OGH 15Os84/94(15Os85/94)

OGH15Os84/94(15Os85/94)8.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Tomas I***** und andere wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 sowie 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 8.März 1994, GZ 50 Vr 565/94-52, und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 29.März 1994, GZ 8 Bs 166/94-86, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Strasser, und des Verteidigers Mag. Dr.Vetter, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 8.März 1994, GZ 50 Vr 565/94-52, und der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 29. März 1994, AZ 8 Bs 166/94 (ON 86), verletzen im Ausspruch, daß der erstgerichtliche Haftbeschluß längstens bis 18.April 1994 wirksam ist, das Gesetz in der Bestimmung des § 181 Abs 2 Z 1 StPO nF.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Beim Landesgericht Innsbruck ist zum AZ 38 Vr 565/94-Hv 74/94 ein Strafverfahren gegen Tomas I***** und andere Angeklagte wegen des Verdachtes des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 sowie § 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen anhängig. Im Verlauf der Voruntersuchung hat die Untersuchungsrichterin mit Beschluß vom 3.März 1994 (ON 44) nach Durchführung einer Haftverhandlung die Fortdauer der über Tomas I***** gemäß § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO verhängten Untersuchungshaft angeordnet und ausgesprochen, daß dieser Beschluß bis zum 3.April 1994 wirksam sei. Der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 22.März 1994, AZ 8 Bs 134/94 (ON 76) nicht Folge, wobei es (unter anderem) aussprach, daß dieser die Fortdauer der Untersuchungshaft statuierende Beschluß bis längstens 22.Mai 1994 Wirksamkeit entfalte.

Mit Beschluß vom 8.März 1994 (ON 53) hatte die Untersuchungsrichterin mittlerweile den Zwischenvollzug einer von Tomas I***** zu verbüßenden Verwaltungsersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von vierzig Stunden angeordnet. Entgegen der Bestimmung des § 180 Abs 4 StPO wurde der Vollzug dieser Strafe aber nicht ungesäumt, sondern erst für den Zeitraum ab 3.April 1994, 0,00 Uhr festgesetzt und ab diesem Zeitpunkt die Untersuchungshaft aufgehoben. Ferner verhängte die Untersuchungsrichterin, gleichfalls mit Beschluß vom 8.März 1994 (ON 52) mit Wirksamkeit ab dem 4.April 1994, also nach dem Vollzug der vorerwähnten Verwaltungsersatzfreiheitsstrafe, allerdings nur mehr aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO, erneut die Untersuchungshaft. Sie vertrat die Auffassung, daß dadurch wieder die (erste) vierzehntägige Haftfrist gemäß § 181 Abs 2 Z 1 StPO ausgelöst werde, und sprach demgemäß aus, daß dieser (neuerliche) Haftbeschluß bis längstens 18.April 1994 wirksam sei. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der gegen diesen Haftbeschluß vom 8.März 1994 erhobenen Beschwerde des Tomas I***** mit Beschluß vom 29.März 1994, AZ 8 Bs 166/94 (ON 86), nicht Folge und trat der auf den Einführungserlaß des Bundesministeriums für Justiz zum Strafprozeßänderungsgesetz 1993 vom 22. März 1993, JMZl 578012/41-II 3/93 (= JABl 1994/6, Punkt 5 A) gestützten Auffassung der Untersuchungsrichterin bei, daß die durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 normierten Haftfristen nach einem gemäß § 180 Abs 4 StPO verfügten Strafvollzug von neuem zu laufen beginnen; die im früheren Beschluß vom 22.März 1994 (ON 76) angeführte Haftfrist (bis 22.Mai 1994) sei demzufolge hinfällig geworden.

