OGH 8Ob503/94

OGH8Ob503/9424.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt W*****, vertreten durch Dr.Peter Zöllner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dietmar G*****, vertreten durch Dr.Gerda Kostelka-Reimer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 71.673,52 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 29.Juni 1993, GZ 43 R 2041/93-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 11.Februar 1993, GZ 19 C 113/91-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehefrau des Beklagten ist seit 17.Oktober 1986 im Pflegeheim L***** der Stadt W***** untergebracht. Sie ist nach einer Gehirnblutung bewegungsunfähig, hat einen Dauerkatheter und muß Windeln tragen. Bis zu ihrer Einlieferung ins Pflegeheim hat die Ehefrau dem Beklagten den Haushalt geführt.

Mit Schreiben vom 22.Oktober 1986 hat die Klägerin dem Beklagten bekanntgegeben, daß für den Aufenthalt im Pflegeheim kein Anspruch auf Leistung eines Sozialversicherungsträgers bestehe. Der gesetzliche Unterhaltsanspruch sei gemäß § 27 Wr.Sozialhilfegesetz (WrSHG) für die Dauer der Anstaltspflege auf die Stadt W***** übergegangen. Mit weiterer Zuschrift vom 15.1.1987 hat die Klägerin mittels Formblattes dem Beklagten die Anzeige nach § 27 WSHG erstattet.

Die Ehefrau bezieht eine monatliche, 14mal jährlich ausbezahlte Nettopension, die im Jänner 1990 S 7.152,60 und ab Juli 1990 S 7.224,-- betrug. Davon wurden 80 % von der Klägerin einbehalten, somit ab Jänner 1990 S 5.722,08 und ab Juli 1990 S 5.779,20.

Der Beklagte verdiente im Jahre 1990 S 30.996,10 netto 14mal jährlich. Er verfügt über kein weiteres Einkommen oder Vermögen. Er hat letztmalig im Jänner 1990 Zahlungen an die Klägerin geleistet. Die Klägerin hat zuletzt vom Beklagten für den Zeitraum ab 1.2.1990 eine monatliche Zahlung von S 10.443,-- begehrt.

Der Pflegeentgelttagessatz betrug im Jahre 1990 S 530,--. Der Satz wird auch bei Abwesenheit des Pfleglings verrechnet, wenn sie nicht länger als drei Tage dauert. Der Beklagte nahm seine Gattin alle 14 Tage samstags und sonntags aus dem Pflegeheim und betreute sie in der Ehewohnung. Er wendete für sie monatlich für Essen, Getränke, Zeitungen und Kleinbesorgungen S 725,-- und für Friseurkosten S 276,-- auf. Bedingt durch ihren körperlichen Zustand unterlagen die von ihr benutzten Kleidungsstücke einem höheren Verschleiß. In der Zeit vom Februar bis August 1990 wendete der Beklagte für den Ankauf von Kleidungsstücken für seine Gattin (Socken, Jogginganzüge, T-Shirts, Kleider und Schuhe) insgesamt S 6.400,--, im Monatsdurchschnitt daher S 920,-- auf.

Mit ihrer am 8.11.1990 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin, den Beklagten zur Zahlung des Betrages von S 71.673,52 s.A. schuldig zu erkennen. Das zu 80 % herangezogene Eigeneinkommen der Ehefrau des Beklagten reiche zur Deckung des Pflegeaufwandes nicht aus, der Differenzbetrag werde daher vom Beklagten gemäß § 27 WrSHG als auf sie übergegangene Ehegattenunterhaltsforderung für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.1990 begehrt.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Er wendete mangelnde Aktivlegitimation und weiters ein, seiner Unterhaltspflicht immer nachgekommen zu sein. Er müsse sämtliche Kosten des ehelichen Haushalts allein bestreiten, betreue seine Ehefrau zumindest über 25 Wochenenden im Jahr und trage sämtliche in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten. Auch versorge er sie während ihres Pflegeaufenthaltes ständig mit zusätzlicher Nahrung, Getränken, Zeitungen und allen sonstigen Dingen, derer sie während ihres Pflegeaufenthalts bedürfe und übernehme sämtliche Kosten, die für die Bekleidung anfallen.

