OGH 2Ob551/94

OGH2Ob551/9430.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Gebietskrankenkasse, ***** vertreten durch Dr.Robert Amhof und Dr.Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B *****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Thomas Ebner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 230.667,04 S, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Juli 1993, GZ 11 R 67/93-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. November 1992, GZ 23 Cg 171/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 45.154,54 S samt 4 % Zinsen seit 2.7.1991 zu bezahlen.

Das darüber hinausgehende Zahlungsmehrbegehren wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen folgende Prozeßkosten zu ersetzen, und zwar an Verfahrenkosten erster Instanz den Betrag von 15.680,64 S (darin 48,-- S an Barauslagen und 2.605,44 S an Umsatzsteuer), an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 17.905,68 S (darin 7.704,-- S an Barauslagen und 1.700,28 S an Umsatzsteuer) sowie an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 15.720,36 S (darin 9.600,-- S an Barauslagen und 1.020,26 S an Umsatzssteuer).

Hingegen ist die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an anteiligen Gerichtsgebühren erster Instanz den Betrag von 1.040,-- S zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte beschäftigte in den Jahren 1989 und 1990 Leihpersonal der M***** GesmbH ***** (in der Folge: Überlasserin genannt). Im August 1990 gab es Hinweise auf eine bevorstehende Insolvenz dieses Unternehmens, weshalb der Steuerberater der Beklagten versuchte, von der Beitragsabteilung der Klägerin Auskunft über allfällige Beitragsrückstände der Überlasserin zu erhalten. Bei einer telefonischen Anfrage wurde eine solche Auskunft jedoch unter Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt. Derzeit beantwortet die Klägerin nur konkrete Anfragen von beschäftigenden Unternehmen, die Namen und Beschäftigungsdauer der Leihdienstnehmer enthalten, wobei die Beschäftigung dieser Dienstnehmer durch das anfragende Unternehmen nachgewiesen werden muß. Ohne genaue Bekanntgabe der Daten ist eine Auskunftserteilung der Klägerin gar nicht möglich. Die Geltendmachung der Bürgenhaftung nach dem AÜG wird von der Klägerin erst seit Anfang 1990 betrieben Ob auch damals bereits derartige Anfragen beantwortet wurden, ist konkret nicht feststellbar. Im vorliegenden Fall waren überdies die Unterlagen der Überlasserin verschwunden, sodaß die Klägerin nur aufgrund der Anfragen der Beklagten Kenntnis davon hatte, daß diese einer der Beschäftiger war. Mangels Unterlagen kann die Klägerin ihre Ansprüche nach dem AÜG gegen andere Beschäftiger nicht verfolgen.

Am 29.8.1990 wurde zu 4 S 97/90 des Handelsgerichtes Wien der Konkurs über das Vermögen der Überlasserin eröffnet; die Leihdienstnehmer wurden per 14.9.1990 dienstfrei gestellt. Die Beklagte hat die Bezahlung von Rechnungen der Überlasserin in der Höhe von insgesamt rund 185.000,-- S im Hinblick auf diesen Umstand zunächst zurückgestellt und wollte vor deren Bezahlung die Frage eines Beitragsrückstandes klären. Mit Schreiben vom 7.11. und 3.12.1990 (Beilagen ./I und ./III) ersuchte der Steuerberater der Beklagten die Klägerin um Bekanntgabe der Höhe der offenen Beiträge unter gleichzeitiger Namhaftmachung der von der Beklagten beschäftigten Leihdienstnehmer sowie von deren Beschäftigungszeit.

