OGH 1Ob19/93

OGH1Ob19/9317.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Karl und Gertrude K*****, vertreten durch Dr. Josef Broinger, Dr. Johannes Hochleitner, Dr. Erich Kaltenbrunner, Dr. Axel Zaglits, Mag. Günter Eibl, Rechtsanwälte in Eferding, wider die beklagten Parteien Karl und Gertrude M*****, vertreten durch DDr. Günter Peyrl, Rechtsanwalt in Freistadt, wegen S 15.185,80 s.A. und Feststellung (Feststellungsinteresse S 52.000,- -), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. Jänner 1993, GZ 20 R 1/93-34, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Pregarten vom 24. Oktober 1992, GZ C 363/91 -28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit S 5.001,12 (darin S 833,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind grundbücherliche Hälfteeigentümer der je in der KatGem. M***** gelegenen Liegenschaften EZ *****, zu deren Gutsbestand die Grundstücke ***** und ***** Baufläche (Anwesen *****) gehören, und EZ *****, deren Gutsbestand unter anderem das Grundstück ***** Wald umfaßt. Im südwestlichen Bereich dieses letztgenannten Grundstückes befindet sich ein Hausbrunnen, aus dem die Kläger das Trink- und Nutzwasser bezogen haben. Der Hausbrunnen befindet sich am Rand des nach Norden hin ansteigenden Waldes, an welchen die den Beklagten je zur Hälfte gehörenden Grundstücke ***** je inneliegend der EZ ***** KatGem. M***** anschließen.

Im Juni 1990 brachten die Beklagten, die eine insgesamt 22 ha große Land- und Forstwirtschaft betreiben, auf den Wiesengrundstücken ***** und ***** sowie auf dem Ostteil des Grundstückes ***** - wie schon in den Jahren zuvor - zu Düngungszwecken Jauche aus, und zwar 7 bis 8 Fässer mit einem Inhalt von je 2.600 Liter; weiters wurden ca. vier Säcke a 50 kg Weidenitramon gestreut. In einem konkret nicht mehr feststellbaren Zeitabstand nach dieser Düngung kam es zu starken Regenfällen, in deren Verlauf Abschwemmungen von der Wiesenfläche der Beklagten in Richtung Süden zum Anwesen der Kläger erfolgten. Kurze Zeit später stellten die Kläger fest, daß das Wasser ihres Hausbrunnens nach Jauche stank und schäumte. Die Untersuchung von Wasserproben ergab den Nachweis von Fäkalcolibakterien, sodaß das Brunnenwasser als nicht trinkwassergeeignet beurteilt wurde. Trotz mehrmaligen Auspumpens des Brunnens und Zusatzes von Chlortabletten ließen sich die Verunreinigungen nicht beseitigen. Die Kläger ließen daraufhin an anderer Stelle auf ihrem Grundstück einen neuen Brunnen bohren, dessen Wasser jedoch gleichfalls Fäkalcolibakterien enthält, sodaß es als Nutz- und Trinkwasser nicht verwendbar ist.

Mit ihrer am 21.8.1991 eingebrachten Klage begehrten die Kläger den Ersatz der ihnen bisher im Zusammenhang mit den erfolglosen Versuchen der Brunnenreinigung aufgelaufenen Kosten sowie die Feststellung, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand für alle nachteiligen Folgen der durch landwirtschaftliche Düngung der Grundstücke ***** je KatGem. M***** im Juni 1990 hervorgerufenen Verunreinigung des Wassers im Hausbrunnen der Kläger, situiert im äußersten südwestlichen Randbereich des Grundstückes ***** Wald KatGem. M*****, haften. Die von den Beklagten durchgeführte, die örtliche Verhältnisse bei weitem überschreitende Düngung stelle eine unzulässige Immission im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB dar, die einen (verschuldensunabhängigen) Ausgleichsersatzanspruch rechtfertige. Da noch nicht abzusehen sei, ob und wann das Wasser der Brunnen der Kläger wieder verwendet werden könne, bestehe darüber hinaus ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten.

