OGH 14Os30/94

OGH14Os30/948.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer und Dr. Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Obergmeiner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert D***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 22 Vr 827/92 des Landesgerichtes Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 25. Jänner 1994, AZ 8 Bs 10/94 (= ON 352), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Herbert D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Herbert D***** wurde im oben bezeichneten Strafverfahren mit dem Urteil vom 16. Dezember 1993 wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB (19 Angriffe zwischen April 1990 und Dezember 1991 mit einem tatsächlichen Schaden von ca 1,5 Mio S und einem beabsichtigten Schaden von ca 0,5 Mio S), des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (2 Angriffe zwischen November 1990 und April 1991 mit einem Schaden von 55.000 S) sowie des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (Scheckkartenmißbrauch in 41 Angriffen zwischen Dezember 1990 und Februar 1991 mit einem Schaden von ca 96.000 S) und des Vergehens nach § 114 Abs 1 ASVG (Deliktszeitraum Juli 1990 bis Mai 1991, vorenthaltener Betrag ca 32.000 S) schuldig erkannt und zu 39 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil (von dessen Spruch dem Obersten Gerichtshof eine Telekopie vorliegt) ist zufolge Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie Berufung der Staatsanwaltschaft noch nicht rechtskräftig.

Herbert D***** wird seit dem 16. April 1992 (mit Unterbrechungen von 20 Tagen und 5 Wochen durch eine verwaltungsbehördliche Strafhaft gemäß § 180 Abs 4 StPO) aus den Gründen der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) in Untersuchungshaft angehalten.

Mit Beschluß vom 29. Dezember 1993 (ON 346) hat die Ratskammer einen (neuerlichen) Enthaftungsantrag des Angeklagten abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde hat das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 25. Jänner 1994, AZ 8 Bs 10/94 (= ON 352), nicht Folge gegeben und die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den erwähnten Haftgründen angeordnet.

In der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde macht der Beschwerdeführer als Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit geltend (§ 3 Abs 1 GRGB), daß die Haftgründe zu Unrecht angenommen worden seien und im übrigen die bisherige Dauer der Untersuchungshaft mit Rücksicht auf die bereits gegebenen zeitlichen und persönlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB unverhältnismäßig geworden sei bzw. unverhältnismäßig zu werden drohe, weil mit einer - nach seinen Erwartungen für ihn positiven - Entscheidung über die erhobenen Rechtsmittel auch nicht vor Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen des § 46 Abs 2 StGB zu rechnen sei.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in den beiden in dieser Sache früher ergangenen Grundrechtserkenntnissen vom 29. Juni 1993, GZ 14 Os 95/93-6, und vom 5. Oktober 1993, GZ 14 Os 150/93-5, ausgesprochen hat, wurde der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr seinerzeit zu Recht herangezogen. Es ist daher nur noch zu prüfen, ob insoweit in der Zwischenzeit eine Änderung eingetreten ist. Der Oberste Gerichtshof teilt die dazu vom Beschwerdegericht vertretene Auffassung, daß die Fortsetzung der Untersuchungshaft um weitere fünf Monate noch nicht jene abhaltende Wirkung zu entfalten vermochte, um die aus den gewerbsmäßigen, durch einen längeren Zeitraum fortgesetzten schweren Betrügereien sowie anderen gravierenden Vermögensdelikten des Angeklagten resultierende Gefahr der Begehung einschlägiger strafbarer Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen zu bannen. Mit Recht hat das Oberlandesgericht auch ausgesprochen, daß diese Gefahr durch gelindere Mittel nicht beseitigt werden kann.

Auf die Beschwerdeeinwände zum Haftgrund der Fluchtgefahr ist daher nicht mehr einzugehen (vgl 14 Os 150/93).

In Ansehung der Verhältnismäßigkeit der Haft (§§ 180 Abs 1 letzter Satz, 193 Abs 2 StPO nF) ist von dem in erster Instanz erkannten Strafausmaß von 39 Monaten auszugehen. Überlegungen über die Erfolgsaussichten der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufungen sind hier in keiner Richtung anzustellen, weil damit dem Rechtsmittelverfahren vorgegriffen würde.

Zur Frage, ob in die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die Möglichkeit einer bedingten Entlassung mit einzubeziehen ist, hat der Oberste Gerichtshof grundsätzlich erwogen:

Bei der Prognostizierung der "zu erwartenden Strafe", zu der die Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis stehen darf (§ 180 Abs 1 letzter Satz StPO nF), ist zunächst auf Art und Ausmaß jener Strafe abzustellen, zu der der Beschuldigte realistischerweise (nach den Grundsätzen der Strafbemessung) voraussichtlich verurteilt werden wird. Da es um die Verhältnismäßigkeit der durch die Untersuchungshaft vorweggenommenen Freiheitsentziehung geht, ist bei dieser Prognose die Möglichkeit der Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 37, 43 und 43 a StPO zu berücksichtigen, es kommt mithin darauf an, in welchem Ausmaß vom erkennenden Gericht die Verhängung einer unmittelbar zu vollziehenden Freiheitsstrafe zu erwarten ist.

Übersteigt die bisherige Dauer der Untersuchungshaft bereits die Hälfte (§ 46 Abs 1 StGB) der solcherart zu erwartenden (unbedingten) Freiheitsstrafe, weshalb schon das erkennende Gericht - im gedachten Fall, daß es schon jetzt entscheiden würde - bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen des § 46 StGB dem Angeklagten gemäß § 265 StPO den Rest der Strafe bedingt nachzusehen hätte, so ist in die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch diese Möglichkeit mit einzubeziehen, weil andernfalls der Beschuldigte allein durch eine überlange Verfahrensdauer benachteiligt sein könnte. Dies gilt erst recht für die Fortsetzung der Untersuchungshaft während des Rechtsmittelverfahrens (ähnlich bereits OLG Wien 27 Bs 293/82 bei Mayerhofer-Rieder StPO3 E 12 zu § 193; tendenziell 14 Os 140/93; vgl Steininger, Zur Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft, in Schuppich/Soyer Juristische Schriftenreihe Bd. 63/1993, 67; Bertel Grundriß4 Rz 490).

Im vorliegenden Fall hat aber das Oberlandesgericht mit Recht auch unter diesem Aspekt eine Unverhältnismäßigkeit der Haft (noch) nicht angenommen, weil zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach der Hälfte der im Urteil erster Instanz ausgesprochenen Strafe gerade erst eingetreten waren, und mit Rücksicht auf die Person des Beschwerdeführers, sein Vorleben und die schon zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr angestellten Überlegungen eine für eine bedingte Entlassung zum frühestmöglichen Termin erforderliche positive Prognose jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschlußfassung (noch) nicht erstellt werden konnte.

Da somit Herbert D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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