OGH 14Os95/93

OGH14Os95/9329.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer und Mag. Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kobinger als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 22 Vr 827/92 anhängigen Strafsache gegen Herbert D***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 30. April 1993, AZ 8 Bs 166/93 (= ON 264), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Herbert D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen den am 6. März 1966 geborenen Herbert D***** ist beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 22 Vr 827/92 ein Strafverfahren wegen des Verdachtes der Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB und der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, des Vergehens nach § 114 ASVG und des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG anhängig.

In der infolge Einspruchsverzichts seit 3. Feber 1993 rechtskräftigen Anklageschrift vom 27. Jänner 1993 werden Herbert D***** zahlreiche, meist gewerbsmäßige schwere Betrügereien mit einem tatsächlichen Schaden von ca. 2,5 Mio S und einem beabsichtigten Schaden von ca. 350.000 S, betrügerische Krida in drei Fällen mit einem Schaden von 60.000 S, Scheckkartenmißbrauch in 26 Angriffen mit einem Schaden von ca. 60.000 S, die Nichtabfuhr von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von ca. 32.000 S und die Abgabe von unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von mehr als 70 Mio S zur Last gelegt.

Über Herbert D***** wurde am 16. April 1992 aus den Gründen der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) und der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) die Untersuchungshaft verhängt.

Vom 25. Juli 1992 bis 14. August 1992 (d.s. 20 Tage) und vom 5. November 1992 bis 10. Dezember 1992 (d.s. 5 Wochen) war die Untersuchungshaft zum Vollzug von Verwaltungsstrafen aufgehoben (§ 180 Abs 4 StPO), hernach aber aus den erwähnten Haftgründen jeweils neuerlich verhängt worden (ON 110, 124, 182, 215).

Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 3. November 1992, AZ 7 Ns 1260/92 (= ON 180) wurde bestimmt, daß die Untersuchungshaft wegen der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfanges der Untersuchung bis zu 10 Monaten dauern dürfe. Diese Frist wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 23. März 1993, AZ 8 Ns 1227/93 (= ON 254) auf 12 Monate ausgedehnt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluß vom 30. April 1993, AZ 8 Bs 166/93 (= ON 264) hat das Oberlandesgericht Innsbruck einer Haftbeschwerde (§ 114 Abs 1 Z 4 StPO) des Beschuldigten nicht Folge gegeben und die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bisher angenommenen Haftgründen angeordnet.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte (vgl. den Abfertigungsvermerk vom 6. Mai 1993 auf der Kopie der ON 264) Grundrechtsbeschwerde des Herbert D***** vom 19. Mai 1993. Ohne die Dringlichkeit des Tatverdachtes im Sinne des Anklagevorwurfes zu bestreiten, erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit darin, daß

1. die Untersuchungshaft schon deshalb aufzuheben gewesen wäre, weil die erwähnten Zwischenhaftzeiten (§ 180 Abs 4 StPO) in die Haftfristen des § 193 Abs 3 und Abs 4 StPO einzurechnen gewesen wären und somit die beiden obzitierten Haftverlängerungsbeschlüsse jeweils verspätet (nämlich 18 bzw. 35 Tage nach Ablauf der Frist) gefaßt worden seien;

2. die Dauer der seit 16. April 1992 andauernden Untersuchungshaft unverhältnismäßig geworden sei und ihre Aufrechterhaltung zum Zwecke der Maßnahme außer Verhältnis stünde, zumal der Beginn der Hauptverhandlung noch nicht abzusehen sei; und daß 3. kein Haftgrund mehr vorliege, die Haftzwecke aber jedenfalls durch eines oder mehrere gelindere Mittel erreicht werden könnten.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Zu 1.

Gemäß § 193 Abs 3 StPO darf die Dauer der Untersuchungshaft je nach den angenommenen Haftgründen zwei bzw. sechs Monate nicht übersteigen, wobei diese Haftfristen vom Gerichtshof zweiter Instanz unter den Voraussetzungen des § 193 Abs 4 StPO bis auf die dort normierten Höchstgrenzen (drei Monate, ein bzw. zwei Jahre) ausgedehnt werden können. Gemäß § 180 Abs 4 StPO darf die Untersuchungshaft nicht (verhängt oder) aufrechterhalten werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art erreicht werden können. Nach dem klaren Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, die Untersuchungshaft wegen ihres Provisorialcharakters zeitlich möglichst zu beschränken oder überhaupt zu vermeiden, gelten die Haftbefristungen nur für die Untersuchungshaft. Zu Recht sind daher nach einhelliger Judikatur bei Berechnung der gesetzlichen Höchstdauer der Anhaltung in Untersuchungshaft im Sinne des § 193 StPO weder Zeiten der Anhaltung in polizeilicher oder gerichtlicher Verwahrungshaft noch eine (im In- oder Ausland erlittene) Auslieferungshaft einzurechnen (Mayerhofer-Rieder StPO**n E 4 und 5 zu § 193), und zwar ungeachtet des Umstandes, daß auch diese Haftarten nur provisorischen Charakter tragen. Da unter den Voraussetzungen des § 180 Abs 4 StPO die Untersuchungshaft aufzuheben ist (Mayerhofer-Rieder StPO**n E 12 b; Foregger-Serini-Kodek5 Anm III jeweils zu § 180 StPO), danach somit keine Untersuchungshaft mehr vorliegt, fehlt es in diesen Fällen ab Einleitung des Strafvollzuges oder der Verhängung der Haft anderer Art (in der Regel der Einleitung eines Verwaltungsstrafvollzuges) an einem gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Fristbestimmungen des § 193 StPO, und zwar - entgegen einer teilweise abweichenden Judikatur der Gerichtshöfe zweiter Instanz (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO**n E 5 a zu § 193) - auch bloß in der Form, daß die Zeiten einer die Untersuchungshaft ersetzenden Strafhaft oder Haft anderer Art in die Haftfristen des § 193 StPO einzurechnen wären, wofür zudem aus der Sicht des skizzierten Gesetzesanliegens gar kein Bedürfnis besteht. Dem Beschwerdevorbringen zuwider kann auch aus der Vorschrift des § 180 Abs 4 zweiter Satz StPO, wonach der Untersuchungsrichter im Falle der Abstandnahme von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wegen einer gleichzeitigen Strafhaft Abweichungen von deren Vollzug zu verfügen hat, für den Beschwerdestandpunkt nichts gewonnen werden. Diese Bestimmung soll nur verhindern, daß aus der Übernahme in Strafhaft im Hinblick auf deren anders gelagerte Zielsetzungen Nachteile für die Untersuchung entstehen. Diese Auslegung der Haftfristbestimmungen widerspricht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch keineswegs den Beschleunigungsgeboten der Art 5 Abs 1 PersFrG und Art 5 Abs 3, 6 Abs 1 MRK bzw des § 193 Abs 1 StPO, bleiben doch alle gesetzlichen Kautelen gegen eine diesen Geboten widersprechende Vorgangsweise der am Strafverfahren beteiligten Behörden davon unberührt.

Zu 2.

Angesichts der Vielzahl und Schwere der dem Beschuldigten nach dem Anklagevorwurf zur Last liegenden, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedrohten Straftaten kann keine Rede davon sein, daß die zum Zeitpunkt der in Beschwerde gezogenen Beschlußfassung noch nicht einmal 11 Monate andauernde Untersuchungshaft zu ihrem Zweck außer Verhältnis gestanden oder mit Rücksicht auf die zu erwartende Strafe offenbar unangemessen und daher aufzuheben gewesen wäre. Im übrigen hat die Hauptverhandlung bereits am 9. Juni 1993 begonnen, womit die zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft nunmehr entfallen ist (§ 193 Abs 5 StPO).

Zu 3.

Zum Fortbestand der Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr verwies das Oberlandesgericht Innsbruck im angefochtenen Beschluß auf

seine Vorbeschlüsse vom 23. September 1992, AZ 7 Bs 361/92 (= ON 159)

und vom 23. März 1993, AZ 8 Ns 1227/93 (= ON 254) und sprach aus, daß

seither keine Umstände eingetreten seien, die die Aufhebung der Untersuchungshaft, allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel, rechtfertigen könnten.

Im Beschluß vom 23. September 1992 hat das Oberlandesgericht Innsbruck zu den Haftgründen ausgeführt, daß dem Beschuldigten mit Rücksicht auf eine einschlägige, nicht unerhebliche Vorstrafe im Falle eines Schuldspruches wegen der ihm nunmehr angelasteten strafbaren Handlungen eine empfindliche unbedingte Freiheitsstrafe drohe. Er habe seine bisherige Existenzgrundlage verloren, sich vor den nachforschenden Behörden lange Zeit hindurch verborgen gehalten, ehe er aufgrund eines Haftbefehles vor Gericht gebracht werden konnte. Zumindest gegenüber einer Person habe er die Absicht geäußert, sich im Ausland niederzulassen, wozu ihm die geschäftlichen Beziehungen seiner Mutter dorthin ermuntern könnten. Es sei auch keineswegs abwegig anzunehmen, daß ihn die jüngst während der Haft angetraute kinderlose Ehegattin dahin begleiten könnte. Gehe man vom dringenden Tatverdacht aus, so habe der Beschuldigte möglicherweise selbst während des anhängigen Verfahrens noch eine Reihe gravierender Delikte verübt und sich davon auch durch die Bekanntschaft mit seiner bisherigen Freundin und nunmehrigen Ehefrau nicht abhalten lassen. Da er zudem gewerbsmäßig gehandelt habe, wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Straftaten vorbestraft ist und sich nach dem Inhalt des psychiatrischen Gutachtens vom 16. Juli 1992 (ON 105) weiterhin durch ausgeprägtes Selbstbewußtsein, ein gewisses Imponiergehaben und das bewußte Ausspielen von nicht vorhandenen Fähigkeiten auszeichne, sei die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den angenommenen Haftgründen geboten und durch gelindere Mittel nicht substituierbar.

Diesen nach der Aktenlage tatsächlich gegebenen haftbegründenden Umständen vermag der Beschwerdeführer nur die Behauptung entgegenzusetzen, daß er bei seiner Ehefrau, die auch für seinen Lebensunterhalt aufkommen würde, wohnen könne, und daß die bisher in Haft zugebrachte Zeit eine ausreichend abhaltende Wirkung entfaltet habe, um ihn nicht mehr straffällig werden zu lassen.

Diese Beteuerungen allein vermögen jedoch die fundierte Argumentation des Oberlandesgerichtes Innsbruck nicht zu entkräften.

Herbert D***** wurde somit durch den angefochtenen Beschluß in keinem der Beschwerdepunkte im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 iVm § 7 GRBG), weshalb seine Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

Demzufolge hatte gemäß § 8 GRBG ein Ausspruch über den beantragten Ersatz der Beschwerdekosten zu entfallen.

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