OGH 13Os22/95

OGH13Os22/9519.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.April 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Haubenwallner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Friedrich J* wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 und 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 7.November 1994, GZ 33 Vr 1521/93‑22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Kriftner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:E38983

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil ‑ das im übrigen unberührt bleibt ‑ im Schuldspruch (II) wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 (höherer Strafsatz) StGB und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklage auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Friedrich J* wurde des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 2 erster Fall (I) und Abs 1 (II) StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er

(I.) im Februar 1992 in Santiago (Dominikanische Republik) die Staatsbürgerin der Dominikanischen Republik Helene F* T* mit dem Vorsatz, daß sie in Österreich, somit in einem anderen Staat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besaß oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, gewerbsmäßige Unzucht treibe, durch Täuschung über dieses Vorhaben, nämlich durch die Vorgabe, sie könne in seinem Betrieb als Tänzerin arbeiten, verleitet, sich nach Österreich zu begeben;

(II.) in Linz gewerbsmäßig nachgenannte Staatsangehörige der Dominikanischen Republik der gewerbsmäßigen Unzucht in Österreich, somit in einem anderen Staat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besaßen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, "zugefügt" (gemeint: zugeführt):

1. im Dezember 1991 Leonida Lora G*

2. im Laufe des Jahres 1992, in der ersten Hälfte des Jahres 1993, spätestens aber ab Juli 1993 Maria Jacqueline C* B*, Maria Gelkis R*, Maria Christiana de la C* R*, Anna Antonia Maria M*, Margarita L* B*, Hirma G* H*, Georgina Altagracia F* V*, Andrea C* L*, Germania C* A* und Liriano Merisol D* (mit teilweise anderer Schreibweise der Namen im Akt).

 

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese erweist sich in Ansehung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch II wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 (höherer Strafsatz) StGB als berechtigt.

Zum Faktum (II.1.) Leonida Lora G* enthält das Urteil überhaupt keine Gründe und damit auch keinerlei Feststellungen, weshalb der genannte Nichtigkeitsgrund von vornherein gegeben ist (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 9 a ENr 8).

Hinsichtlich der weiteren Fakten zum Schuldspruch II rügt der Beschwerdeführer zutreffend, daß auch diesbezüglich entsprechende Feststellungen fehlen, und zwar hinsichtlich der ihm angelasteten Tatbegehung des "Zuführens" der namentlich genannten Ausländerinnen (mögen diese auch bereits der Prostitution ergeben gewesen sein) zur Unzucht in Österreich. Das Erstgericht meint nämlich, daß allein schon die Gewährung von Unterkunft und das Bereitstellen von Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution sowie die Beschaffung von Meldezetteln und Gesundheitsbüchern, kurz die Aufnahme der ausländischen Mädchen in den im Inland bestehenden und vom Angeklagten geführten Bordellbetrieb bereits dem Begriff des "Zuführens" entspreche (s US 24). Die Tatrichter glaubten ferner, daß auch ohne jegliche Einflußnahme auf die diesbezügliche Entscheidung der Tatopfer - die, ohne direkten oder indirekten Einfluß des Angeklagten, Österreich mit dem Ziel, hier die (einträglichere) Prostitution auszuüben, aufgesucht hatten oder nach einer entsprechenden Aufenthaltsdauer im Inland sich aus eigenem dieser Tätigkeit zugewandt hatten ‑ allein schon das Zurverfügung‑Stellen der Mittel zur Ausübung der Prostitution ein "Zuführen" im Sinne des § 217 Abs 1 StGB bedeute.