Am 28.11.1990 erlegte die Beklagte gemäß § 1425 ABGB beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien gegen den Masseverwalter im Konkurs der Überlasserin sowie die nunmehrige Klägerin einen Betrag von 185.512,50 S mit der Begründung, daß beide Erlagsgegner Anspruch auf den erlegten Betrag erhoben hätten und die Beklagte nicht feststellen könne, welchem Erlagsgegner der Betrag zustehe. Da die Klägerin bereits angekündigt habe, die Bürgenhaftung der Erlegerin möglicherweise in einem den Erlagsbetrag übersteigenden Umfang in Anspruch zu nehmen, sie die Forderung jedoch nicht exakt beziffern könne, sei die Zahlung an die Klägerin mit schuldbefreiender Wirkung nicht möglich (2 Nc 85/90). Mit Schriftsatz vom 5.12.1990 sprach sich der Masseverwalter gegen die Annahme des Erlages aus, weil die Beklagte als Erlegerin nicht einmal habe angeben können, welcher Betrag von der Klägerin als Erlagsgegner geltend gemacht werde und ein Erlagsgrund nicht vorliege. Mit Beschluß vom 10.12.1990, 2 Nc 85/90-5, nahm das Bezirksgericht Innere Stadt Wien diesen Erlag gemäß § 1425 ABGB an.

Am 20.12.1990 gab die Klägerin dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien bekannt, daß sie mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 1425 ABGB mit der Ausfolgung des hinterlegten Betrages an den Masseverwalter einverstanden sei, ihre Ansprüche gegen die beklagte Partei aufgrund der Haftungsbestimmungen des § 14 AÜG jedoch unberührt blieben. Mit Beschluß vom 7.1.1981 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wurde auf Antrag des Masseverwalters der Überlasserin die Überweisung des erlegten Betrages an diesen verfügt und am 4.2.1991 vollzogen.

Eine erste Berechnung der Klägerin vom 2.1.1991 (Beilage A) ergab eine offene Forderung der Klägerin von 288.195,84 S. Aufgrund der Einwendungen des Steuerberaters der Beklagten wurden die vorerst einbezogenen Beträge für Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderung und IESG-Zuschlag in Abzug gebracht und mit Schreiben vom 20.2.1991 der nunmehrige Klagsbetrag als Forderung der Klägerin gemäß § 14 AÜG festgestellt.

Im Verfahren blieb unbestritten, daß eine Befriedigung der Ansprüche der Klägerin aus der Konkursmasse nicht zu erwarten ist.

Mit der am 20.6.1991 beim Erstgericht als "Bürgschaftsklage aufgrund des § 14 AÜG" eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung von 230.667,04 S samt 4 % Zinsen seit Klagstag. Die Überlasserin, über deren Vermögen am 29.8.1990 der Konkurs eröffnet worden sei, schulde ihr rund 900.000,-- S an Sozialversicherungsbeiträgen. Die Beklagte hafte für die Beiträge der ihr überlassenen Dienstnehmer, deren Höhe ihr mit Schreiben vom 20.2.1991 mit 230.667,04 S bekanntgegeben worden sei.

Die Beklagte stellte letztlich die Klageforderung der Höhe nach außer Streit und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es treffe sie keine Haftung, weil sie trotz Bemühens von der Klägerin keine Auskunft über die Beitragsrückstände der Überlasserin erhalten habe, ihr die Klägerin nicht rechtzeitig vor Konkurseröffnung ihre Forderung bekanntgegeben und letztlich der Ausfolgung des von ihr gerichtlich erlegten Betrages an den Masseverwalter zugestimmt habe. Gemäß § 1364 ABGB könne sie gegen die Forderung der Klägerin compensando den Ersatz des ihr zugefügten Schadens einwenden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Den bereits wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, daß die Haftung der Beklagten gemäß § 14 AÜG unbestritten feststehe, die von der Beklagten behauptete Nachlässigkeit der klagenden Partei bei der Feststellung der rückständigen Dienstnehmerbeiträge nicht vorliege, weil die klagende Partei mangels entsprechender Unterlagen die Berechnung des von der Beklagten zu bezahlenden Beitragsrückstandes erst nach Vorlage der entsprechenden Unterlagen habe durchführen können, und daß auch die Zustimmung der klagenden Partei zur Ausfolgung des von der Beklagten zu Gericht erlegten Betrages mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 1425 ABGB zu Recht erfolgt sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels und nahm zu dem in der Rechtsrüge der Klägerin gegenüber erhobenen Vorwurf der Säumigkeit - einerseits habe die Klägerin die ziffernmäßig bestimmte Klagsforderung ihr gegenüber verspätet geltend gemacht, anderseits hätte sie es in der Hand gehabt, den Erlag der Beklagten für sich in Anspruch zu nehmen und einen erfolgversprechenden Prozeß gegen den Masseverwalter zu führen - im wesentlichen wie folgt Stellung:

