OGH 8Ob586/93

OGH8Ob586/9330.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gunther Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Edgar Huber, Dr.Peter Niederreiter, Dr.Ronald Rohrer und Dr.Ilse Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna P*****, vertreten durch Dr.Peter Wilhelm, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wider die beklagte Partei Bäckerei-Konditorei P*****, vertreten durch Dr.Ernst Pölzl und Dr.Oswin Hochstöger, Rechtsanwälte in Gmünd, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgerichtes vom 15.April 1993, GZ 2 R 53/93-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Gmünd vom 24.November 1992, GZ 2 C 1222/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die 51jährige Klägerin erbte von ihrem vor zwei Jahren verstorbenen Mann drei Häuser, die mit Pfandrechten belastet sind; der Schuldenstand beträgt derzeit ca 10 Millionen Schilling. In einem der Häuser wohnt die Klägerin; das darin befindliche Geschäftslokal, das aus einem Geschäftsraum und zwei Lagerräumen mit WC besteht, ist an die beklagte Partei um S 3.100 monatlich vermietet. Die beiden anderen Häuser sind zur Gänze vermietet. Die Mieteinnahmen der Klägerin betragen insgesamt S 63.100 monatlich; sie werden zur Gänze zur Rückzahlung der aushaftenden Verbindlichkeiten verwendet.

Die Klägerin ist Mutter zweier Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren, die sie allein erzieht und für deren Unterhalt sie alleine aufkommt. Die Kinder besuchen das Gymnasium. Das ältere Kind besucht nur vormittags, das jüngere Kind von Montag bis Mittwoch auch nachmittags bis 16 Uhr die Schule. Die Klägerin bezieht eine Witwenpension von S

3.500 monatlich. Zusammen mit der Waisenpension für die beiden Kinder erhält sie S 7.000 monatlich. Sie hat keine weiteren Einkünfte.

Die Klägerin war bisher im Haushalt tätig und betreute zunächst ihren Mann. Nach dessen Tod betreute sie ihre Mutter, die während des Verfahrens erster Instanz verstorben ist. Aufgrund ihres Alters ist es der Klägerin nicht möglich, eine Beschäftigung als Arbeitnehmerin zu finden. Sie ist gezwungen, selbständig tätig zu sein, um ein eigenes Einkommen zu erzielen und einen eigenen Pensionsanspruch zu erwerben. Sie ist Inhaberin eines Gewerbescheines für das Einzelhandelsgewerbe, der am 27.7.1990 ausgestellt und auf den Standort Gmünd, Schubertplatz 22 (dem Haus, in dem die Klägerin wohnt), eingeschränkt wurde.

Die Klägerin kündigte der beklagten Partei das im Haus Gmünd, Schubertplatz 22 gelegene Geschäftslokal zum 31.12.1992 auf. Als Kündigungsgrund machte sie Eigenbedarf geltend, wobei sie sich auf die Bestimmungen der §§ 30 Abs 1 und 30 Abs 2 Z 9 MRG berief und sich vorbehielt, den Ersatzmietgegenstand im Zuge des Verfahrens anzubieten. Sie sei aufgrund der geringen Einkünfte aus der Witwen- und Waisenpension genötigt, berufstätig zu werden, um für sich und ihre Kinder den notwendigen Lebensunterhalt verdienen zu können. Sie finde keine unselbständige Beschäftigung mehr. Sie beabsichtige, im aufgekündigten Geschäftslokal selbst einen Textilverkauf zu betreiben. Diese Tätigkeit sei ihr nur im betreffenden Geschäftslokal möglich, weil im selben Haus auch ihre Wohnung liege. Ansonsten könne sie weder ihre Kinder noch ihre pflegebedürftige Mutter betreuen.

