Spruch:
Die Beschlüsse der Vorinstanzen und das diesen vorangehende Verfahren werden bis einschließlich des Beschlusses vom 3.2.1993 auf Unterbrechung des Rechtsstreites gemäß § 460 Z 10 ZPO als nichtig aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage aufgetragen.
Text
Begründung
Der (damals) unvertretene Kläger begehrte mit seiner am 27.11.1992 beim Erstgericht überreichten Klage das Urteil, daß die zwischen den Parteien geschlossene Ehe geschieden und ausgesprochen werde, daß das Verschulden den Kläger treffe. Er brachte vor, die eheliche Gemeinschaft sei seit mehr als sechs Jahren aufgelöst. Die Ehe sei zerrüttet. Das Verschulden treffe ihn. Der Klage war der Entwurf eines im Falle der Scheidung zu schließenden gerichtlichen Vergleiches angeschlossen.
In der daraufhin anberaumten Verhandlung gelangte der Erstrichter, nachdem in turbulenten Vergleichsgesprächen eine Einigung hatte herbeigeführt werden können, zu dem Schluß, daß die Parteien eine Scheidung im Einvernehmen gemäß § 55a EheG anstrebten, ohne daß eine der Parteien einen diesbezüglichen Antrag gestellt hätte. Er wies die Schriftführerin an, das in weiten Teilen bereits vorformulierte interne Formular "Protokoll über die Scheidung im Einvernehmen (§ 55a EheG)" auszufüllen und diktierte den Vergleichstext, wobei er die Worte "Erstantragsteller" bzw. "Zweitantragsteller" verwendete. Der Richter äußerte sich dahin, daß der Rechtsstreit noch formell zu unterbrechen sei und diktierte im Anschluß das Protokoll über die streitige Verhandlung, indem er, ohne daß die Parteien das in dieser Form vorgebracht hätten, das einverständliche Parteienvorbringen protokollierte, daß die Ehe tiefgreifend und unheilbar zerrüttet sei, daß die Parteien einvernehmlich die Scheidung begehrten und erklärten, die eheliche Gemeinschaft sei seit mehr als sechs Monaten aufgehoben. Weiters diktierte der Verhandlungsrichter den Beschluß auf Unterbrechung des Rechtsstreites gemäß § 460 Z 10 ZPO und den Verzicht der Parteien auf Rechtsmittel und Beschlußausfertigung. Für den Richter war nicht erkennbar, daß die Parteien diesem Diktat nicht zugehört hätten. Im Zuge der selbständigen Vorbereitung des Protokolles über die Scheidung im Einvernehmen durch die Schriftführerin schrieb diese auf die Protokollierung über die Verkündung des Scheidungsbeschlusses samt der Erklärung des Rechtsmittelverzichtes der Parteien. Der Richter erklärte sodann, daß er den Beschluß auf Scheidung der Ehe im Einvernehmen fasse. Die Parteien unterfertigten das Protokoll, wobei die Vertreterin der Zweitantragstellerin auf die Möglichkeit eines sprachlichen Mißverständnisses wegen Fehlens eines Beistriches in dem den Rechtsmittelverzicht enthaltenden Satz hinwies. Außerdem fügte sie handschriftlich den Zusatz hinzu, daß sie eine Vergleichsausfertigung beantrage.
Der während der Verhandlung anwesende volljährige Sohn der Parteien provozierte durch seine Einwände immer wieder Diskussionen und führte auch ein in leisem Ton gehaltenes Gespräch mit der Vertreterin der Zweitantragstellerin. Ob diese dadurch gehindert war, den Wortlaut des Diktates des Richters wahrzunehmen, ist nicht feststellbar.
