OGH 13Os183/94

OGH13Os183/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.November 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel und Dr.Mayrhofer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hradil als Schriftführerin in der bei dem Landesgericht Innsbruck zum AZ 30 Vr 2901/94 anhängigen Strafsache gegen Carlo D***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 17.Oktober 1994, AZ 8 Bs 553/94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Carlo D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der italienische Staatsbürger Carlo D***** befindet sich seit 22. September 1994 (Tag der Festnahme) beim Landesgericht Innsbruck in Haft. Am 23.September 1994 wurde gegen ihn die Voruntersuchung wegen Verdachtes des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG eingeleitet (S 2), mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 24.September 1994 wurde über ihn gemäß § 180 Abs 2 Z 1 StPO die Untersuchungshaft verhängt (Wirksamkeit des Haftbeschlusses bis längstens 7.Oktober 1994; ON 4). Hiebei stützte sich der Untersuchungsrichter auf das Geständnis des Beschuldigten, am 22.September 1994 in K***** 110 LSD-Trips, ca 1 Gramm Kokain, ca 2,6 Gramm Cannabis-Harz und ca 7,3 Gramm Cannabis-Kraut nach Österreich eingeführt zu haben. Nach seinen eigenen Angaben sei er einschlägig vorbestraft und verfüge weder über soziale Bindungen noch Wohnsitz in Österreich.

Bei der Haftverhandlung am 30.September 1994 beantragte der Staatsanwalt, die Untersuchungshaft "auch auf den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO auszudehnen" (S 47). Der Beschuldigte selbst erklärte, seit Jahren Suchtgift (Haschisch) zu konsumieren und das LSD in Holland gekauft zu haben, wo es fast nichts koste, weil es in Italien zu teuer sei (ON 6). Er beantragte seine Enthaftung.

In dieser Haftverhandlung wies der Untersuchungsrichter den Antrag des Staatsanwaltes auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr ab, verhängte aber zugleich (neuerlich) die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO und erklärte den (Haft-)Beschluß längstens bis 14.Oktober 1994 für wirksam (ON 7).

Den dagegen erhobenen Beschwerden des Staatsanwaltes und des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Innsbruck (mit Beschluß vom 17. Oktober 1994, 8 Bs 553/94) keine Folge und sprach zugleich aus, daß diese Entscheidung keine Haftfrist auslöse.

Die gegen diesen Beschluß des Oberlandesgerichtes gerichtete, das Vorliegen des dringenden Tatverdachtes und eines Haftgrundes bestreitende Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten ist nicht im Recht.

Die Haftbeschwerde gesteht die (bereits dargestellte) Suchtgifteinfuhr des Beschuldigten nach Österreich als richtig zu, behauptet jedoch (gestützt auf ein Expertenhearing des Kassationshofes der Schweiz, Ergebnisse wiedergegeben in Foregger-Litzka, Suchtgiftgesetz, S 109; siehe auch Leukauf-Steininger, Nebengesetze, 2.Ergänzungsheft 1985, S 48), damit sei die große Menge des § 12 Abs 1 SGG nicht erreicht.

Ein zum Reinheitsgrad des tatgegenständlichen Suchtgiftes in Auftrag gegebenes Gutachten des Bundesministeriums für Inneres liegt bisher nicht vor. Ausgehend von einem Durchschnittsgehalt eines LSD-Trips von 0,1 mg an reinem Suchtgift (siehe 10 Os 86/85; EvBl 1975/83; ähnlich auch 11 Os 89/74; vgl auch die in der Tabelle des Gutachtens des Beirates zur Bekämpfung des Mißbrauches von Alkohol und anderen Suchtmitteln vom 10.Mai 1985 enthaltenen Angaben zur Einzeldosis, Foregger-Litzka, aaO, S 111; Leukauf-Steininger, aaO, S 50, im Hinblick auf einen Mittelwert aus dieser Bandbreite), ergibt sich der dringende Verdacht, daß das vom Beschuldigten nach Österreich eingeführte Suchtgift die tatbestandsbegründende Menge, wie in dem ihm angelasteten Verbrechen genannt, überschreitet.