Die beklagte Partei beantragte die Aufhebung der Kündigung. Sie wendete ein, daß die Klägerin das Geschäftslokal nicht für sich selbst verwenden, sondern es an eine dritte Person vermieten wolle. Die Klägerin besitze auch nicht die von ihr behauptete Gewerbeberechtigung.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil die Aufkündigung vorbehaltlich der Ersatzbeschaffung für rechtswirksam. Es lägen beide geltend gemachten Kündigungsgründe, insbesondere auch jener des § 30 Abs 2 Z 9 MRG vor, weil bei der Klägerin im Hinblick darauf, daß sie keine andere Erwerbsmöglichkeit habe und zwei schulpflichtige Kinder betreuen müsse, eine Notstandssituation im Sinn der Rechtsprechung zum Begriff des Eigenbedarfs vorliege. Im übrigen sei zumindest bei der Geschäftsraummiete entgegen der ständigen Rechtsprechung nicht auf das strenge Erfordernis des Notstandes abzustellen; es genüge vielmehr das Vorliegen eines wichtigen wirtschaftlichen Bedürfnisses, das bei der Klägerin jedenfalls gegeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliege, ob der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG auch zugunsten eines Vermieters anzuwenden sei, der erst beabsichtige, mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu beginnen.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsansicht, daß die Voraussetzung der Existenzbedrohung schon aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Klägerin zu bejahen sei. Auf die vom Erstgericht erörterte Frage, inwieweit der Umstand, daß die Klägerin zwei schulpflichtige Kinder alleine zu betreuen habe und daher gerade auf das gegenständliche Mietobjekt angewiesen sei, brauche daher nicht eingegangen zu werden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der beklagten Partei ist zwar zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat ungeachtet der Kritik der Lehre (M.Bydlinski in RZ 1988/102 ff; Gimpel-Hinteregger in JBl 1988, 16 ff; Würth-Zingher, Wohn- und Mietrecht Rz 47 zu § 30 MRG) seine schon zu § 19 Abs 2 Z 6 MG in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebrachte Ansicht aufrecht erhalten, daß der Eigenbedarf jeweils einen Notstand im Sinne der unabweislichen Notwendigkeit voraussetze, den vorhandenen Zustand sobald als möglich durch Aufkündigung des bestehenden Mietverhältnisses (so etwa 3 Ob 544/90 mit ausdrücklicher Ablehnung der für eine mildere Beurteilung plädierenden Lehre) zu beseitigen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist daher auch hier zu prüfen, ob ein derartiger Notstand vorliegt.

Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes wurde die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Notstandssituation anzunehmen ist, wenn der Vermieter bzw dessen eintrittsberechtigte Nachkommen in den vermieteten Räumen eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen will bzw wollen, in jüngerer Zeit in zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes abgehandelt, nämlich in 7 Ob 527/88, veröffentlich in MietSlg 39.467 und in 3 Ob 536/87, worauf in MietSlg 39.467 hingewiesen wird. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufkündigung zur Schaffung einer Existenzgrundlage für ein Kind wurde vom Obersten Gerichtshof auch bereits in den Entscheidungen MietSlg 491 und 2.495 bejaht. In den beiden in letzter Zeit hiezu ergangenen Entscheidungen wird ausgeführt, daß im Fall einer Neugründung das Vorliegen ganz besonderer Umstände gefordert werden muß, die es dem Vermieter oder dessen Verwandten in gerader Linie unzumutbar erscheinen lassen, das erst zu eröffnende Geschäft an anderer Stelle als in den in Bestand gegebenen Geschäftsräumlichkeiten - etwa in den ohnehin zu beschaffenden Ersatzräumen - zu betreiben, wie zB eine körperliche Behinderung, die eine Erwerbstätigkeit nur in unmittelbarer Nähe der Wohnung zuläßt.

Es kommt daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes insbesondere auch darauf an, ob der Vermieter oder dessen Nachkomme gerade auf die gegenständlichen Bestandräumlichkeiten angewiesen ist. In den beiden Entscheidungen 6 Ob 599/87 und 3 Ob 536/87 wurde der Eigenbedarf in den dort zu behandelnden Fällen (in letzterer Entscheidung ua) deshalb verneint, weil derartige Umstände, die ausnahmsweise die Verlegung eines bestehenden Unternehmens zugunsten eines erst zu gründenden Geschäftes rechtfertigen würden, weder behauptet noch erwiesen wurden. In dem hier vorliegenden Fall hat aber die Klägerin ihre Aufkündigung insbesondere auch darauf gestützt, daß sie auf die Ausübung ihrer Berufstätigkeit in ihrem Wohnhaus angewiesen sei, weil sie ihre pflegebedürftige, hochbetagte Mutter und ihre zwei schulpflichtigen Kinder zu betreuen habe.