Das Gericht erster Instanz erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin einen Betrag von S 65.800,-- abzüglich geleisteter Unterhaltsbeträge von S 24.318,-- zu bezahlen und wies das Mehrbegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß der von der Klägerin im Wege der Legalzession geltend gemachte monatliche Unterhaltsanspruch 40 % des Familieneinkommens abzüglich des durchschnittlichen eigenen Nettoeinkommens der Unterhaltsberechtigten und somit monatlich S 9.458,03 betrage. Bei der Ausmessung des Unterhaltsbetrages sei zu berücksichtigen, daß die Unterhaltsberechtigte bewegungsunfähig sei und krankheitsbedingt einen höheren Verschleiß an Kleidung habe. Dieser Sonderbedarf werde vom Beklagten zur Gänze getragen. Das Bestehen eines darüber hinausgehenden Sonderbedarfs sei nicht erwiesen. Dieser ergebe sich nicht aus der starren Höhe des verrechneten Pflegeentgelts. Es sei deshalb ein monatlicher Unterhaltsanspruch von S 9.400,-- angemessen, was für den klagsgegenständlichen Zeitraum den Klagsbetrag ergebe. Da die Bestimmung des § 27 WrSHG nicht dahin verstanden werden könne, daß es dem Unterhaltspflichtigen verwehrt sei, nach der eingetretenen Legalzession Naturalunterhaltsleistungen an seine Gattin zu erbringen, seien diese auf den Unterhaltanspruch anzurechnen. Als Leistungen des Beklagten seien die halben Mietkosten der Wohnung von S 2.473,-- sowie der Aufwand für Nahrung und Friseur von S 725,-- und S 276,-- monatlich zu werten.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es dem Klagebegehren, abgesehen vom Zinsenbegehren, das es - unbekämpft - abwies, stattgab. Es erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Das Erfordernis der Unterbringung im Pflegeheim rechtfertige das Vorliegen eines Sonderbedarfes und damit bei gegebener Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auch den Zuspruch höherer Beträge, als sie ohne einen derartigen Sonderbedarf angemessen wären. Die vom Beklagten erbrachten Naturalleistungen könnten den Anspruch der Klägerin nicht mindern, da der Schuldner nach Verständigung von der Zession schuldbefreiend nur an den Neugläubiger leisten dürfe. Abgesehen davon setze eine Anrechnung im Leistungsbefehl sachliche Kongruenz voraus, die nicht gegeben sei, weil der Beklagte mit seinen Leistungen einen über die Unterbringung im Pflegeheim hinausgehenden Bedarf abdecke. Auch die Betreuung der Ehefrau an jedem zweiten Wochenende in der ehelichen Wohnung könne den Anspruch nicht mindern, da der Aufwand der Klägerin dadurch nicht beeinflußt werde. Der von der Klägerin begehrte Anteil an Pflegeentgelt entspreche rund 30 % des Einkommens des Beklagten. Mit dem verbleibenden Betrag von monatlich rund S 25.700,-- sei er ohne weiteres in der Lage, sowohl seine eigenen Bedürfnisse als auch die weiteren Bedürfnisse seiner Ehefrau angemessen abzudecken. § 27 WrSHG sei auch nicht verfassungswidrig, wie dies der Verfassungsgerichtshof für die Frage der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers für Regelungen über die Kostentragung von gesetzlich zum Unterhalt verpflichteten Personen zu § 42 Abs 1 NöSHG bereits ausgesprochen habe. Auch die geltend gemachten Bedenken in Richtung Art.8 MRK seien nicht gegeben, da es nicht zutreffe, daß der Beklagte seiner Unterhaltspflicht außerhalb des Pflegeaufwandes der Klägerin ausreichend nachkomme.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Beklagten ist zulässig.

Unbeschadet des Umstandes, daß der Unterhaltsanspruch von einem Legalzessionar geltend gemacht wird, liegt eine familienrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 49 Abs.2 Z 2 JN vor. Gemäß Absatz 3 der genannten Gesetzesstelle besteht nämlich die familiengerichtliche Zuständigkeit unter anderem auch in den Fällen, in denen der Rechtsstreit von einer Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle der ursprünglichen Person hiezu befugt ist. Es würde dem Willen es Gesetzgebers widersprechen, wollte man in einem derartigen Fall das Vorliegen einer familienrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 502 Abs.3 Z 1 (Zulässigkeit der Revision unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstandes) verneinen (vgl. RZ 1993/50), zumal es nunmehr einheitliche Rechtsprechung ist, daß durch den Forderungsübergang die rechtliche Natur der übertragenen Forderung nicht geändert wird (JBl. 1979, 543; 2 Ob 526/90). Die bei anderer Rechtslage ergangene Entscheidung SZ 42/28, wonach durch den Rechtsübergang der Forderung auf den Fürsorgeträger der Unterhaltscharakter verlorengehe, kann daher nicht angewendet werden.

Entgegen der Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz, an dessen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs.1 ZPO), sind im gegenständlichen Fall Rechtsfragen der im § 502 Abs.1 ZPO genannten Art zu beurteilen, da sich der Oberste Gerichtshof - soweit überblickbar - bisher mit der Frage der Beurteilung von Pflegegebühren als Sonderbedarf noch nicht auseinandergesetzt hat.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Nach § 27 WrSHG gehen Rechtsansprüche, die der Empfänger einer Hilfe zur Deckung des Lebensbedarfs gegen einen Dritten hat, auf die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den Sozialhilfeträger über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat. Dieser gesetzliche Forderungsübergang ändert an der rechtlichen Natur der übertragenen Forderung nichts. Der Dritte erfährt somit in seiner Rechtsstellung materiellrechtlich keine Veränderung (JBl. 1979, 543; 2 Ob 526/90). Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist daher ausschließlich an der Bestimmung des § 94 ABGB zu messen. Danach hat der (bisher) haushaltsführende Ehegatte Anspruch auf "angemessenen" Unterhalt. Die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Prozentsätze zur Ermittlung der Höhe des Unterhalts stellen bloß eine Orientierungshilfe dar, um für Durchschnittsfälle eine "generalisierende Regel" zur Verfügung zu haben (EFSlg. 61.752; RZ 1992/49; 3 Ob 1520/91; 7 Ob 616, 617/91). Das aus den Berechnungsformeln (Prozentsätzen) resultierende Ergebnis ist dann nicht bindend, wenn besondere, vom Durchschnitt abweichende Umstände des Einzelfalles für einen höheren oder niedrigeren Unterhaltsanspruch sprechen (EFSlg. 61.753). Eine derartige Ausnahme von der "generalisierenden Regel" stellt unter anderem der krankheitsbedingte Sonderbedarf dar, der auf seiten des Berechtigten einen höheren Anspruch begründen kann (2 Ob 514/94, Schwimann in Schwimann, ABGB, § 94 Rdz 22).