Dadurch allein hat der Angeklagte aber keines seiner Tatopfer veranlaßt, also dazu gebracht (siehe auch 11 Os 134/93), die Prostitution hier auszuüben, sie somit (noch) nicht der Prostitution "zugeführt". Denn wer zur Ausübung derselben (in Österreich) bereits entschlossen ist, kann grundsätzlich dazu durch bloßes "Zurverfügung‑Stellen" der nötigen Mittel und sonstiger unverzichtbarer Voraussetzungen (z.B. der "Gesundheitsbücher") nicht mehr veranlaßt bzw beeinflußt werden (vgl, wenn auch in anderem Zusammenhang, Leukauf‑Steininger Komm3 § 12 RN 27 ff und 41).

Die Rechtsansicht, nach der bereits die Führung eines Bordellbetriebes mit ausländischen Prostituierten bzw die Aufnahme einer zur Prostitution entschlossenen Ausländerin in ein solches Etablissement den Tatbestand des Verbrechens des Menschenhandels verwirkliche, ist somit verfehlt. Vielmehr wird für den Begriff des "Zuführens" ein über das bloße Herbeiführen eines bestimmten Erfolges hinausgehendes, intensiveres Täterverhalten gefordert. Sinnfällige Beispiele hiefür finden sich mannigfaltig im StGB (§§ 100 f, 195 Abs 3, 213 ff).

Unter dem Begriff des "Zuführens" als Begehungsmittel des § 217 Abs 1 StGB - der auch bereits der Unzucht ergebene Personen schützt ‑ ist vielmehr eine massive und gezielte Einflußnahme auf das Schutzobjekt zur Ausrichtung seiner gesamten Lebensführung als Prostituierte in einem fremden Staat zu verstehen (14 Os 62/93, 12 Os 165/9111 Os 71/92, auch 9 Os 55/7912 Os 30/82, SSt 50/59, EvBl 1981/240).

Diese Interpretation wird auch den Intentionen des Gesetzgebers, die ihn zur Einführung der Strafbestimmung des § 217 StGB veranlaßten, gerecht:

Nach der RV zum StGB sollte diese neue Strafbestimmung, welche im früher geltenden Strafrecht kein Gegenstück hatte, der Erfüllung jener internationalen Übereinkommen gegen den Frauen‑ und Kinderhandel dienen, denen Österreich beigetreten ist (§ 30 BlgNR XIII.GP, 363 f). Inhalt dieser internationalen Verträge (vom 18.Mai 1904 und vom 4.Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenshandels, RGBl Nr 26/1913) war die Verpflichtung, die Bestrafung derjenigen zu veranlassen, die um die Begierden eines anderen Vorschub zu leisten, eine minderjährige Frau oder ein minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu Zwecken der Unzucht anwerben oder entführen (siehe Art 1 und 2 der zitierten Abkommen).

Eine Verpflichtung zur Bestrafung der Aufnahme oder Eingliederung einer (erwachsenen) Person mit ausländischer Staatsangehörigkeit in einem Bordellbetrieb, kann den internationalen Übereinkommen (siehe auch BGBl Nr 740/1922, BGBl Nr 314/1936, BGBl Nr 203/1950 und BGBl Nr 204/1950) nicht entnommen werden. Beachtenswert ist auch, daß der seinerzeitige Ministerialentwurf als Tathandlung neben dem Anwerben das Befördern in einen anderen Staat vorsah. Die Regierungsvorlage des StGB verwendete jedoch anstelle des Beförderns den Begriff des Zuführens, weil sie den Begriff des Beförderns als viel zu weitgehend ansah (30 BlgNR XIII.GP , 365).

Im übrigen sieht das OÖ.Polizeistrafgesetz die Erteilung von sogenannten "Ausnahmebewilligungen" der Gemeinden zur Ausübung der Prostitution in allgemein zugänglichen Gebäuden oder Räumlichkeiten in solchen Gebäuden vor, ohne daß eine derartige Tätigkeit mit der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden sein müßte. Allein die Aufnahme in eine solche Einrichtung kann daher in der Regel noch kein nach einem anderen Gesetz verpöntes strafbares Verhalten begründen.

