OGH 10ObS217/94

OGH10ObS217/9431.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Satilmis A*****, Hilfsarbeiter, ***** vertreten durch Dr.Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Juni 1994, GZ 8 Rs 31/94-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16.Dezember 1993, GZ 23 Cgs 273/93-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger besuchte fünf Jahre Grundschule, arbeitete ab dem 12. Lebensjahr im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters mit und kam nach Ableistung seines Wehrdienstes am 23.4.1989 nach Österreich, wo er zunächst beschäftigungslos war. Seit 13.8.1990 war er als Bauhilfsarbeiter ua in der Unfallversicherung versichert und war zusammen mit etwa neun weiteren (Gast-)Arbeitern unter der Leitung eines Poliers auf einer Abbruchbaustelle beschäftigt. Er hatte Fliesen mit einem Kompressor herunterzustemmen bzw zu schremmen. Solche Arbeiten hatte er vor dem 13.8.1990 nicht verrichtet. Auf der Baustelle wurden auch Schleif- und Schneidarbeiten durchgeführt. Dabei wurden stets Schutzbrillen verwendet. Diese befanden sich in einer auf der Baustelle befindlichen Werkzeugkiste und konnten von den Arbeitern nach eigenem Ermessen verwendet werden. Der Kläger wurde auf das Vorhandensein der Schutzbrillen nicht hingewiesen. Kein anderer Arbeiter, der die gleichen Arbeiten verrichtete wie der Kläger, nämlich Stemm- und Schremmarbeiten, verwendete (dafür) solche Schutzbrillen. Für diese Arbeiten wurden vom Polier lediglich Handschuhe ausgegeben, weil sie von den Arbeitern verlangt wurden. Bei den Arbeiten am 20.8.1990, bei denen der Kläger stehend mit leicht vorgebeugtem Oberkörper mit einem Preßlufthammer Fliesen von einer Wand abschremmte und abstemmte, trug er weder eine Schutzbrille noch einen sonstigen Augenschutz. Im Zuge dieser Arbeiten wurde er von einem abspringenden Betonsplitter am rechten Auge getroffen. Dabei kam es zu einer durchbohrenden Verletzung dieses Auges und zu einem Verlust des Sehvermögens an diesem. Durch das Tragen einer Schutzbrille oder eines Schutzhelmes mit Schutzschirm hätte der Unfall verhindert werden können. Ein Schutzschirm wäre wegen der seitlichen Entlüftung, die sein Anlaufen verhindert hätte, für diese Arbeiten besonders geeignet gewesen. Mit Bescheid vom 17.6.1991 erkannte die Beklagte dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles ab 2.1.1991 bis auf weiteres eine Dauerversehrtenrente von 30 vH der Vollrente zu.

Mit Bescheid vom 26.7.1991 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 3.7.1991 auf Gewährung einer Integritätsabgeltung für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.8.1990 ab, weil dieser nicht durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitsnehmerschutzvorschriften verursacht worden sei.

Das auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren stützt sich im wesentlichen darauf, daß das Nichtzurverfügungstellen einer Schutzbrille als grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu werten sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß keine grob fahrlässige Außerachtlassung vorliege und daß der Integritätsschaden die von den Richtlinien geforderte Grenze von 50 vH nicht erreiche.

Im zweiten Rechtsgang verurteilte das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung einer Integritätsabgeltung von 20 vH der 1990 geltenden doppelten Höchstbemessungsgrundlage gemäß § 178 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung der Anpassung gemäß § 213 Abs 2 leg cit.

