OGH 10ObS156/93

OGH10ObS156/9323.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Ingrid Schwarzinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manfred P*****, Unfallrentner, ***** vertreten durch Dr.Katharina Moritz, Rechtsanwalt in Wörgl, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 1993, GZ 5 Rs 36/93-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. November 1992, GZ 46 Cgs 29/92-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung wird dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 13.2.1990 einen Arbeitsunfall, bei dem ihm zunächst der linke Arm im Bereich des Oberarms abgetrennt wurde und ausgedehnte Hautablederungen eintraten. Obwohl der Arm replantiert werden konnte, ist er dauernd funktionsunfähig. Für die Folgen dieses Arbeitsunfalls bezieht der Kläger aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 26.11.1991 seit 1.1.1992 eine Dauerversehrtenrente von 70 vH der Vollrente samt Zusatzrente; deren Gesamtausmaß betrug im Jahre 1992 6.600,-- S monatlich. Seit Beendigung des unfallbedingten Heilverfahrens verdient der Kläger, der keine Schulden und keine Sorgepflichten hat, in einer geschützten Werkstätte monatlich zwischen 8.000,-- und 10.000,-- S netto.

Mit Bescheid vom 28.1.1992 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 20.12.1991 auf Integritätsabgeltung mangels grob fahrlässiger Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ab.

Das auf eine Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren stützt sich darauf, daß der Arbeitsunfall vom 13.2.1990 durch die grob fahrlässige Außerachtlassung mehrerer Arbeitnehmerschutzvorschriften durch den damaligen Dienstgeber des Klägers verursacht worden sei und der Kläger dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität erlitten habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Arbeitsunfall nicht durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden sei.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil das Klagebegehren auf Integritätsabgeltung als dem Grunde nach zu Recht bestehend und behielt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vor.

Nach den wesentlichen Tatsachenfeststellungen beauftragte der damalige Dienstgeber des Klägers, ein langjähriger Sägewerksunternehmer, Ende Dezember 1988 eine Maschinenfabrik mit der Installierung einer kompletten Entsorgungs- und Zubringeranlage, zu der vor allem ein Sägespäneförderer und ein Schwartenförderband gehörten. Diese waren nach dem ursprünglichen Auftrag für automatischen Betrieb vorgesehen, bei dem eine Beschickung durch Dienstnehmer nicht notwendig gewesen wäre. Deshalb fehlten praktisch alle Schutzvorrichtungen oder Schutzmaßnahmen insbesondere gegen gefahrenbringendes Berühren. Unmittelbar vor Installierung des Schwartenförderbandes entschloß sich der Sägewerksunternehmer in einem Gespräch mit dem die Installationsarbeiten leitenden Ingenieur der Maschinenfabrik, auf eine automatische Beschickung des Förderbandes zu verzichten und dieses etwa einen Meter seitlich des ursprünglich geplanten Aufstellungsortes einzubauen. Der genannte Ingenieur trat dem keineswegs entgegen und wies den Sägewerksunternehmer auch nicht darauf hin, daß das Schwartenförderband für eine händische Beladung nicht mit ausreichenden Verkleidungen und sonstigen Schutzvorrichtungen ausgestattet war. Das von der Maschinenfabrik eingebaute Förderband verfügte über keine seitliche Abdeckung der Gummilaufbänder und im wesentlichen auch über keine Verkleidung der Bandauflaufstellen an der Wendewalze. Die Umlaufwalze war lediglich teilweise in einer am Boden angebrachten Haltestrebe versenkt. Etwa 40 bis höchstens 50 cm von der Walze in Laufrichtung der oberen Bandspur befand sich eine weitere als bloße Halterung dienende Metallstrebe. Ab diesem Bereich waren die obere und die untere Bandspur frei zugänglich. Die letztgenannte Strebe verfügte über keine Abdeckung zu den Laufspuren, so daß auf die untere Laufspur fallende Gegenstände unweigerlich zur Walze transportiert wurden.