Der Schutzzweck der Strafbestimmung des § 217 Abs 1 StGB liegt vielmehr in der Verhinderung der Schaffung eines Abhängigkeitsverhältnisses, das es den "verhandelten Personen" in einem für sie fremden Land schwer oder unmöglich macht, mit den Behörden Kontakt aufzunehmen (der bereits etwa mit den regelmäßigen Untersuchungen einer Prostituierten verbunden ist) und von ihnen Schutz zu gewinnen. Dies wurde bereits in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des StGB ausgesprochen, welche davon ausgingen, daß die vom Menschenhandel betroffenen Personen nicht mehr frei darüber entscheiden können, ob sie das unzüchtige Gewerbe tatsächlich beginnen oder fortsetzen sollen, sodaß es für sie in der Regel keine Rückkehr in die Heimat oder zu einem anständigen Lebenwandel mehr gebe. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis wird jedoch allein durch die Aufnahme und Eingliederung einer Prostituierten ‑ gleich welcher Staatsangehörigkeit ‑ in ein inländisches Bordell in der Regel nicht geschaffen. Vorliegend hatte in einigen Fällen der Angeklagte den betroffenen Frauen auch das Geld für die Heimreise in die Dominikanische Republik und spätere Rückreise nach Österreich vorgestreckt.

Die Urteilsfeststellungen, die sich nicht an diesen Kriterien des "Zuführens" orientieren, können daher den Schuldspruch (II) wegen Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 StGB nicht tragen. Dies gilt auch bezüglich des Schuldspruchs betreffend Germania C* A* und Liriano Merisol D*, bei denen die Urteilsausführungen teils in Richtung eines "Anwerbens" (US 12), teils auch in Richtung einer Täuschung nach § 217 Abs 2 StGB (US 15) deuten, solcherart aber in unlösbarem Widerspruch zum Urteilsspruch stehen, wonach auch bei diesen beiden Tatopfern das Tatbegehungsmittel das "Zuführen" war. Für ein solches "Zuführen" fehlen damit aber entsprechende Konstatierungen (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 281 Abs 1 Z 5 ENr 47).

Die Rechtsrüge des Angeklagten ist daher insoweit begründet, als sie den Schuldspruch nach § 217 Abs 1 StGB (II) betrifft. Dieser war deshalb, ohne daß es noch einer Erörterung der diesbezüglich weiters geltend gemachten Beschwerdegründe bedarf, aufzuheben und insoweit Verfahrenserneuerung anzuordnen.

Hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 217 Abs 2 StGB ist die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch nicht im Recht.

Die in der Beschwerde (unter Z 5) relevierte Frage, ob Helene F* T* - nachdem sie das vom Angeklagten geführte Etablissement auf Grund persönlicher Differenzen verlassen und in ein anderes gewechselt hatte ‑ erneut wieder zum Angeklagten (der dies aber dann ablehnte) zurückkehren wollte oder nicht, betrifft einen lang nach Tatvollendung liegenden Vorgang und damit keine entscheidende Tatsache.

Die auf die Aussage des Tatopfers gegründeten Feststellungen, daß sie nur unter Vortäuschung einer anderen Tätigkeit (nämlich als Tänzerin) als jener, die sie dann (als Prostituierte) in Österreich ausüben sollte, hierher gelockt wurde, begegnet aber auch aus den Akten keinerlei erheblichen Bedenken (Z 5 a).

Diese Feststellung negiert im Ergebnis die Rechtsrüge (Z 9 lit a) prozeßordnungswidrig, indem sie gestützt auf eine unentscheidende Äußerung der Andrea L* gegenüber F* T*, deren gesamte Aussage und die darauf gegründeten Urteilsfeststellungen "unhaltbar" bezeichnet. Zu diesem Schuldspruchfaktum (I) war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Die Kassierung eines Teils des Schuldspruchs zwingt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs, womit der erhobenen Berufung die Basis entzogen ist.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 390 a StPO.

 

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