Der Arbeitsunfall sei durch die grob fahrlässige Außerachtlassung des § 66 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung verursacht worden. Obwohl an der Arbeitsstelle Schutzbrillen verhanden waren, sei der völlig unerfahrene Kläger, der nie zuvor Stemm- und Schremmarbeiten durchgeführt habe, von niemandem darauf hingewiesen worden. Dies sei als auffallende Sorglosigkeit zu beurteilen, weil der Unternehmer einfache Maßnahmen (Anordnung, die Arbeiter auf die Schutzbrillen hinzuweisen und deren Tragen zu kontrollieren) unterlassen habe, obwohl gleichzeitig Handschuhe zum Schutz der Hände zur Verfügung gestellt worden seien. Der Integritätsschaden betrage 55 vH.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Es erachtete das Klagebegehren "unabhängig von der in seinem Aufhebungsbeschluß 15.10.1992 ON 20 aufgeworfenen Problematik" hinsichtlich der Frage der grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften als nicht berechtigt, weil der Grad des Integritätsschadens höchstens 45 vH erreiche.

Ein Bewertungsausspruch habe zu entfallen, weil das Klagebgehren auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet sei, der jedenfalls 50.000 S übersteige.

In der Revision macht der Kläger Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es, allenfalls auch das der ersten Instanz aufzuheben.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nach § 46 Abs 1 Z 2 ASGG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der ASGGNov 1994 BGBl 624 (Art X § 2 Z 7) zulässig. Das Berufungsgericht hat zwar nicht im Spruch seines Urteils, wohl aber in den Entscheidungsgründen eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der die Integritätsabgeltung regelnde § 213a ASVG wurde durch Art III Z 3 der 48. ASVGNov BGBl 1989/642 eingefügt. Die Gesetzesmaterialien (AB 1142 BlgNR 17. GP, 2) verweisen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit auf die einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG, deren Grundsätze unter Anführung einiger Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und unter Berufung auf die Ausführungen Reischauers in Rummel, ABGB II (damals noch 1. Auflage) zu § 1324 dargestellt wurden.

Der erkennende Senat stimmte diesen Ausführungen in seiner ersten Grundsatzentscheidung zur Integritätsabgeltung SSV-NF 6/61 im wesentlichen zu und führte dazu aus: "Grobe Fahrlässigkeit iS des § 334 Abs 1 ASVG ist dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iS des § 1324 ABGB gleichzusetzen und nur dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen läßt. Sie erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Eine strafgerichtliche Verurteilung reicht für sich allein für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen (SZ 51/128 mwN)." Der Senat wiederholte diese Grundsätze in den E 19.7.1994, 10 Ob S 76/94 und 23.11.1994, 10 Ob S 156/93; dabei bezog er sich auch noch auf SZ 56/166 und Arb 10.087. Er hält daran und auch an der weiteren herrschenden Rsp fest, daß das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei ist im wesentlichen zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (24.2.1993, 9 Ob A 315/92 mwN).

Der von Meisel/Widlar, Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung, SozSi 1991, 362f (367) unter Berufung auf eine E des OGH aus 1960 (SozSi 1960, 367) vertretenen Meinung, grobe Fahrlässigkeit werde immer anzunehmen sein, wenn ein Unternehmer oder Gleichgestellter jene Aufmerksamkeit vermissen lassen, die in einem Betrieb im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden müsse, kann nicht gefolgt werden, weil dann jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift eine grobe Fahrlässigkeit bedeuten würde; damit würden leichte und grobe Fahrlässigkeit einander gleichgestellt (so auch Reischauer, Neuerungen beim Arbeitgeber-Haftungsprivileg, DRdA 1992, 317f (326). Für Reischauer in Rummel, ABGB II2 § 1324 Rz 3 ist im übrigen grobe Fahrlässigkeit (= auffallende Sorglosigkeit) extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt, das auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein muß. Er vertritt aaO die Ansicht, daß auch der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften als solcher nicht schon grobe Fahrlässigkeit bedeute. Auch wenn bei einer Schädigung mehrfach gegen Schutzgesetzes verstoßen worden sei, entscheide nicht die Quantität der Verstöße, sondern ihre Schwere.

Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG (1994) bemerkt durchaus zutreffend, daß der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit rein maßlich und nur aus den Umständen des Einzelfalles ableitbar sei (73). Soweit dieser Autor die auch in der Rsp vertretetne Ansicht, daß ein einmaliges Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreiche, für den Bereich der Integritätsabgeltung strikt ablehnt (74 mit FN 301f, 75), so kann ihm jedenfalls insoweit beigepflichtet werden, daß dies nach den Umständen des Einzelfalles auch anders sein kann. Hingegen ist seine Meinung, es könne nicht darauf ankommen, daß der Unternehmer (Aufseher etc) aufgrund seiner Fähigkeiten die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Rechtswidrigkeit seines Handelns (Unterlassens) tatsächlich hätte erkennen und dementsprechend hätte handeln können (75f FN 310f), nicht zu folgen. Er begründet dies folgendermaßen: Weil sich § 213a ASVG auf einen Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften beziehe, bestehe hier ohnehin die Besonderheit, daß sich das Verschulden bloß auf die Übertretung der Schutznorm ieS und nicht auf die Zufügung des Schadens beziehen müsse, so daß der Schädiger auch dann hafte, wenn ihm der Schadenseintritt nicht voraussehbar gewesen sei. Dabei verkennt er, daß es in diesem Zusammenhang nicht darum geht, ob der Arbeitsunfall durch die fahrlässige Außerachtlassung von Schutznormen verursacht wurde, sondern um die Abgrenzung des Grades der Fahrlässigkeit. Zuzustimmen ist Dörner allerdings wieder darin, daß für die Beurteilung des Verschuldens ein objektiver, jedoch nach Betriebshierarchie typisierender Maßstab anzulegen ist (76). Daß die Integritätsabgeltung gemäß § 213a Abs 1 ASVG nicht schon dann gebührt, wenn der Arbeitsunfall durch leicht fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, sondern diesbezüglich grobe Fahrlässigkeit gefordert wird, schleust im Hinblick auf die schwierigen Abgrenzungsprobleme, wie Dörner aaO 78 zutreffend bemerkt, eine Unsicherheit in diese Leistungsvoraussetzung ein, die sicherlich Anlaß zu manchem Streit bieten wird. Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 345 geht aber zu weit, wenn er meint, eine Differenzierung nach dem Grade des Verschuldens des Schädigers stehe mit der Zielsetzung der Integritätsabgeltung in keinem rationalen Zusammenhang und sei daher wegen Unsachlichkeit verfassungsrechtlich bedenklich. Er vertritt nämlich die Ansicht, daß die genannte Leistung ausschließlich auf die Schwere der Unfallsfolgen und auf die wirtschaftliche Lage des Versehrten abgestellt sei. Dabei mißt er aber der in der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers liegenden ausdrücklichen Einschränkung auf Beeinträchtigungen der Integrität durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurden (sa die die in MGA ASVG 51. ErgLfg 1049 FN 1 zu § 213a teilweise wiedergegebenen Materialien zur 48. ASVGNov) zu wenig Bedeutung zu. Tomandl bemerkt jedoch aaO 343 zutreffend, daß der Gesetzgeber mit der durch die 48. ASVGNov eingeführten Integritätsabgeltung den ersten Schritt zum Ausgleich der durch einen Arbeitsunfall erlittenen Nachteile eines Arbeitnehmers getan hat, die dieser wegen des Haftungsausschlusses des Arbeitgebers und der diesem gleichgestellten Personen in vielen Fällen auch gegen den Schädiger nicht geltend machen kann. Daß dieser erste Schritt wegen der stark eingeschränkten Leistungsvoraussetzungen noch nicht in allen Fällen einen Ausgleich bewirken wird, zB dann nicht, wenn der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit bloß durch die leicht fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, macht die Neuregelung aber nach Meinung des erkennenden Senates noch nicht wegen unsachlicher Differenzierung verfassungsrechtlich bedenklich. § 213a Abs 1 ASVG wurde daher von ihm schon wiederholt angewendet (SSV-NF 6/61 und 89; 19.7.1994, 10 Ob S 76/94; 23.11.1994, 10 Ob S 156/93).