Der sowohl vom Landesgericht Innsbruck als auch vom Oberlandesgericht Innsbruck vertretene Standpunkt, daß die im § 181 Abs 2 StPO nF festgesetzten Haftfristen nach Beendigung einer gemäß § 180 Abs 4 StPO an die Stelle der Untersuchungshaft tretenden Strafhaft oder Haft anderer Art neu zu laufen beginnen, entspricht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - nicht dem Sinn und Zweck der durch das Strafprozeßänderungsgesetz geschaffenen Rechtslage:

Der Neufassung der "zentralen" (1157 BlgNR 18.GP, 13) Bestimmung des § 181 StPO liegt das Prinzip der "ultima ratio" der Haft zugrunde; nach der Intention des Gesetzgebers muß die Untersuchungshaft von Amts wegen periodisch in Haftverhandlungen geprüft und ihre Fortsetzung in Beschlußform angeordnet werden. Damit sollte der schon bisher dem Haftrecht immanente Grundgedanke, die Untersuchungshaft zeitlich möglichst zu beschränken oder überhaupt zu vermeiden, weiter vertieft werden. Gemäß § 181 Abs 1 StPO nF sind demnach Beschlüsse auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft sowie Beschlüsse des Gerichtshofes zweiter Instanz auf Fortsetzung der Untersuchungshaft längstens für einen bestimmten Zeitraum wirksam (sogenannte Haftfrist), wobei der Ablauftag im Beschluß anzuführen ist. Vor Ablauf der Haftfrist ist eine Haftverhandlung durchzuführen oder der Beschuldigte zu enthaften. Die Haftfrist beträgt dem zweiten Absatz dieser Gesetzesbestimmung gemäß bei Verhängung der Untersuchungshaft vierzehn Tage ab Festnahme des Beschuldigten (Z 1), bei erstmaliger Fortsetzung der Untersuchungshaft einen Monat ab Beschlußfassung (Z 2) und bei jeder weiteren Fortsetzung der Untersuchungshaft zwei Monate ab Beschlußfassung (Z 3). Vor allem durch die beiden ersten (kürzeren) Haftfristen (von vierzehn Tagen und einem Monat) und die damit verbundene Notwendigkeit, vor ihrem Ablauf eine Haftverhandlung durchzuführen, soll insbesondere im Anfangsstadium einer Untersuchungshaft gewährleistet werden, daß der Beschuldigte - in allgemeiner Form - über den Grund der Festnahme, über den Tatverdacht und über seine Rechte informiert werden soll (1157 Blg NR 18.GP, 11), aber auch, daß die Untersuchungshaft tatsächlich nur in den unbedingt notwendigen und in - den strengen gesetzlichen Voraussetzungen entsprechenden - Fällen aufrecht bleibt. Erst nach Ablauf dieser ersten Prüfungsphase, in der es ihrer Natur nach häufig erst Schritt für Schritt zur Erweiterung der Erkenntnisgrundlagen kommt, wird die Haftfrist auf einen längeren Zeitraum, nämlich auf zwei Monate verlängert. Nach Durchführung von zwei Haftverhandlungen kann der Beschuldigte auf eine weitere bevorstehende Haftverhandlung verzichten (§ 181 Abs 5 StPO). Dieser Regelung liegt ersichtlich der Gedanke zugrunde, daß gerade in der Anfangsphase einer Voruntersuchung Erhebungsergebnisse häufig ergänzungsbedürftig sein werden und allfälligen durch diese Erhebungen hervorgekommenen, gegen die Haft sprechenden Aspekten zufolge der kurzfristigen "Automatik" der Haftprüfung auch ohne einen Enthaftungsantrag des Beschuldigten rasch Rechnung getragen wird, wogegen nach Verbreiterung der Erhebungsergebnisse und nach mehrmaliger Prüfung der Haftfrage die Notwendigkeit neuerlicher äußerst kurzfristiger periodischer Prüfungen nicht mehr gegeben und demnach derartige Prüfungen in Abständen von zwei Monaten ausreichend erscheinen.