Nach den Anweisungen des Sägewerksunternehmers wurde das Förderband bei geringerem Arbeitsanfall (insbesondere im Winter) etwa einmal pro Monat, während arbeitsintensiverer Phasen etwa alle 14 Tage in Betrieb genommen. Dabei hatte ein Dienstnehmer das laufende Band händisch mit Holzabfällen zu beschicken. Der am 17.10.1970 geborene Kläger war in diesem Sägewerksbetrieb seit 1.2.1990 als Hilfsarbeiter beschäftigt. Er hatte eine Gärtnerlehre im 1. Lehrjahr abgebrochen und etwa zwei Jahre als Hilfsarbeiter in einer Zimmerei gearbeitet. Er wurde weder von seinem neuen Dienstgeber noch von einem Vorarbeiter oder Arbeitskollegen näher in die von ihm zu verrichtenden Arbeiten oder in die im Betrieb verwendeten Maschinen eingewiesen und auch nicht auf die mit der Arbeit an den Geräten verbundenen Gefahrenquellen hingewiesen. Er hatte zunächst ihm aus seiner Tätigkeit in der Zimmerei vertraute einfache Arbeiten, wie das Umschichten und Verladen von Brettern, zu verrichten.

Am 13.2.1990 wies der Dienstgeber einen anderen Hilfsarbeiter an, mit dem Kläger die im Keller unterhalb der Säge liegenden Holzabfälle mittels des Schwartenförderbandes zu entsorgen. Der Kläger hatte vorher noch nie an einem derartigen Förderband gearbeitet und besaß keine Erfahrungen und Kenntnisse über allfällige Gefahrenquellen. Der bereits ein Jahr im Betrieb beschäftigte und schon öfters mit derartigen Arbeiten befaßte Arbeitskollege erklärte dem Kläger an Ort und Stelle die betriebsübliche Vorgangsweise der Bandbeschickung, die beide dann auch einhielten: Da der Schwartenhaufen den Kellerraum bis zum Band und über dieses hinweg füllte, mußte der Kläger - sein Mitarbeiter wurde kurzzeitig zu anderen Arbeiten abgezogen - die Abfälle zunächst vom Band wegschaufeln und den Schwartenhaufen umschichten, um die Förderanlage in Betrieb nehmen zu können bzw. sich einen Standplatz für die Beschickungsarbeiten im Nahbereich der Umlaufwalze zu schaffen. Nachdem er die Holzabfälle vom Förderband entfernt hatte, kehrte sein Arbeitskollege zurück und schaltete das Band ein. Der Kläger stand nun unmittelbar neben der Förderanlage im Bereich der Umlenkwalze, sein Arbeitskollege am gegenüberliegenden Bandende. Beide versuchten nun, mit Mistgabeln Schwartenabfälle auf das laufende Band zu laden. Das war aber deshalb schwierig, weil die schon länger gelagerten Holzabfälle wegen der herrschenden Kälte aneinandergeeist waren. Nur die fortwährend wegen des laufenden Sägebetriebs durch das Gatter fallenden Schwarten ließen sich mit der Gabel problemlos auf das Band befördern. Nach den Hinweisen des Arbeitskollegen auf die übliche Arbeitsweise, der auch erklärt hatte, daß der Kläger darauf achten müsse, daß keine Abfälle unter das Band oder zwischen die beiden Bandspuren geraten, weil dies die Anlage blockieren könne, zerkleinerten die beiden Dienstnehmer die vereisten Schwartenstücke zunächst mit Pickeln und legten sie dann mit den Händen auf das Band auf; die sperrigen und vereisten Holzabfälle waren nämlich mit der Gabel schwer zu transportieren und rutschten immer wieder ab. Da der Arbeitskollege des Klägers während dieser Beschickungsarbeiten neuerlich abgezogen wurde, arbeitete der Kläger allein weiter. Im Zuge dieser Arbeiten rutschten Sägeabfälle im Nahbereich der Umlaufwalze auf das untere Laufband. Als der mit einem Parka bekleidete Kläger versuchte, diese Abfälle händisch zu entfernen, verfing sich der rechte Ärmel seines Parkas und wurde in Richtung Umlaufwalze gezogen. Im Verlauf verzweifelter und letztlich erfolgreicher Bemühungen, den rechten Arm von der Umlaufwalze wegzuziehen, verfing sich der linke Parkaärmel in der Maschine. Die linke Hand und der linke Arm wurden über die Rolle gezogen. Dabei erlitt der Kläger eine subtotale Amputation im Bereich des linken Oberarmes, ausgedehnte Hautablederungen und eine Durchtrennung sämtlicher Nerven dieses Armes. Trotz der gelungenen Replantierung des linken Armes trat ein dauernder, vollkommener Funktionsverlust ein.

