OGH 4Ob58/74

OGH4Ob58/7415.10.1974

SZ 47/110

Normen

Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §17
Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §18
HGB §15
Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §17
Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §18
HGB §15

 

Spruch:

Erfolgt die Zustellung an eine Person, die für die GmbH zur Zeit der Zustellung nicht zeichnungsberechtigt war, so ist die Zustellung auch dann wirkungslos, wenn das Erlöschen der Zeichnungsberechtigung im Handelsregister noch nicht eingetragen war

OGH 15. Oktober 1974, 4 Ob 58/74 (LGZ Innsbruck 2 Cg 26/74; ArbG Innsbruck Cr 42/74)

Text

Der Kläger überreichte am 30. Oktober 1973 eine Klage auf Zahlung eines Betrages von 47.725 S samt Anhang an Kündigungsentschädigung und offenen Ansprüchen aus dem Dienstverhältnis, das am 17. September 1972 von der beklagten Partei zu Unrecht durch fristlose Entlassung des Klägers aufgelöst worden sei. In der Klage wird deren Zustellung an die Beklagte zu Handen des Geschäftsführers Andreas M beantragt. Diesem wurde die Klage samt Ladung zur 1. Tagsatzung für den 26. November 1973 am 14. Oktober 1973 zugestellt. Mit Schreiben vom 15. November 1973, das beim Erstgericht am 19. November 1973 einlangte, teilte Andreas M mit, daß er zum Zeitpunkt der Entlassung des Klägers nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten gewesen sei. Nach einem Amtsvermerk vom 20. November 1973 ist Gerd B Geschäftsführer der Beklagten. Die Zustellung der Klage samt Ladung zur 1. Tagsatzung an diesen wurde am 21. November 1973 vergeblich versucht, da der Adressat nach einem Vermerk des Zustellorgans "zur Zeit in Deutschland" war. Über Antrag des Klägers wurde am 12. Dezember 1973 die Zustellung der Klage samt Ladung zu der nun für 28. Dezember 1973 anberaumten 1. Tagsatzung an Gerd B aus demselben Gründe neuerlichvergeblich versucht. Am 24. Jänner 1974 beantragte der Kläger Zustellung der Klage an Andreas M, da dieser als Geschäftsführer der Beklagten im Handelsregister eingetragen sei. Die Richtigkeit dieser Behauptung wurde in einem Amtsvermerk vom 25. Jänner 1974 festgehalten. Daraufhin wurde die Klage samt Ladung zur

1. Tagsatzung für 19. Feber 1974 am 17. Feber 1974 an Andreas M zugestellt. Da zu dieser 1. Tagsatzung für die beklagte Partei niemand erschien, erging gegen diese ein Versäumungsurteil, dessen Zustellung an Andreas M verfügt und durch Ersatzzustellung an dessen Tochter am 22. Feber 1974 durchgeführt wurde. Mit Schreiben vom 14. Feber 1974 teilte Andreas M dem Gericht neuerlich mit, daß er zum Zeitpunkt der Entlassung des Klägers nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten gewesen sei. Dieses Schreiben wurde dem Erstgericht erst nach der 1. Tagsatzung am 19. Feber 1974 vorgelegt. Die Beklagte beantragte gegen die Versäumung der 1. Tagsatzung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; diesem Antrag wurde rechtskräftig nicht stattgegeben. Überdies erhob sie gegen das Versäumungsurteil eine Berufung, die am 12. März 1974 zur Post gegeben wurde.

