OGH 3Ob573/94(3Ob1605/94)

OGH3Ob573/94(3Ob1605/94)14.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Graf, Dr.Gerstenecker und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Sieglinde N*****, vertreten durch Dr.Gernot Gruböck und Dr.Stephan Gruböck, Rechtsanwälte in Baden, wider den Gegner der gefährdeten Partei Klaus N*****, vertreten durch Dr.Erhard C.J.Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 16.August 1994, GZ 44 R 3040/94-124, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwechat vom 8.Februar 1994, GZ 2 C 2/90w-104, teilweise bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1.) Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen, soweit er sich gegen die Abweisung des Antrags der gefährdeten Partei auf Zuerkennung eines zusätzlichen einstweiligen Unterhaltsbeitrages von S 6.000,-- monatlich richtet.

2.) Im übrigen, das heißt hinsichtlich der Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 15.2.1988, GZ 2 C 2/90w-11, wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben; die sich darauf beziehenden Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach vorausgegangener mündlicher Verhandlung zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit einstweiliger Verfügung des Erstgerichtes vom 15.2.1988, 2 C 44/87t-11, wurde dem Gegner der gefährdeten Partei aufgetragen, der gefährdeten Partei einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 14.000,-- ab 21.12.1987 bis zur rechtskräftigen Beendigung des zu 2 C 44/87t des Erstgerichtes anhängigen Scheidungsverfahrens zu leisten.

Mit Teilurteil des Erstgerichtes vom 20.1.1992, 2 C 2/90w-62, wurde die Ehe der Streitteile geschieden; der Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe blieb der Endentscheidung vorbehalten. Das Teilurteil wurde am 13.2.1992 rechtskräftig.

Mit Endurteil des Erstgerichtes vom 15.12.1992, 2 C 2/90w-69, wurde ausgesprochen, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe die beklagte und widerklagende Partei (hier gefährdete Partei) trifft.

Am 3.2.1993 stellte die gefährdete Partei den Antrag (ON 74), den Antragsgegner ab sofort zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von (insgesamt) S 20.000,-- zu verpflichten. Seit der einstweiligen Verfügung vom 15.2.1988 hätten sich die entscheidungswesentlichen Umstände geändert; das monatliche Durchschnittseinkommen des Gegners der gefährdeten Partei sei von S 78.000,-- auf über S 100.000,-- netto gestiegen, die Sorgepflicht für die Tochter Astrid sei durch deren Verehelichung weggefallen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 21.12.1993, 44 R 3014/93-100, wurde ausgesprochen, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Seiten zu gleichen Teilen trifft. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen dieses Urteil nicht zulässig sei.

Mit Beschluß vom 25.5.1994, 3 Ob 1536/94, wies der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei (hier: gefährdete Partei) gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Bereits mit Beschluß vom 8.2.1994, 2 C 2/90w-104, hatte das Erstgericht (unter anderem) die einstweilige Verfügung vom 15.2.1988 aufgehoben und den Antrag der gefährdeten Partei, den Gegner der gefährdeten Partei zu einer zusätzlichen Unterhaltsleistung von S 6.000,-- monatlich zu verpflichten, abgewiesen. Die begehrte Erhöhung der Unterhaltsleistung erscheine im Hinblick auf den urteilsmäßig festgestellten Ehebruch der gefährdeten Partei rechtsmißbräuchlich. Die einstweilige Verfügung sei aufzuheben, weil das Scheidungsverfahren aufgrund des Berufungsurteils beendet sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der gefährdeten Partei gegen diesen Beschluß in der Hauptsache nicht, im Kostenpunkt, der sich nur auf die Abweisung des Erhöhungsantrages bezieht, teilweise Folge. Der Verschuldensausspruch des Scheidungsurteils sei seit Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes auf Zurückweisung der außerordentlichen Revision am 27.7.1994 rechtskräftig. Der einstweilige Unterhalt für die Ehegattin nach § 382 Z 8 lit a EO richte sich während aufrechter Ehe nach § 94 ABGB. Nach Scheidung der Ehe richte sich der Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG, sofern den Unterhalt begehrenden Ehegatten nicht das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Bei gleichteiligem Verschulden stehe Unterhalt nur nach Billigkeit gemäß § 68 EheG zu. Nach Rechtskraft des Urteils auf Scheidung der Ehe dem Grunde nach hänge der Unterhaltsanspruch selbst dann, wenn das überwiegende oder alleinige Verschulden des Unterhaltspflichtigen noch strittig sei, auch davon ab, ob der Unterhaltsberechtigte aus Vermögen oder zumutbarer Erwerbstätigkeit Einkommen erzielt oder erzielen kann. Ein Unterhaltsbegehren sei daher nur dann schlüssig begründet, wenn zumindest behauptet werde, daß solche Einkünfte nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß möglich sind. Da solche Behauptungen überhaupt nicht aufgestellt worden seien, sei das Begehren auf Zuerkennung erhöhten einstweiligen Unterhalts unschlüssig. Weiters sei der durch die Zurückweisung der außerordentlichen Revision in Rechtskraft erwachsene Ausspruch über das gleichteilige Verschulden auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Ehescheidung zurückzubeziehen. Auf den Unterhalt nach Billigkeit gemäß § 68 EheG stelle der Antrag auf vorläufigen Unterhalt überhaupt nicht ab, sodaß auch für diesen Fall ein schlüssiges Vorbringen fehle. Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs "mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage" nicht zulässig sei.