Vom Kläger wurden bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gegen seinen früheren Dienstgeber, gegen die Errichterin der Förderanlage oder gegen deren Versicherungen keine Schadenersatzforderungen gerichtlich geltend gemacht.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes wurde der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften durch den damaligen Dienstgeber des Klägers verursacht. Dieser habe gegen § 34 Abs 2 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung BGBl 1983/218 idgF verstoßen, wonach die Auflaufstellen von Förderbändern auf Trommeln über die gesamte Breite durch Schutzvorrichtungen oder durch Schutzmaßnahmen anderer Art gegen gefahrenbringendes Berühren zu sichern sind. Auch eine nach Abs 5 der zit Verordnungsstelle zulässige seitliche Abdeckung dieser Gefahrenstellen habe gefehlt. Nach diesen Bestimmungen iVm § 5 Maschinen- und Geräte-Sicherheitsverordnung BGBl 1963/219 idgF hätte für am Förderband arbeitende Dienstnehmer ein Mindestschutz durch eine zugriffsichere Verkleidung beider Bandspuren über eine Distanz von 850 mm bis zur Umlenkrolle hin bestehen müssen. Bei Einhaltung dieser Maßnahmen wäre der Arbeitsunfall unterblieben. Das Fehlen jedweder Schutzverkleidung am Schwartenförderband stelle daher einen groben Verstoß gegen die genannten Arbeitnehmerschutzbestimmungen dar. Nach § 92 Abs 3 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung sind Arbeitnehmer bei erstmaliger Verwendung an Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln sowie vor der erstmaligen Beiziehung zu Arbeiten, die mit einer besonderen Gefahr für die Beschäftigten verbunden sind, sofern sie nicht über die geforderten Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen, über die Arbeitsweise und ihr Verhalten sowie über die bestehenden oder anzuwendenden Schutzmaßnahmen zu unterweisen. Dieser Verpflichtung sei der Dienstgeber nicht nachgekommen. In der Nichteinhaltung der notwendigen Schutzmaßnahmen und der gefahrenvermeidenden Einweisung des Klägers in die Arbeit am Förderband sei insgesamt eine für den Unfall ursächliche, grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften iS des § 213 a ASVG zu erblicken. Dem Kläger sei wegen mangelnder Berufserfahrung, Ausbildung und Einweisung in die Arbeit am Band kein grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Da such die übrigen Voraussetzungen der zit Gesetzesstelle vorlägen, bestehe der eingeklagte Anspruch dem Grunde nach zu Recht. Die Ausmittlung der Höhe der Integritätsabgeltung bedürfe allerdings noch weiterer Beweisaufnahmen, weshalb nach § 393 Abs 1 ZPO vorab über den Grund des Anspruches durch Zwischenurteil zu entscheiden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, in der inhaltlich nur eine Rechtsrüge erhoben wurde, nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteigt und behielt die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens der Endentscheidung vor.

Auch die zweite Instanz vertrat die Rechtsansicht, daß eine grob fahrlässige Außerachtlassung der Arbeitnehmerschutzvorschriften vorliege. Dabei sei zu berücksichtigen, daß von allem Anfang an die in den Schutzvorschriften klar normierten Schutzeinrichtungen am Förderband fehlten, welche die zum Arbeitsunfall des Klägers führenden Gefahren leicht hintangehalten hätten. Diese Gefahrenlage sei noch dadurch erhöht worden, daß die Abfälle nicht laufend, sondern erst nach Ansammlung eines größeren Abfallhaufens entsorgt worden seien. Unter diesen Umständen wäre es nahegelegen, daß Holzabfälle in das Förderband geraten und dadurch ein dieses bedienender Arbeiter bei ihrer Entfernung in den unmittelbaren Gefahrenbereich kommen könne. Das Zusammenwirken dieser beiden Umstände lasse einen Schadenseintritt als naheliegend erkennen. Dazu komme, daß diese besondere Gefahrenlage dem Dienstnehmer auch im Rahmen der Unterweisungs- und Anweisungspflicht nicht aufgezeigt worden sei, so daß insgesamt eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften vorliege. Dem Erstgericht sei auch darin beizupflichten, daß dem Kläger die Durchsetzung zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche nicht zumutbar sei. Seinem Anspruch auf Integritätsabgeltung stehe daher auch die gesetzwidrige und daher verfassungsrechtlich bedenkliche Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien für die Geltendmachung der Integritätsabgeltung nicht entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt.

