OGH 15Os22/95

OGH15Os22/9530.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Schaumberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Van Binh N***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 11.Oktober 1994, GZ 28 Vr 1275/94-33, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 11. Oktober 1994, GZ 28 Vr 1275/94-33, verletzt im Schuldspruch (III.) wegen des Vergehens des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 3 Z 1 StGB das Gesetz in der Bestimmung des § 109 Abs 3 Z 1 StGB.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch laut III. des Urteilssatzes sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung die Erneuerung des Verfahrens durch das Erstgericht angeordnet.

Text

Gründe:

Mit dem im Spruch zitierten Urteil (das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthält) wurde Van Binh N*****, der sich voraussichtlich bis 12.September 1995 in anderer Sache in Strafhaft befindet, des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II.) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I.) und des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 3 Z 1 StGB (III.) schuldig erkannt und zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs laut Punkt III. des Urteilssatzes in Verbindung mit den wesentlichen Urteilsfeststellungen (US 9 f und 12) liegt dem Angeklagten das Vergehen des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 3 Z 1 StGB deshalb zur Last, weil er am 27.Juni 1994 in Leonding, nachdem es ihm - "offenbar ohne Anwendung von Gewalt" - gelungen war, das gekippte Fenster zum Balkon zu öffnen und so in die Wohnung seiner (zunächst schlafenden) geschiedenen und von ihm getrennt (mit den ehelichen Kindern) lebenden Ehegattin Lan Thi Ngoc N***** in 4060 Leonding, Haidfeldstraße 17/2/7, an welcher er seit einem im Scheidungsverfahren am 28.Oktober 1993 abgeschlossenen Vergleich kein Hausrecht mehr hat, "einzudringen", danach trachtete, mit Gewalt, nämlich durch Axtschläge gegen die Badezimmertüre, in einen Teil der Wohnstätte der Lan Thi Ngoc N*****, und zwar in deren Badezimmer, einzudringen, wobei er gegen die dorthin geflüchtete Lan Thi Ngoc N***** weitere Gewalt zu üben beabsichtigte; die Tat blieb nur zufolge des (rechtzeitigen) Einschreitens der zwischenzeitig in die Wohnung gelangten Gendarmeriebeamten beim Versuch.

Während der Angeklagte den Schuldspruch unbekämpft ließ, meldete er gegen den Strafausspruch Berufung an (201) und führte diese auch durch seinen Verteidiger schriftlich aus (ON 35).

Rechtliche Beurteilung

Der erstgerichtliche Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 3 Z 1 StGB steht - wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach § 33 Abs 2 StPO zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Voranzustellen ist, daß die zitierte Bestimmung unter den gegebenen Umständen das Hausrecht im engeren Sinn schützt, worunter das Recht an der eigenen Wohnstätte, als dem Ort, an dem sich die Intimsphäre des Individuums und der Familie in besonderer Weise lokalisiert, verstanden wird (Leukauf/Steininger Komm3 § 109 RN 3).

Hausfriedensbruch setzt stets die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt schon beim Eindringen in das (bewohnte) geschützte Objekt voraus (SSt 48/31 = EvBl 1977/225). Zur Wohnstätte gehören nach herrschender Auffassung indes nicht nur Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsräume, sondern auch die damit eine geschlossene Einheit bildenden Nebenräume, wie etwa Bad, Toilette etc (Leukauf/Steininger aaO RN 4; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 1; Kienapfel BT I3 Rz 8; Bertel/Schwaighofer Österreichisches Strafrecht BT I3 Rz 2 und Bertel im WK Rz 21 jeweils zu § 109). Ein einzelner Raum einer solchen Wohneinheit könnte nur dann als selbständige Wohnstätte gelten, wenn dessen Bewohner darin einen eigenen Haushalt führte (Leukauf/Steininger aaO RN 3; Kienapfel aaO Rz 10; Bertel aaO Rz 22).

Nach den Urteilsfeststellungen ist aber in dem hier aktuellen Fall die Wohnung der Lan Thi Ngoc N***** insgesamt als (ihre und ihrer unmündigen Kinder) einheitliche Wohnstätte anzusehen. Demnach stellt das in diese Wohnung integrierte Badezimmer mit WC kein selbständiges Schutzobjekt im Sinne des § 109 StGB dar, weshalb die vom Angeklagten erst nach seinem gewaltlosen Eindringen in die Wohnstätte seiner geschiedenen Gattin geübte Gewalt gegen die Badezimmertüre den Tatbestand des Hausfriedensbruchs nicht zu erfüllen vermag; denn selbst massivste Verletzungen des Hausrechtes in einer Wohnstätte, in welche der Täter ohne Gewaltanwendung oder Drohung mit Gewalt eingedrungen ist, sind nicht nach § 109 StGB tatbildlich (Kienapfel aaO RN 2).

Daraus folgt, daß der erstgerichtliche Schuldspruch laut Punkt III. des Urteilssatzes das Gesetz in der Bestimmung des § 109 Abs 3 Z 1 StGB verletzt, weshalb - in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes - gemäß § 292 letzter Satz StPO der bezeichnete Schuldspruch einschließlich des Strafausspruchs aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung aufzutragen war.

Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht zu beachten haben, daß der dem Angeklagten in der Anklageschrift (und im Urteil) zur Last gelegte Gewalteinsatz (Axtschläge gegen die verschlossene Badezimmertüre) Kriterien einer Sachbeschädigung nach § 125 StGB aufweist, die im übrigen mit Hausfriedensbruch idealkonkurrieren könnte (Leukauf/Steininger aaO RN 35; Kienapfel aaO RN 65; 9 Os 32/85, 11 Os 7/89 uam), sodaß der Angeklagte nach Entfall des Deliktes des Hausfriedensbruchs (wegen mangelnder Tatbestandsmäßigkeit) weiterhin die von ihm (zugegebenermaßen) herbeigeführte Beschädigung einer fremden Sache zu verantworten hat, wobei die derzeitige Aktenlage - wenngleich nach dem Lichtbild S 99 die Beschädigungen nicht allzu umfänglich gewesen zu sein scheinen - keine völlig verläßlichen Anhaltspunkte hinsichtlich einer allfälligen Erreichung der Schadens-(Qualifikations-)grenze des § 126 Abs 1 Z 7 StGB (ein 25.000 S übersteigender Schaden) bietet und das Urteil des Landesgerichtes Linz überhaupt keine Feststellungen zur Schadenshöhe enthält, auf die der Oberste Gerichtshof eine reformatorische Entscheidung aufbauen könnte. Diese mangelnde Sachverhaltsfeststellung, die dem Obersten Gerichtshof nachzuholen verwehrt ist, führt zur Kassation und zur Anordnung der Verfahrenserneuerung im bereits erwähnten Umfang.

Des weiteren wird im erneuerten Verfahren die im Ersturteil (ON 33) rechtsirrig unterbliebene Anrechnung der Vorhaft (vom 27.Juni 1994, 01,55 Uhr, bis 15.Juli 1994, 13,30 Uhr) auch auf die im zweiten Rechtsgang verhängte Strafe gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB nachzuholen sein (vgl Leukauf/Steininger aaO RN 5; Mayerhofer/Rieder aaO E 29, 32, 33 a jeweils zu § 38).

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