OGH 3Ob550/85

OGH3Ob550/858.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludovika A, Hausfrau, 6580 St. Anton am Arlberg 485, vertreten durch Dr. Alois Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, wider die beklagte Partei Gertrude B, Sekretärin, 6020 Innsbruck, Innrain 119, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 15. Jänner 1985, GZ 3a R 554/84-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 26. September 1984, GZ 11 C 460/84- 5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit am 30. März 1984 beim Erstgericht angebrachtem, am 6. April 1984 zugestelltem Schriftsatz kündigte die Klägerin der Beklagten den Mietvertrag über ihre Wohnung in Innsbruck, Innrain 119, 4. Stock, Top. 17 zum 30. Juni 1984 auf, weil sie die vermietete Eigentumswohnung für sich selbst dringend benötige; sie müsse nämlich die von ihr derzeit bewohnte Eigentumswohnung ihres Sohnes Kurt A in St. Anton am Arlberg 485 auf dessen Verlangen räumen. Die Beklagte erhob gegen die Kündigung Einwendungen, in denen sie unter anderem den behaupteten Kündigungsgrund bestritt. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies den Auftrag, den Bestandgegenstand geräumt zu übergeben, ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß der zunächst mit einem Jahr befristete Mietvertrag vom 28. Mai 1979 stillschweigend auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. Die Klägerin wurde von ihrem Sohn gebeten, sein von ihr unentgeltlich bewohntes Eigentumsappartement, das er an Dritte vermieten möchte, zu räumen. Der Sohn der Klägerin besitzt in St. Anton am Arlberg noch zwei andere Eigentumsappartements, von denen er eines selbst bewohnt, das andere vermietet. Er ist Schilehrer und Hüttenwirt, erwirtschaftet auf der Hütte monatlich 10.000 S (laut seiner Aussage 20.000 S) und zahlt für die von seiner Mutter bewohnte Wohnung monatlich 4.100 S zurück. Seine Gesamtbelastung beträgt monatlich etwa 12.000 S. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Klägerin die gekündigte Wohnung nicht für sich dringend benötige, weil ihr Sohn in St. Anton am Arlberg drei Eigentumsappartements besitze und die bisher kostenlose überlassung eines Appartements an die Klägerin gegen seine behaupteten finanziellen Schwierigkeiten spreche. Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes auf Berufung der Klägerin dahin ab, daß es die Aufkündigung als wirksam erkannte und die Beklagte zur übergabe des geräumten Bestandgegenstandes binnen 14 Tagen verpflichtete. Dabei sprach das Berufungsgericht aus, daß der Wert des 'Begehrens, über den es entscheidet', 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt, und daß die Revision zulässig ist.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, ergänzte sie aber nach Beweiswiederholung dahin, daß Kurt A, der Sohn der Klägerin, seit fünf Jahren Eigentümer einer aus Wohnzimmer mit Kochnische, Schlafzimmer, Bad und WC bestehenden Wohnung in St. Anton am Arlberg 485 ist, die die Klägerin seither unentgeltlich bewohnt, ohne daß ein Mietverhältnis zustande kam. Kurt A hat seine Mutter aufgefordert, diese Wohnung bis zu Beginn der Wintersaison im Dezember 1984 zu räumen, weil er sie vermieten will. Daß die Klägerin - abgesehen von der der Beklagten aufgekündigten Wohnung in Innsbruck - über keine andere Wohnmöglichkeit verfügt, wurde vom Berufungsgericht als nicht bestritten bezeichnet.

Daß die Klägerin die der Beklagten gekündigte Wohnung für sich selbst dringend benötige, begründete das Berufungsgericht damit, daß sie nach Räumung der von ihr prekaristisch benützten Eigentumswohnung ihres Sohnes, wozu sie bis Dezember 1984 aufgefordert worden sei, keine andere Wohnmöglichkeit besitze. Die Zulassung der Revision begründete das Berufungsgericht mit einer angeblich nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung.

In ihrer Revision wegen unrichtiger Lösung von Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung beantragt die Beklagte die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes, allenfalls die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des positiven Ausspruches des Berufungsgerichtes im Sinn des § 500 Abs 3 ZPO, an den das Revisionsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nach § 508 a Abs 1 ZPO nicht gebunden ist, nicht zulässig. Das Rechtsmittel wäre nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhinge, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen wäre oder eine solche Rechtsprechung fehlen würde oder uneinheitlich wäre.

Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen sind jedoch in diesem Fall nicht erfüllt.

Nach dem mit dem ersten Halbsatz des § 19 Abs 2 Z 5 MG wortidenten ersten Halbsatz des § 30 Abs 2 Z 8 MRG ist es als ein wichtiger Kündigungsgrund anzusehen, wenn der Vermieter die gemietete Wohnung für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt.

Aus dem Text des Mietrechtsgesetzes und aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ergibt sich keinerlei Hinweis darauf, daß der von der ständigen Rechtsprechung zum Mietengesetz an das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfes angelegte strenge Maßstab trotz leichter Entspannungen auf dem Wohnungsmarkt gelockert werden sollte.