Dem von der Berufungswerberin mehrfach vorgenommenen Hinweis auf ihr Recht, den ihr durch die Säumigkeit der Klägerin entstandenen Schaden gegen die Klagsforderung compensando einzuwenden, sei zu entgegnen, daß die im § 1364 Satz 2 ABGB normierte Verantwortlichkeit des Gläubigers für Saumseligkeit zwar grundsätzlich einen mit Aufrechnungseinrede gegen die Bürgschaftsklage geltend zu machenden Schadenersatzanspruch des Bürgen gegen den Gläubiger begründen könne, doch seien im vorliegenden Fall keine Überlegungen hinsichtlich Kausalität und Beweislast zur Frage des Schadenseintrittes und der Saumseligkeit des Gläubigers anzustellen, weil eine Aufrechnungseinrede nicht erhoben worden sei. Auch ein in § 1356 ABGB erwähnter Sorgfaltsverstoß an den die herrschende Lehre und Rechtsprechung die Rechtsfolge des Anspruchsverlustes knüpften (Iro, ÖBA 1988, 724) liege nicht vor. Der Ausfallsbürge könnte in diesem Fall durch die Nachlässigkeit des Gläubigers von der Haftung nur insoweit befreit werden (Ohmeyer, ZBl 1927, 172), als der Gläubiger die Forderung bei gehöriger Sorgfalt beim Hauptschuldner hereingebracht hätte (Gamerith in Rummel, Rz 4 zu § 1356). Eine "Nachlässigkeit" im Sinne des § 1356 ABGB, die Verschulden des Gläubigers fordere, und in den Rechtswirkungen über die "Saumseligkeit" des § 1364 ABGB zu stellen sei (Mader in Schwimann, Rz 4 zu § 1356), könne einem Gläubiger nicht schon deshalb angelastet werden, weil er eine Prozeßführung mit ungewissem Ausgang und vollem Kostenrisiko unterlassen habe. Die Forderung der Berufungswerberin, der Gläubiger müsse in seinem Bestreben, den Bürgen zu entlasten, auch erhebliche finanzielle Risken eingehen, stelle eine unzulässige Überspannung von dessen Sorgfaltspflichten dar. Auch die gegen die Verfassungskonformität des § 14 AÜG geäußerten Bedenken vermögen nicht zu überzeugen. Gerade in der von der Berufungswerberin zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes zitierten Entscheidung vom 13.6.1991, 7Ob 536/91, habe sich der Oberste Gerichtshof mit der Bestimmung des § 14 AÜG ausdrücklich befaßt. Habe der Oberste Gerichtshof gegen die Verfassungsmäßigkeit eines im konkreten Fall anzuwendenden Gesetzes Bedenken, so habe er den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Der Oberste Gerichtshof habe in der zitierten Entscheidung nicht nur keinerlei Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der von ihm angewendeten Bestimmung des § 14 AÜG gehabt, er habe auch betont, daß es sich bei der genannten Norm um eine Schutzbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer handle, ebenso wie bei der Bestimmung des § 20 Abs.1 AÜG, in der daher die Bevorrechtung der Behörde funktionell begründet sei. Der genannten Entscheidung sei die vom Berufungswerber aufgezeigte Problematik der im AÜG nicht verankerten Auskunftspflicht des Überlassers gegenüber dem Beschäftiger zugrundegelegen. § 14 stelle eine der wesentlichen Schutzbestimmungen des AÜG dar, durch das die Dienstnehmerüberlassung, die häufig die Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Vorschriften bezwecke, vor allem wenn Verleiher oder/und Entleiher juristische Personen mit Gesellschafteridentität sind (WBl. 1987, 282), zum Schutz der überlassenen Arbeitskräfte und aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gesetzlich näher geregelt worden sei (Grillberger in Schwimann Rz 44a zu § 1151 ABGB). Der unberechtigten Berufung sei daher ein Erfolg zu versagen gewesen.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß über eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diese berufungsgerichtliche Entscheidung richtet sich die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte außerordentliche Revision der Beklagten, in der die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens beantragt und hilfsweise ein Aufhebungsantrag gestellt wird.

