European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0110OS00052.9400000.0510.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Gerhard G* ist schuldig, er hat am 1. Dezember 1993 in Schwaz fremde bewegliche Sachen, nämlich fünf Videokassetten im Wert von 1.490,‑ S, Verfügungsberechtigten des Einkaufsmarktes "Interspar" mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat gegen den Kaufhausdetektiv Alfred H* Gewalt anwendete, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten, indem er diesen derat zur Seite schob, daß H* einige Schritte zurücktreten mußte um nicht zu stürzen.
Gerhard G* hat hiedurch das Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB begangen und wird hiefür nach dem ersten Strafsatz des § 131 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 (achtzehn) Monaten und gemäß §§ 389, 390a StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens erster und zweiter Instanz verurteilt.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerhard G* des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 1.Dezember 1993 in Schwaz mit Gewalt gegen Alfred H* und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) Verfügungsberechtigten des Einkaufsmarktes Interspar fremde bewegliche Sachen, nämlich fünf Videokassetten im Wert von 1.490 S, mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Mit der Mängelrüge (Z 5) macht der Beschwerdeführer Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit, unzureichende Begründung und Aktenwidrigkeit der Urteilsbegründung in bezug auf bestimmte Tatsachenfeststellungen geltend. Er verkennt dabei, daß die relevierte Nichtigkeit ‑ wie sich aus dem Hinweis auf § 270 Abs 2 Z 4 und 5 StPO im § 281 Z 5 StPO sowie aus der Anführung des § 260 StPO im § 270 Abs 2 Z 4 StPO ergibt ‑ einen formellen Begründungsmangel nur bewirken kann, wenn dieser eine entscheidende Tatsache, mithin nur eine solche betrifft, die entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluß übt (Mayerhofer‑Rieder, StPO3, § 281 Z 5 ENr 26). Nach diesen Kriterien betrifft aber der Beschwerdeeinwand, das Erstgericht habe eine eindeutige Feststellung dahin unterlassen, ob er die Videokassetten in eine Innentasche seiner Jacke gesteckt oder unter seine Arme geklemmt hatte, keine entscheidende Tatsache. Schon aus diesem Grund war das Erstgericht nicht dazu verhalten, die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (75) ‑ die im übrigen mit seinen Angaben vor der Gendarmerie (29) im Widerspruch steht ‑ einer gesonderten Erörterung zu unterziehen. Soweit der Beschwerdeführer darzutun versucht, daß er (mangels freier Arme) nicht in der Lage gewesen wäre, den Kaufhausdetektiv Alfred H* mit einem Arm zur Seite zu stoßen, stellt sich die Rüge ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung nach als eine im Verfahren vor Kollegialgerichten unzulässige Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung dar. Entgegen der Beschwerdebehauptung finden sich in den (im Laufe des Strafverfahrens gemachten) Angaben des Zeugen H* zum tätlichen Vorgehen des Angeklagten auch keine solchen Widersprüche, die zu einer besonderen Erörterung dieser Aussagen Anlaß geboten hätten. Im Sinne der einleitenden Darlegung betrifft auch die Frage, ob der Angeklagte noch im Geschäftsraum der Firma "Interspar" oder bereits im Gangbereich des mehrere Geschäfte beherbergenden Einkaufszentrums vom Kaufhausdetektiv H* gestellt wurde, keine entscheidende Tatsache, weil die Tat ‑ gleich ob sie als Raub oder (räuberischer) Diebstahl beurteilt wird ‑ keinesfalls vollendet war. Die Mängelrüge erweist sich daher zur Gänze als unbegründet.
Keine Berechtigung kommt auch der Subsumtionsrüge (Z 10) zu, soweit sie die rechtliche Beurteilung der Tat als vollendeten (unqualifizierten) Diebstahl nach § 127 StGB anstrebt. Es trifft zwar zu, daß Lehre und Rechtsprechung den Diebstahl verhältnismäßig kleiner Sachen, die leicht in der Kleidung, am Körper oder in mitgebrachten Behältnissen verborgen werden können, schon mit dem Einstecken der Sache als vollendet ansieht, weil dadurch der bisherige Gewahrsam bereits zur Gänze beseitigt und neuer Alleingewahrsam des Täters begründet wird. Voraussetzung für die Deliksvollendung ist allerdings, daß das Einstecken vom Bestohlenen unbeachtet erfolgt; wurde der Täter hingegen vom Bestohlenen (oder einem dessen Gewahrsam wahrnehmenden Kaufhausangestellten, Kaufhausdetektiv udgl) beobachtet, so ist dieser Gewahrsam noch nicht zur Gänze beseitigt und der Diebstahl mithin bloß versucht (siehe Leukauf‑Steininger Komm3 § 127 RN 60 f mwN). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes wurde der Beschwerdeführer bei der Sachwegnahme vom Kaufhausdetektiv Alfred H* beobachtet, nach Passieren der Kassa gestellt und bis zum vor dem Geschäft befindlichen Parkplatz verfolgt, worauf er von der Zueignung der entzogenen Gegenstände Abstand nahm, sodaß er nie den Alleingewahrsam daran begründete. Seine Tat ist daher nicht über das Versuchsstadium hinaus gediehen.