Gegen den Beschluß über die Scheidung im Einvernehmen sowie die Beschlüsse des Erstgerichtes, mit welchen ihr Widerspruch gegen die Protokollierung, die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für eine rechtzeitige Rücknahme des protokollierten Antrags auf einvernehmliche Scheidung, auf Fortsetzung des zu Unrecht unterbrochenen streitigen Verfahrens, auf Feststellung, daß der Scheidungsbeschluß ein "Nichtakt" sei, zurückgewiesen, sowie der Beschluß ON 8 in seiner Begründung berichtigt wurde, erhoben beide Parteien Rekurse. Das Gericht zweiter Instanz gab diesen teilweise nicht Folge, teilweise wies es sie zurück. Die Zurückweisung der Rekurse gegen den Scheidungsbeschluß begründete es damit, daß die Auslegung der Prozeßhandlungen der Parteien nach objektiven Maßstäben zu erfolgen habe, ohne daß der tatsächliche (innere) Wille der Partei zu erforschen wäre. Durch den somit nicht anfechtbaren Rechtsmittelverzicht sei die formelle Rechtskraft eingetreten, sodaß der Scheidungsantrag nicht mehr zurückgenommen werden könne. Selbst wenn ein Antrag auf Scheidung im Einvernehmen gar nicht vorgelegen sein sollte, läge kein sogenannter "Nichtakt" vor; eine allfällige Nichtigkeit sei durch die Rechtskraft geheilt. Hinsichtlich der übrigen bekämpften Beschlüsse mangle es den Rechtsmittelwerbern im Hinblick auf das Vorliegen des rechtskräftigen Scheidungsbeschlusses an der Beschwer.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs beider Parteien ist zulässig, da das Gericht zweiter Instanz in seiner Beurteilung der prozessualen Wirkung des protokollierten Rechtsmittelverzichtes von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist. Gemäß § 227 Abs.2 AußStrG kann über den Rekurs ohne Einholung einer Rekursbeantwortung entschieden werden, da das Rechtsmittel von beiden Ehegatten gemeinsam erhoben wurde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Nach § 215 ZPO, der gemäß § 222 Abs.1 AußStrG auch im Verfahren über die Scheidung im Einvernehmen anzuwenden ist, liefert ein in Gemäßheit der gesetzlichen Bestimmungen errichtetes Protokoll vollen Beweis über Verlauf und Inhalt der Verhandlung, soweit nicht ein ausdrücklicher Widerspruch einer Partei vorliegt. Nach herrschender Rechtsprechung ist jedoch auch gegen Urkunden, die vollen Beweis machen, gemäß § 292 Abs.2 ZPO der Gegenbeweis nicht ausgeschlossen (EFSlg. 47.388; 7 Ob 24/91; Fasching II 1003 f). Umsoweniger darf im außerstreitigen Verfahren, in dem das Gericht alle für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände und Verhältnisse von Amts wegen zu untersuchen hat (§ 2 Abs.2 Z 5 AußStrG), die Behauptung einer der Parteien übergangen werden, ein Protokoll gebe ihre Erklärungen nicht richtig wieder (5 Ob 514/92).
Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß der Rechtsmittelverzicht eine Prozeßhandlung ist, welche nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts weder angefochten noch widerrufen werden kann. Dies ist aber nicht die streitentscheidende Frage, geht es doch vielmehr darum, ob ein Rechtsmittelverzicht überhaupt wirksam abgegeben wurde. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß ein Rechtsmittelverzicht immer ausdrücklich erfolgen muß. Eine bloß schlüssige Erklärung reicht zur Annahme eines wirksamen Rechtsmittelverzichtes nicht aus (SZ 24/29; JBl. 1959, 322; EvBl. 1975/50; 2 Ob 548/84; ÖBl. 1990, 217; EvBl. 1993/44; Fasching IV 22 und 24). Sowohl nach dem Vorbringen der Parteien als auch nach den Feststellungen des Erstgerichtes haben die Parteien aber niemals ausdrücklich einen Rechtsmittelverzicht erklärt, sondern lediglich in einem Falle dem Diktat zugehört und im anderen Falle das von der Schriftführerin vorbereitete Protokoll unterfertigt. Zumindest für den unvertretenen Kläger vermag aber diese Vorgangsweise eine ausdrückliche Rechtsmittelerklärung nach Belehrung nicht zu ersetzen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen wurde daher zumindest vom Kläger kein wirksamer Rechtsmittelverzicht abgegeben, sodaß nicht davon gesprochen werden kann, die Rechtskraft habe unterlaufene Verfahrensverstöße geheilt.
Sowohl nach dem Vorbringen der Parteien als auch nach den Feststellungen des Erstrichters haben die Parteien niemals ausdrücklich einen Antrag auf Scheidung im Einvernehmen gemäß § 55a EheG gestellt. Daß sie die weitere Vorgangsweise des Richters unwidersprochen hingenommen haben, vermag einen derartigen Antrag nicht zu ersetzen, da das Verfahrensrecht keine stillschweigenden Parteienhandlungen kennt. Anträge müssen, sollen sie verfahrensrechtlich wirksam sein, schriftlich oder mündlich ausdrücklich gestellt werden (SZ 40/85). Dies war gegenständlich nicht der Fall, sodaß davon auszugehen ist, daß das gesamte Verfahren ab dem Beschluß auf Unterbrechung des Rechtsstreites gemäß § 460 Z 10 ZPO ohne entsprechenden Parteienantrag abgeführt wurde.
Nach überwiegender Lehre und herrschender Rechtsprechung ist die Aufzählung der Nichtigkeitsgründe im § 477 ZPO nicht erschöpfend. Die Unterbrechung des von den Parteien gewollten streitigen Verfahrens und die Verhandlung im außerstreitigen Verfahren aufgrund eines von den Parteien in Wahrheit nicht gestellten Antrages stellt einen derartigen im § 477 ZPO genannten Nichtigkeitsgrund dar (vgl. SZ 21/37; SZ 44/79; 6 Ob 688/86).
Das Verfahren war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens über die Klage aufzutragen.
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