Die klagende Partei machte wohl von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch, sie adressierte diesen Schriftsatz aber entgegen der Bestimmung des § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO an das Erstgericht. Die Revisionsbeantwortung langte jedoch erst am 10.Juni 1994, also nach Ablauf der durch die am 9.5.1994 erfolgte Zustellung der Revisionsschrift und der Mitteilung über die Freistellung der Revisionsbeantwortung an die Klagevertreter ausgelösten Notfrist von 4 Wochen (§ 507 Abs 2 ZPO) beim Revisionsgericht ein. Mangels Anwendbarkeit des § 89 Abs 1 GOG (SZ 60/192; RZ 1991/31; EvBl 1992/188 uva) erweist sich die Revisionsbeantwortung als verspätet erhoben, weshalb sie zurückgewiesen werden mußte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Verkennung der Voraussetzungen einer gerichtlichen Hinterlegung nach § 1425 ABGB im Zusammenhang mit den Bestimmungen des § 14 AÜG im Falle des Konkurses des Überlassers durch die Vorinstanzen zulässig und teilweise auch berechtigt.

Mit Recht macht die Revisionswerberin den Vorinstanzen zum Vorwurf, sie hätten sich mit der Frage der Voraussetzungen und Auswirkungen des von ihr vorgenommenen Erlages gemäß § 1425 ABGB nicht hinlänglich auseinandergesetzt.

Vorweg ist festzuhalten, daß im Revisionsverfahren die Höhe der die Zeit von November 1989 bis August 1990 betreffenden, der Klägerin gebührenden rückständigen Sozialversicherungsbeiträge ebensowenig strittig ist, wie der Umstand, daß eine Befriedigung der Ansprüche der Klägerin aus der Konkursmasse der Überlasserin nicht zu erwarten ist.

§ 14 Abs 1 AÜG normiert die Haftung des Beschäftigers für die gesamten der überlassenen Arbeitskraft für die Beschäftigung in seinem Betrieb zustehenden Entgeltansprüche und die entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung als Bürge (§ 1355 ABGB). Wenn der Beschäftiger seine Verpflichtungen aus der Überlassung dem Überlasser bereits nachweislich erfüllt hat, haftet er nur mehr als Ausfallsbürge im Sinne des § 1356 ABGB (Abs 2 leg.cit.). Für den Fall der Insolvenz des Überlassers bestimmt Abs 3 leg.cit. den Entfall der Haftung des Beschäftigers als Bürge, wenn die überlassene Arbeitskraft Anspruch auf Insolvenzgeld nach dem IESG hat, soweit dadurch die Befriedigung der in Abs 1 erwähnten Ansprüche tatsächlich gewährleistet ist.

Aus den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich, daß die Beklagte zur Zeit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Überlasserin dieser die nunmehr zum Gegenstand der Klage gemachten Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt hatte. Wenngleich der Bürge nach § 1355 ABGB, auf welche Bestimmung in Abs 1 des § 14 AÜG verwiesen wird, in der Regel erst belangt werden kann, wenn der Hauptschuldner nach gerichtlicher oder außergerichtlicher Einmahnung nicht leistet, so ist der Bürge bei Konkurs des Hauptschuldners doch berechtigt, die Forderung auch vor Fälligkeit einzulösen (§ 17 Abs 3 KO; Gamerith in Rummel, ABGB2, Rz 3 zu § 1355).