Das Berufungsgericht wies diese Berufung als verspätet zurück. Es ging davon aus, daß die Zustellung des Versäumungsurteiles an Andreas M am 22. Feber 1974 mit Wirkung gegen die Beklagte habe erfolgen können, weil seine Enthebung als Geschäftsführer der beklagten Partei im Handelsregister nicht eingetragen sei. Daher könne sich die beklagte Partei gemäß § 15 HGB nicht darauf berufen, daß Andreas M als Geschäftsführer enthoben worden sei, weil dies dem Kläger nicht bekannt gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Berufungsverfahrens auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs ist gemäß § 519 Z. 1 ZPO zulässig, weil die Berufung gemäß §§ 474 Abs. 2, 471 Z. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen wurde (EvBl. 1971/195 u. a.). Er ist auch berechtigt.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Zustellung mit Wirkung für die Beklagte deswegen an Andreas M habe erfolgen können, weil dieser zur Zeit der Zustellung als Geschäftsführer der Beklagten im Handelsregister eingetragen war und sich die Beklagte darauf, daß er als Geschäftsführer bereits enthoben gewesen sei, nicht berufen könne, weil dies dem Kläger nicht bekannt gewesen sei, ist nicht richtig. Richtig ist, daß die Enthebung von Geschaftsfuhrern einer GmbH zur Eintragung im Handelsregister anzumelden ist (§ 17 GmbHG). Die Wirksamkeit der Änderung in der Geschäftsführung ist aber von dieser Eintragung unabhängig (Gellis, Kommentar zum GmbHG, 69; SZ 40/132). Allerdings kann die Änderung oder das Erlöschen der Vertretungsbefugnis dritten Personen, denen diese Tatsache nicht bekannt war, dann nicht entgegengehalten werden, wenn sie nicht in das Handelsregister eingetragen ist (§§ 17 Abs. 2 GmbHG, 15 Abs. 1 HGB). Dies bezieht sich aber nur auf den rechtsgeschäftlichen Verkehr und damit zusammenhängende Prozeßhandlungen, z. B. einen gerichtlichen Vergleich, bei denen der Inhalt des Handelsregisters eine Grundlage für Entschlüsse dritter Personen bildet. Vorgänge außerhalb des Geschäftsverkehrs werden von der Bestimmung des § 15 HBG nicht betroffen (Hämmerle, Handelsrecht I[2], 50; Baumbach - Duden, HGB[21], 64 Würdinger in Großkommentar zum HGB I[3], 258; Schlegelberger - Hildebrandt, HGB I[5], 162). Die Zustellung einer Klage oder einer Ladung ist aber ein gerichtlicher Akt des Prozeßbetriebes und keine Prozeßhandlung der Parteien, somit ein öffentlich-rechtlicher Hoheitsakt. Das Zustellwesen wird vom Amtsbetrieb beherrscht (§ 87 ZPO; Fasching, ZP II, 564; Pollak, System, 551). Die Berufung auf eine Gutgläubigkeit des Klägers im Sinne des § 15 HGB für die Wirksamkeit einer Zustellung an die Beklagte ist daher verfehlt (Gellis). An die Beklagte als eine GmbH konnte die Zustellung mit rechtlicher Wirkung vielmehr nur an Personen erfolgen, die tatsächlich berechtigt waren, für sie zu zeichnen oder mitzuzeichnen (§ 18 Abs. 4 GmbHG). Wenn Andreas M zur Zeit der Zustellung diese Berechtigung nicht hatte, war die Zustellung an ihn für die beklagte Partei auch dann wirkungslos, wenn das Erlöschen seiner Zeichnungsberechtigung im Handelsregister noch nicht eingetragen war. Es kann auch nicht von einer "äußerlich einwandfreien" Zustellung gesprochen und die beklagte Partei auf eine Nichtigkeitsklage verwiesen werden (vgl. ZBl. 1934/286), weil dem Gericht die mangelnde Vertretungsbefugnis des Andreas M bereits bekanntgegeben worden war und dieses wegen der Amtswegigkeit des Zustellbetriebes verpflichtet gewesen wäre, die Richtigkeit dieser Behauptung zu überprüfen. Überdies ist nach herrschender Rechtsprechung unter Rechtskraft eines Urteiles im Sinne des § 529 ZPO nur die wirkliche, nicht die bloße Scheinrechtskraft zu verstehen, so daß die Nichtigkeitsklage nur zulässig ist, wenn die Entscheidung ordnungsgemäß zugestellt wurde (JBl. 1970/263. SZ 39/129, 27/191, 25/319 u. a.).

Um die Rechtzeitigkeit der Berufung beurteilen zu können, muß daher festgestellt werden, ob die Behauptung, daß Andreas M zur Zeit der Zustellung der Berufung an ihn nicht mehr Geschäftsführer der beklagten Partei und somit für sie nicht mehr zeichnungsberechtigt gewesen sei, richtig ist. Da eine solche Feststellung fehlt, war der angefochtene Beschluß in Stattgebung des Rekurses der Beklagten aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen, wobei für das weitere Verfahren entscheidend ist, ob die Berufung verspätet oder rechtzeitig erhoben wurde. Sollte das weitere Verfahren die Unrichtigkeit der Behauptung über die mangelnde Zeichnungsberechtigung des Andreas M zur Zeit der Zustellung der Berufung an ihn ergeben, wäre diese Berufung tatsächlich verspätet. War aber Andreas M zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zeichnungsberechtigt für die beklagte Partei, dann konnte die Zustellung des Versäumungsurteiles an ihn die Berufungsfrist gegen die beklagte Partei nicht in Lauf setzen. In diesem Falle wäre somit die Berufung als rechtzeitig zu behandeln.

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