Die nach § 46 Abs 1 Z 2 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Daß der Arbeitsunfall des Klägers vom 13.2.1990 durch die (seinem damaligen Dienstgeber vorzuwerfende fahrlässige) Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, steht auch nach der Meinung der Revisionswerberin "völlig außer Zweifel". Sie bekämpft nur mehr die auch vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, daß eine grob fahrlässige Außerachtlassung dieser Vorschriften vorliege.

Der die Integritätsabgeltung regelnde § 213a ASVG wurde durch Art III Z 3 der 48. ASVGNov BGBl 1989/642 eingefügt. Die Gesetzesmaterialien (AB 1142 BlgNR 17. GP 2) verweisen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit auf die einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG, deren Grundsätze unter Anführung einiger Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und unter Berufung auf die Ausführungen Reischauers in Rummel, ABGB II (damals noch 1. Auflage) zu § 1324 ABGB dargestellt wurden.

Der erkennende Senat stimmte diesen Ausführungen in seiner ersten Grundsatzentscheidung zur Integritätsabgeltung SSV-NF 6/61 im wesentlichen zu und führte dazu aus: "Grobe Fahrlässigkeit iS des § 334 Abs 1 ASVG ist dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iS des § 1324 ABGB gleichzusetzen und nur dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen läßt. Sie erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Eine strafgerichtliche Verurteilung reicht für sich allein für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen (SZ 51/128 mwN)." Der Senat wiederholte diese Grundsätze auch in der E 19.7.1994, 10 Ob S 76/94; dabei bezog er sich auch noch auf SZ 56/166 und Arb 10.087. Er hält daran und auch an der weiteren herrschenden Rsp fest, daß das Zuwiderhandeln gegen Unfallsverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei ist im wesentlichen zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (24.2.1993, 9 Ob A 315/92 mwN).

Der von Meisel/Widlar, Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung, SozSi 1991, 362f (367) unter Berufung auf eine E des OGH aus 1960 (SozSi 1960, 367) vertretenen Meinung, grobe Fahrlässigkeit werde immer anzunehmen sein, wenn ein Unternehmer oder Gleichgestellter jene Aufmerksamkeit vermissen lasse, die in einem Betrieb im Interesse der Unfallsverhütung erwartet werden müsse, kann nicht gefolgt werden, weil dann jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift eine grobe Fahrlässigkeit bedeuten würde; damit würden leichte und grobe Fahrlässigkeit einander gleichgestellt (so auch Reischauer, Neuerungen beim Arbeitgeber-Haftungsprivileg, DRdA 1992, 317f (326). Für Reischauer in Rummel, ABGB II2 § 1324 Rz 3 ist im übrigen grobe Fahrlässigkeit (= auffallende Sorglosigkeit) extremes Abweisen von der gebotenen Sorgfalt, das auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein muß. Er vertritt auch aaO die Ansicht, daß der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften als solcher nicht schon grobe Fahrlässigkeit bedeute. Auch wenn bei einer Schädigung mehrfach gegen Schutzgesetze verstoßen worden sei, entscheide nicht die Quantität der Verstöße, sondern ihre Schwere.

Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG (1994) bemerkt durchaus zutreffend, daß der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit rein maßlich und nur aus den Umständen des Einzelfalles ableitbar sei (73). Wenn dieser Autor die auch in der Rsp vertretene Ansicht, daß ein einmaliges Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreiche, für den Bereich der Integritätsabgeltung strikt ablehnt (74 mit FN 301f, 75), so kann ihm jedenfalls insoweit beigepflichtet werden, daß dies nach den Umständen des Einzelfalles auch anders sein kann. Hingegen ist der Meinung Dörners, es könne nicht darauf ankommen, daß der Unternehmer (Aufseher etc) aufgrund seiner Fähigkeiten die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Rechtswidrigkeit seines Handelns (Unterlassens) tatsächlich hätte erkennen und dementsprechend hätte handeln können (75f FN 310f), nicht zu folgen. Er begründet dies folgendermaßen: Weil sich § 213a ASVG auf einen Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften beziehe, bestehe hier ohnehin die Besonderheit, daß sich das Verschulden bloß auf die Übertretung der Schutznorm ieS und nicht auf die Zufügung des Schadens beziehen müsse, so daß der Schädiger auch dann hafte, wenn ihm der Schadenseintritt nicht voraussehbar gewesen sei. Dabei verkennt er, daß es in diesem Zusammenhang nicht darum geht, ob der Arbeitsunfall durch die fahrlässige Außerachtlassung von Schutznormen verursacht wurde, sondern um die Abgrenzung des Grades der Fahrlässigkeit. Zuzustimmen ist Dörner allerdings wieder darin, daß für die Beurteilung des Verschuldens ein objektiver, jedoch nach Betriebshierarchie typisierender Maßstab anzulegen und für die Beurteilung des primären Schutznormadressaten auf die Pflichten eines Unternehmers abzustellen ist (76). Es ist auch richtig, daß durch die Anwendung des § 1299 ABGB der Pflichtenkreis des Unternehmers in bezug auf seine Arbeitnehmer gegenüber einem Durchschnittsmenschen wesentlich erweitert ist. Einerseits müssen die besonderen Fähigkeiten für die Ausübung des "Gewerbes oder Handwerkes", zu dem er sich bekennt, vorliegen. Anderseits bedingen die spezielle Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern und die Verpflichtung gegenüber der Obrigkeit die Einhaltung der gesetzlichen oder nach dem Stande der Technik zumutbaren Arbeitnehmerschutzvorschriften. Selbst die durch die Führung des Betriebes erforderliche tägliche Fülle von Überlegungen und Dispositionen unter Zeitdruck verringert den anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab nicht. Wenn der Unternehmer die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht persönlich überwachen kann, ist er verpflichtet, einen dazu geeigneten Vertreter zu bestellen (77). Durch das Abstellen auf die Sachverständigenhaftung wird zwar ein erhöhter Diligenzmaßstab angelegt. Dieser führt jedoch für sich allein noch nicht automatisch zu einem groben Verschulden (78 und FN 317).

Daß die Integritätsabgeltung gemäß § 213a Abs 1 ASVG nicht schon dann gebührt, wenn der Arbeitsunfall durch leicht fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, sondern diesbezüglich grobe Fahrlässigkeit gefordert wird, schleust im Hinblick auf die schwierigen Abgrenzungsprobleme, wie Dörner aaO 78 zutreffend bemerkt, eine Unsicherheit in diese Leistungsvoraussetzung ein, die sicherlich Anlaß zu manchem Streit bieten wird. Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 345 geht aber zu weit, wenn er meint, eine Differenzierung nach dem Grade des Verschuldens des Schädigers stehe mit der Zielsetzung der Integritätsabgeltung in keinem rationalen Zusammenhang und sei daher wegen Unsachlichkeit verfassungsrechtlich bedenklich. Er vertritt die Ansicht, daß die genannte Leistung ausschließlich auf die Schwere der Unfallsfolgen und auf die wirtschaftliche Lage des Versehrten abgestellt sei. Dabei berücksichtigt er allerdings zu wenig die in der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers liegende ausdrückliche Einschränkung auf Beeinträchtigungen der Integrität durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurden (sa die in MGA ASVG 51. ErgLfg 1049 FN 1 zu § 213a teilweise wiedergegebenen Materialien zur 48. ASVGNov). Er bemerkt aber aaO 343 zutreffend, daß der Gesetzgeber mit der durch die 48. ASVGNov eingeführten Integritätsabgeltung den ersten Schritt zum Ausgleich der durch einen Arbeitsunfall erlittenen Nachteile eines Arbeitnehmers getan hat, die dieser wegen des Haftungsausschlusses des Arbeitgebers und der diesem gleichgestellten Personen in vielen Fällen auch gegen den Schädiger nicht geltend machen kann. Daß dieser erste Schritt wegen der stark eingeschränkten Leistungsvoraussetzungen noch nicht in allen Fällen einen Ausgleich bewirken wird, zB dann nicht, wenn der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit bloß durch die leicht fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, macht die Neuregelung nach Meinung des erkennenden Senates aber noch nicht wegen unsachlicher Differenzierung verfassungsrechtlich bedenklich. § 213a Abs 1 ASVG wurde daher von ihm schon wiederholt angewendet (SSV-NF 6/61 und 89; 19.7.1994, 10 Ob S 76/94).