Nach der Grundsatzregel des § 44 Abs 2 ASVG umfaßt der Beitragszeitraum für Pflichtversicherte, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, den mit einheitlich 30 Tagen anzunehmenden Kalendermonat und für die anderen Pflichtversicherten die Kalenderwoche, in die der Monatserste fällt und die folgenden vollen Kalenderwochen dieses Kalendermonates. § 58 Abs 1 ASVG bestimmt, daß die allgemeinen Beiträge am letzten Tag des Kalendermonates, in den das Ende des Beitragszeitraumes fällt, fällig sind. Die klagsgegenständlichen Beitragsrückstände betreffen Arbeitskräfte, die von der Beklagten (teilweise) bis 31.8.1990 beschäftigt wurden. Bereits im August 1990 ersuchte der Steuerberater der Beklagten die Klägerin - allerdings vergeblich - um Auskunft über allfällige, von ihr Beschäftigte betreffende Beitragsrückstände. Mit Schreiben vom 7.11.1990 begehrte der Steuerberater der Beklagten in deren Namen von der Klägerin unter Hinweis auf die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Überlasserin und unter gleichzeitiger Bekanntgabe der (Namen und Sozialversicherungsnummern der) ihr überlassenen Arbeitskräfte, die (rasche) Mitteilung, ob und in welcher Höhe sie mit einer Haftung im Sinne des § 14 AÜG rechnen müsse (zumal der Masseverwalter die Auszahlung offener Rechnungen verlange) (Beilage I). Am 3.12.1990 wiederholte der Steuerberater der Beklagten diese Anfrage, wobei er auch noch die Beschäftigungszeiten der der Beklagten überlassenen Arbeitskräfte bekanntgab (Beilage III). Zur Zeit des von der Beklagten unter Berufung auf § 1425 ABGB vorgenommenen Erlages (28.11.1990) waren die klagsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge (der Klägerin gegenüber) jedenfalls im Sinne der §§ 58 Abs 1, 44 Abs 2 ASVG fällig. Aus dem vom Erstgericht verlesenen und seinen Feststellungen zugrundegelegten Inhalt des Aktes 2 Nc 85/90 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (AS 33) sowie der im Verfahren verlesenen und der Entscheidung des Erstgerichtes ebenfalls zugrundegelegten Urkunden Beilage 1 (8.10.1990), Beilage 3 (25..10.1990) und Beilage 2 (2.11.1990) ergibt sich, daß im Zeitpunkt des Gerichtserlages der Masseverwalter der Überlasserin von der Beklagten die Bezahlung des Betrages von 185.512,50 S gefordert hatte, aber auch die Klägerin der Beklagten angekündigt hatte, ihre Bürgenhaftung möglicherweise in einem den Betrag von 185.512,50 S übersteigenden Ausmaß in Anspruch zu nehmen. Da die klagsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge zur Zeit des Gerichtserlages fällig waren, war die Beklagte als Bürgin ohne Zweifel zur Zahlung der fälligen Sozialversicherungsbeiträge berechtigt und bestand die Verpflichtung der Klägerin, die Zahlung anzunehmen (Mader in Schwimann, ABGB V, Rz 2 zu § 1355 unter Hinweis auf GlU 12.336; Gamerith, aaO, Rz 3 zu 1355). In der damaligen Situation war aber die Beklagte auch berechtigt, auf die vorherige Einmahnung der Schuld bei der Überlasserin als Hauptschuldnerin zu verzichten (Gamerith, aaO, unter Hinweis auf Ohmeyer-Klang 223). Die für die Beklagte zu dieser Zeit gegebene rechtliche und wirtschaftliche Situation war insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß die Übernehmerin insolvent geworden war und damit die Gefahr bestand, es werde in Ansehung der Sozialversicherungsbeiträge der überlassenen Beschäftigten an der Erfüllungsfähigkeit oder Erfüllungsbereitschaft der Überlasserin mangeln (vgl § 1052 Satz 2 ABGB), und die Überlasserin außerdem der Klägerin die für die Feststellung der offenen Sozialversicherungsbeiträge erforderlichen Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt hatte (vgl Ersturteil S.6), sodaß die Höhe der Bürgschaftsschuld für die Beklagte nicht verläßlich feststellbar war. Die Gründe für diese Zwangslage der Beklagten, die darin bestand, daß sie mit ihrer Inanspruchnahme als Bürgin für die Schuld der Überlasserin ohne Aussicht auf entsprechenden Rückgriff jedenfalls bis zu jenem Betrag rechnen mußte, den die Gemeinschuldnerin von ihr - abgesehen von einer allfälligen Unsicherheitseinrede - auch zu fordern berechtigt war, lagen ausschließlich außerhalb ihrer Sphäre, zumal die Feststellung der offenen fälligen Sozialversicherungsbeiträge ohne Zweifel allein der Überlasserin bzw der Klägerin oblag. In dieser Interessenkollision der Beklagten, die ihre Leistung erbringen wollte, jedoch aus Gründen, die in der Sphäre ihrer Gläubiger lagen, daran gehindert wurde, gewährte § 1425 ABGB der Beklagten die Möglichkeit, sich durch gerichtliche Hinterlegung von der Verbindlichkeit zu befreien; die gerichtliche Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB steht nämlich dem Schuldner nicht nur bei Unbekanntheit, Abwesenheit oder Unzufriedenheit des Gläubigers, sondern auch dann zu, wenn die Schuld aus "anderen wichtigen Gründen" nicht bezahlt werden kann. Da der Beklagten als Bürgin nach Fälligkeit der Hauptschuld die Einlösung der Hauptforderung aus nicht von ihr zu vertretenden Umständen nicht möglich war und sie Gefahr lief, im Hinblick auf den Konkurs über das Vermögen der Hauptschulderin mangels Einlösung der Hauptschuld mit ihrer Rückgriffsforderung nach § 1358 ABGB nicht gegen die Forderung der Hauptschuldnerin gegen sie aufrechnen zu können, war die Beklagte wegen der für sie nicht feststellbaren Höhe der Hauptschuld und der mit dem Konkurs der Überlasserin verbundenen Unsicherheit in Ansehung der Fähigkeit und Bereitschaft der Überlasserin zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Klägerin berechtigt, jenen Geldbetrag bei Gericht zu hinterlegen, der der Höhe ihrer Schuld der Hauptschuldnerin der Bürgschaftsgläubigerin gegenüber entsprach und durch den die Hauptschuld (zumindest teilweise) eingelöst werden konnte (vgl Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 4 zu § 1425). War die Beklagte aber zum Erlag des Betrages von 185.512,50 S gemäß § 1425 ABGB berechtigt, so wurde sie durch den Gerichtserlag von ihrer Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber befreit, zumal die Hinterlegung der Leistung an den Gläubiger gleichsteht (Harrer in Schwimann ABGB V, Rz 21 zu § 1425; Reischauer, aaO, Rz 25 zu § 1425). Die Klägerin hat daher die Folgen ihrer am 20.12.1990 erteilten Zustimmung zur Ausfolgung des von der Beklagten erlegten Betrages an den Masseverwalter der Überlasserin selbst zu tragen, zumal sie mit Schreiben der Beklagten vom 3.12.1990 auch die Unterlagen über die Beschäftigungszeiten der der Beklagten überlassenen Arbeitnehmer erhalten hatte.