Auch das weitere Beschwerdevorbringen, der Angeklagte habe gegen Alfred H* keine Gewalt angewendet, geht fehl. Unter Gewalt in der Bedeutung der §§ 131, 142 StGB (ebenso wie in der Bedeutung aller übrigen Tatbestände, die auf Gewalt als Begehungsmittel abstellen) ist der Einsatz nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermeintlichen Widerstandes zu verstehen; nicht erforderlich ist, daß die Intensität der aufgewendeten physischen Kraft eine zur Willensbrechung beim Opfer geeignete Schwere erreicht; vielmehr genügt, daß es tätergewollt gerade dieser Krafteinsatz ist, der das Opfer zur Abstandnahme von seinem dem Tätervorhaben entgegenstehenden Bestreben veranlaßt und solcherart kausal zu dessen Realisierung führt (EvBl 1991/12 = JBl 1990, 670; ÖJZ‑LSK 1987/83). So gesehen stellt sich bereits das Beiseiteschieben einer Person mit einem Arm, sodaß diese einige Schritte zurücktreten muß, um nicht zu Sturz zu kommen, als Gewalt im Sinne der §§ 131, 142 StGB dar (vgl auch Leukauf‑Steininger aaO § 131 RN 9). Überlegungen, ob außerdem auch noch die ‑ sowohl beim Raub als auch beim räuberischen Diebstahl mögliche ‑ alternative Begehungsweise durch Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) gegeben war, können daher dahingestellt bleiben.
Im Recht hingegen ist die Subsumtionsrüge, soweit sie (subsidiär) die Beurteilung der Tat als räuberischen Diebstahl anstrebt. Nach herrschender Rechtsprechung (SSt 55/13 = EvBl 1985/6 = JBl 1985, 53 = ÖJZ‑LSK 1984/104, EvBl 1991/12 = JBl 1990, 670, 12 Os 87/91; 12 Os 63/92; 13 Os 67/93; in diesem Sinn auch Bertel im WK Rz 11 ff, Bertel‑Schwaighofer BT I3 Rz 3 und 4 und Mayerhofer‑Rieder3 Anm 3, je zu § 131 StGB; Burgstaller Ladendiebstahl 37 sowie in JBl 1985, 54; gegenteilig allerdings Leukauf‑Steininger Komm3 RN 3 und 5 sowie Kienapfel BT II3 RN 2, 8 bis 10 und 33, je zu § 131 StGB) kann die Qualifikation des Diebstahls als räuberisch im Sinn des § 131 StGB bereits nach Erlangung bloßen Mitgewahrsams durch den Dieb, also noch im Versuchsstadium, verwirklicht werden. Hat der Täter durch eine Versuchshandlung bereits Mitgewahrsam an einer Sache erlangt, so schließt seine mit der Gewaltanwendung (oder Drohung) verbundene Absicht auf Umwandlung seines Mitgewahrsams in einen Alleingewahrsam auch die ‑ für die Erfüllung der inneren Tatseite des § 131 StGB erforderliche ‑ Absicht auf Erhaltung des Mitgewahrsams ein (vgl Bertel‑Schwaighofer, aaO). Unverzichtbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit der ‑ gegenüber § 142 StGB privilegierten - Strafbestimmung des § 131 StGB bleibt freilich, daß der Täter Gewalt (oder Drohung) erst einsetzt, nachdem er "bei einem Diebstahl auf frischer Tat betreten" wurde, was bedingt, daß sein Tatplan nicht von vornherein auf die Anwendung räuberischer Mittel zum Zweck der Sachwegnahme gerichtet war. In diesem Umstand ‑ daß "sich die Gewaltanwendung typischerweise aus der Situation für den Täter überraschend ergibt" (EBRV 1971, 278) ‑ liegt auch das unwertvermindernde Charakteristikum des räuberischen Diebstahls gegenüber dem Raub (vgl Burgstaller, aaO).
All diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes (US 6 f) hatte der Beschwerdeführer von vornherein (bloß) einen auf Diebstahl der Videokassetten gerichteten Vorsatz, als er durch Ansichnahme und Verstecken der Gegenstände unter der Kleidung den Mitgewahrsam daran begründete. Seinen Entschluß auf Gewaltanwendung faßte er erst zu dem Zeitpunkt, als er vom Kaufhausdetektiv ‑ der ihn bei der Sachwegnahme beobachtet hatte ‑ gestellt wurde, weswegen sich die Tat als versuchter räuberischer Diebstahl nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB darstellt.
Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten das angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB aufzuheben und der Angeklagte wegen des Verbrechens des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB schuldig zu erkennen.
Bei der dadurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung waren die rückfallsbegründenden (§ 39 StGB) Vorstrafen des Angeklagten erschwerend, sein Geständnis zum Diebstahlsvorsatz sowie der Umstand, daß die Tat beim Versuch geblieben ist, mildernd. Ausgehend von der geringeren Strafdrohung des § 131 StGB erwies sich ungeachtet der unveränderten Schuld des Angeklagten, unter Bedachtnahme auf die dargelegten Strafbemessungsgründe eine ‑ gegenüber der vom Erstgericht ausgemittelten ‑ etwas reduzierte ‑ Freiheitsstrafe von 18 Monaten als tat‑ und tätergerecht.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung findet ihre Begründung in den im Spruch angeführten Gesetzesstellen.
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