Auch der Beschwerdeeinwand gegen die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr versagt. Dem Beschuldigten wird eine strafbare Handlung mit (infolge des großen Ausmaßes der Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen) schweren Folgen angelastet. Der Aktenlage entsprechend ist das Oberlandesgericht bei der Beurteilung dieses Haftgrundes davon ausgegangen, daß der Beschuldigte nach seinen eigenen Angaben vor dem Untersuchungsrichter dem Suchtgiftkonsum ergeben ist. Das nach Österreich eingeführte (nach der Aktenlage für die Durchfuhr bestimmte) Suchtgift hat er wegen des niedrigen Preises in den Niederlanden erworben. Vor der Gendarmerie hatte er im Beisein eines Dolmetsch angegeben, bereits früher Marihuana (10 Gramm) aus den Niederlanden über Österreich nach Italien eingeführt zu haben (S 23), wozu er im Rahmen der Haftverhandlung vom 14.Oktober 1994 angab, dies vor der Gendarmerie nur erzählt zu haben, um in einem besseren Licht dazustehen (S 113).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung sind bereits darin konkrete Gründe zu erblicken, die infolge des lange währenden Suchtgiftmißbrauchs in der Vergangenheit die Gefahr nahelegen, der Beschuldigte werde, befindet er sich auf freiem Fuß, wieder zu jener Delinquenz neigen, deren er derzeit dringend verdächtig ist. Handelt es sich doch allgemein bei Suchtgiftanfälligen regelmäßig um Personen von labiler Gemütsbeschaffenheit, die der Verlockung, wiederum Suchtgift zu erlangen, nicht widerstehen können (13 Os 26/93). Beim Haftgrund der Tatbegehungsgefahr ist jedenfalls auch nach der Verdachtslage des konkreten Falles schon im Hinblick auf das Gesetz (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO "...wie die ihm angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen;") die Anlaßtat von entscheidender Bedeutung, womit die Prognose auf weitere strafbare Handlungen mit ebenso schweren Folgen indiziert wird (11 Os 88/93).

Zu Recht ging daher das Oberlandesgericht in der bekämpften Entscheidung davon aus, daß der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 Z 3 lit a StPO gegeben ist, weswegen es sich erübrigt, auf das weitere Beschwerdevorbringen zu den Haftgründen einzugehen.

Nach der konkreten Fallgestaltung kann die Untersuchungshaft auch durch gelindere Mittel, etwa durch die in der Beschwerde erwähnte Abnahme eines Reisepasses, nicht substituiert werden, ergibt sich doch aus den Angaben des Beschuldigten selbst, daß er im Inland weder über einen Wohnsitz noch über soziale Integrationsmöglichkeiten verfügt (siehe Beschuldigtenvernehmung ON 3), was wiederum die Gefahr des Abgleitens in die Suchtgiftdelinquenz indiziert, weil dies durch Anordnung von Kontrollen oder Untersuchungen, auf die sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang ebenso bezieht, nicht hintangehalten werden kann. Darüber hinaus fällt es bei der Beurteilung des vorliegenden Haftgrundes besonders ins Gewicht, daß vom Beschuldigten eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen ausgeht (§ 180 Abs 3 StPO).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher abzuweisen.

Wie eingangs der Gründe des Erkenntnisses bereits dargestellt, verhängte der Untersuchungsrichter am 30.September 1994 neuerlich die Untersuchungshaft aus bis dahin von der Staatsanwaltschaft nicht geltend gemachten Gründen und erklärte diesen Beschluß über die Haftanhaltung (in sinngemäßer Anwendung der ersten Haftfrist des § 181 Abs 2 Z 1 StPO) ein zweites Mal nur für einen Zeitraum von längstens vierzehn Tagen wirksam. Auch das Oberlandesgericht schloß sich im angefochtenen Beschluß (ohne nähere Begründung) dieser Ansicht an, indem es aussprach, daß seine Beschwerdeentscheidung eine Haftfrist nicht auslöse.

Der Beschuldigte befand sich vor dieser Beschlußfassung durch den Untersuchungsrichter weder auf freiem Fuß noch wurde er neuerlich festgenommen oder die Untersuchungshaft zwischenzeitig aufgehoben. In Wahrheit wurde die Untersuchungshaft, wenn auch aus einem anderen Haftgrund, lediglich fortgesetzt. Infolge ihrer erstmaligen Fortsetzung wurde damit die Haftfrist nach § 181 Abs 2 Z 2 StPO (ein Monat) in der angefochtenen Entscheidung jedoch jene nach Z 3 leg.cit. (zwei Monate) aktuell (siehe JAB, 1157 BlgNR 18.GP, 13, in Pleischl-Soyer, StPO, S 137; 15 Os 54/94). Die im Beschluß des Untersuchungsrichters und den Folgebeschlüssen (auch des Oberlandesgerichtes) enthaltene (bloß deklarative; 14 Os 57/94, 149/94) Mitteilung, bis zu welchem Tag der Haftbeschluß längstens wirksam ist (§ 179 Abs 4 Z 5 StPO), entspricht daher nicht der Gesetzeslage und wird durch den Untersuchungsrichter im Falle noch laufender Haftfrist bei nächster Gelegenheit durch eine Mitteilung über den dem Gesetz entsprechenden Zeitpunkt, bis zu dem der letzte Haftfortsetzungsbeschluß längstens wirksam ist, zu korrigieren sein.

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