Die Beklagten bestritten jeden Zusammenhang zwischen der im Zuge der Bewirtschaftung ihrer Grundstücke durchgeführten Jauchedüngung und der Verunreinigung des Brunnenwassers. Ein Ausgleichsanspruch bestehe schon deshalb nicht, weil die Beklagten auf ihren Wiesengrundstücken lediglich ortsübliche Bewirtschaftungshandlungen vorgenommen hätten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Den Klägern sei nicht der Beweis gelungen, daß die von den den Beklagten gehörenden Grundstücken ausgehenden Einwirkungen durch die Düngungsmaßnahmen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten. Auch komme ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 364a ABGB nicht in Frage, da das Betreiben einer Landwirtschaft mit den erforderlichen ortsüblichen Düngungsmaßnahmen nicht einer Anlage im Sinne dieser Gesetzesstelle gleichgehalten werden könne. Es fehle am Feststellungsinteresse, da die Kläger hinsichtlich der Kosten des neu geschlagenen Brunnens und der erforderlichen Desinfektionsanlage Leistungsklage hätten erheben können.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und stellte darüberhinaus - nach Beweiswiederholung durch einverständliche Verlesung der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise - fest, daß die Verunreinigung durch Düngung anderer östlich und westlich des Schwemmfächers gelegenen Grundstücke lediglich eine hypothetische Möglichkeit darstelle, während die Verursachung durch die von den Beklagten vorgenommene Düngung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe. Zur Rechtsrüge führte das Berufungsgericht aus, daß die Beklagten nicht hätten unter Beweis stellen können, daß der Eingriff das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreite. Die seit zwei Jahren nicht beseitigbare Wasserverunreinigung könne nicht als ortsüblich bezeichnet werden. Den Klägern stehe auch in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein Ausgleichsanspruch zu, da es den Beklagten in Anbetracht der objektiven Kalkulierbarkeit der Schadensfolgen zumutbar sei, für den eingetretenen Schaden einzustehen. Auch käme bei der auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführenden Verunreinigung des Brunnenwassers jede Unterlassungsklage zu spät. Das Bestreben der Beklagten, durch Düngemaßnahmen ihre Grundstücke wirtschaftlich besser zu nutzen, könne nicht auf Gefahr und Kosten der Kläger gehen. Das Feststellungsinteresse sei gegeben, da der möglicherweise bis zur einer Entwertung der Liegenschaft reichende Schadensumfang derzeit nicht absehbar sei.

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Auszugehen ist davon, daß nach § 364 Abs. 1 ABGB die Ausübung des Eigentumsrechtes grundsätzlich nur insofern stattfinden darf, als dadurch in die Rechte eines Dritten, wozu auch der Grundnachbar gehört, nicht eingegriffen wird. Vom Nachbargrundstück ausgehende mittelbare Einwirkungen müssen nur dann geduldet werden, wenn diese das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstückes nicht wesentlich beeinträchtigen. Immissionen, die über diese normale Duldungpflicht, wie sie § 364 Abs. 2 ABGB umschreibt, hinausgehen, rechtfertigen - sofern sie nicht von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinne des § 364a ABGB ausgehen - die Unterlassungsklage. Die Grenze zulässiger Einwirkung ist daher durch die Ortsüblichkeit der Störung einerseits und die ortsübliche Benützung des Grundstückes, welche durch den Eingriff nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf, andererseits gegeben (SZ 44/140; SZ 50/99; SZ 55/172; SZ 56/50; Klang in Klang 2 II 172). Stellt sich die Frage, ob eine wesentliche Beeinträchtigung von Nutzungsbefugnissen durch Schadstoffe hervorgerufen wurde, sind auch die Vorschriften des III. Abschnittes des Wasserrechtsgesetzes, der von der Reinhaltung und dem Schutz der Gewässer handelt, heranzuziehen. Gemäß § 30 Abs 1 WRG sind alle Gewässer, einschließlich des Grundwassers so reinzuhalten, daß die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet und Grund- und Quellwasser als Trinkwasser verwendet werden kann. Dem Schutzprinzip des § 30 WRG ist demnach ausdrücklich auch das Grundwasser unterstellt (Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht Rz 1 zu § 30 WRG). Nicht jede Einwirkung auf die Beschaffenheit eines Gewässers wird vom Gesetz bereits als (bewilligungspflichtige) Beeinträchtigung behandelt. Bloß geringfügige Einwirkungen sowie die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung (§ 32 Abs 8 WRG) gelten gemäß § 32 Abs 1 WRG bis zum Beweis des Gegenteils nicht als Beeinträchtigung. Die Einwirkungen auf Grund ordnungsgemäßer land- und forstwirtschaftlicher Bodennutzung gelten daher - bis zum Beweis des Gegenteils - als ortsüblich und mit dieser Einschränkung auch Veränderungen des Grundwassers, wie sie sich durch das Ausbringen von Jauche und sonstiger Düngergaben (vgl § 32 Abs 2 lit f WRG) ergeben. Wird das „Gegenteil bewiesen“, ist auch eine in diesem Sinn ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung, die mit Einwirkungen auf das Grundwasser verbunden ist, gemäß § 32 WRG bewilligungspflichtig (Raschauer aaO Rz 15 zu § 32 WRG). Entgegen der Ansicht der Revisionswerber kommt es daher nicht darauf an, ob die Düngung als solche im ortsüblichen Umfang erfolgte, sondern ausschließlich darauf, ob die dadurch hervorgerufenen Einwirkungen auf das Grundstück der Kläger das Maß des Ortsüblichen überschritten. Auch durchaus ortsübliche landwirtschaftliche Maßnahmen können dann zu nachbarrechtlichen Ansprüchen führen, wenn sie - etwa aufgrund der besonderen Bodenverhältnisse - zu Einwirkungen auf das Nachbargrundstück führen, die das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten. Die festgestellte Verunreinigung des Grundwassers und die daraus resultierende Unbrauchbarkeit der Hausbrunnen der Kläger für die Gewinnung von Nutz- und Trinkwasser kann aber insbesondere unter Bedachtnahme auf die dargestellten Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes weder als ortsüblich noch als geringfügig (SZ 56/50) bezeichnet werden, werden doch dadurch elementare Lebensbedürfnisse der Kläger unmittelbar betroffen. Die Beklagten konnten daher den ihnen obliegenden (SZ 44/140; SZ 50/99; SZ 55/30; Klang in Klang 2 II 173) Beweis, daß der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Grenzen (Ortsüblichkeit der Einwirkung und nur unwesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung des Grundstückes) nicht überschritten habe, nicht erbringen.