Als derartiger Sonderbedarf sind die Kosten der durch die körperliche Verfassung des Unterhaltsberechtigten begründeten Unterbringung in einem Pflegeheim anzusehen. Dem Akt ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß das von der Klägerin dafür begehrte Entgelt nicht die Summe der Kosten der sich im wesentlichen aus Unterbringung, Pflege und Verköstigung zusammensetzenden Betreuung der Ehefrau des Beklagten darstellt. Die Notwendigkeit dieser Betreuung, die andernfalls vom Beklagten selbst im Rahmen der Beistandspflicht zu erbringen wäre, wurde im Verfahren nicht bestritten. Der Oberste Gerichtshof vermag daher nicht zu erkennen, welcher weiteren Behauptungen es nach Ansicht des Revisionswerbers bedürfte, um diese Kosten als Unterhaltsanspruch im Sinn des § 94 ABGB zu qualifizieren.

Das Gericht zweiter Instanz hat zutreffend darauf verwiesen, daß Klägerin und Beklagter verschiedene Unterhaltsleistungen erbracht haben, sodaß sich das Problem der Anrechnung im konkreten Falle nicht stellt. Der Beklagte hat nämlich zusätzlich zu der elementaren Bedürfnisbefriedigung durch die Klägerin weitere Zuwendungen wie Beistellung von Kleidung, von zusätzlicher Verpflegung, von Lesestoff sowie Betreuung an den Wochenenden in der ehelichen Wohnung erbracht, welche zwar die Lebensqualität der Unterhaltsberechtigten erhöhten, den Aufwand der Klägerin jedoch nicht minderten. Diese grundsätzlich als der Beistandspflicht entsprechend und als sinnvoll und notwendig zu beurteilenden Naturalleistungen können jedoch solange die Ansprüche der Klägerin nicht berühren, als insgesamt die Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht überschritten wird oder das der Ehefrau des Beklagten verbleibende restliche Einkommen ohnedies zur Abdeckung dieser Bedürfnisse verwendet werden kann.

Allerdings können zu diesen zusätzlich erbrachten Unterhaltsleistungen nicht die anteiligen Wohnungskosten gezählt werden, da nach der Sachlage davon auszugehen ist, daß der Beklagte die Wohnung derart überwiegend nutzt, daß das Interesse seiner Gattin, sich dort fallweise an den Wochenenden aufhalten zu können, völlig zurücktritt.

Nach den Feststellungen hat der Beklagte für zusätzliche Unterhaltsleistungen an die Ehefrau monatlich rund S 2.000,-- aufgewendet. Die Klägerin begehrt monatlich durchschnittlich S 10.443,--, sodaß von einer monatlichen Belastung von rund S 12.500,-- ausgegangen werden kann. Damit kommen der Ehegattin insgesamt Unterhaltsleistungen von rund 47 % des Familieneinkommens abzüglich der eigenen Pension zugute, was in Anbetracht des dem Beklagten verbleibenden Einkommens von rund S 23.500,-- als innerhalb seiner Leistungsfähigkeit gelegen zu beurteilen ist. Es erübrigt sich daher die Prüfung der Frage, ob nicht zumindest ein Teil der Zusatzleistungen durch das der Ehefrau des Beklagten verbleibende eigene Einkommen abgedeckt werden könnte.

Auch in seiner Revision beharrt der Beklagte darauf, daß § 27 WrSHG im Lichte des Art.8 Abs.1 MRK verfassungswidrig sei, da die zitierte Vorschrift massiv in die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegattin eingreife. Unabhängig vom Willen der im Familienverband lebenden Personen würden durch gesetzlichen Eingriff Unterhaltsansprüche an eine Gebietskörperschaft zediert. Dem ist zu erwidern, daß die Legalzession des § 27 WrSHG lediglich eine Folge der Tatsache ist, daß der Beklagte die ihn sonst selbst treffenden Betreuungspflichten an eine Einrichtung der Klägerin übertragen hat. Daß hiefür ein Entgelt begehrt wird, kann verfassungsrechtliche Bedenken nicht erwecken. Durch die Legalzession wird der Beklagte grundsätzlich bessergestellt als wenn er sonstwo einen Pflegevertrag abgeschlossen hätte, da in einem derartigen Fall die Entgeltshöhe nicht von der Höhe der Unterhaltspflicht begrenzt erscheint.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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