Damit erweist sich aber das Klagebegehren in Ansehung des Betrages von 185.512,50 S samt Anhang als unberechtigt. Da die von der Überlasserin nicht bezahlten rückständigen Sozialversicherungsbeiträge mit 230.667,04 S der Höhe nach außer Streit gestellt wurden und der festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte für die Annahme bietet, die Zustimmung der Klägerin zur Ausfolgung des Erlages an den Masseverwalter der Überlasserin stelle einen stillschweigenden Verzicht auf ihre Bürgschaftsforderung dar, war der Revision nur teilweise Folge zu geben und mußten die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens im Betrag von 45.154,54 S samt 4 % Zinsen und Abweisung des darüber hinausgehenden Mehrbegehrens abgeändert werden.

Bei der hier vorgenommenen Auslegung der in § 14 AÜG normierten Bürgschaft ist eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht erkennbar. Es besteht daher kein Anlaß, ein Prüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten erster Instanz gründet sich auf §§ 41 und 43 Abs 1 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zudem auf § 50 ZPO. Nach Maßgabe des Prozeßerfolges waren dabei dem Beklagten in allen drei Instanzen jeweils 60 % seiner Vertretungskosten einschließlich Fahrtkosten sowie 80 % der in zweiter und dritter Instanz aufgewendeten Barauslagen für GKM zuzusprechen, wogegen der Klägerin 20 % ihrer Barauslagen erster Instanz für GKM zu ersetzen waren.

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