Eine ausdrückliche Regelung, welche Auswirkungen die Anordnung des Vollzuges einer Strafhaft oder einer Haft anderer Art (unter gleichzeitiger Abstandnahme von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft) im Sinn des - mit Ausnahme der Transferierung des Verweises auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (von Abs 4 in den Abs 1 des § 180 StPO) unverändert gebliebenen - § 180 Abs 4 StPO auf die durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 neu geschaffenen Haftfristen entfaltet, ist dem neuen Haftrecht nicht zu entnehmen. Eine am Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der Haftfristen orientierte (teleologische) Interpretation führt auf der Grundlage der nachstehenden, im Ergebnis gewiß auch den Bedürfnissen der Praxis entsprechenden Erwägungen zu folgendem Resultat:

Gemäß § 180 Abs 4 StPO darf - abgesehen von den Fällen des § 180 Abs 6 StPO - die Untersuchungshaft nicht (verhängt oder) aufrecht erhalten werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art erreicht werden können. Diese gleichfalls das Prinzip der "ultima ratio" der Untersuchungshaft betonende Vorschrift räumt dem ungesäumten Vollzug einer bereits rechtskräftig ausgesprochenen Strafe den Vorrang vor der noch von keiner rechtskräftigen Verurteilung getragenen und demzufolge nur provisorischen Charakter aufweisenden Untersuchungshaft ein; eine darüber hinausgehende Bedeutung kann dieser Gesetzesstelle nicht entnommen werden, insbesondere wird durch eine Maßnahme gemäß § 180 Abs 4 StPO die Fortführung einer bereits anhängigen Voruntersuchung gegen den betroffenen (bis zum Beginn des Strafvollzuges gemäß der genannten Gesetzesstelle in Untersuchungshaft angehaltenen) Beschuldigten nicht berührt, was ua aus dem zweiten Satz dieser Bestimmung über die Anordnung von für Zwecke der (Vor-)Untersuchung unentbehrlichen Abweichungen vom Vollzug der Strafhaft und aus dem Schleunigkeitsgebot des § 193 Abs 1 StPO hervorleuchtet. Daraus folgt vor allem unter Berücksichtigung der für die Einführung unterschiedlicher Haftfristen ersichtlich maßgeblichen Erwägungen des Gesetzgebers über eine rasche Prüfungsabfolge im Anfangsstadium einer Haft, daß eine im Rahmen einer Voruntersuchung bereits festgesetzte Haftfrist bei Anordnung eines Strafvollzuges nach § 180 Abs 4 StPO weiterhin wirksam bleibt und bereits zum Zeitpunkt der Einleitung dieses Strafvollzuges die gemäß dieser Gesetzesstelle laufende Haftfrist - unbeschadet der vorübergehenden Sistierung der Untersuchungshaft - lediglich in ihrem Fortlauf gehemmt wird.

Die im eingangs bezeichneten Erlaß des Bundesministeriums für Justiz geäußerte Ansicht, daß wegen der durch den Vollzug einer Strafhaft oder Haft anderer Art bewirkten Unterbrechung der Untersuchungshaft "das Fristensystem von neuem in Lauf gesetzt" werde, findet in den im Erlaß zitierten Erkenntnissen des Obersten Gerichtshofes 14 Os 95/93 und 14 Os 133/93 (iglS 11 Os 174/93) keine Stütze, denn diese Entscheidungen besagen in dem Zusammenhang lediglich, daß eine Zwischenstrafhaft im Sinn des § 180 Abs 4 StPO keine Untersuchungshaft ist und demgemäß keine Anknüpfung für eine Fristberechnung mit Bezugnahme auf § 193 aF StPO bietet. Keineswegs wurde in diesen Entscheidungen ausgesprochen, daß nach dem Vollzug einer derartigen Zwischenstrafhaft das - erst mit Wirksamkeit seit 1. Jänner 1994 bestehende - Fristensystem neu zu laufen beginnt.

Die diesem Erlaß folgende, vom Landesgericht Innsbruck und vom Oberlandesgericht Innsbruck vertretene Auffassung, nämlich der Sache nach eine Fortsetzung der Untersuchungshaft nach Beendigung einer (hier bloß vierzigstündigen) Zwischenhaft als Neuverhängung der Untersuchungshaft gemäß § 181 Abs 2 Z 1 StPO zu behandeln und damit eine (erste) Haftfrist von längstens vierzehn Tagen zu verbinden, übersieht zunächst, daß bei Tomas I***** nach dem Vollzug der ersten Ersatzfreiheitsstrafe keine "Festnahme" im Sinn des § 181 Abs 2 Z 1 StPO erfolgte und demnach die vierzehntägige Haftfrist "ab Festnahme des Beschuldigten" (zum Begriff Festnahme vgl §§ 176 Abs 2, 177 Abs 4 iVm Abs 1 und 2, 178 StPO) gar nicht aktuell werden konnte. Würde man das Ende der Zwischenhaft bei gedachter und geplanter Fortsetzung der Untersuchungshaft als "Festnahme" ansehen, müßte selbst nach einer nur wenige Stunden währenden Zwischenstrafhaft der Beschuldigte erneut ua über den Tatverdacht und den Festnahmegrund unterrichtet und über seine Rechte iSd § 178 StPO belehrt werden; es müßte erneut ein Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft mit dem im § 179 Abs 4 Z 1 bis 8 StPO genanntem Inhalt gefaßt werden. Daraus ergäbe sich das dem oben angeführten Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift über die Haftfristen widersinnige Ergebnis, daß das gesamte Haftverfahren, obwohl die Voruntersuchung das erwähnte, die Haftfrage betreffende erste Prüfungsstadium bereits längst überschritten hat, erneut (und überflüssigerweise) in dieses (erste) Stadium zurückversetzt wird. Damit wäre aber ein unnötiger und allenfalls sogar der zügigen Fortführung der Voruntersuchung abträglicher Verfahrensaufwand verbunden. Bei einer sachgerechten, dem Sinn und Zweck der Haftfristen berücksichtigenden Interpretation wäre es im vorliegenden Fall vielmehr geboten gewesen, über Tomas I***** nach Ablauf der vierzigstündigen Verwaltungsstrafhaft die nach der gegebenen Sach- und Rechtslage weiterhin für erforderlich erachtete Untersuchungshaft in jenem Stadium der Haftfrist (§ 181 Abs 2 StPO) fortzusetzen, in welchem sich der Genannte im Zeitpunkt des Beginns der Strafhaft bzw der Haft anderer Art (§ 180 Abs 4 StPO) befand. Dabei wäre eine ohne besondere Förmlichkeit vorzunehmende kalendermäßige Anpassung ersichtlich zu machen gewesen, kommt doch der Benennung des Ablauftages bei jeweils aktuellen Haftvoraussetzungen nur deklarative Bedeutung zu (14 Os 57/94).

Auch durch den Vollzug einer längeren Zwischenhaft kann dem Beschuldigten kein Nachteil erwachsen, weil nach den Grundsätzen des § 193 Abs 1 und Abs 2 StPO alle am Strafverfahren beteiligten Behörden verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, daß die Haft so kurz wie möglich dauert und die Untersuchungshaft (von Amts wegen) aufzuheben ist, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder ihre Dauer unverhältnismäßig wäre (etwa auch bei möglicher Anwendung der §§ 31, 40 StGB im neuen Verfahren unter Bedachtnahme auf jenes Urteil, mit dem die als die Zwischenstrafhaft vollzogene Strafe verhängt wurde).

Im übrigen kann davon ausgegangen werden, daß unter Zugrundelegung einer bloßen Ablaufhemmung der Frist für die (nächste) Haftverhandlung ohnedies die Verhandlung in der Mehrzahl der Fälle weit eher als vor den jeweils aktuellen Höchstfristen von 14 Tagen, einem Monat oder zwei Monaten nach Verbüßung der Zwischenstrafhaft, gelegentlich sogar wenige Tage danach, abzuführen sein wird, sodaß auch unter diesem Aspekt nichts dafür streitet, daß die Haftfristen des § 181 Abs 2 Z 1 und 2 StPO generell erneut in Gang gesetzt werden müßten.

Der vom Generalprokurator erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

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