OGH 6Ob599/87

OGH6Ob599/8721.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Petrag als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth K***, Hauseigentümerin, Hauptplatz 8 a, 7210 Mattersburg, vertreten durch Dr. Norbert Kosch, Dr. Ernst Schilcher, Dr. Jörg Beirer und Dr. Roman Kosch, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei prot. Firma Brüder S*** KG, Buch- und Papierhandlung, 7000 Eisenstadt, Hauptstraße 34, vertreten durch Dr. Thomas Schreiner, Rechtsanwalt in Eisenstadt, wegen Aufkündigung eines Geschäftsraumes (Streitwert 24.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes vom 15. April 1985, GZ R 149/85-37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Mattersburg vom 31. Jänner 1985, GZ C 66/84 -28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.911,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 247,20 S Umsatzsteuer und 192 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist seit 17. Februar 1964 Mieterin eines 47,79 m 2 großen Geschäftslokales im Erdgeschoß des Hauses der Klägerin in Mattersburg, Hauptplatz 8 a.

Mit dem am 8. Februar 1984 beim Erstgericht überreichten Schriftsatz kündigte die Klägerin der Beklagten dieses Geschäftslokal zum 30. Juni 1984 auf. Als Kündigungsgrund machte sie Eigenbedarf geltend. Sie behauptete, ihre Tochter Erna K*** sei beim Zeitungsverlag "N*** K***" in Wien als Angstellte beschäftigt gewesen. Zum 31. März 1984 sei sie gekündigt worden. Ab 1. April 1984 sei sie arbeitslos. Da Erna K*** von der bevorstehenden Kündigung gewußt habe, habe sie einen Ersatzarbeitsplatz gesucht, aber keinen gefunden. Sie werde daher, sobald die aufgekündigten Räume frei seien, in diesen als Einzelunternehmer einen Detailhandel mit Taschen, Trachtenkleidung und Trachtenschmuck eröffnen, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Die Klägerin könne aufgrund ihres Einkommens und ihres Alters ihre Tochter nicht erhalten, könne ihr aber die aufgekündigten Räume als Betriebsgrundlage zur Verfügung stellen. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 6. Juni 1984 brachte die Klägerin ergänzend vor, daß sich neben dem gegenständlichen Geschäftsraum im selben Haus ein bis April 1984 von der B***-V*** benütztes Geschäftslokal befinde.

Diesen Geschäftsraum benütze die Tochter der Klägerin seit 9. Mai 1984 als Verkaufsgeschäft für Taschen, Trachtenkleidung und Trachtenschmuck. Für die gewerbliche Tätigkeit seien diese Räume jedoch zu klein, insbesondere fehle es am Platz für Lager und Magazin. Derzeit befinde sich das Lager in der Wohnung der Klägerin im ersten Stock des Hauses. Die Klägerin habe bereits im Zeitpunkt der Aufkündigung mit dem Freiwerden des von der

B***-V*** benützten Geschäftslkokales gerechnet.