Zur Frage der Kausalität ist ergänzend zu den Ausführungen des Berufungsgerichtes darauf zu verweisen, daß für nachbarrechtliche Ansprüche, die auf eine Gewässerverunreinigung zurückzuführen sind, die Vorschrift des § 26 Abs. 5 WRG analog anzuwenden ist (JBl. 1991, 110; JBl. 1991, 580), sodaß die Kläger nur den Beweis zu erbringen hatten, daß die Beklagten örtlich und nach der Beschaffenheit der Abwässer als Verursacher in Betracht kommen, während es Sache der Beklagten gewesen wäre, diese Vermutung durch den Nachweis der Unwahrscheinlichkeit der Verursachung zu entkräften. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Verunreinigung des Grundwassers mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit durch die von den Beklagten vorgenommene Düngung ihrer landwirtschaftlichen Grundstücke verursacht, wogegen die Verursachung durch Maßnahmen, die auf anderen Grundstücken getroffen wurden, lediglich eine hypothetische Möglichkeit darstellt.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch in den Fällen des § 364 Abs. 2 ABGB dann zuzubilligen, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Diese Gesetzesstelle regelt einen der Enteignung verwandten Tatbestand. Der Geschädigte hat deshalb einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse des Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muß, die über die normale Duldungspflicht des § 364 Abs. 2 ABGB hinausgehen. Jede Analogie zu § 364a ABGB hat an diese Grundsituation anzuknüpfen. Dem Geschädigten muß ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums an sich zugestanden wäre (SZ 55/105; SZ 55/172; SZ 61/61; JBl. 1991, 110; JBl. 1991, 247; JBl. 1991, 580; JBl. 1993, 191). Eine derartige gleichartige Gefahrenlage ist insbesondere auch dann anzunehmen, wenn durch die auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführende Einleitung von Schadstoffen jede Unterlassungsklage zu spät käme, sodaß sich der von dieser Einwirkung Betroffene in einer Situation wie derjenige befindet, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (EvBl. 1976/190; SZ 44/140; SZ 55/172; JBl. 1991, 110). Das Gericht zweiter Instanz hat daher zutreffend einen (verschuldensunabhängigen) Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 364a ABGB als gerechtfertigt erkannt. Auch die Bejahung des Feststellungsinteresses ist nicht zu beanstanden, da auch nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche Gegenstand einer Feststellungsklage sein können (7 Ob 756/79; JBl. 1993, 191).

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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