Dringender Eigenbedarf wird daher nach wie vor nur dann anzunehmen sein, wenn das Wohnbedürfnis des Vermieters oder seiner begünstigten Verwandten überhaupt nicht oder nur so unzulänglich gedeckt ist, daß eine notstandsartige, unabweisliche Notwendigkeit vorliegt, diesen Mangel so bald wie möglich zu beseitigen (20. 6. 1984, 7 Ob 598/84; 27. 6. 1984, 3 Ob 535/84 = JBl 1985, 238).

Dieser ständigen und einheitlichen, zu § 19 Abs 2 Z 5 MG ergangenen, nach den bezeichneten, teilweise schon veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes auch für das Mietrechtsgesetz weiterhin anzuwendenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist das Berufungsgericht gefolgt.

Die Entscheidung hängt daher in dieser Beziehung nicht von einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ab.

Das Berufungsgericht ist auch nicht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen, daß für die Beurteilung eines Sachverhaltes als Kündigungsgrund im Hinblick auf § 572 ZPO grundsätzlich der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner maßgebend ist (EvBl 1965/89; MietSlg. 30.464 u. a.).

Die Revisionswerberin verkennt, daß der dringende Eigenbedarf der Klägerin nicht erst im Zuge des Kündigungsverfahrens, sondern bereits im Zeitpunkt der Aufkündigung entstanden war, weil sie seit der Aufforderung ihres Sohnes, seine von ihr nicht auf Grund eines Mietverhältnisses bisher unentgeltlich bewohnte Eigentumswohnung in St. Anton am Arlberg 485 spätestens bis zum Beginn der Wintersaison im Dezember 1984 zu räumen, über keine gesicherte Wohnmöglichkeit mehr verfügte (MietSlg. 22.357).

Für die Prüfung, ob ein dringender Eigenbedarf vorliegt, ist zwar der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung maßgebend. Dies bedeutet aber nicht, daß der vom Vermieter geltend gemachte Eigenbedarf nur dann gegeben ist, wenn er im genannten Zeitpunkt schon obdachlos war. Es ist vielmehr auch auf Umstände Bedacht zu nehmen, die zwar noch nicht eingetreten sind, aber nahe bevorstehen und aus denen sich der künftige Bedarf notwendigerweise ergibt (MietSlg. 18.403).

Die Entscheidung hängt daher auch in dieser Hinsicht nicht von einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ab.

Ob die Klägerin die Eigentumswohnung ihres Sohnes auf Grund einer Bittleihe unentgeltlich bewohnen durfte, ob ihr Sohn Geldschwierigkeiten hat und ob er imstande wäre, ihr weiterhin eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, ist im Hinblick auf den festgestellten Umstand, daß ihr der weitere Wohnungsgebrauch nicht mehr gestattet wird und sie sich dieser offenbar nicht vereinbarungswidrigen Maßnahme nicht widersetzt hat, nicht entscheidend.

Deshalb kann es sich auch nicht um eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO handeln.

Die in der Revision aufgestellte Behauptung, daß der Sohn der Klägerin diese bisher offenbar nicht ernsthaft zum Verlassen seiner Wohnung aufgefordert habe, widerspricht den Feststellungen der Vorinstanzen. Daß gegen die Klägerin in diesem Zusammenhang weder eine Kündigung noch ein Räumungsverfahren anhängig sei, ist eine erstmals in der Berufungsbeantwortung erhobene unzulässige Neuerung. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Beklagte, der diesbezüglich die Behauptungs- und Beweislast obliegt (MietSlg. 33.353; Würth in Rummel, ABGB, Rdz 37 zu § 30 MRG) in erster Instanz nicht behauptet hat, daß die Klägerin den Eigenbedarf selbst verschuldet hätte.

In diesem Zusammenhang sei jedoch auf § 36 MRG verwiesen, wonach der Vermieter, der aus Gründen unter anderem des § 30 Abs 2 Z 8 leg. cit. wegen des Eintritts eines bestimmten Bedarfes einen gerichtlichen Exekutionstitel auf Räumung des Mietgegenstandes erwirkt hat, der den Mietgegenstand aber nach dessen Räumung entweder gar nicht oder anderweitig verwertet, ohne durch eine mittlerweile eingetretene Änderung der Verhältnisse dazu veranlaßt zu sein, dem so ausgemieteten Mieter den durch die Ausmietung tatsächlich erlittenen Schaden zu ersetzen hat.

Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß das Urteil des Berufungsgerichtes nicht auf der unrichtigen Lösung von Rechtsfragen beruht, denen erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukäme (§ 503 Abs 2 ZPO).

Die unzulässige Revision war daher zurückzuweisen.

Der Revisionsgegnerin gebührt für die Revisionsbeantwortung, in der sie keine Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Revision erhoben hat, kein Kostenersatz (§§ 40, 41 und 50 ZPO).

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