Die Beklagte beantragte Aufhebung der Aufkündigung. Sie wendete ein, ein dringender Bedarf, das Geschäft gerade im gegenständlichen Haus zu eröffenen, sei nicht gegeben. Im Hinblick auf das Fehlen eines eingeführten Standortes und eines festen Kundenkreises sei eine Neueröffnung auch an jedem anderen angemessenen Platz möglich. Anders sei der Bedarf bei einem langjährig eingeführten Geschäft, dessen Kunden sich an einen bestimmten Standort gewöhnt hätten, zu qualifizieren. Darüber hinaus könne der Wunsch, ein Einzelhandelsgesellschaft zu eröffnen, ohne bisher einschlägig tätig gewesen zu sein, angesichts der Möglichkeit unselbständiger Erwerbstätigkeiten nicht dringenden Eigenbedarf begründen. Auf das ergänzende Vorbringen der Klägerin erwiderte die Beklagte, daß die nunmehr von der Tochter der Klägerin benützten Geschäftsräume für die Führung des Geschäftes ausreichend seien. Die Benützung des gegenständlichen Geschäftsraumes als Büro- und Lagerraum sei nicht erforderlich, weil sie auch einen Schuppen oder Räumlichkeiten im ersten Stock dafür verwenden könne. Ein Büroraum sei nicht notwendig, weil keine Angestellten vorhanden seien. Zum Zeitpunkt der Aufkündigung hätten allein die Geschäftsräume des Papiergeschäftes für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit der Tochter der Klägerin nicht ausgereicht. Erst durch die Änderung des Sachverhaltes während des laufenden Verfahrens sei der Kündigungsgrund eingetreten.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil die Aufkündigung vorbehaltlich der Ersatzbeschaffung für rechtswirksam. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Tochter der Klägerin, Erna K***, war nach Absolvierung der Handelsschule drei Jahre als Bürokraft und Fakturistin bei der Firma S*** "Wiener Plastik", drei Jahre als Programmiererin und Locherin in der Generaldirektion der B***-V***, fünf Jahre als Datatypistin und im Verkauf der Schuhfabrik K*** und schließlich dreienhalb Jahre als Datatypistin beim "N*** K***" in Wien beschäftigt. Dort wurde sie im Dezember 1983 zum 31. März 1984 gekündigt, weil die Firma auf Terminals umstellte und keine Datatypistinnen mehr benötigte. Die beabsichtigte Kündigung wurde ihr schon im Herbst 1983 mitgeteilt. Nachdem Erna K*** vergeblich versucht hatte, in einer anderen Abteilung des K*** beschäftigt zu werden, beschloß sie, sich als Trachtenhändlerin selbständig zu machen, und erlangte dafür einen Gewerbeschein. Im Dezember 1983 erfuhr sie, daß die B***-V*** aus dem Geschäftslokal im Hause der Klägerin ausziehen werde und besprach dies mit der Klägerin. Gemeinsam kamen sie zum Ergebnis, daß dieses Geschäftslokal allein für das Trachtengeschäft zu klein wäre. Es wurde daher geplant, das Trachtengeschäft in dem von der Beklagten gemieteten Lokal zu eröffnen. Außer den beiden Geschäftsräumen befindet sich im ersten Stock des Hauses eine von der Klägerin und ihrer Tochter bewohnte, aus Bad, WC, Küche, Kabinett (9 m 2 ), Schlafzimmer (ca. 15 m 2 ) und Wohnzimmer (ca. 33 m 2 ) bestehende Wohnung. Nach dem Auszug der B***-V*** Ende April 1984 eröffnete Erna K*** am 19. Mai 1984 das Geschäft in dem freigewordenen Geschäftslokal. Sie beschäftigte halbtags eine Frau im Verkauf, aushilfsweise auch die Klägerin und machte selbst die Büroarbeit. Sie handelt mit Trachtenbekleidung für Erwachsene, Trachtenschuhen, Jagdbekleidung, Ledertaschen und Trachtenschmuck; an den verkauften Sachen werden auch kleine Änderungsarbeiten durchgeführt. Als Lagerraum wird das Wohnzimmer im ersten Stock benützt. Für die Zeit vom 9.Mai bis 23.Juli 1984 meldete Erna K*** an Umsatzsteuer 235.882,61 S. Das Warenlager hatte per 23.August 1984 einen Wert von 722.705 S. Dieser Umsatz und der Lagerbestand lassen unter Berücksichtigung des Standortes bei ordnungsgemäßer kaufmännischer Führung auf einen geschäftlichen Erfolg schließen. Eine endgültige Aussage könnte aber erst bei Vorliegen des Geschäftsergebnisses eines ganzen Jahres getroffen werden. Für das Trachtenmodengeschäft sind die derzeitigen Räumlichkeiten zu klein, insbesondere gibt es im Haus keinen zumutbaren Lagerraum. In unmittelbarer Nähe besteht keine Lagerungsmöglichkeit. Die 47 m 2 großen, von der Beklagten gemieteten Geschäftsräume würden für sich allein für das Trachtengeschäft nicht ausreichen und gegenüber dem derzeitigen Zustand keine wesentliche Erleichterung bringen. In der Zeit von März bis Juni 1984 waren der Arbeitsmarktverwaltung für Datatypistinnen in Wien 30 und in Niederösterreich eine für Programmiererinnen in Wien 8 und für Locherinnen in Wien zwei und in Niederösterreich eine offene Stelle gemeldet. Alle als offen gemeldeten Stellen konnten innerhalb von zwei Monaten mit geeigneten Kräften besetzt werden. Durch eine Vormerkung beim zuständigen Arbeitsamt wäres es möglich gewesen, Erna K*** in dieser Zeit zu vermitteln. Erna K*** war nicht als arbeitslos gemeldet. Im Jänner oder Februar 1984 teilte ihr das Arbeitsamt in Wien 5. auf ihre telefonische Anfrage mit, daß eine Stelle als Datatypistin schwer zu finden sei.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß Erna K*** das Recht auf freie Berufswahl habe und auch eine Vermittelbarkeit in einem früher ausgeübten Beruf nicht zur Verneinung des Eigenbedarfes für den nunmehr angestrebten selbständigen Beruf führen könne. Der Umstand, daß in den gekündigten Räumlichkeiten allein eine zumutbare Geschäftstätigkeit nicht aufrecht zu erhalten sei, spreche nicht dafür, daß eine derartige Geschäftstätigkeit dort undurchführbar sei. Im Zeitpunkt der Kündigung sei daher dringender Eigenbedarf der Klägerin gegeben gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten statt und änderte das Ersturteil in eine Aufhebung der Aufkündigung ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S nicht übersteige und die Revision unzulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit der Ergänzung, daß die Größe des derzeit von der Tochter der Klägerin benützten Geschäftsraumes 31,37 m 2 beträgt. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß es sich bei dem dringenden Eigenbedarf um einen echten Notstand handeln müsse. Die Verwirklichung der Absicht, ein Trachtengeschäft zu eröffnen, sei der Tochter der Klägerin aber bereits im Mai 1984 gelungen, ohne daß sie dazu die aufgekündigten Räumlichkeiten benötigt habe. Der Umstand, daß die Räumlichkeiten allenfalls zur Ausweitung des Geschäftsbetriebes benötigt würden, könne dringenden Eigenbedarf im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht begründen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil zur Frage, ob die beabsichtigte Neugründung eines Unternehmens in den vermieteten Räumlichkeiten einen eine Aufkündigung rechtfertigenden dringenden Eigenbedarf des Vermieters begründet, bis auf die älteren Entscheidungen MietSlg 491 und 2.495 Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht vorliegt, und zwar weder zur Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 9 MRG noch zu der ähnlichen Bestimmung des § 19 Abs 2 Z 6 MG.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Zunächst sei bemerkt, daß § 30 Abs 2 Z 9 MRG inhaltlich dem § 19 Abs 2 Z 6 MG entspricht und lediglich die schon dort vorgesehene Ersatzbeschaffung am § 32 MRG angeglichen wurde. Die Rechtsprechung zum Begriff des Eigenbedarfes im § 19 Abs 2 Z 6 MG ist daher auch zur Auslegung des Eigenbedarfsbegriffes im § 30 Abs 2 Z 9 MRG heranzuziehen (MietSlg 37.453). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes setzte Eigenbedarf im Sinne des § 19 Abs 2 Z 6 MG einen Notstand voraus, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand sobald als möglich zu beseitigen, wobei dies nicht anders als durch Aufkündigung des bestehenden Mietverhältnisses möglich ist. Bei Prüfung des Eigenbedarfes ist daher ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. insbesondere MietSlg 26.257, 26.258). Hiebei wurde zwischen dem dringenden Eigenbedarf nach § 19 Abs 2 Z 6 MietenG und jenem nach § 19 Abs 2 Z 5 MG (mit bzw. ohne Beistellung von Ersatzräumlichkeiten) nicht differenziert (vgl. MietSlg 8.170, 8.939, 15.336, 16.367 und 37.453).