Der Revisionsrekurs der gefährdeten Partei, zu dem der Gegner der gefährdeten Partei eine Beantwortung erstattet hat, ist hinsichtlich der Entscheidung über den Antrag auf Erhöhung des Unterhalts gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Im übrigen ist der Revisionsrekurs zulässig und berechtigt.

Die gefährdete Partei macht geltend, daß das Verfahren erster Instanz wegen Unterbleibens der nach § 399 Abs 2 Satz 2 EO vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung nichtig sei. Die der Entscheidung erster Instanz anhaftende Nichtigkeit wurde vom Rekursgericht nicht erkannt und daher von ihm übergangen. Die Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz kann daher auch im Revisionsrekurs geltend gemacht werden - und müßte auch von Amts wegen berücksichtigt werden (4 Ob 33/94; vgl E.Kodek in Rechberger, Komm zur ZPO, § 503 Rz 2).

§ 399 Abs 2 Satz 2 EO schreibt zwingend vor, daß der Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung oder Einschränkung einer einstweiligen Verfügung eine mündliche Verhandlung vorauszugehen hat. Erfolgt die Entscheidung über den Antrag ohne vorausgehende mündliche Verhandlung, so ist sie nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (Heller/Berger/Stix 2890; EvBl 1962/218; EFSlg 32.379 = MietSlg 30.887; EFSlg 37.097, 52.466; 4 Ob 33/94). Auch nach Scheidung der Ehe ist - bei sonstiger Nichtigkeit - eine mündliche Verhandlung über den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung über einen vorläufigen Unterhalt notwendig (EFSlg 37.097). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - die einstweilige Verfügung aufgehoben wurde, ohne daß zur Zeit der Beschlußfassung erster Instanz ein entsprechender Antrag des Antragsgegners vorlag. Der Gegner der gefährdeten Partei hat in der Zwischenzeit einen Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gestellt (ON 115).

Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist von Amts wegen wahrzunehmen (Fasching, ZPR2 Rz 1753 und 1755); auch das Rekursgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die Nichtigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses auch ohne diesbezügliche Parteienrüge von Amts wegen wahrzunehmen und diesen Beschluß aus Anlaß des Rekurses der Klägerin als nichtig aufzuheben (EvBl 1962/218).

Die der erstgerichtlichen Entscheidung anhaftende Nichtigkeit führt demnach nicht nur zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichtes, sondern auch zur Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses; hiebei war dem Erstgericht aufzutragen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 399 Abs 2 EO neuerlich zu entscheiden. Nicht Gegenstand der Aufhebung ist die rekursgerichtliche Kostenentscheidung, weil sich diese nur auf die Abweisung der Erhöhungsanträge bezog.

Bei dieser Beschlußfassung wird das Erstgericht auch zu beachten haben, daß bei einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung im Spruch des Beschlusses der Zeitpunkt anzugeben ist, mit dem die einstweilige Verfügung aufgehoben ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 402 Abs 4, § 78 EO, § 52 Abs 1 ZPO.

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