Die Mutter ist zwar inzwischen verstorben, sodaß dieses Argument weggefallen ist und nicht mehr berücksichtigt werden kann, weil zwar die Zulässigkeit einer Aufkündigung grundsätzlich nach dem Zeitpunkt ihrer Zustellung zu beurteilen ist (MietSlg 35.388 ua; Würth in Rummel2 II Rz 5 zu § 33 MRG), aber bei der Eigenbedarfskündigung überdies auf die bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung eingetretenen Umstände Bedacht zu nehmen ist, wenn dadurch der Eigenbedarf des Vermieters weggefallen ist (MietSlg 28.359 ua).

In der Tat ist es der Klägerin allein schon aufgrund der Tatsache, daß sie zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren zu betreuen hat, unzumutbar, ihr Unternehmen an einen anderen Ort in einem von ihr erst zu beschaffenden Ersatzlokal zu betreiben. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß Kinder dieses Alters einer umfassenden Obsorge bedürfen, auch wenn sie fallweise nachmittags Schule haben; sie bedürfen einer Bezugsperson, die, wenn schon nicht in der Wohnung, so doch zumindest in einem im selben Haus gelegenen Raum erforderlichenfalls bereitsteht, helfend einzugreifen. Dabei ist jedenfalls der leiblichen Mutter, die ja auch bisher ihre Betreuerin war, der Vorzug zu geben und zu bedenken, daß die Beiziehung einer Hilfsperson für diese Aufgabe diesfalls nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Kosten der ohnehin finanziell schwer belasteten Klägerin nicht zumutbar erscheint. Die Argumentation der Revision, auch andere alleinstehende Mütter hätten mit der Kinderbetreuung trotz voller Berufstätigkeit zurechtzukommen, vernachlässigt die besonderen Umstände dieses Falles, die einer Verniedlichung nicht zugänglich sind.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die angespannte wirtschaftliche Lage der Klägerin und ihrer Familie die Aufnahme einer Berufstätigkeit zur Abwehr der Existenzbedrohung erfordert, ist richtig und wird von der Revision auch nicht mehr weiter in Zweifel gezogen. Da zudem feststeht, daß die Klägerin am Arbeitsmarkt keine realistische Chance hat, unselbständig erwerbstätig zu werden, und ihre beiden Kinder betreuen muß, sodaß sie eine außer Haus auszuübende Tätigkeit vor weitere ernste Probleme stellen würde, ist in dem hier vorliegenden Fall der Eigenbedarf der Klägerin von den Untergerichten zu Recht bejaht worden.

Es kann der Klägerin, wie die zitierten Entscheidungen 6 Ob 599/87 und 3 Ob 536/87 zeigen, entgegen der Ansicht der Revision nicht schaden, daß sie derzeit noch kein Unternehmen führt, sondern erst beabsichtigt, eine selbständige Erwerbstätigkeit zu beginnen. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin bereits jetzt auf das gekündigte Bestandobjekt zur Ausübung ihrer Berufstätigkeit angewiesen. Von einer vagen, in nicht absehbarer Zeit liegenden Möglichkeit, daß die Benützung des Lokales durch die Klägerin erforderlich werden könnte (wie in 3 Ob 547/90), kann hier keine Rede sein, vielmehr liegen Umstände vor, aus denen sich ihr künftiger Bedarf notwendigerweise ergibt (vgl 3 Ob 550/85 = MietSlg 37.450 ua).

Die von der Revision ebenfalls aufgeworfene Frage der Beweislast stellt sich aufgrund der getroffenen Feststellungen, die eine abschließende rechtliche Beurteilung im aufgezeigten Sinn zulassen, nicht. Eine Zukunftsprognose dazu, ob das von der Klägerin in dem aufgekündigten Bestandobjekt zu gründende Unternehmen auch florieren werde, ist mangels irgendwelcher Anhaltspunkte, daß das Vorhaben der Klägerin von vorneherein zum Scheitern verurteilt sei, nicht vorzunehmen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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