Die Schaffung einer Existenzgrundlage für ein Kind des Vermieters durch Verwendung der Bestandräumlichkeiten für ein neu zu gründendes Unternehmen wurde - soweit überblickbar - vom Obersten Gerichtshof in den Entscheidungen MietSlg 491 (4. Mai 1949) und MietSlg 2.495 (16. Oktober 1952) grundsätzlich bejaht. Im Falle einer Neugründung muß aber das Vorliegen ganz besonderer Umstände gefordert werden, die es dem Vermieter oder dessen Verwandten in gerader Linie unzumutbar erscheinen lassen, das erst zu eröffnende Geschäft an anderer Stelle als in den in Bestand gegebenen Geschäftsräumlichkeiten - etwa in den ohnehin zu beschaffenden Ersatzräumen - zu betreiben, wie zum Beispiel eine körperliche Behinderung, die eine Erwerbstätigkeit nur in unmittelbarer Nähe der Wohnung zuläßt.

Derartige Umstände, die ausnahmsweise die Verlegung eines bestehenden Unternehmens zugunsten eines erst zu gründenden Geschäftes rechtfertigen würden, wurden weder behauptet noch erwiesen, so daß das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfes im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG verneint hat.

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß der in der Revision weiters relevierten Frage, ob die Ausweitung des erst nach Aufkündigung begründeten Geschäftsbetriebes durch Einbeziehung der gekündigten Räume zur erfolgreichen Existenz unbedingt oder nur allenfalls notwendig ist, keine Bedeutung zukommt, weil die Zulässigkeit einer Aufkündigung nur nach dem Zeitpunkt ihrer Zustellung zu beurteilen ist (MietSlg 35.388, Würth in Rummel ABGB Rz 5 zu § 33 MRG).

Demzufolge war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte