OGH 1Ob568/94(1Ob570/94)

OGH1Ob568/94(1Ob570/94)29.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann U*****, vertreten durch Dr.Reinhard Steger, Rechtsanwalt in St.Johann im Pongau, wider die beklagten Parteien 1.Ing.M***** & Co Baugesellschaft mbH, ***** 2.G.H***** & Söhne Baugesellschaft mbH, ***** 3.S***** Baugesellschaft mbH, ***** und 4.H***** Baugesellschaft mbH, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Erich Meusburger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 465.648,36 sA, infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert S 102.300,--) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes und infolge Rekurses der beklagten Parteien (Rekursstreitwert S 102.300,--) gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes je vom 21.Dezember 1993, GZ 3 R 261/93-89, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 24.September 1993, GZ 10 Cg 107/91-82, teils bestätigt und teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit S 9.126,-- (darin enthalten S 1.521,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Dem Rekurs der beklagten Parteien wird Folge gegeben und der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes insgesamt wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit S 19.638,24 (darin enthalten S 3.173,04 Umsatzsteuer und S 600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 21.126,-- (darin enthalten S 1.521,-- Umsatzsteuer und S 12.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekurses zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die ARGE K*****, bestehend aus den vier Beklagten, führte im Auftrag der O***** Arbeiten für den Ausbau der Wasserkraft des W***** Baches durch. Dabei wurde ein Horizontal-Druckstollen zum Kraftwerk W***** bergmännisch, also durch Sprengarbeiten, vorgetrieben. Im Zuge der Sprengarbeiten kam es zur Erschütterung mehrerer Objekte. Die verschiedentlich geltend gemachten Schäden wurden durch von der O***** eingeholte Gutachten beurteilt. In dem vom Sachverständigen Ing.G***** erstatteten Gutachten sind sowohl die angeblichen wie auch die tatsächlichen Schäden genannt. Demnach sind auch die infolge einer Sprengung vom 5.2.1985 an dem etwa 95 m südöstlich vom Ort der Sprengung gelegenen, im Eigentum des Klägers stehenden Anwesen "Haus S*****", verursachten Schäden ins Gutachten aufgenommen worden. Das Objekt des Klägers stellt ein mehrgeschoßiges Appartementhaus in Hanglage mit zwei ebenerdigen, nebeneinander liegenden Garagenanbauten und bergseitigem Freischwimmbecken über den Garagenbauten dar. Das Haus mit dem anschließenden nördlichen Garagenbau entstand 1977, das Schwimmbecken 1978, der südliche Garagenbau 1981. Das Wohnhaus und die Garagen sind auf einheitlichem Untergrund errichtet worden, das Schwimmbad befindet sich teils auf Fels, auf "Sommergefrier" und auf aufgeschüttetem Schotter- bzw. Erdmaterial. Es wurde "in Eigenregie", also ohne ein Bauunternehmen offiziell in Anspruch zu nehmen, errichtet. Es handelt sich beim Schwimmbecken nicht um einen Stahlbetonbau. Eigene Fundamente sind nicht vorhanden, es wurde direkt auf den Untergrund eine Betonplatte mit leichtem Stahlgitter aufgebracht. Das Schwimmbad wurde nicht "nach den fachlichen Regeln", also insbesondere aus wasserdichtem Sperrbeton mit Stahlbewehrung, errichtet. Wäre die Konstruktion fachgerecht ausgeführt worden, hätten die von den Beklagten vorgenommenen Sprengungen keine Beschädigung des Schwimmbeckens verursacht.

Der Kläger begehrte letztlich von den Beklagten die Bezahlung von S 465.648,36 sA, welchen Betrag er zur Schadensbehebung infolge der von den Beklagten vorgenommenen Sprengung aufgewendet habe.

In Anbetracht des oben angeführten, im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Sachverhalts gelangte das Erstgericht zur Ansicht, den Beklagten sei kein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten vorzuwerfen, denn sie hätten bei Vornahme der schadenskausalen Sprengung nicht damit rechnen müssen, daß das außerhalb des eigentlichen Gefährdungsbereiches befindliche Objekt des Klägers, das nicht nach den Regeln der Bautechnik ausgeführt worden sei, Schaden nehme. Vielmehr habe der Kläger durch die nicht konsensgemäße Ausführung des Schwimmbeckens ein Schutzgesetz verletzt, wobei auch der eingetretene Schaden im Schutzbereich dieser Norm liege. Eine allfällige Gefährdungshaftung in Analogie zur Haftung für gefährliche Betriebe müsse dort ihre Grenze finden, wo der Schaden auf einem Selbstverschulden des Geschädigten beruhe. Es wies daher das Klagebegehren zur Gänze ab.

Dagegen erhob der Kläger insoweit Berufung, als der Teilbetrag von S 204.600,-- sA abgewiesen wurde.

Das Berufungsgericht führte aus, daß die Bestimmungen des Berggesetzes auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden seien. Bauunternehmen wie die Beklagten seien nicht als gefährliche Betriebe zu qualifizieren, sodaß eine Gefährdungshaftung der Beklagten für die durch die Sprengung hervorgerufenen Schäden am Schwimmbad des Klägers ausscheide. Es bejahte aber eine (Mit-)Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des Nachbarrechtes. § 364 ABGB zähle ausdrücklich Erschütterungen zu den Immissionen, die nachbarrechtliche Ansprüche auslösen könnten. Die Sprengungen seien in der Nähe des klägerischen Grundstücks durchgeführt worden, weshalb der Kläger als Nachbar anzusehen sei. Die Beklagten könnten als Störer in Anspruch genommen werden, ohne Grundeigentümer zu sein. Im vorliegenden Fall rechtfertige die Interessenlage eine Analogie zu § 364a ABGB, weshalb dem Kläger ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch zu gewähren sei. Der Ausgleichsanspruch sei nämlich ein rein objektiver Ausgleich für die Inanspruchnahme des Eigentums des Klägers zu Zwecken der Bauführung durch die Beklagten. Dem geschädigten Kläger sei aber ein Mitverschulden am Zustandekommen des Schadens anzulasten, weil er durch die nicht fachgerechte Herstellung des Schwimmbeckens eine Sorglosigkeit in eigener Sache an den Tag gelegt habe. Demnach sei gemäß § 1304 ABGB eine Schadensteilung vorzunehmen. Da das Erstgericht Feststellungen über die Schadenshöhe aufgrund unrichtiger Rechtsansicht nicht getroffen habe, sei das Ersturteil im Rahmen der Anfechtung zur Hälfte als Teilurteil zu bestätigen, im übrigen müsse es aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werden. Die ordentliche Revision und der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß wurden für zulässig erklärt.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes erhob der Kläger Revision mit dem Antrag, das Teilurteil insoweit aufzuheben, als ein Teil des Klagebegehrens mit dem Betrag von S 102.300,-- sA abgewiesen wurde; in diesem Umfang sei die Rechtssache ebenfalls zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten erhoben gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes Rekurs (die Bezeichnung "Revision und Rekurs" ist offensichtlich unrichtig, es handelt sich nach dem gesamten Inhalt des Rechtsmittelschriftsatzes um einen Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß) mit dem Antrag, den Aufhebungsbeschluß dahingehend abzuändern, daß in der Sache selbst entschieden und das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt werde.

Die Revision ist nicht berechtigt, dem Rekurs kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, daß die Beklagten keine Haftung aufgrund des ihnen in erster Instanz seitens des Klägers angelasteten Verschuldens am Zustandekommen der Schäden trifft. Der Kläger vertritt in Anlehnung an die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes die Meinung, die Beklagten hafteten aus dem Titel eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches, wobei aber eine Verschuldensteilung im Sinne des § 1304 ABGB nicht stattzufinden habe. Die Beklagten vertreten hingegen die Auffassung, sie seien von einer Haftung für die aufgetretenen Schäden zur Gänze befreit, weil diese allein auf das Verhalten des geschädigten Klägers zurückzuführen seien und die Beklagten die ihnen gebotene Sorgfalt beachtet hätten.

Nun ist richtig, daß nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch in den Fällen des § 364 Abs.2 ABGB und des § 364b ABGB allgemein zuzubilligen ist, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben (SZ 64/3; SZ 63/185; SZ 61/61; JBl. 1992, 641; EvBl. 1992/176; 1 Ob 19/93; Pimmer in Schwimann, ABGB, Rz 53 zu § 364 uva). Die Frage, ob solche ausreichenden Anhaltspunkte gegeben sind, kann ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage, ob die Beklagten für einen objektiv nicht kalkulierbaren Schadenseintritt überhaupt zu haften hätten (vgl. SZ 64/3; SZ 63/185; SZ 60/265; JBl. 1991, 580; Pimmer aaO, Rz 55 zu § 364; Ritzberger in JBl 1964, 197). Ebenso muß auch nicht weiter erörtert werden, daß der von den Beklagten erhobene Alleinverschuldenseinwand den Mitschuldeinwand miteinschließt (SZ 53/164 mwN; 3 Ob 538/91 uva). Schließlich erübrigt sich die Beantwortung der Frage, ob gegenüber einem verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch ein Mitverschuldenseinwand erhoben werden kann (so bejahend SZ 64/152; SZ 54/137; JBl 1993, 653; JBl 1990, 524; RZ 1983/67; Bassenge in Palandt, BGB53 1106; NJW 1992, 2884; Pimmer aaO Rz 57 zu § 364 uva; verneinend allerdings SZ 41/42, diese Frage dahinstellend SZ 51/47). Nach den Grundsätzen des Nachbarrechtes können die Beklagten nämlich im vorliegenden Fall nicht in Anspruch genommen werden.

Das Nachbarrecht schützt zwar nicht nur den Anrainer, sondern auch den Eigentümer einer Liegenschaft, die keine gemeinsame Grenze zu jenem Grundstück aufweist, von dem das schädigende Ereignis ausgeht, auf die sich aber diese Einwirkungen nachteilig auswirken (SZ 64/3; SZ 61/273; SZ 55/172; SZ 54/137; JBl 1991, 580 uva). Der Abwehranspruch gegen Immissionen richtet sich auch nicht nur gegen den Grundeigentümer, sondern gegen jeden, der das Grundstück für eigene Zwecke benutzt (SZ 63/3; SZ 53/11; SZ 42/159; JBl 1992, 641; JBl 1991, 247, 580; EvBl 1992/176; RdW 1992, 304 ua). Nun hat der Kläger im vorliegenden Fall nie behauptet, daß die Beklagten das Grundstück, auf welchem sie die Sprengung durchgeführt haben, für ihre eigenen Zwecke benutzt hätten. Er hat vielmehr vorgebracht, die Beklagten hätten als Arbeitsgemeinschaft den Kraftwerksbau in St.J***** betrieben und zur Errichtung eines Druckwasserstollens Sprengarbeiten durchgeführt (AS 2). Schon im Gutachten des SV Dipl.Ing.B***** (ON 25) wurde im Rahmen des Befundes ausgeführt, daß die Beklagten als ARGE im Auftrag der O***** Arbeiten für den Ausbau des W***** Baches durchgeführt hätten (AS 77 f). Aus dem Gutachten des SV Prof.Dipl.Ing.Dr.R***** (ON 73) ergibt sich, daß als Bauherrschaft für die gesamten Arbeiten die O***** aufgetreten sei (AS 357). In diesem Sinne haben die Vorinstanzen unbekämpft festgestellt, daß die ARGE K*****, bestehend aus den vier Beklagten, im Auftrag der O***** (siehe auch Beilage 6) Arbeiten für den Ausbau der Wasserkraft des W***** Baches durchgeführt haben (AS 465 bzw. AS 45 in Bd.II). Das bedeutet also, daß die Beklagten, die im Rahmen einer ARGE tätig geworden sind, als mit Sprengarbeiten beauftragte Bauunternehmen angesehen werden müssen, denn es findet sich weder ein Vorbringen noch sonst ein Hinweis darauf, daß die Beklagten das Grundstück, auf welchem die Sprengung durchgeführt wurde, für ihre eigenen Zwecke benutzt hätten. Wenn nun auch der Kläger sein Begehren auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt hat (S.4 des Protokolls vom 15.5.1991 = AS 284), kann er aus dem Titel eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches die lediglich beauftragten Bauunternehmen nicht in Anspruch nehmen (siehe die zuvor zitierten Entscheidungen, insbesondere aber auch 1 Ob 22/88, SZ 47/140; SZ 41/84; SZ 38/106; MietSlg. 37.018; Pimmer aaO Rz 13 zu § 364).

Da sohin auch eine Haftung der Beklagten aus dem Titel eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches ausscheidet, erweist sich deren Rekurs als berechtigt und führt in Nichtstattgebung der klägerischen Revision zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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