zum Sachwalter (§ 273 AGBG) und bestimmte dessen Aufgabenkreis unter anderem mit der Vertretung des Betroffenen vor Gericht. Eine Zustellung des Versäumungsurteils vom 7.9.1993 11 C 1044/93h des Bezirksgerichtes I***** an den Sachverwalter erfolgte bislang nicht.

Mit der am 3.3.1994 eingebrachten Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO stellte der Kläger das Begehren, das im Verfahren 11 C 1044/93 des Bezirksgerichtes I***** ergangene Versäumungsurteil als nichtig aufzuheben. Er brachte dazu vor, er sei bereits bei Klagszustellung aufgrund seines schweren Alkoholismus nicht in der Lage gewesen, deren Bedeutung zu erkennen und dementsprechend zu handeln.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, der Kläger habe genau gewußt, was eine gerichtliche Vorladung und ein Versäumungsurteil bedeute. Im übrigen habe der Kläger die Frist des § 534 ZPO versäumt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erklärte das Verfahren 11 C 1044/93h des Bezirksgerichtes I***** ab Klagszustellung für nichtig und hob das Versäumungsurteil vom 7.9.1993 auf. Rechtlich führte es aus, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Klagszustellung nicht zurechnungsfähig und damit nicht prozeßfähig gewesen sei. Da er auch nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten gewesen sei, lägen die Voraussetzungen des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO vor. Die Klagsführung sei nicht verspätet, weil die Frist des § 534 ZPO erst mit der Bestellung des Sachwalters zu laufen begonnen habe.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und wies die Klage zurück. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Zustellungen an den prozeßunfähigen Kläger im Vorverfahren seien unwirksam gewesen. Da eine Zustellung an den Sachwalter bislang nicht erfolgt sei, liege eine Scheinrechtskraft vor. Gemäß § 529 Abs 1 ZPO könne nur eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Sache erledigt sei, mit Nichtigkeitsklage angefochten werden. Die bloße Scheinrechtskraft genüge zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht. Die mit einer solchen Klage angefochtene Entscheidung müsse ordnungsgemäß zugestellt worden sein. Eine vor Eintritt der formellen Rechtskraft eingebrachte Nichtigkeitsklage sei verfrüht und müsse zurückgewiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht gibt zwar die Grundsätze der Rechtsprechung zur Frage der Erhebung der Nichtigkeitsklage bei Scheinrechtskraft zutreffend wieder (vgl EvBl 1964/347; SZ 39/129; SZ 46/13; SZ 47/99; SZ 47/110; uva), übersieht aber, daß bei diesen Entscheidungen entweder ein bloßer Zustellungsmangel (bei an sich gegebener Prozeßfähigkeit) bestand oder die Prozeßunfähigkeit jener Partei, die sich der Nichtigkeitsklage bediente, im Zeitpunkt der Zustellung der Klage und der bekämpften Entscheidung evident (bei Minderjährigkeit oder bestehender Sachwalterschaft) vorlag. Im vorliegenden Fall liegt aber die zu beweisende Behauptung des Nichtigkeitsklägers, schon im August und September 1993, also etwa ein halbes Jahr vor Bestellung seines Sachwalters, prozeßunfähig gewesen zu sein, vor. Sollte diese Behauptung nicht bewiesen werden, wäre die ansonsten ordnungsgemäß erfolgte Zustellung der Klage und des zur Räumung verpflichtenden Urteiles ordnungsgemäß erfolgt und wäre die Nichtigkeitsklage abzuweisen; andernfalls aber wäre sie berechtigt. Der erkennende Senat schließt sich in einem derart gelagerten Fall der Auffassung Faschings (LB2 Rz 2044) an, der eine Nichtigkeitsklage dann, wenn wie hier die Frage des Eintritts der Rechtskraft bzw Scheinrechtskraft von streitigen Tatsachen abhängt, für zulässig erachtet, weil das Verfahren hierüber wegen der Notwendigkeit und größeren Sicherheit kontradiktorischer Beweisaufnahme wesentlich besser zur Aufklärung der streitigen Tatsache der Prozeßunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers im Zustellungszeitpunkt geeignet ist, als im Rahmen des Berufungsverfahrens durchzuführende amtswegige Erhebungen, in deren Zug der betroffene Gegner kein rechtliches Gehör besitzt. Das Berufungsgericht wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit dem Mängel- und Beweisrüge in der Berufung der beklagten Partei zu befassen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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