Prüft man den vorliegenden Fall unter Bedachtnahme auf die dargelegten Rechtsausführungen, dann erweist sich die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch die Vorinstanzen, daß der Arbeitsunfall des Klägers vom 13.2.1990 durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, als richtig.

Nach den maßgeblichen Feststellungen fehlten an der ursprünglich für automatischen Betrieb vorgesehenen, dann aber auf Anweisung des damaligen Dienstgebers des Klägers für händische Beschickung installierten Entsorgungs- und Zubringeranlage praktisch alle Schutzvorrichtungen oder -maßnahmen, insbesondere gegen gefahrenbringendes Berühren. Als langjähriger Sägewerksunternehmer mußte der genannte Dienstgeber selbst um die von einer solchen ungeschützten Anlage für seine Dienstnehmer ausgehenden Gefahren wissen (§ 1299 ABGB). Deshalb kann er sich nicht darauf berufen, daß die Anlage von einem anderen Unternehmer geplant, ausgeführt und errichtet wurde. Es ist ihm vielmehr als objektiv, aber auch subjektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen, daß er die nach seinem Abänderungsauftrag praktisch ungesicherte und daher gefährliche neue Anlage in Betrieb nahm. Dazu sei auch auf die Zeugenaussage des Maschinenfabrikanten hingewiesen, von dessen Unternehmen die neue Anlage geliefert wurde (ON 7 S 7 der Protokollübertragung AS 37). Hätte er gewußt, daß die für automatische Beschickung geplante Förderanlage für händische Auflage installiert wurde, hätte er dem Dienstgeber des Klägers jedenfalls dringend angeraten, eine Verkleidung anzubringen, da Erfahrungswerte einfach dafür sprechen, daß der Auflagemann einmal nicht aufgepaßt oder einen Fehler macht und dann etwas passieren kann. Über diese Erfahrung mußte auch der Dienstgeber des Klägers als langjähriger Sägewerksunternehmer verfügen. Er kann sich auch nicht darauf berufen, daß die neue Anlage vom Arbeitsinspektorat unbeanstandet geblieben wäre. Sein Betrieb wurde nämlich von dieser Behörde nach der Installierung der Anlage bis zum Unfallstag nicht überprüft (Gutachten ON 12 zu I.5. AS 77). Insbesondere die am Unfallstag gegebenen objektiven und subjektiven Bedingungen ließen den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen. Der Kläger mußte wegen der beengten räumlichen Verhältnisse und des nur wenig geeigneten Werkzeuges in unmittelbarer Nähe ungesicherter Walzen arbeiten und das teilweise vereiste Fördergut auch händisch auf das laufende Förderband legen. Er war aber erst etwa zwei Wochen in diesem Betrieb als Hilfsarbeiter beschäftigt, war weder von seinem Dienstgeber, noch von einem Vorarbeiter, noch von Arbeitskollegen in die zu verrichtenden, für ihn neuen Arbeiten näher eingewiesen und auch nicht auf die mit den Maschinen verbundenen Gefahrenquellen hingewiesen worden und mußte die gefährliche Arbeit an der ungeschützten Anlage zur Zeit des Unfalls allein verrichten. Die Auffassung der Vorinstanzen, daß demnach die Voraussetzungen des § 213a ASVG vorliegen, wird daher auch vom erkennenden Senat geteilt.

Der Revision ist somit nicht Folge zu geben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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