Prüft man den vorliegenden Fall unter Bedachtnahme auf die dargelegten Rechtsausführungen, dann erweist sich die - vom Berufungsgericht allerdings nicht ausdrücklich geprüfte - rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch das Erstgericht, daß der Arbeitsunfall des Klägers durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, als nicht zutreffend.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß nach den Feststellungen in der auf der Baustelle befindlichen Werkzeugkiste Schutzbrillen vorhanden waren, die von den dort tätigen Arbeitern nicht nur nach eigenem Ermessen verwendet werden konnten, sondern bei den dort durchgeführten Schleif- und Schneidarbeiten auch stets verwendet wurden. Deshalb kann dem Arbeitgeber jedenfalls nicht vorgeworfen werden, daß er seine Verpflichtung, jedem Arbeitnehmer, für den bei der beruflichen Tätigkeit die Möglichkeit einer Gefährdung der Augen

oder des Gesichtes .... besteht, einen geeigneten Augenschutz, wie

Schutzbrillen ... zur Verfügung zu stellen, grob fahrlässig außer

acht gelassen hätte. Für die Verwendung der auf der Baustelle vorhandenen Schutzbrillen durch die einzelnen Arbeiter war der dort eingesetzte Polier verantwortlich. Daß diesem deshalb, weil er den Kläger und die anderen für Stemm- und Schremmarbeiten eingesetzten Arbeiter nicht dazu anhielt, bei diesen Arbeiten Schutzbrillen zu tragen, keine auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorzuwerfen ist, ergibt sich aus folgender Überlegung: Während auf der Baustelle bei Schleif- und Schneidarbeiten stets Schutzbrillen verwendet wurden, wurden solche bei Stemm- und Schremmarbeiten von keinem Arbeiter benützt; für diese Arbeiten wurden vom Polier allerdings die von den Arbeitern verlangten Handschuhe ausgegeben. Berücksichtigt man einerseits, daß der Kläger die Stemm- und Schremmarbeiten während seiner ersten Arbeitswoche ohne Zwischenfall ausführte, obwohl er keine Schutzbrille verwendete, und anderseits, daß ein ähnlicher Unfall der Arbeiter, die solche Arbeiten ebenfalls ohne Schutzbrille verrichteten, nicht einmal behauptet wurde, sowie die festgestellte Tatsache, daß bei den Schleif- und Schneidarbeiten stets Schutzbrillen getragen wurden, dann stützen diese Umstände die Zeugenaussage des Poliers, daß er das Schremmen eigentlich nicht für eine für das Auge gefährliche Tätigkeit halte. In seiner Berufslaufbahn sei es erstmals vorgekommen, daß sich jemand bei den Augen verletzt habe (ON 23 AS 81). In diesem Zusammenhang ist auch die mündliche Ergänzung des als Sachverständigen vernommenen Arbeitsinspektors ON 28 AS 101 von Bedeutung, wonach Schutzbrillen bei Stemm- und Schremmarbeiten in der Praxis meist nicht verwendet werden.

Unter diesen Umständen kann - entgegen den Revisionsausführungen - nicht gesagt werden, daß dem Arbeitgeber oder dem Polier der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich erscheinen mußte, weshalb ihnen eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung und damit eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften vorgeworfen werden könnte.

Das Klagebegehren ist daher schon mangels der nach § 213a Abs 1 ASVG erforderlichen Voraussetzung abzuweisen, daß der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde,

Aus diesem Grund ist nicht mehr zu prüfen, ob der Grad des Integritätsschadens nach § 2 Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG richtig ermittelt wurde. Bedenken des Obersten Gerichtshofes gegen diesen Paragraphen der als Verordnung zu qualifizierenden Richtlinien aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit berechtigen daher mangels Präjuzialität nicht dazu, nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichthof einen Antrag auf Aufhebung zu stellen.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor, weil sich die diesbezüglichen Ausführungen nur auf die nicht entscheidungswesentliche Ermittlung des Integrationsschadens beziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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